Veröffentlicht: 02.05.2021
Es geht noch einmal nach Kilembe ins YVCO Bulembia Child Development Center, das Waisenhaus von RWECO-VIDE (vgl. Blogpost Tag 3). Kilembe liegt in den Rwenzori Mountains auf 1600 Metern Höhe. Da es in den vergangenen Tagen geregnet hat und deshalb ein wenig kühler ist, kommen so endlich auch mal meine Regenjacke und mein Pulli zum Zug 😉 Ich dachte schon, dass ich die Sachen umsonst mitgeschleppt habe.
Heute stehen die Pflegeeltern der Waisenkinder und die Handarbeiten, die sie herstellen, im Vordergrund. Sie fertigen Körbe, Taschen und andere Behältnisse in allen Größen, Farben und Formen an. Diese werden entweder aus Naturmaterialien oder aus bunten Plastikstreifen hergestellt, die von recycelten PET Flaschen stammen. Die fertigen Produkte verkaufen sie dann auf den Märkten in der Region; auch RWECO-Vide unterstützt sie dabei. Hier im Center haben die Pflegeeltern die Möglichkeit sich zu treffen und Tipps zur Herstellung auszutauschen.
Die Vision von RWECO-VIDE ist, einen größeren Absatzmarkt für die fertigen Produkte zu bekommen und so Einnahmen für das Waisenhaus zu generieren. Ich habe ihnen deshalb für einen möglichen ersten Schritt einige Online-Plattformen vorgeschlagen, mit deren Hilfe man relativ unkompliziert einen eigenen Online-Shop kreieren kann.
Auf meine Bitte hin zeigt mir eine der Pflegemütter, wie das Korbflechten aus Plastikstreifen geht. Es ist so ähnlich wie weben und die Menge der Plastikstreifen, die man verwendet, bestimmt die Größe des Korbes. Wir haben viel Spaß!
In der Zwischenzeit kann ich auch schon wenige Worte in Lokonjo, der Sprache dieser Region. Die Menschen freuen sich immer, wenn ich sie in ihrer Sprache grüße: Wabukire (Guten Morgen/ Guten Tag), Ninje Masika Ruthi (Ninje - ich bin, Masika- für erstgeborene Tochter, mein Vorname wird hier mit englischen „th“ ausgesprochen und manchmal noch ein i angehängt; vgl. Blogpost Tag 8).
Im Waisenhaus treffen wir auch Essaja, einen weiteren Onkel aus Bwambales riesiger Familie. Er erzählt, dass er als Guide in den Rwenzori Mountains arbeitet und sich gerade für die Konzession eines neuen Trails in den Bergen beworben hat. Sie kostet 6 Mio. UGX (ca. 1400 Euro), die er noch zusammenbekommen muss.
Eigentlich hätten wir heute den ganzen Tag im Waisenhaus verbracht. Da es die letzten Tage stark geregnet hat und auch heute weitere Regenfälle erwartet werden, wurden die Kinder sicherheitshalber nach Hause zu ihren Pflegeeltern geschickt und es sind auch nur wenige Pflegeeltern gekommen, um sich zu den Handarbeiten auszutauschen. Sie kommen teilweise aus weiter entfernten Dörfern und unter diesen Wetterbedingungen ist das sehr beschwerlich.
Deshalb verlassen wir das Waisenhaus schon früher und besuchen die Privatschule „Jesus Care Academy“, die wir in wenigen Minuten zu Fuß erreichen. Hier gehen die älteren Kinder von Bwambale in die Schule und wir unterhalten uns kurz mit dem Direktor und einem Mitarbeiter. Die Kirche hat nichts mit der Schule zu tun, auch wenn der Name anderes vermuten lässt. Es ist ein rein spiritueller Name. Hier in Uganda haben eigentlich alle Bildungseinrichtungen einen Bezug zur Bibel und zu Gott und auch ansonsten finden sich im öffentlichen Leben überall Segenssprüche.
Dann wird mir ein Schulungszertifikat für einen Computerkurs gezeigt, den die Mitarbeiter der Schule vor zwei Jahren von einem anderen SES Experten erhalten haben. Da ich nirgends einen Computer sehe, frage ich, ob sie denn über einen verfügen. Nein, keinen der funktioniert. Ich frage weiter, warum sie denn einen Kurs absolviert hätten, wenn sie doch gar keinen Computer zum Arbeiten haben. Ich erzähle ihnen, dass ich alles vergessen würde, wenn ich das Erlernte danach nicht regelmäßig anwende. So erfahre ich, dass auch hier wieder einmal die Überschwemmung durch den Nyamwamba Fluss im letzten Jahr ihre Spuren hinterlassen hat. Das Wasserkraftwerk, dass die Schule mit Strom versorgt hat, ist dabei zerstört worden und seitdem kann auch der Computer nicht mehr betrieben werden. Ich habe auf vimeo ein Video gefunden, das die zerstörerische Gewalt der Wassermassen gut dokumentiert.
Schon vor der Naturkatastrophe im letzten Jahr, war mit dem Bau eines weiteren Wasserkraftwerks begonnen worden. Es wird aber noch mindestens ein Jahr dauern bis zur Fertigstellung. Durch die Überschwemmung wurden die Arbeiten hier ebenfalls stark beeinträchtigt.
Beim Verlassen der „Jesus Care Academy“ fallen mir die Werte auf, die den Eingang der Schule zieren: Love and Care, non discriminative, commitment, giving educational ethics to childrent und team work. Die Vermittlung von Werten scheint in Uganda überhaupt eine wichtige Rolle zu spielen. Auch die RWECO-VIDE Organisation hat ein Werteset in ihr Unternehmsleitbild integriert. Korruption ist in Uganda jedoch trotzdem an der Tagesordnung, insbesondere in den Regierungsämtern. Es ist auch hier so wie überall auf der Welt: Wenn die Strukturen es zulassen, dass der gewinnt, der sich selbst der nächste ist, sind Ethik und Moral leider schnell vergessen.
Auf der Rückfahrt machen wir noch einen Halt bei den „Heißen Quellen“ von Rwagimba. Die Menschen pilgern auch von weiterweg hierher, weil die Quellen für ihre Heilkräfte bekannt sind. Je nach Erkrankung, wird das Wasser getrunken oder darin gebadet. Als wir ankommen, werden einige der Badegäste gerade massiert und eine Frau mit einer sehr großen eitrigen Wunde sitzt im Wasser. Auch wenn mich ein Bad schon reizen würde, verzichte ich lieber, denn ich bin auch mit Kleidern als eine der wenigen Weißen hier in der Region, schon Attraktion genug. Die „Therapeuten“, die bei der Quelle arbeiten, tauchen dafür voller Elan meine Hände ins Wasser, das schätzungsweise 40 Grad hat und Bwambale wird der Kopf gewaschen.
Später begleitet mich Bwambale noch zur Schneiderin, denn heute soll mein Salwar Kameez fertig sein. Im Laden wartet bereits ein anderer Kunde und wir kommen ins Gespräch. Pascal erzählt, dass er in Uganda die Schweizer NGO Keiser vertritt und von den diversen Projekten, die er hier im Laufe der Jahre begleitet hat. Ursprünglich kommt er aus der DR Kongo, lebt aber bereits seit 20 Jahren in Uganda. Es stellt sich heraus, dass er beruflich, so wie auch ich, seine Wurzeln in der Tourismusbranche hat und zuvor viele Jahre im Ausland gelebt hat, u.a. sogar in Kiel, wo er mit einer Deutsch-Belgierin verheiratet war. Neben seiner ehrenamtlichen Arbeit für die Schweizer NGO, betreibt er eine Reiseagentur in Kampala und eine Lodge im Queen Elisabeth Park. Ich erzähle, dass Bwambale der Direktor von RWECO-VIDE ist und von der neuen Idee eines Tourismusprojekts, bei dem ich gerade unterstütze. Es hätte nicht besser kommen können! Pascal ist ein prima Kontakt, der RWECO-VIDE zukünftig sicher bei vielen Fragen eine Hilfe sein kann. Visitenkarten werden getauscht und Pascal lädt Bwambale ein, sich bei ihm zu melden.
Während des Gesprächs probiere ich meine neu geschneiderten Sachen an. Da es keine Umkleidekabine gibt, alles über die Klamotten, die ich anhabe. Der Stoff ist gewachst und damit ist das eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit. Beide Teile müssen noch enger gemacht werden. Pascal rät mir, mit der Hose nach der ersten Wäsche nochmal wiederzukommen, falls sie dann noch immer zu groß ist, denn sie würde noch ein wenig einlaufen. Mal sehen, noch bin ich nicht so richtig überzeugt von der Hose, aber das Oberteil ist sehr schön geworden.
Kurz bevor wir gehen, zeigt uns Pascal noch den Bettvorleger, den er hier für sein eigenes Haus in Kasese aus Stoffresten schneidern lassen hat. Auf seinem Smartphone hat er außerdem noch Fotos von eigens für die Lodge angefertigten Bettüberwürfen und ich sage zu Bwambale, dass es genau diese Dinge sind, die Touristen suchen und Beispiele für die Einzigartigkeit, von der ich gesprochen habe. Bwambale meint, dass er bislang gar nicht wusste, dass die Schneiderin, die eine alte Schulfreundin von ihm ist, auch solche Dinge anfertigt. Falls es also mit dem Guesthouse klappt, wird auch sie von einigen Aufträgen profitieren können.
Auf dem Rückweg kommen wir noch auf ein etwas sensibles Thema zu sprechen: Vor ein paar Tagen hat mir hier jemand seine Liebe erklärt, was für mich eine Überraschung war. Ich habe Bwambale davon erzählt und dass ich keine falschen Hoffnungen oder Erwartungen wecken möchte. In der Zwischenzeit haben wir beide unabhängig voneinander mit demjenigen gesprochen und er hat mich verstanden. Ich wollte ihn nicht verletzen und irgendwie war es auch sehr süß und ein Kompliment für mich, denn altersmäßig könnte er mein Sohn sein. Und ja, manche Männer aus einem sehr armen Land, würden alles dafür tun, um bessere Lebensumstände zu erreichen, selbst, wenn sie dafür eine Frau heiraten müssen, die ihre Großmutter sein könnte. In diesem Fall war es aber ein wenig anders und dies nicht der Grund.
Normalerweise habe ich mir auf meinen Reisen einen Schutz zugelegt, der sehr gut funktioniert: Wenn ich gefragt werde, ob ich verheiratet bin, lautet meine Antwort selbstredend ja, was ein falscher Ehering noch unterstreicht. Und auf die Frage, wo denn mein Ehemann ist, habe ich schon unzählige Geschichten erfunden und hatte meinen Spaß, die erstaunten Mienen zu sehen, wenn ich beispielsweise erzähle, dass er im Hotel unsere Kinder hütet, während ich gerade die Gegend erkunde 😊.
In einem Umfeld, wo ich eng mit den Menschen zusammenarbeite und hierfür auch eine Vertrauensbasis wichtig ist, ist es natürlich nicht zielführend solche Stories zu erfinden.