Veröffentlicht: 03.08.2024
Von Santiago aus machte ich mich auf zu einem dreitägigen Ausflug an die Pazifikküste, um die Städte Valparaiso und Viña del Mar zu besuchen. Auf dem Weg zur Busstation in Richtung Valparaiso wollte ich mir die lokale Aufladekarte zur Nutzung der Metro kaufen, hatte aber kein Bargeld mehr dabei. Die Dame am Schalter machte mich darauf aufmerksam, dass nur Barzahlung möglich sein und als ich schon betröppelt abdampfen wollte, klopfte mir ein älterer Herr auf die Schulter und drückte mir seine Metrocard in die Hand. Ich wollte dies erst gar nicht annehmen aber der ältere Herr bestand darauf und ich bedankte mich recht herzlich – was für eine tolle Begegnung!
Der Bus von Santiago an die Pazifikküste braucht ungefähr anderthalb Stunden und bei der Einfahrt in die recht hügelige Landschaft um die beiden Städtchen sieht man noch recht deutlich das Ausmaß der verherrenden Waldbrände vom Februar des Jahres, bei denen über Hundert Menschen ums Leben kamen und die die Region in eine wahre Feuerhölle verwandelten. Überall verbrannte Erde, kahle schwarze Baumstummel und die Reste von Gebäuden. Mittlerweile ist wohl bekannt, dass die Verursacher dieses Infernos Feuerwehrleute waren, die nach Arbeitsleistung entlohnt werden und als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme die Brände gelegt haben, welche dann im chilenischen Sommer völlig außer Kontrolle geraten sind. Für diesen Irrsinn wird den Herrschaften gerade der Prozess gemacht. Ein schwacher Trost, wenn man sich das Ausmaß dieser Katastrophe vor Augen führt.
In Valparaiso aus dem Bus gestiegen, taucht man direkt in ein wuseliges Chaos ein, welches die komplette Hafenstadt im Griff hat. Laut, bunt, wild, unfassbar viele Menschen auf den Straßen und man kommt aus dem Glotzen gar nicht mehr heraus. Überall spielt sich irgendein Schauspiel und irgendwer führt gerade irgendwas Spezielles im Schilde. Was für ein Kontrast zu Santiago.
Das Hostel in Valparaiso befindet sich in einem alten Kolonialhaus mitten in der Stadt und wird von Daniela betrieben, einer unfassbar netten Frau aus der Region. Eine kurze Einweisung von Daniela über die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt und deren Erreichbarkeit zu Fuß und ab geht’s ins bunte Treiben. Das Hostel war eine sehr angenehmer Ort um vom umliegenden Chaos der Stadt abzuschalten. Hier lernte ich auch Jolan aus Brüssel kennen, der mit dem Fahrrad in Südamerika unterwegs ist und den ich nochmal in Santiago wiedertreffen sollte. Ein super entspannter Zeitgenosse, mit dem ich direkt auf einer Wellenlänge lag und der auf jeden Fall auch einen großen Beitrag zum Gesamterlebnis Valparaiso beisteuerte.
Die Stadt selbst erstreckt sich über eine Vielzahl von Hügeln, den sogenannten Cerros, die bekanntesten davon sind der Cerro Alegre und der Cerro Concepción, denen ich beiden einen Besuch abstatten sollte. Der historische Stadtkern wurde 2003 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Auf dem Weg die Hügel hoch und runter fallen die zahlreichen Standseilbahnen auf, mit denen man die Höhenunterschiede kräftesparend für einen schmalen Taler zurücklegen kann. Die Seilbahnen sind recht antik und gelten als historische Denkmäler. Bei der kurzen Fahrt fühlt man sich direkt in der Zeit zurückversetzt und das knattern der Technik erinnert an den Verschleiß, der sich hier überall sichtbar macht. Insgesamt 16 von ehemals 30 Aufzügen sind noch in Betrieb und wurden zu industriellen Denkmälern erklärt.
Die Tour über die Cerros ist wirklich faszinierend und irgendwie hat man seine Augen überall. Tausend verschiedene Farben und Gebäude in allen Möglichen Stilarten erwecken den Eindruck eines absoluten architektonischen Chaos. Im Prinzip weiß man gar nicht so recht, wo man zuerst hingehen möchte, da sich gefühlt irgendwie in jeder Gasse ein neues Spektakel und optisches Wirrwarr auftut. Das Ganze wirkt wie eine riesengroße Open-Air-Gallerie in der sich ein Jedermann in irgendeiner Form verewigen darf. Recht viele der Gebäude sind auch stark verfallen und allgemein ist alles irgendwie mit Farbe, Verwitterung und Patina überzogen. Alles ist bunt beschmiert, beklebt und vieles wirkt wild zusammengeschustert. Zwischen all dem Wahnsinn tauchen immer wieder unfassbar schöne und gepflegte Gebäude auf. Ein komischer Kontrast und auch wenn das alles irgendwie nicht zusammenpasst, hat man doch das Gefühl, dass das so sein muss und ein jedes dieser Bauwerke genau an den dafür vorgesehenen Platz gehört, ob wunderschön erhaltener Kolonialbau oder verlassene Industrieruine. Sowas hab ich tatsächlich noch nirgendwo in der Form gesehen und die Frage, ob das Kunst ist oder weg kann, ist hier tatsächlich angebracht. Interessant auf jeden Fall und ganz schön in die Jahre gekommen. Auf jeden Fall bietet die Stadt eine Vielzahl an Fotomotiven, an jeder Ecke gibt es irgendeine architektonische Kuriosität zu bestaunen, oder eine Schmiererei, irgendein Kunstwerk oder eine Installation. Das alles wirkt wie ein völlig chaotisches und heruntergekommenes Kunstwerk. Und auch wenn sich die Geister am Bewerten dieses Ortes scheiden, mir hat es gefallen. Schön ist nicht unbedingt das richtige Wort, interessant trifft es wohl eher recht gut. Auf jeden Fall kann ich mich nicht annähern an einen Ort erinnern, der in irgendeiner Form Valparaiso ähnelt. Vielleicht wie eine Mischung aus Lissabon und Genua aber in tausende Farben getaucht und den Zenit der Jugend weit überschritten. Aber auch der Vergleich hinkt, das Ganze hier in irgendeiner Form einzuordnen, ist schwer möglich. Wilde Aussichten und Einblicke auf jeden Fall von den Cerros in alle Richtungen. Kolibris machen sich am Nektar der Blüten zu schaffen, wilde Elektroinstallationen durchziehen die Gassen und eine vorher nirgendwo erlebte Dichte an Hundescheiße machen den Weg hoch und runter durch die Altstadt zu einem echten Spießrutenlauf. Zum Sonnenuntergang dann runter zum Hafen und beim Gang durch die recht engen Straßen allerlei kurioser Gestalten wahrgenommen. Das ist schon auch ein heißes Pflaster, so zumindest mein Gefühl beim Blick hinter die Kulissen. Recht aufmerksam wird man hier gemustert, es fällt auch schwer, nicht als Tourist aufzufallen, zu viele Kuriositäten gibt es hier doch zu entdecken. Am nächsten Tag nochmal am Strand entlang in die andere Richtung und auch hier das Gefühl, dass die Stadt ihre besten Zeiten rein optisch wohl bereits erlebt hat. Die Strecke nach Viña del Mar ist recht schmutzig, Häuser am Strand sind verfallen oder stark verwittert. Die Dichte an finsteren Gestalten ist hoch. Augen auf also, aber das hat man ja bereits bei Ankunft festgestellt und somit das Risiko minimiert, hier auf irgendeinen Blödsinn hereinzufallen.
Einen kurzen Abstecher in die direkt an Valparaiso angrenzende Nachbarstadt Viña del Mar gab es auch. Dort ein etwas anderes Bild. Viña del Mar wirkt viel aufgeräumter, sauberer und moderner, wenn auch etwas monotoner und weniger interessant. Hier gibt’s auch die schöneren Strände und der Großteil der Menschen, die zur Erholung in diese Region kommen, wählen wohl Viña del Mar als ihr Ziel.
Alles in allem recht interessante und wilde Tage am Pazifik. Mir hat es gefallen und ich fand es recht spannend und abwechslungsreich, ich kann aber auch verstehen, wenn Leute sagen, dass ihnen dieser Ort zu abgefuckt und zu viel ist. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.