Veröffentlicht: 15.09.2018
Erst seit 1938 ist die Straße nach Mestia fertig. Wie man bis dahin in den 1.500m hoch gelegenen Ort gekommen ist, möchte ich mir lieber gar nicht vorstellen. Wir beide, bergstraßenerprobte Österreicher und Österreicherin, brauchen knapp 3 Stunden für etwas mehr als 100 km.
Wer uns kennt, stellt sich jetzt sicher die Frage, was uns dazu treibt, so weit und so hoch in die Berge fahren. Ganz einfach: Hier gibt es etwas zu besichtigen, die mittelalterlichen Geschlechtertürme der swanetischen Dörfer, auch sie übrigens Weltkulturerbe. Und da wir schon einmal hier waren, sind wir etwas länger geblieben - diesmal ist der Text also etwas länger. Dabeibleiben, liebe Leute, es ist wohl das Beste, was Georgien zu bieten hat.
Mestia ist der Hauptort, aber nicht die Hauptsehenswürdigkeit, das sei vorweggenommen. Für den Einstieg ist er aber gerade gut, und wir verstehen nicht recht, wie es zu den Unkenrufen im Internet kommt, die beklagen, Mestia sei inzwischen so wahnsinnig geschniegelt. Ja, es gibt auf der Hauptstraße einen völlig deplatziert wirkenden Schönheitssalon und viel zu viele Lokale für den kleinen Ort, aus denen außerdem viel zu laute Musik heult. Die Preise sind überhöht, aber es sind auch sehr viele Urlauber/innen hier: vor allem junge Menschen, die hier wandern. Ja, es gibt ein Museum, das zeigt, wie man in der Zeit der Geschlechtertürme bis in 19. Jhdt. gelebt hat (mit beeindruckender Originaleinrichtung), aber abseits der Hauptstraße ist es für unser Empfinden eh sehr urtümlich.
Ich wollte ja gar nicht hin, nach Uschguli, das zwar nur 46 km von Mestia entfernt liegt. Denn für diese berüchtigte Straße braucht man mit einem geländegängigen Auto laut Internet 4 1/2 Stunden (Youtube Horror-Videos über die Fahrt gibt es zuhauf). Außerdem liegt der Ort auf 2.200 m, was definitiv zu hoch ist, und ist rund 6 Monate eingeschneit und von der Umwelt abgeschlossen. Uschguli gilt als das höchste ständig bewohnte Gebirgsdorf Europas (wenn man Georgien zu Europa zählen will). Das ist nichts für mich, Geschlechtertürme hin oder her. Roby hingegen war abenteuerlustiger, und so machten wir uns auf nach Uschguli.
Eine matte Sache, diese Straße, gar kein Abenteuer, so war unser erster Eindruck. Ungefähr 20 km sind bisher betoniert und völlig unproblematisch. Der Straße entlang gibt es einige angeblich interessante typisch swanetische Kirchen. Wer die bisherigen Blog-Beiträge gelesen hat, wird sich nicht wundern: Wir hören etwa über eine Kirche, in der etwas zu sehen sein soll, und schon scheuen wir keine Mühen. Wir klettern auf einen nahezu senkrechten Felsen, um die (geschlossene) Kirche von Kala zu besichtigen. Der Wegweiser kündigte eine 1,1 km lange Wanderung an, was natürlich gelogen war. Kirchen sind von der Hauptstraße nämlich prinzipiell 1,1 oder 2,2 oder 4,4 km entfernt. Das haben wir aber erst später gelernt. Roby lässt sich von einem verrückten Hund ins Wadl beissen - zum Glück sind wir Tollwut geimpft -, um die (natürlich geschlossene) Kirche von Chvabiani anzuschauen. In Swanetien sind die Kirchen also geschlossen. Eh klar, sagt Roby, die Swanen sind Heiden.
Aber ich bin vom Thema abgekommen: Die letzten knapp 9 km der Straße sind dann wirklich aufregend: natürlich nicht asphaltiert, so eng, dass zwei Autos nicht aneinander vorbei kommen, riesige Schlaglöcher, die sich nach Regen in Miniseen verwandeln - und auf einer Seite (völlig ungesichert) der Abgrund in die schöne Schlucht. Insbesondere die Rückfahrt nach schwerem Regen in der Nacht, die die Straße auch noch schlammig gemacht hat, liefert dann das erhoffte/befürchtete Abenteuer (55 Min. für die 9 km).
Und Uschguli? Großartig. Also, nichts wie hin, sofort und jetzt!!! Mitten in den hohen Bergen, die Gipfel um das Dorf (das selbst aus fünf Ortsteilen mit eigenen Namen besteht) überragen es deutlich (man sieht Schnee), liegt fast unwirklich diese Ansammlung von eindrucksvollen Geschlechtertürmen. Ich liebe sie.
Und Uschguli? Das Dorf, meine ich jetzt. Schwer zu beschreiben, aber wir verstehen jetzt, warum Mestia als geschniegelt gilt. Es wirkt irgendwie wie Mittelalter mit Strom, Fernsehen und Autos. Die Wege zwischen den Häusern sind steinig und schlammig, überall liegt die Scheiße der frei herum laufenden Rinder, Schweine, Pferde und Hunde. Das beste Fortbewegungsmittel ist das Pferd, eindeutig, und es wird auch fleißig genutzt, schon von den Kindern ohne Sattel. Auf meine Frage nach einer Toilette schickt mich die Wirtin eines Cafés in die öffentliche Bedürfnisanstalt, deren Tür ich aufmache und blitzschnell wieder schließe. Der Mann, der mir den Weg gewiesen hat, hält mich jetzt sicher für eine verwöhnte Großstadtzicke, aber ein Holzbrett im Boden mit großem Loch, in dem ich den Inhalt des Klos allzu gut sehen kann, ist nun mal nichts für mich.
Es wird nicht mehr lange dauern und die Straße nach Uschguli wird vollständig betoniert sein. Die bessere Zugänglichkeit wird mehr Touristen/innen bringen (schon jetzt bringen die Sammeltaxis zahlreiche Tagesausflügler/innen). Die Armut wird aus dem Ort verschwinden - und das ist gut so. Aber, so wie es aussieht, wird Uschguli auch das verlieren, was es noch immer ausmacht: das unverfälschte Ortsbild eines weit abgelegenen Dorfes. Denn schon jetzt gibt es unbegreifliche Bausünden. Statt die alten trutzigen Steinhäuser mit oder ohne die typisch georgischen geschnitzten Holzveranden herzurichten, werden geschmacklose Betonblöcke hochgezogen. Und deshalb: Nichts wie hin, viele derartige Ort kann man so nahe bei uns nicht mehr sehen.