Veröffentlicht: 19.09.2021
Die Nacht prasselte der Regen auf das Dach hier und auch heute morgen sieht es nicht viel besser aus. Obwohl er nachgelassen hat, ist alles grau in grau und so mache ich mich relativ früh auf den Weg zum Cabot Trail, in der Hoffnung, dass es vielleicht dort aufklart. Inzwischen sind Einpacken und losfahren absolute Routine geworden. Ein Wunder, dass mich mein Auto nicht mit "Good morning" begrüßt. Der Weg zum Trail ist gut ausgeschildert und zahlreiche Werbeplakate lassen erahnen, dass das hier eine wirklich Touri-Gegend ist. Autos sind aber um 8.30 Uhr an einem Sonntagmorgen kaum unterwegs. Ist ja auch Sauwetter.
Bei der Einfahrt in den Trail und dem obligatorischen Selfie hört der Regen auf. Ich kann es kaum glauben. Und gleich am Anfang hat es die Strecke in sich. Sie windet sich durch noch schönere und dichtere Wälder und man könnte an jeder zweiten Ecke anhalten und Bilder machen. Und immer noch bin ich fast alleine auf der Straße. Nur ganz gelegentlich fährt bei einem Stop ein Auto an mir vorbei.
Bei der nächsten Abbiegung nimmt der Verkehr dann etwas zu - aber ist weit weg von den Massen von Autos, die hier während der Saison und zu prä-COVID-Zeiten herumkurvten. Ich habe einen Blog gelesen, wie man die Strecke in einem Tag gut schafft - ich habe mir 2 vorgenommen, und das stellt sich auch später als gut heraus. Einer der Stops, den der Blogger empfiehlt, ist der Wreck Cove General Store. Dort leiste ich mir ein Hummersandwich. Kostenpunkt: 20 Can$ oder 14 Euro. Dafür ist aber wirklich satt Hummer drauf.
Danach wird dann die Straße spektakulär. Über einige Serpentinen gewinnt man Höhe und hat von oben den fantastischsten Ausblick, den man sich vorstellen kann. Der ist gerade mal würdig, für die 2. Hälfte meines Hummersandwiches als Picknickort bestimmt zu werden. Und auch hier sind kaum Autos vorhanden, das Wetter ist noch besser geworden und regnen tut es nun überhaupt nicht mehr. Sehr viel Glück gehabt.
Nach einigen weiteren Stops empfhiehlt mein Blog mir einen Trail nach Middle Head zu laufen. Dauer etwa eine Stunde und vor allem wenig Höhenmeter. Das bekomme ich hin, denke ich mir. Meine Regenjacke lasse ich im Auto, nur keine Zeichen setzen. Am Anfang des Weges wird man darauf hingewiesen, dass es hier Kojotenterritorium ist. Aha. Ich habe mal gelesen, dass die einzige tödliche Begegnung eines Erwachsenen mit einem solchen Tier hier in Nova Scotia stattgefunden hat. Na dann. Ich fühle mich ganz wohl, dass ich ab und an Menschen treffe.
Nach besagter Stunde und einem schönen Weg durch den Wald komme ich am Ende des Weges an, der einen Ausblick aufs Meer gibt. Mitsamt rotem Stuhl. Dort treffe ich auf Amsel und Meeshva (Namen sind bestimmt nicht richtig geschrieben) aus Pakistan. Er wohnt seit er 17 ist in Toronto und hat dort studiert und arbeitet jetzt dort, sie arbeitet bei einer Bank. Sie haben in Pakistan geheiratet, nachdem sie sich in Kanada kennengelernt hatten, und kommen heute aus Halifax und wollen da auch wieder hin zurück. Das sind 5 1/2 Stunden Fahrt. Scheint ihnen aber nix auszumachen. Wir unterhalten uns kurz über ihre Zeit hier in Kanada und meine in Deutschland. Ich glaube, ich würde tauschen. Ich werde die zwei in diesem Leben nicht wiedersehen, aber das war eine der Begegnungen, die ich bei Roadtrips so liebe. Diesen kurzen Einblick in das Leben anderer. Unglaublich.
Nach weiteren Stopps (und wie gesagt, es hätten locker doppelt so viele sein können), biege ich dann vom Trail ab, um zu meinem Motel zu fahren, was noch ein wenig weiter nördlich liegt. Dabei komme ich beim Cabots Landing Provincial Park vorbei und entdecke ganz unvermutet einen der schönsten Plätze dieser Reise. Hier kann man sich nur in die Landschaft verlieben - und das bei inzwischen strahlendem Sonnenschein.
Als ich gegen 5 Uhr bei meinem Motel ankomme, wird mir klar, warum die so teuer sein können - trotz 80er Retro Schick. Die Lage ist wirklich unübertrefflich. Es liegt auf einer Anhöhe, und man hat einen Rundum-Blick über die Bucht inklusive einem gigantischen Sonnenuntergang am Abend. Das einzige Manko hier: keine Gastronomie weit und breit und der Supermarkt macht um 17 (!) Uhr zu. Dafür eine voll ausgestattete Küche, und so gibt es heute abend neben Obst Uncle Bens Reis, den ich eigentlich als Mitbringsel nach Hause überführen wollte. Und bin auch froh, dass ich es nicht gemacht habe - so gut war der nicht.
Ich freue mich morgen auf den Sonnenaufgang und ein paar weitere schöne Stunden hier, bevor ich spätestens um 11 Uhr zu meiner zweiten Etappe auf den Cabot Trail aufbreche. Wenn die nur annähernd so genial wie die erste heute ist, dann ist dieser Trip hier in den äußersten Norden von Nova Scotia ein Erlebnis in den Top 10 meines Lebens. Was ein schönes Stück Welt.