Im Kojteich
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Busan - The Tipping Point

Veröffentlicht: 17.04.2023

Der Tempel der Enttäuschung 🛕

Ich habe mich entschieden. Für Singapur storniere ich das Capsule Hotel und finde ein Hotel mit einem Studio. Dafür zahle ich statt 120 nun 300 € für drei Nächte, aber Erfahrung macht klug. 😅 Kenne deine Prioritäten und handle nach "Love it, Change it, Leave it". Ja, dieser ganze Trip soll Erfahrungen bieten, aber ich möchte auch nicht meine Lebenszeit wegschmeißen.

Ich ziehe wieder los, beflügelt von der Motivation meiner Selbstwirksamkeit. Zu einem Ort den ich die letzten drei Wochen wertzuschätzen gelernt habe, den ich vermisse und das jetzt nachhole. Ich gehe zu einem Tempel in der Nähe, welcher knapp 30 Minuten entfert ist. In Japan hätte ich schon drei andere Schreine auf dem Weg zu diesem Tempel gefunden. Aber ich muss mir nun mal eingestehen, dass das hier nicht Japan ist. Auf dem Weg dorthin begegnen mir immer wieder CCTV Schilder. 📹 Ich schaue mich um, schaue an den Laternenpfahlen hoch. Dort hängen Kameras unterschiedlicher Art. Manche sind fest und zeigen nur in eine Richtung, aber ich sehe auch 360° Kameras, die sich ständig und unvorhergesehen bewegen. Ich frage mich, ob es eine automatisierte Bewegung ist oder dahinter jemand tatsächlich sitzt und bestimmt Dinge fokussiert. Willkommen in 1984. Ich ziehe weiter. 

Als ich an meinem Ziel ankomme, gehe ich die Treppe zur Anlage hoch. Oben angekommen bin ich milde gesagt ein wenig enttäuscht. Die Anlage wirkt von der Zeit angegriffen. In dieser Anlage fehlt etwas was ich in den letzten Wochen liebgewonnen habe. Eine gewisse Energie, die gespeist von regelmäßigen Besuchen ist. Für mich hat diese Anlage eher den Anschein einer Deko, die pflichtbewusst zu größeren Festen besucht wird. Der Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass ich mich umdrehe und die Skyline eines Stadtausschnitt sehe. Der Wind trägt den Lärm der Baustellen hinüber. Am rechten Rand des  Horizonts kann ich die Konkurrenz entdecken, eine evangelische Kirche.

Selbst wenn ich gewollt hätte hier mein übliches Segen Ritual abzuhalten, trotz dieser Befremdlichkeit, es gibt nicht mal eine Stelle dafür. Die Zeit in Japan hat etwas mit mir gemacht, das steht fest. Es wird sich noch weiterhin zeigen, in welchem Umfang. Ich ziehe weiter, in einen hier weitaus beliebteren Tempel. Ich naviere mich zur nächsten Mall.


City Bus Tours 🚌

Ich mache kurz halt in einem eMart24, einer weiteren Variante der Minimarts. Was in Japan sie Obsession für Tee ist, ist hier Aloe Vera. Leider gesüßt, und Zucker bekomme ich hier bereits genug. Eine Sache ist in diesem relativ abgelegen Laden recht dennoch ähnlich. Das Restgeld sowie der Kassenbon werden auch hier mit beiden Händen und einer leichten Verbeugung übergeben. Ich liebe diese kleine respektvolle fest. Sie ist so unvoreingenommen und verbindend, wenn sich beide Seiten drauf einlassen. Für mich sind das hier eine der wenigen Momente, bei denen ich überhaupt eine gewisse Verbindungen zu den Menschen hier aufbauen kann.

Im Bus fahre ich eine Stunde. Ich schaue raus. Es gibt nur zwei gute Gründe für mich, eine Hop On-Hop Off Tour zu nehmen. Vermutlich ist bei so einer weniger los im Bus, und der HoHo-Bus hat ein Freiluftdeck. 

Während der Fahrt komme ich unter anderme an der Daewoo Marina vorbei. Locker 20 Stockwerke hohe Schlafbunker, welche in dem Distrikt hier zu Dutzenden aufgestellt sind. Quasi die Arbeiterviertel. Auch andere Namen werden mir an solchen Gebäuden begegnen, unter anderme Samsung.

Ich tauche in Altbekanntes, indem ich meine Kopfhörer einsetze.Es läuft 40 Minuten lang der Soundtrack von Goldeneye N64, in der Orchestral Version. Perfekt um die Gegend zu erkunden und vorbeiziehen zu lassen. Oder stehen zu lassen. Es ist nämlich Samstag, auf den vierspurigen Straßen stauen sich die Blechlawinen. Vier Spuren in eine Richtung, wohlgemerkt. Huyndais und Kias dominieren die Autolandschaft, aber auch hier sind die typischen deutschen Marken vermehrt anzutreffen. Porsche, BMW, Mercedes. Es ist definitiv um einiges mehr Autos als in Japan.

Als ich ich an der Mall von gestern vorbei komme, schließe ich schnell das Fenster. Heute riecht es nach verfaulten Eiern.

Der Bus fährt auch durch die äußeren Bezirke des Hafens. Verarmte und verfallene Gebäude, die langsame aber sicher von den Hochhäusern drumherum aufgefressen werden. Die Tür öffnet sich, verfaulte Eier.

Während der gesamten Fahrt ziehe ich eine Bahn nach der anderen in meinem Gedankenteich. Nach nicht mal einer Stunde im Betonwald wird mein Entschluss nur noch fester. Morgen gehe ich Wandern, wenn das Wetter es zulässt. Sonst spuckt mich diese Stadt noch depressiv aus.

Hier und da lese ich den Slogan für die Expo 2030. "Busan is good". Holy shit, so einfach kann PR sein? Vielleicht sollte ich meinen Job wechseln. Ich bin kein professioneller Psychologe, aber etwas sagt mir, dass es umso unglaubwürdiger ist, je deutlich man es so aussprechen muss. Die bisherigen Eindrücke verstärken diesen Eindruck. Und es das wird sich auch nicht ändern.

Irgendwann erreiche ich mein Ziel, den BIFF square. Als ich um die Ecke biege, erschlagen mich Dutzende von Fressbuden. Alle ziert die Aufschrift "Busan International Film Festival". Muss ja sehr international sein, bei der Masse von zehn Europäern und Amis, die ich heute sehen werden.

Yummy, yummy! 😋

Ich erkunde ein kleines Gebäude, finde eine kleine Spielhalle vor. Ich liebe diese Plätze. Alleine macht es allerdings weniger Spaß. Zudem fiel mir bereits im Toys'r'Us diese Obsession mit realistischen Spielzeugschusswaffen auf.

Ich gehe weiter, beim Rauskommen und komme an einem Restaurant vorbei, welches ich schon beim Betreten gesehen hatte. Ich lese "Menu in English available". Ich ahne, dass es nur für das Menü gilt, schlucke den Köder dennoch. Es ist 15:30, das Fasten könnte mittlerweile gebrochen werden. Die Überreste der Nudelsuppen sollten langsam von meinem Körper verdaut sein.

Ich werde zum Platz geführt, setze mich und suche mir etwas raus. Leicht scharfer (in Asien ist das relativ) Kimchi-Eintopf mit ein wenig Fleisch drin. Ich lerne hier zwei Dinge für meine weitere kulinarische Reise.

- Die Servicekräfte kommen nicht ständig rum und sprechen einen an. Entweder ruft man, oder man nutzt die Klingel am Platz. Nice.

- Besteck ist am Platz. Nicht auf dem Platz, sondern in einer Schublade im Tisch. Da hätte ich auch ewig drauf warten können. 

Plus die Lehre, dass ich bei meinem nächsten Trip in ein anderes Land nicht erst am Tisch selbst die Gepflogenheit des Landes prüfen werden. 😁
Beim Rausgehen zahle die günstigen 4,93 €  mit einem "Gam-Saham-Nida" als Danke. In Japan stimmt die Aussprache normalerweise mit der Schreibweise überein. Aber hier? Geschrieben steht "Gam-Saham-Nida", gesprochen wird es "Kammsa-Nida". Ich hab es drei Tage lang versucht mit Fantasie beides zu verbinden. Aber selbst die automatischen Ansagen wollen nicht kooperieren.

Shopping-Tour 🛒

Ich ziehe wieder, sehe zufällig das "Napano Underground Shopping Center". Underground Shopping Center? Ich verspreche mir großes; mal wieder. Es entspricht nicht meinen Erwartungen; mal wieder. Ich gehe durch die Reihen an Marktständen. Es erinnert mich an einen polnischen Wochen- oder Trödelmarkt. Nur im Untergrund. Und ohne die gefälschten Musik-CDs.

Ich sehe Pullover für 10.000 Won. 6,90 € für einen Pullover? Tja, China ist um die Ecke, plus das hier ist die Hafenstadt im Süden. Ich lasse mich von der Masse mitschleifen, lande auf dem Fischmarkt. Von hier habe ich eine guten Überblick über die Bucht. Ganz nett hier. Das war es aber auch schon. Einladender wird der Hafen dadurch nicht.

Busan ist nich nur gut, nein. Überall lese ich "Busan is ready - Expo 2030". Als ob. Auch hier gilt das gleiche Prinzip. Wenn du es so betonen musst, dann stinkt der Fisch. Der Anteil an English bzw. Non-Korean in der zweitgrößten Stadt Südkoreas ist frapierend niedrig.

Als ich aus an einem Laden vorbeikomme, denke ich mir: "Huch? Mein Laden?" "ShyMan" ziert die Front. Keine Ahnung, was das soll, aber witziger Name. Als ich vor dem Laden stehe, fällt der Groschen. Es ist ein 24/7 Sex-Toy-Laden ohne Belegschaft.

Ich gehe jeden Lotte Mart, vergleichbar mit einem großen Real oder Kaufland. Die Instant Noodle Abteilung ist so groß wie bei uns die komplette Frühstücksabteilung . Ich hole mir einen Smoothie in einer Innocent Glasflasche, der sich noch als normaler Saft herausstellen wird. 🙄 Beim Bezahlen am Self Checkout werde ich ich feststellen: Eine Visa Debit Card zu haben ist super. Zusätzlich eine Visa Credit Card zu haben ist superer.

Nach einem kurzen Abstecher auf die Aussichtsplattform im 13. Stock geht's auf zur Drohnenshow am Strand. Auf dem Weg dorthin mache ich Bekanntschaft mit Autos, die auch vorne vollvertönte Scheiben haben. Die Arschlöcher möchten wohl nicht ihr Gesicht bemerkt haben, wenn sie auf Zebrastreifen scheißen und mich fast überfahren. Zum Glück habe ich es mir bereits längst auf zur Gewohnheit gemacht, mit voller Aufmerksamkeit die Straßen zu betreten.


Die Drohnen sind los 🕯

Am Strand angekommen mache ich es mir auf einem Vorsprung gemütlich, gegenüber Schaukeldringen, welche die Farbe wechseln. Glückliche Pärchen schießen gegenseitig Fotos voneinander. Nach einem anstregendem und enttäuschendem Tag wie diesem heiße ich diese freudvolle Leichtigkeit herzlich willkommen und denke an zu Hause.

Nach einer Weile geht die Drohnenshow los. Es zahlt ein Countdown auf Englisch von zehn runter auf null, dann wird die Brücke eingelullt in ein Lichterspiel, während von kleinen Booten Feuerwerk abgeschossen wird. Nur kurz. Nur klein. Und dann fängt die eigentliche Show an, heute unter dem NASA Motiv.

Weltraum ist seit meiner Kindheit eines meiner großen Steckenpferde. Zur Show läuft aus den Straßenlautsprechender passende Musik zur Untermalung. Irgendwo in meiner unmittelbaren Nähe schneiden Ninjas unsichtbar Zwiebeln, meine Augen werden feucht. Ich merke, wie ich breche. Diese Stadt tut mir nicht gut. Diese Stadt tut mir leid, in beider Sinnen. Mir kommt ein Zitat in den Kopf, welches Judith mir heute weitergeleitet hat, von Virginia Satir.

"Wir benötigen pro Tag 4 Umarmungen zum Überleben.
Wir benötigen pro Tag 8 Umarmungen zum Leben.
Wir benötigen pro Tag 12 Umarmungen zum Wachstum."

Ich brauche erst gar nicht anfangen zu zählen. Denke dabei an Bernd, Jörg und die Truppe. Judith und ich haben uns darüber ein wenig ausgetauscht und waren uns einig, dass fehlender Kontakt immer durch eine Sucht ausgeglichen wird. Deshalb heißt es ja auch Sucht, weil du etwas suchst. Sei es Anerkennung, Essen, Alkohol, Pornos Spielsucht, Drogen, you name it. Auch ich spüre, dass ich hier nicht das finden kann, was mir gut tut. Ich spüre, wie verführerisch altbekannte und ungesunde Ausgleichsmechanismen an meiner Tür klopfen. Langsam schält sich in mir heraus, dass mein Weg nicht in Stein gemeisselt ist. Es ist meine Reise, und ich muss nichts machen, was mir nicht gefällt. Ich überdenke meine restlichen Reisepläne. Ich stelle meinen restlichen Aufenthalt hier in Südkorea und Taiwan in Frage. Ich bin niemanden etwas schuldig. Ich bin hier, um Erfahrungen zu sammeln. Und dazu gehören auch die schlechten. Aber ich muss mich nicht darin baden.
Das hier ist nicht meine Stadt. Das hier ist nicht mein Kampf.

"Love it, Change it, Leave it."

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