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Santiago de Chile

Veröffentlicht: 13.07.2024

Von Mendoza aus ging es über die Anden und für einen kleinen Aufpreis sicherte ich mir einen Sitz im oberen Abteil des Busses direkt am vorderen Fenster. Die Entscheidung sollte sich auszahlen, denn bei bestem Wetter gestaltete sich die Fahrt über den 3.000 m hohen Pass als echter optischer Leckerbissen. Die Straße schlängelte sich an den Hängen der Andengipfel hinauf zur Grenzstation und man hatte nun langsam einen echten Eindruck von der Gewalt des Gebirges, welches sich von Nord nach Süd über den gesamten Kontinent erstreckt und Chile vom Rest der Landmasse abtrennt. Kurz konnte man einen Blick auf den Aconcagua erhaschen, mit 6.961 m der höchste Gipfel des Kontinents. Ein Erlebnis war auch mein Sitznachbar, ein geschätzt 70-jähriger Südkoreaner, welcher in durchchoreographierten Bewegungsabläufen alltägliche menschliche Abläufe zu einem echten Erlebnis für den neutralen Beobachter machte. Die Intervalle der wiederkehrenden Kopfbewegungen und das Trinken aus einer Edelstahlflasche schienen sekundengenau getimed und auch ich musste mich mehrfach versichern, dass ich nicht gerade neben der neusten Generation der Roboter von Boston Dynamics sitze. Klingt witzig, war aber ein unfassbar bizarres Schauspiel. Der recht große Obstvorrat des Herren wurde in mehreren Sitzungen und mit unmittelbarer Ankunft an der Grenzstation verspeist. Die Information, dass die Mitnahme von Obst nach Chile strengstens verboten ist, schien wohl bekannt, das exakte Timing des Verspeisens bis zur Grenze wurde wahrscheinlich vorab berechnet. Alles Gute für die weitere Reise an den unbekannten Mann!

Über die Anden

In Santiago angekommen, ein wildes Gewusel an der Busstation und mir wurde direkt bewusst, dass ich mich nun wieder in anderen Gefilden befinde und dass es von nun an wieder gilt, alle Sinne zu schärfen. Mit dem Taxi ging es zum Hostel und dort angekommen musste ich mich erstmal sammeln und an die neue Umgebung gewöhnen. Dies gelang recht einfach, ein entspannter Typ an der Rezeption empfing mich recht herzlich und gab mir direkt eine Lektion in deutscher Grammatik. Cesar aus Venezuela ist seit 7 Jahren in Santiago und beherrscht neben Spanisch und Englisch auch die Deutsche Sprache auf einem recht hohen Level. Respekt dafür und für den guten Einstieg. Nachdem ich im Innenhof Platz genommen hatte, gab es von Cesar Musik nach meinem Geschmack auf die Ohren und ich fühlte mich direkt gut aufgehoben. Ein guter Einstieg und der Anfang einer Reihe von Abenden im Hostel mit allerlei interessanten Gestalten, Musik, Bier, Kartenspiel und sportlichen Veranstaltungen auf Leinwand (ja Europameisterschaft und Copa America standen in den Startlöchern).

Santiago ist recht entspannt und aber wohl auch ein heißes Pflaster, so zumindest die Erzählungen diverser Einheimischer und Reisender. Gerade die Gegend um das Hostel, Bella Vista – das Partyviertel genießt nach Einbruch der Dunkelheit einen eher zweifelhaften Ruf: Diebstahl, Raubüberfälle, Schießereien und andere typische Aktivitäten der Schattenwelt sind hier wohl nicht unüblich. Von all dem hab ich während meiner Zeit in Santiago nichts mitbekommen. Auch Nachts zu Fuß und in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, hatte ich nie das Gefühl, dass irgendeine Situation komisch sein könnte. Klar, schräge Gestalten gibt es überall, in Santiago habe ich mich aber im Allgemeinen recht sicher gefühlt.

Huelén

Die Stadt macht im Zentrum einen recht aufgeräumten Eindruck und gerade die Gegend um den Gran Torre Santiago, dem mit 300 Metern höchsten Gebäude Südamerikas, ist sehr sauber und strukturiert. Man hat hier eher das Gefühl, im Stadtzentrum einer europäischen Großstadt unterwegs zu sein. Die Aussichtsplattform des Gran Torre in der 62. Etage wurde nicht besucht, gibt es doch mit dem Cerro Santa Lucia und dem Cerro San Cristobal gleich zwei günstigere und authentischere Varianten, um sich einen Überblick über die Stadt zu verschaffen. Beide Hügel wurden auch besucht, der Cerro Santa Lucia ist der kleinere von beiden und befindet sich direkt im Stadtzentrum. Bei freiem Eintritt kann man mehrere Brunnen und Festungsbauwerke auf einer Höhe von 69 Metern über der Stadt bestaunen. Der Hügel hat einen parkähnlichen Charakter und fügt sich sehr harmonisch in die umliegenden Hochhäuser ein. Ein ziemlich interessanter Kontrast, hat man doch das Gefühl, dass man sich direkt in einer Parkanlage zwischen den Betonbauten befindet. Der Hügel wurde bereits 1939 zum Nationalmonument ernannt und traditionell wird jeden Tag um 12 Uhr mit einem Kanonenschuss von dem Hügel die Mittagszeit angezeigt.

Cerro Santa Lucía

Der Cerro Cristobal hingegen ist ein echter Koloss und mit 880 m auch ein anderes Kaliber. Nur 5 Gehminuten vom Hostel entfernt, kann man für einen schmalen Taler per Drahtseilbahn auf den Gipfel gelangen. Der Berg wurde von mir zwei mal besucht: da ich beim ersten Mal zwar den Sonnenuntergang über der Stadt genießen konnte, aber es dann eben recht schnell dunkel wurde, wollte ich die Stadt nochmal im Hellen überblicken und auf der anderen Seite mit dem Metrocable über den Hang schweben. Da die Sonnenstunden in Santiago während meines Aufenthaltes recht rar waren, nutzte ich einen der wenigen sonnigen Tage im Anschluss zum erneuten Aufstieg.

Schaut man in Richtung des Stadtzentrum während sich die Drahtseilbahn gemächlich den Hügel herauf kämpft, bekommt man mit jedem Höhenmeter mehr einen bleibenden Eindruck davon, was für ein gewaltiges Ausmaß die Stadt hat. Das ist schon ein krasses Bild, diese unfassbar große Metropole, die funkelnden Verkehrsadern und im Hintergrund die massiven Andengipfel. Überhaupt denkt man die ganze Zeit, dass die Berge so unmittelbar nah sind, auch weil man teilweise mit bloßem Auge Details und Strukturen erkennt. Allerdings beträgt die Entfernung zu den schneebedeckten Monstern ca. 40 bis 50 km. Die Ausmaße werden einem erst klar, wenn man bedenkt, dass sich das Stadtzentrum auf ungefähr 570 m befindet, die Hausberge im Hintergrund allerdings eine Höhe von ungefähr 5.000 – 5.500 m aufweisen. Ein gewaltiger Höhenunterschied auf recht kurze Distanz, der die schneebedeckten Gipfel so nah aussehen lässt.

San Cristóbal

Zwar gibt es noch eine ganze Menge Museen und ein paar interessant anzuschauende Stadtviertel, so eine richtig pralle Auswahl an Sehenswürdigkeiten hat die Stadt allerdings nicht zu bieten.

Fußball wurde natürlich auch geschaut, allerdings gestaltet sich die Sache mit der Ticketbeschaffung in Chile als echtes Problem. In den meisten Fällen und bei allen großen Clubs ist es unmöglich, ohne chilenische Kreditkarte ein Ticket zu kaufen. Zudem braucht man eine chilenische Identifikationsnummer (RUT) und die lässt sich als Ausländer, der nur vorübergehend im Land ist, nicht ohne Weiteres organisieren. Im Klartext heißt das: ohne chilenischen Kontakt kein Ticket. Glücklicherweise hab ich bei einem meiner letzten Besuche bei meinem Freund Toon aus Enschede den Kontakt von Kris bekommen. Kris ist Chilene, wohnhaft in Santiago und die beiden sind schon seit ein paar Jahren gut befreundet. Also schon vor der Ankunft in Santiago mit Kris Kontakt aufgenommen und somit sollte sich das Thema Ticketbeschaffung für mich als kein größeres Problem herausstellen. Für keines der besorgten Eintrittskarten wollte Kris auch nur einen Cent haben, er bestand regelrecht darauf, dass er die Tickets bezahlt. Bei Colo Colo, dem populärsten Verein im Lande wurden wir über Kontakte sogar in die VIP-Loge eingeladen. Essen und Trinken frei Haus und dazu bester Blick aufs Spielfeld und die umliegenden Berggipfel. Stilecht im Ledersitz natürlich. Normalerweise nicht mein bevorzugter Bereich in einem Stadion, in diesem Fall aber ein echt geiles Erlebnis. Danke Kris! Und auch für die netten Abende und die spendierten Drinks und Snacks und überhaupt. Was für eine coole Person. Alle von mir offerierten Versuche, auch mal was zu bezahlen, wurden vehement abgeschmettert. Keine Chance, aber dann muss das wohl so sein und ich will ja schließlich auch nicht meckern, obwohl mir die enorme Hilfsbereitschaft manchmal sogar ein bisschen unangenehm war.

Bei Colo Colo

Irgendwie hab ich zum Ende des Aufenthaltes in Santiago so ein bisschen den Faden verloren. Trotz der echt coolen Leute im Hostel stellte sich eine gewisse Demotivation ein. Das lag wohl vor allem an der Kälte, die sich über der Stadt breit machte und dem Dauerregen. Mehrfache tagelange Starkregenfälle überschwemmten diverse Stadtteile und irgendwann hatte man das Gefühl, dass es die ganze Zeit nur noch regnet. Irgendwann konnte man auch nicht mehr das Hostel verlassen, ohne direkt wie ein begossener Pudel durch das Viertel zu laufen. Frustrierend und nervig zugleich. Zudem ging der Vorrat an Gasflaschen im Hostel aus und man konnte allabendlich nur noch dick eingepackt mit mehreren Layern und Mütze im Aufenthaltsbereich sitzen. Keine schöne Kulisse für Gespräche mit anderen Reisenden, Kartenspiele und Bierchen. Zum Ende hin hatte ich nicht mal mehr die Motivation, die Location zu wechseln, es fühlte sich einfach nur noch an wie ein Gefängnis aus Regen und Kälte. Klingt bescheuert aber ich musste mich regelrecht zwingen, ein Busticket nach irgendwo anders hin zu buchen, so frustrierend war die Szenerie. Mit Colin aus Texas hatte ich einen Leidensgenossen gefunden. Ähnlich lange unterwegs, ähnliche Route, ähnlich demotiviert. Obwohl, ich korrigiere: noch demotivierter. Am Ende hab ich Colin einfach ein Busticket mit in den Norden von Chile gekauft und wir verließen gemeinsam im strömenden Regen das Hostel. Ich bin mir recht sicher, dass Colin immer noch da sitzen würde, wenn ich ihn nicht „evakuiert“ hätte – daraus ist mittlerweile sogar ein Running Gag zwischen uns geworden.

Cesar und Jolan und Colin

Im Übrigen hatte ich ursprünglich vor, die Strecke nach Norden in Argentinien zurückzulegen, um mir da noch die Regionen um Salta und Jujuy anzuschauen. Das Busticket von Mendoza über die beiden genannten Regionen zum nächsten Zwischenziel San Pedro de Atacama hätte allerdings mehr als das vierfache dessen gekostet, was ich für eine ähnliche Distanz in Chile bezahlt habe. Somit eine recht einfache Entscheidung, die Route in Chile zu nehmen und ein weiteres Beispiel für den ökonomischen Wahnsinn, der sich aktuell in Argentinien abspielt.

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