Veröffentlicht: 12.07.2024
Der eigentliche Plan, von El Chalten weiter in den Norden Argentiniens, nach Bariloche zu reisen, stellte sich als recht schwer realisierbar heraus. Bereits Tage zuvor erfuhr ich von anderen Reisenden und aus den Nachrichten, dass aufgrund winterlicher Wetterverhältnisse eine Weiterreise auf dem direkten Weg nach Norden zur Zeit nicht möglich sei. Die einzige direkte Verbindungsstraße nach Bariloche war gesperrt und sämtliche Busunternehmen somit nicht in der Lage, eine Weiterreise anzubieten. Zwar fand ich ein Busunternehmen mit dem Ziel Bariloche, allerdings mit einem weiten Umweg über die Ostküste Argentiniens, was ich als weniger sinnvoll erachtete. Des Weiteren war die Gegend um Bariloche wohl völlig eingeschneit und das Risiko dort für eine längere Zeit zu stranden oder irgendwo auf dem Weg dahin stecken zu bleiben, war es mir nicht wert und somit musste ich einen anderen Plan schmieden. Im Prinzip blieb nur die Option eines Weiterfluges nach Chile, welcher utopisch teuer war, oder irgendeine verworrene und endlos lange Busreise über irgendwelche Umwege nach Norden. Außerdem wollte ich auch keine Zeit verlieren, denn der Winter stand unmittelbar vor der Tür und es hatte bereits die Tage zuvor stark geschneit. Das Szenario hier unten stecken zu bleiben, war also durchaus nicht unrealistisch. Nach mehrfachen Versuchen, in irgendwelchen Touristinfos und bei diversen Reiseanbietern eine verlässliche Information zur Route in Richtung Norden zu bekommen, steckte mir schließlich ein kompetenter Herr die Info, dass der einzig realistische Weg zur Weiterreise auf dem Landweg wohl die Passage über Rio Gallegos und Puerto Madryn sei. Dazu muss man anmerken, dass sich der Ort Rio Gallegos an der Ostküste ganz im Süden Argentiniens befindet und ich deshalb erstmal noch ein Stück in die entgegengesetzte Richtung reisen musste. Okay, also kurz darüber nachgedacht und entschieden, dass der Plan die Weiterreise über Rio Gallegos und Puerto Madryn mit dem Zwischenziel Mendoza sein sollte. Schon länger stand im Raum, dass dort ein Wiedertreffen mit Kevin und Andrea aus Buenos Aires stattfinden würde und auch die Passage nach Santiago de Chile wäre von da aus recht einfach realisierbar. Es standen jetzt also insgesamt bis Mendoza 3.200 km Straßenkilometer auf dem Programm, mit einem 3-tägigen Zwischenziel Puerto Madryn. Der Ort und die anliegende Halbinsel Valdez sind für ihre maritime Fauna bekannt und somit ein ein idealer Zwischenstopp um die lange Busreise in 2 Teile zu splitten. Über verschneite Verbindungsstraßen und einem kurzen Aufenthalt in Rio Gallegos ging es über Nacht weiter nach Puerto Madryn. Da mir die Preise für die Cama-Variante (die bequemen Schlafsitze) zu hoch waren, wurde „Holzklasse“ gebucht und zwar für die komplette Strecke bis Mendoza. Bis auf eine unfassbar nervige Polizeikontrolle mitten in der Nacht (der komplette Bus wurde auf den Kopf gestellt und sämtliche Taschen wurden bis aufs Letzte akribisch gefilzt) verlief der erste Teil der Strecke recht entspannt und ich kam zwar etwas gerädert aber guter Dinge in der Hafenstadt am Golfo Nuevo an. Vorab hatte ich bereits mit einem weiteren Alman Kontakt aufgenommen: Christian aus Rostock, seit 14 Jahren wohnhaft in Buenos Aires und hauptberuflich Touristenführer in Patagonien, verweilte in der Stadt und da wir bereits in Vergangenheit immer mal wieder lose über soziale Medien Kontakt hatten, lag es Nahe, sich hier endlich mal persönlich kennenzulernen.
Gesagt, getan und bei bestem Wetter wurde die Playa der Stadt erkundet und tatsächlich die erst Walbeobachtung gemacht. Keine Ahnung, was für ein Art der Meeressäuger sich da im Wasser befand, allerdings gaben die typische Fontäne und die aus dem Wasser gestellte Schwanzflosse ein recht ansehnliches Bild ab. Da ich vorab tatsächlich noch nie einen der Riesen live in Aktion gesehen hatte, war das für mich eine neue und beeindruckende Erfahrung.
Das weitere Tagesprogramm hatte es in sich, denn wir besuchten gemeinsam das Stadtduell zwischen den beiden Vereinen Guillermo Brown und Deportivo Madryn in der zweiten Argentinischen Fußballliga. Kenner des lokalen Ballsports wissen um die Brisanz eines solchen Duells und der glückliche Zufall der Terminierung an diesem Wochenende sollte perfekt in meine umgeplante Reiseroute passen. Das Stadionumfeld glich einem Hochsicherheitsbereich und auch während des Spiels gab es eine ganze Menge zu sehen: viel Rauch, ein beeindruckendes Intro des Gastgebers, Pyrotechnik ohne Ende und schließlich ein aufgebrachter Haufen, der die 50 (erlaubten) Deportivo-Anhänger recht unsanft aus dem Gästesektor direkt in den Bus vertrieben.
Die nach dem 0:1 lautstarke und enthusiastische Jubelarie gefiel anscheinend nicht Jedem auf der Heimseite und schlussendlich musste auch die Staatsmacht mit Gummischrot eingreifen, um die Situation wieder zu beruhigen. Ganz schön viel Action hier also im Unterbau des Argentinischen Fußballsystems und somit hatte man im Anschluss eine ganze Menge Gesprächsstoff.
Am nächsten Tag stand ein Ausflug auf die Halbinsel Valdez auf der Agenda. Christian hatte günstig einen Mietwagen geliehen und mich am Vorabend eingeladen, die Gegend mit zu erkunden. Die Halbinsel Valdez gilt als absoluter Hotspot für Walbeobachtungen und auch allerlei anderes maritimes Getier treibt sich hier gern in und a den Buchten herum. Außerdem wurde a den Stränden hier das einzigartige Jagdverhalten der Orcas beobachtet, bei dem die gewaltigen Wale auf der Jagd nach jungen Seelöwen bis a den Strand kommen. Dieses wurde weltweit bisher nur in Patagonien beobachtet. Am Eingang zum Nationalpark eine kurze Überraschung: 21.000 Pesos (20 Euro) wollte man uns für den Eintritt abknöpfen. Am Vortag hatte ich im Hostel noch diverse Tickets für den Park unter einem Glastisch vernommen: von 360 über 1200 und 2500 Pesos in den letzten Monaten nahm man da wieder einmal die enorme Inflation wahr, mit einem derartigen Preisanstieg hatte ich allerdings nicht gerechnet. Leider aktuell eben die Realität in diesem schönen Land und natürlich zahlte man das auch, wenn man schon einmal hier war.
Die Wege bzw. Straßen auf der Halbinsel sind überwiegend unbefestigte Schotterpisten auf denen man maximal 60 km/h fahren darf und somit verbringt man eine ganze Zeit im Auto bevor man immer wieder an den unberührten und menschenleeren Stränden stoppt um einen Blick auf die Tierwelt zu erhaschen. In dem Fall nicht unbedingt die schlechteste Voraussetzung, denn mit einem absoluten Argentinien-Fachmann (der nebenbei noch Touris durch die Einöde führt) auf dem Fahrersitz gestaltete sich der komplette Ausflug als ein munteres Frage- Antwortspiel, in dem ich voller Neugier allerlei interessanter Informationen aus Christian herauskitzelte. Eine Gratislektion in Kultur, Politik, Gesellschaft und Fußball und unfassbar interessant. Was dieser Mann für ein Wissen hortet ist unglaublich und ich bin sehr froh, dass er dies auch gern mit anderen teilt und ich vollgestopft mit allerlei Informationen meinen Wissensdrang auf einem Recht hohen Level befriedigen konnte und schlussendlich mein (sehr positives) Allgemeinbild von Argentinien nochmal einen extra Feinschliff bekam.
Zurück zum eigentlichen Tagesprogramm muss man feststellen, dass sich die Tierbeobachtungen auf ein Mindestmaß beschränkten, was auch zu Beginn der Saison normal ist. Am Playa El Doradillo konnten wir aus der Ferne mehrere Wale beobachten, einer der Kollegen hievte seinen gewaltigen Körper sogar einmal vollends aus dem Wasser. Dazu ein paar Pinguine, diverse Seevögel und ganz im Osten der Insel am Punta Cantor noch ein paar Robben und Seeelefanten. In der Hochsaison herrscht hier wahrscheinlich ein viel regeres Treiben aber dennoch war das ein sehr interessanter Ausflug und ein sehr anschauliches Beispiel, dass die Natur hier noch völlig intakt scheint.
Die Rückfahrt von der Halbinsel gestaltete sich auf Grund der guten Kommunikationsebene sehr kurzweilig und Christian lieferte mich pünktlich kurz vor 21 Uhr an der Busstation ab, schließlich wollte ich meine 26-stündige Reise nach Mendoza nicht verpassen.
Eine kurze Anekdote noch zu Puerto Madryn: als wir am Strand der Stadt das Meer beobachteten, fragte mich Christian, was die nächste Landmasse ist, die beim Blick gerade aus irgendwann auftaucht. Mein Tipp auf einen Punkt irgendwo im eher südlichen Teil Afrikas war natürlich (trotz recht guter geografischer Kenntnisse) falsch, denn tatsächlich ist es Chile. Man schaut also rein theoretisch südlich an Südafrika, Australien und Neuseeland vorbei, die nächste Landmasse ist wieder der Südamerikanische Kontinent und eben genau die westliche Seite also eben Chile.
Man bekommt also mal eine ungefähre Vorstellung, wie südlich man sich eigentlich befindet obwohl man irgendwo mitten in Argentinien steckt.