Veröffentlicht: 22.05.2022
Wir erwachen in unserem Bungalow im Campement le Cormoran – es sind angenehm frische 26 Grad am Morgen und wir freuen uns über die «frische Brise». Youssou, unser Fahrer und mittlerweile schon Bekannter bis Beihnahe-Freund, wartet schon auf uns und stellt uns die Standardfrage, ob wir gut geschlafen haben und ob es nicht zu heiss gewesen sei.
Beim Bezahlen gibt es noch etwas Verwirrung wegen des Preises. Dann ist aber alles klar, und nach einigem Hin und Her ist zwar alles bezahlt, und doch sind wir nicht ganz sicher, ob wir nicht über den Tisch gezogen worden. Nicht ganz einfach, die schnellen Bezahlsituationen und die Umrechnung in die Tausenderbeträge des westafrikanischen Francs. Dieser Eindruck verstärkt sich dann noch mehr, als uns die nette Frau strahlend eine Flasche Wasser schenkt. «Oh, ihr geht nach Touba? C’est hyper chaud! So heiss, ihr braucht Wasser». Mit staunendem Blick verfolgen wir, wie die Frau einen riesigen Block Eis aus der Tiefkühltruhe nimmt, mit einem Gegenstand darauf einschlägt, um Eiswürfel zu produzieren, diese, gemeinsam mit der Flasche in einen ollen Kühlbehälter aus Stoff füllt und mit einem breiten Lächeln an uns aushändigt. Wir sagen, dass wir nicht zurück ins Flussdelta kommen werden und die Kühltasche nicht mehr zurückbringen können. Die Frau nickt wissentlich, und sagt, das sei in Ordnung, es sei ein Kreislauf, alles komme irgendwie zurück. Also gut.
Wir steigen ins Auto, Miriam schnallt sich mühevoll an, denn der Gurt möchte nicht so richtig einrasten, und ich steige hinten in den Wagen, muss in der Mitte sitzen, da nur dort ein Gurt vorhanden ist, Schleudersitz. Wir fahren, raus aus dem kleinen Dörfchen, das aus einer geteerten Strasse in der Mitte besteht, am Rand nur Sand und Häuser mit «Geschäften». Rasend vorbei an Milchläden (erkennbar an den Graffiti-ähnlichen Gemälden von Kühen an den Wänden), Nähstuben (in denen nur nachts gearbeitet wird, weil es am Tag zu heiss wird), Alkoholshops (wer trinkt Alkohol in einem vor allem muslimischen Land?), Undefinierbarem (und davon vieles), Bäckereien (erkennbar an den vielen Blechgestellen, auf denen Baguettes liegen). Und Pferdekarren, Eseln, Ziegen, Schafen, und Unmengen von Menschen in jeder Ecke, in jedem Winkel. Irgendwann wird es ländlicher, die sandigen Landschaften weiter, die majestätischen Baobab-Bäume zahlreicher und immer imposanter. Wir fahren und fahren, und dann müssen wir mal ganz schnell anhalten, als ich bemerke, dass sich auf der (sicherlich originalen) Louis-Vuitton-Gummi-Fussmatte eine Pfütze gebildet hat und mein Flipflop schon darauf herumschwimmt. Mitten in der gefühlten Wüstenlandschaft halten wir an, schütten das Wasser aus, und auch das restliche Eis in dem absolut undichten Behälter, und dann geht es weiter.
Wir brauchen Benzin. An der ersten Tankstelle, an der wir anhalten, lungern zwei Tankstellenmitarbeiter im Schatten und an die Zapfsäule gelehnt herum. Mal wieder sieht es aus, als hätte die Tankstelle schon seit Jahrzehnten eine Sanierung nötig. Rost, Staub, Dreck, Ruine. Youssou hält an, kurbelt das Fenster herunter, fragt etwas auf Wolof, kurbelt das Fenster wieder hoch und wir fahren weiter. «Es gibt hier kein Benzin. Wegen des Ukrainekriegs. Wir finden eine andere Tankstelle.», sagt Youssou. Wir nicken und fragen uns, wo die nächste Tankstelle denn sei. Wir finden eine, nur wenige Minuten später. Während unser Auto vom Tankwart betankt wird, fassen wir den Beschluss, uns eine kalte Cola und ein paar Kekse in der Tankstelle zu kaufen. Als ich aussteige, stehe ich beinahe in einer Pfütze, die sich wahnsinnig schnell ausbreitet und offenbar aus unserem Auto fliesst. Wasser oder Benzin? Ich sage es Youssou, Youssou sagt es dem Tankwart, es ist Benzin. Na gut. Niemand scheint das wirklich aufregend zu finden und nach all unseren Erfahrungen, die wir in nur wenigen Tagen gesammelt haben, akzeptieren wir die Situation mit einem Schulterzucken und hoffen darauf, dass Allah es schon richten wird. Als wir mit unseren Errungenschaften aus der Tankstelle treten, erschrecken wir kurz, als wir weder Youssou, noch unser Auto sehen und spielen kurz im Kopf den Gedanken durch, was wäre, wenn unser Fahrer einfach ohne uns abgehauen wäre und wir mitten im Senegal, nur mit einer Cola und salzigen Keksen, stehen würden. Zum Glück ist unser Auto aber noch da, und zwar aufgebockt, und ein Automechaniker liegt darunter, um zu schauen, ob das Auto eine Reparatur benötigt. Auch Youssou ist natürlich noch da. Zwei Minuten später heisst es: «alles gut», also fahren wir einfach weiter. Wir besuchen heute die heilige Stadt Touba, eine Art Mekka Senegals, eine heilige Stadt mit noch heiligeren Regeln, die so einiges verbieten, zum Beispiel den Konsum von Alkohol und Zigaretten und natürlich die weiblichen Reize wie wallendes Haar und nackte Haut, ausser an den Händen und im Gesicht. Schon am Abend hatten wir versucht, aus der Trickkiste unserer Reiserucksäcke so allerlei Verkleidungen zusammenzubasteln, haben uns Turbane gebastelt und Tücher um die Hüften geschwungen, um unsere Hosen zu verstecken, denn auch diese sind verboten, sonst könnte man ja noch meinen, wir hätten Beine. Natürlich respektieren wir die Regeln und wollen uns möglichst gut anziehen, weshalb wir unsere Versuche, das richtige Outfit zu finden, bereits am Vorabend fotografisch dokumentieren und am nächsten Tag Youssou stolz präsentieren. Wie es er findet? Man weiss es nicht genau. Er sagt so etwas wie: «ja, ist bestimmt gut.», aber ganz sicher sind wir uns nicht. Im Auto sagt er uns dann, wir werden später noch einen Markt besuchen, damit wir «passende Kleider» für den Moschee-Besuch kaufen können.
Wir kommen irgendwann in einem Vorort von Touba, Mbacké, an. Und wieder die typischen Stadtszenen, wild, ungefiltert, pulsierend, bunt, laut, voller Leben und voller Eindrücke, die wir teils nicht mal ansatzweise verarbeiten können. Dann halten wir an, steigen aus, treffen jemanden namens Ismael, der uns irgendwie komisch vorkommt, er steigt dann mit uns ins Auto und wir fahren weiter. Wie immer, auch jetzt, keine Info. Youssou sagt nichts, wir fragen nichts. Wir fahren also weiter, lassen uns fahren, wohin auch immer, akzeptieren, dass wir es nicht wissen, schauen weiter aus dem Fenster und staunen über diese fremde Welt. Dann halten wir an einem Haus, Youssou steigt aus, das ist unser Zeichen, auch auszusteigen. Wir stehen im Lehm und Sand, und dann betreten wir das Haus. Ein kleiner Gang, dort ein Zimmer, Youssou zieht seine Adiletten aus, schiebt den Vorhang zur Seite und verschwindet, gemeinsam mit Ismael, hinter dem Vorhang. Der Vorhang fällt zu, wir stehen draussen und wissen nicht so recht, ob wir jetzt reinkommen sollen, oder warten, oder was. Wir schauen uns an und probieren, nicht zu lachen, denn wir sind etwas unsicher über die Gepflogenheiten und wollen, so nahe an der heiligen Stadt, bloss nichts Respektloses oder Falsches machen. Plötzlich taucht wieder Youssous Gesicht an der Seite des Vorhangs auf. «Kommt!» - Achso. Wir sollen also hereinkommen. Auch wir ziehen die Schuhe aus und betreten den Raum, roter Teppich auf dem Boden, zwei Matratzen, auf denen gesessen wird, ein Ventilator, der zur Decke gerichtet ist, ein Koffer mit Kleidung, eine Kaffeekanne. Wir sitzen, und warten. Mal wieder: keine Information. Wir wissen nicht genau, wie wir uns verhalten sollen, denn niemand hat uns so richtig instruiert. Ob ich Kaffee will – Miriam wird schon nicht mehr gefragt, denn seitdem der Kaffee nur noch aus Nestlé-Krümmelkaffee besteht, verzichtet sie gern. Also bekomme ich einen Kaffee, und gebe Miriam dann aber doch einen Schluck ab, denn: wenn, dann wollen wir beide vergiftet werden. Im Zimmer Youssou, Ismael, Miriam und ich, und: der König. Oder so wollen wir ihn jedenfalls später nennen, besser noch: der schöne König. Er sitzt uns gegenüber auf der Matratze, lümmelt eigentlich auch wie wir auf dem Boden herum, setzt sich aber doch von allen anderen ab, er trägt eine einfarbige Robe, ockerfarben wie der Sand, seine Gesichtszüge weich, seine Aura stark, er besitzt eine spezielle Ausstrahlung, die uns irgendwie in den Bann zieht. Wir sprechen, wie immer, auf Deutsch miteinander und kommentieren die Situation, und das Zimmer, und was so passiert, und als das Wort «attraktiv» fällt, erschrecken wir uns kurz, denn dieses Wort ist auch auf Französisch oder Englisch sehr gut zu verstehen. Wir einigen uns also auf «der schöne König». Der schöne König ist natürlich kein richtiger König, aber er ist trotzdem ein hohes Tier, oder ein Religionsführer, oder zumindest ein wichtiger Mann. Er stellt sich uns vor als der Enkel des berühmten Ibrahima Fall, dem Begründer der Baye-Fall-Bewegung. Wir staunen nicht schlecht, haben wir des Königs Grossvater doch schon überall als Graffiti, Aufkleber und als Tattoos im Senegal gesehen. Der König spricht Englisch mit uns, und das sogar ziemlich gut. Auch scheint er sehr gebildet zu sein, erzählt von seiner Nichte, die in London lebt und auch Logopädin sei (oder die die Logopädie besucht hat? Wir verstehen mal wieder nur die Hälfte). Wir tauschen uns etwas aus, aber eher auf der Oberfläche. Plötzlich hören wir ein Fingerschnipsen vor dem Vorhang, der König brummt ein «ja» und herein kommt ein Diener (auch ein Baye-Fall?), er betritt mit gesenktem Kopf und auf Knien kriechend das Zimmer, stellt eine zweite Kaffeekanne ab, unterwürfig, dreht sich um und verlässt das Zimmer erhobenen Hauptes wieder. Ein anderer Baye-Fall kommt herein, nicht auf Knien, aber trotzdem demütig, er trägt gestreifte Kleidung und einen Gürtel mit allerlei Werkzeug um die Hüfte. Er soll den Ventilator reparieren, kniet sich daneben, und beginnt, an dem Gerät herumzuschrauben. Dann passiert lange nichts, und dann plötzlich Aufbruchsstimmung: Youssou sagt uns, wir fahren jetzt zum Markt und suchen euch Kleidung für den Besuch in der Moschee von Touba. Ein weiterer Baye-Fall begleitet uns, dies sei seine Aufgabe, sagt Youssou. Über Sandpisten und volle Strassen bahnen wir uns also den Weg zum Markt, dort angekommen steigen wir aus, wie schon so oft sind wir weit und breit die einzigen Weissen, und trotzdem sind die Senegalesen respektvoll und starren uns (zumindest nicht offensichtlich) an. Wir gehen über den Markt, aber nicht weit, bleiben an einem Stand, der ausschliesslich lange Roben und Kleider verkauft, stehen. Wider Erwarten sind es aber nicht wir, die die Kleider aussuchen. Staunend beobachten wir, wir Youssou und der Baye-Fall sich ans Werk machen, hier und da die Kleider von den Stangen nehmen, oder sie sogar von den Schaufensterpuppen reissen, um sie genauer zu betrachten. Diskussionen, Fachsimpelei, wir stehen dort und schauen einfach zu. Irgendwann halten sie dann zwei dieser Kleider in der Hand, der Stoff reicht bis zum Boden und die Ärmel sind lang, und ausserdem haben sie noch eine Art Kapuze, die wir als Kopftuch verwenden können. Aber das schönste: die sind knallorange und knallpink. «C’est bon?» fragt Youssou, wir zucken mit den Schultern und sagen: Ja, klar. Also geht es wieder los, zurück zum Auto, zurück zum schönen König. Als wir zurück in das Zimmer kommen, fummeln mittlerweile schon drei Personen an dem Ventilator rum, und wir fragen uns, ob sie wissen, was sie tun. Wir sitzen wieder, warten, lächeln, was passiert jetzt? Irgendwann fragt Youssou, ob wir Hunger haben. Wir schauen uns an. Ok, ich glaube, wir essen jetzt hier. Und schon kurz Zeit später kommt wieder ein anderer Baye-Fall-Diener in unser Zimmer, mit tiefst gesenktem Kopf und stellt eine grosse Metallschüssel, abgedeckt mit einem Küchentuch, auf den Boden in die Mitte des Zimmers. Der König, Miriam und ich erhalten Löffel, Ismael und Youssou essen mit den Händen, wie es normalerweise üblich ist. Das Küchentuch wird gelüftet und zum Vorschein kommt: Fisch und Gemüse, Poisson et Legumes, auf einem Bett aus würzigem Reis. Der Fisch (oder die Fische?) liegt im Ganzen auf dem Reis, dazwischen Gräten und Knöchelchen, und Maniok, Karotten und Weisskohl. Wir schauen uns an, jetzt ist der Moment, wo wir erstmals lokales Essen nach lokalen Sitten essen und kurz hoffen wir, dass die Zubereitungsweise und die Hygiene in der Küche mit unserer Verdauung kompatibel sein werden. Wir essen Reis und Gemüse und lassen unauffällig die Finger, also die Löffel, vom Fisch, aus Sicherheitsgründen. Youssou arbeitet sich mit den Fingern durch Fisch und Reis, und dabei rupft er immer wieder das Fleisch des Fisches heraus und wirft die besten Stücke, bereits zerkleinert, in die «Essensecke» des Königs, der diese dann mit dem Löffel nimmt. Das, was er selber isst, drückt er fest mit der Faust zusammen zu einem Ball, um es sich dann in den Mund zu stecken. Eine neue Technik, anders als die, die ich z.B. in Indonesien beobachtet/praktiziert habe. Es schmeckt uns sehr gut! Dann schaut der schöne König uns an und fragt: «why don`t you eat the fish??» - oh nein, jetzt gebietet es die Höflichkeit, den Fisch zu probieren, komme, was wolle. Wir essen davon, es schmeckt herrlich, geräuchert, gegrillt. Augen zu und durch, denken wir uns, und hoffen, dass uns später keine böse Überraschung erwartet. Miriam raunt mir zu: «ich habe Apfelschnaps im Auto.» und wir machen ab, dass wir nach dem Essen einen Schluck Schnaps trinken gehen, damit wir uns von innen desinfizieren können. In weiser Voraussicht hatten wir am Flughafen noch Luzerner «Birewegge» gekauft, eigentlich mehr als Notproviant, doch jetzt dienen diese uns, um sie als Dank für das Essen zu verteilen. Als ich die Birewegge aus dem Rucksack nehme und in die Runde verkünde, wir hätten auch etwas aus der Schweiz dabei zum Tauschen, schauen alle interessiert, die Packung mit den Birewegge kursiert einmal in der Runde und jedes Mal hören wir: «oh, Bio!» - das scheint irgendwie besonders interessant zu sein. Am Ende landet die Packung mit den Birewegge wieder in meinen Händen, und plötzlich stehen alle auf und verlassen den Raum, obwohl Miriam und ich noch am Essen sind. Wir schauen uns an, müssen wieder lachen, weil wir nicht verstehen, wie die gesellschaftlichen Regeln funktionieren, und hören auch auf zu essen. Minutenlang sind alle verschwunden, wir machen schnell Fotos vom Zimmer, und vom Ventilator, der immer noch kaputt ist. Dann kommt der König zurück und wir drehen ihm, und Youssou, Birewegge an und hoffen, dass sie es mögen. Sie sagen höflich danke, ob sie es wirklich mögen, wissen wir am Ende nicht so ganz. Ich frage Youssou nach dem Autoschlüssel, «wir müssen mal kurz was im Auto holen.», also treten wir wieder hinaus in die Wüsten-Sonnen-Hitze und stehlen uns zum Auto. Kurzes Gewühle im Reiserucksack und schon kommt ein Flachmann zum Vorschein, unser heilender Schnaps – wir nehmen zur Sicherheit gleich drei Schlucke und hoffen das Beste. Da kommen auch schon Kinder, zwei, drei, sieben, acht, eine ganze Traube Kinder, sie reden auf uns ein, strecken uns die leeren Hände entgegen und bitten um Etwas zu Essen. Miriam gibt ihnen einen unserer Müsliriegel, was dazu führt, dass noch mehr Kinder auf uns zu stürzen, und wir wiederum machen den schnellen Rückzug ins Haus. Gemischte Gefühle, am liebsten hätten wir hunderte Müsliriegel zum Verteilen, aber es geht nicht, am Schluss müssen wir die Kids ignorieren und im Haus verschwinden. Wie umgehen damit? Oft fehlt uns die Zeit, überhaupt über solche Situationen zu reflektieren. Schon sind wir wieder im Haus, sollen uns umziehen, es sei jetzt Zeit, zu gehen. Das Badezimmer sei direkt nebenan, wir betreten das Zimmer und der König bringt uns zwei Flipflop-Paare, und wäscht diese noch mit Wasser ab. Wir denken: dieser Mann, der hier bedient wird, und scheinbar ein wichtiger Mann ist, wäscht für uns die Flipflops, bedient uns, und was sind wir dann, auch Königinnen? Wir ziehen uns um, lachen viel, machen ein kleines Fotoshooting, im Hintergrund des Königs aufgehängte Unterhosen auf einer Wäscheleine. Als wir uns zeigen, sind alle zufrieden, keine grosse Begeisterung, einfach «gut» und wir schwitzen uns einen ab, haben wir jetzt schliesslich eine lange Hose, ein Langarmshirt und darüber unsere Neon-Roben an und mittlerweile sind es wirklich 42 Grad draussen. Und auch drinnen, denn das Ventilatorproblem scheint nicht zu behoben zu sein, auch nicht mit drei tatkräftigen Dienern. Nun geht es los nach Touba, und wir kommen schnell in der Stadt an. Schon im Auto bedecken wir nun auch unser Haar und sind dann bereit, die grosse Moschee zu besichtigen. Am Eingang der Moschee überlassen wir unsere Schuhe einer Frau, die mit einigen Kindern am Boden sitzt, damit sie auf die Schuhe aufpassen kann, solange wir die Moschee anschauen. Youssou hatte uns vorher noch gesagt, wir sollten Socken anziehen, da der Marmorboden der Moschee sehr heiss werde. Miriam trägt weisse Socken, ich graue, und es geht gut, ist der Boden doch sehr sauber und angenehm warm unter den Socken. In der Moschee selber, oder besser: in ihren vielen Gebäuden, lungern hunderte von Menschen im Schatten auf Teppichen auf dem Boden herum. Sie dösen, schlafen, oder liegen einfach herum – es ist einfach zu heiss und es ist Ramadan, sie haben seit Stunden nichts mehr gegessen oder getrunken, also reicht die Kraft nur zum Rumliegen. Der Guide berichtet, dass es am Abend in der Moschee für alle Einwohner Toubas, oder alle, die kommen wollen, gratis Essen gebe, auch deshalb befinden sich hier so viele Menschen in der Warteposition.
Die Moschee an sich ist schön und imposant, und besonders prächtig sieht das Minarett aus, das von vielen Vogeln umkreist wird – es erinnert in seiner Form eher an einen riesigen Leuchtturm, der auf den rechten Weg leitet (nicht ganz unpassend, denn vom Minarett wird ja auch das Gebet gerufen). Dann passiert wieder etwas Unerwartetes: wir treten mit unseren besockten Füssen heraus aus der Moschee, auf die Strasse, laufen über Lehmboden, Steine und unglaublich viel Sand, und kichern, denn wir vermissen unsere Schuhe, aber ausser uns findet es niemand komisch, dass wir so auf Socken unterwegs sind. Dazu muss man noch sagen, dass viele Menschen in Touba ausserhalb und innerhalb der Moschee mit Lederschläppchen herumlaufen, die aussehen wie Pantoffeln aus Leder.
Wir kommen zu einem weiteren Ort, der offensichtlich auch heilig ist, und der Guide erklärt uns, es gebe hier das “Holy Water”. Ob wir etwas davon trinken wollten? Wir schauen uns an, machen grosse Augen, denken an Cholera und sonstige Krankheiten, und winken dankend ab. Er lacht. Doch Youssou möchte gerne etwas von dem heiligen Wasser haben, und er kauft eine PET-Flasche am Strassenrand, an dem so einige Händlerfrauen mit sehr vielen PET-Flaschen sitzen, das ist hier offenbar ein Business. Miriam und ich merken uns genau, wie die Flasche mit dem heiligen Wasser aussieht, aus Angst, sie plötzlich im Auto zu erwischen und daraus zu trinken: Vergiftung für uns, weniger heiliges Wasser für Youssou – das wollen wir wirklich nicht. Am Ende unserer Tour durch die Moschee von Touba fordert uns unser Guide dazu auf, zu spenden, und wir überlegen uns, wie viel Geld wir gern geben möchten, als er noch hinterherschiebt: “ihr könnt spenden, wenn ihr wollt. Gebt 20.000 pro Person” - ui, fast 30 Euro pro Person? Da dies eher wie eine Aufforderung und weniger als Bitte daherkommt, geben wir das Geld, und hoffen, Allah milde zu stimmen, und, dass von dem Geld hoffentlich wirklich Essen für all die Menschen finanziert wird. Wissen können wir es nicht. Wir holen noch unsere Schuhe, lassen dort eine weitere kleine Spende für die Frau und kehren zurück ins Auto, wo ich aufgrund dieser unglaublichen Hitze eine Wasserflasche mit 1,5 Liter nicht-heiligen Wasser sozusagen in einem Zug austrinke.
Wir machen uns auf dem Weg zu unserer nächsten Station, eine Eco-Lodge, die wir bereits gebucht hatten und die auf dem halben Weg zur Wüste Lompoul liegt. Vorher bleiben wir noch in der Stadt hängen, als plötzlich aus allen möglichen Lautsprechern der Moschee ein ohrenbetäubender “Gesang” plärrt und uns daraufhin sicher 1000 Menschen, alle in ihrer Baye-Fall-Kluft, entgegengerannt kommen, sie strömen an unserem Auto vorbei, wo kommen sie her, wo wollen sie hin? Wir trauen unseren Augen einmal mehr kaum und sitzen sprachlos im Auto und filmen. Dann geht es irgendwann weiter, heraus aus der Stadt. Youssou fragt, ob wir nicht lieber bei seinem Freund (dem König) übernachten wollen, er würde uns für die Nacht aufnehmen und es sei auch viel näher als diese Eco-Lodge. Kurz finden wir den Gedanken spannend, dann aber doch zu spannend, und ich sage: “Lass uns lieber zur Lodge fahren. Da haben wir ein Zimmer reserviert, da ist der Standard so, dass wir uns wohlfühlen werden und es ist sicher. Wer weiss, wie wir da beim König schlafen werden.” - und so machen wir es. Weiter geht es, und die Landschaft wandelt sich, es wird ländlicher, ruhiger, wir lassen die Stadt und den Lärm und den Dreck hinter uns. Die Strasse wird auch immer schlechter, anfangs bröckeln nur die Seiten des Asphalts, dann wird die Strasse immer mehr vom Sand weggefressen und irgendwann fahren wir nur noch auf einer Sandpiste. Die Reifen schlingern auf dem Sand, aber Youssou hat alles im Griff, fährt uns sicher und kurvig durch alle Sandlöcher, die Sonne geht langsam unter, links und rechts der “Strasse” ist nur Land. Bäume, einzelne Schafe und Ziegen und der rote Sonnenball, der sich langsam dem Horizont nähert. Ein wahnsinnig toller und friedlicher Moment, wir haben kurz Hochgefühle, rufen aus dem Fenster, “das ist das gute Leben und man muss es geniessen!”, und dann werden wir ruhig, die Erschöpfung kommt langsam über uns und wir wünschen uns langsam, anzukommen, eine Dusche zu nehmen und ins Bett zu fallen, nach all dem, was wir erlebt haben.
Irgendwann ist die Sonne dann weg, es dämmert, und dann ist es stockfinster. Zwischendurch fahren wir noch durch Dörfer, und wieder mal justieren wir unseren Begriff “des tiefsten Afrikas” neu, denn jetzt sind hier nur noch Lehmhütten mit Strohdächern und der berühmte Brunnen im Dorf, an dem die Frauen Wasser holen und es auf Eimern auf dem Kopf nach Hause, oder ins nächste Dorf transportieren. Tieferes Afrika können wir uns nicht mehr vorstellen. Wir blicken zurück auf eine knappe Woche im Senegal und stellen fest, dass eigentlich alles immer krasser geworden ist, mit jedem Tag unserer Reise die Eindrücke noch tiefer und heftiger, die Landschaften noch karger, und laufendes Wasser und funktionierende Elektrizität eine Glückssache geworden sind. Wir fragen uns, ob dies jetzt der Zenit gewesen sei, oder was wohl morgen passiert.
Dann plötzlich kommen wir an. Die Navigation auf Youssous Handy sagt, wir seien da, dabei stehen wir mitten in einem afrikanischen Dorf, in der Dunkelheit, und von einer Art Lodge oder Hotel ist weit und breit Nichts zu erkennen. Youssou möchte noch ein paar Meter weiterfahren, als wir uns dann plötzlich und sehr schnell im Sand festfahren und jeder Versuch, wieder herauszukommen, nur dazu führt, dass sich die Schnauze des Autos nur noch tiefer in den Sand gräbt. Youssou flucht, wir sind ganz ruhig und sagen nichts, wissen nicht recht umzugehen mit der Situation, dass wir einerseits eben nicht an unserer Lodge sind, und andererseits aussichtslos tief im Sand stecken. Youssou weist Miriam an, sich ans Steuer zu setzen, sie gibt Gas, das Auto qualmt und stinkt und Youssou und ich stemmen uns mit aller Kraft gegen das Auto und es passiert: rein gar nichts. Mittlerweile haben wir wohl Aufmerksamkeit im Dorf erweckt und es kommen zwei Männer und zwei ungefähr siebenjährige Jungs, die uns neugierig aus dem Dunkeln heraus anstarren. Zuerst erkundigt sich Youssou nach der Ecolodge und es stellt sich heraus, dass wir wieder 4 km in die entgegengesetzte Richtung fahren müssen, also wahrscheinlich. Zur Sicherheit möchte Youssou bei der Lodge anrufen und stutzt, als wir ihm die Nummer nennen, denn dies sei keine senegalesische Telefonnummer. Als dann jemand rangeht, stellt sich schnell heraus, dass wir nicht einmal eine Reservierung in der Lodge haben. Also, wir haben sie schon, aber die Lodge hat sie angeblich nicht. Am Telefon erhalten wir dann erneut kryptische Wegbeschreibungen. Miriam und ich verstehen gar nicht mehr was vor sich geht, und uns schiessen nur Gedanken durch den Kopf. Was, wenn wir nicht in die Lodge können? Touba ist immerhin 3 Stunden entfernt. Werden wir im Auto schlafen? Werden wir in einer Hütte im Dorf übernachten? Geht sowas? Wir warten ab, versuchen uns zu beruhigen und ich sage, dass ich Vertrauen habe, dass es gut wird. Am Ende gab es bisher immer einen Schutzengel für uns.
Wir starten einen neuen Versuch, das Auto aus dem Sand herauszubekommen, diesmal sitze ich am Steuer. Das Bild brennt sich in mein Gedächtnis ein: ich sitze am Steuer dieses alten Autos, mit schlackernden Flipflops an den Füssen und probiere, den Schleifpunkt der Kupplung ausfindig zu machen, während ich beherzt auf das Gaspedal drücke. Draussen: absolute Dunkelheit, Schafgeblöke. Im Scheinwerferlicht: Youssou, Miriam, die beiden Männer und die zwei Jungs, die sich gegen das Auto stemmen, in meine Richtung schauen, die Gesichter vor Anstrengung verziehen. Das Auto ächzt und dann fährt es, in mir jubelt es, ich fahre rückwärts, aber wohin, ich seh ja gar nichts, na einfach mal raus aus dem Sand, fahre weiter, und plötzlich winkt Youssou panisch mit den Armen. Ich bremse hart ab und atme durch, geschafft. Als ich dann die Autotüre öffne um auszusteigen, staune ich nicht schlecht: ich bin genau zwei Zentimeter vor einer Strohhütte zum Stehen gekommen! Kurz schiesst mir das Bild in den Kopf, wie das Auto in die Hütte hineinrauscht, oder grad mit der ganzen Hütte weiterfährt. Herrje.
Wir fahren weiter, wieder raus aus dem Dorf, zurück auf die Sandpiste, und mich beschleicht der Gedanke, dass es mir im Dorf eigentlich noch wohler war, als durch die nachtschwarze Steppe zu fahren, mit weiteren potenziellen Sandhaufen, in denen man stecken bleiben kann, und dann gäbe es keine netten Dorfmenschen, die uns da raushelfen würden. Youssou telefoniert mal wieder, wieder mit der Lodge. Er ruft etwas ins Telefon, dann bricht die Verbindung ab. Wir sind verunsichert, ist Youssou doch bisher die Ruhe selbst gewesen, doch jetzt scheint auch er am Ende seiner Nerven und flucht - auf Deutsch: “scheise, scheise!” Er sagt uns, er habe den Typ von der Lodge gefragt, ob es links oder rechts der Strasse sei und die Antwort war: “fahr doch einfach geradeaus.” - wir sind verzweifelt. Doch dann plötzlich taucht dort tatsächlich ein Holzschild mit stark abgeblätterter Farbe auf, und dort steht “Ecolodge de Koba”. Auch sehen wir Lichter. Zum Glück und endlich! Wir steigen aus und sind unendlich erleichtert, einfach irgendwo angekommen zu sein. Und als ich so aus dem Auto steige, und die Entspannung eintritt, merke ich plötzlich, dass ich wahnsinnig dringend aufs WC muss, die 1.5 Liter Wasser müssen raus. Ich frage einen der Männer bei der Lodge, ob es ein WC gibt. Er schaut mich an, zuckt mit den Achseln und sagt: “ja, jeder Bungalow hat ein Klo.”, dreht sich um und geht. Wie angewurzelt stehe ich dort und weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Zum Glück hilft mir Youssou und dann darf ich durch einen bewohnten Bungalow gleich nebenan laufen, komme auf der anderen Seite wieder raus, im Freiluftbadezimmer, und dort ist eine Toilette, Hallelujah! Dass das Wasser nicht funktioniert ist Nebensache, ich kippe aus dem nebenstehenden 10 Liter-Eimer genug Wasser zum Spülen ins Klo. Dann sitzen wir dort, und warten. Immer noch völlig perplex und aufgeregt, Youssou ist schon wieder entspannt und hängt am Telefon, mit wem auch immer. Wir essen Nüsschen, unser letzter Proviant, und warten. Und warten. Lange passiert nichts. Wir lassen den Tag Revue passieren. Wundern uns, lachen, staunen. Miriam sagt noch: “Also, das war jetzt wohl wirklich der Zenit! Schlimmer kann es nicht mehr kommen”, und es geht genau 3,2,1 Sekunden - Stromausfall. Wir sitzen plötzlich im Dunklen, kurz hört man nur das Zirpen der Grillen und dann überrollt uns ein wahrhaftiger Lachanfall. Wir lachen, weinen, weinen vor Lachen, und lachen wieder. Hätten wir einen Film drehen müssen über Dinge, die beim Reisen schief gehen können, wir hätten kein besseres Drehbuch schreiben können. Ich drehe mich zu Youssou. “Youssou. Was ist das? Wir wurden heute vom König gesegnet, wir haben Geld an die Moschee gespendet. Aber Youssou, wo ist Allah jetzt?” - wir kriegen uns nicht mehr ein vor Lachen. Es soll noch ungefähr eine weitere Stunde dauern, bis wir dann endlich ins Bett kommen. Und wir schlafen selig ein und träumen von Strohhütten und Sandlöchern.