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Provinz Mendoza

Veröffentlicht: 12.07.2024

Endlose 27 Stunden dauerte die Fahrt nach Mendoza. Positiv zu bemerken ist, dass während der gesamten Reise der Sitz neben mir leer blieb und somit war auch die Fahrt auf den billigen Plätzen einigermaßen erträglich. Während die Besatzung des Busses mehrfach wechselte, war ich wohl der einzige Idiot, der die gesamte Strecke von ca. 1.500 km zurücklegte. Der Bus fuhr anschließend noch weiter in den Norden der Provinz Salta, was eine Strecke von weiteren 1.300 km bedeutete. Einfach faszinierend was für Distanzen man hier mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann, ohne das Fahrzeug wechseln zu müssen und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Mendoza ist eine der Welthauptstädte des Weines und die Provinz die bedeutendste Weinregion in Argentinien. Auf Grund des milden Klimas (viel Sonne, wenig Niederschlag) gedeihen hier vor allem Trauben für Rotwein, der bekannteste Wein der Region ist wohl der Malbec und auch ich als Nichtweintrinker muss sagen, dass dieser Tropfen wirklich einen ausgezeichneten Geschmack auf die Rezeptoren zaubert. Ausgezeichnet und Unerwartet. ;)

Die Stadt an sich ist sehr angenehm ruhig und entspannt, kein Vergleich zu den südamerikanischen Metropolen, die zuvor besucht wurden. Hier kann man auch mal ganz gediegen mit dem Telefon durch das Zentrum laufen ohne sich Gedanken zu machen, dass man gleich auf irgendeinem dubiosen Weg um sein digitales Gehirn erleichtert wird. Im Stadtzentrum gibt es allerlei Parkanlagen, die meist quadratisch angelegt sind und zur Entspannung einladen. Diese dienen neben der Naherholung vor allem dem prophylaktischen Schutz der Bevölkerung. 1861 zerstörte ein Erdbeben die Stadt fast vollständig, nach dem Wiederaufbau ließ man diese Freiräume in der Innenstadt, damit die Menschen im Falle eines erneuten Bebens genügend unbebaute Flächen zur Flucht haben.

Parque General San Martin Mendoza

Die entspannte Gesamtstimmung der Stadt habe ich für mich in großen Teilen dazu genutzt um meine Batterie wieder aufzuladen. Nach all den Eindrücken der letzten Wochen mit den absoluten Highlights fast jeden Tag brauchte ich dringend eine Pause um das alles zu verarbeiten. Über längere Zeiträume am Limit solche Erlebnisse aufzuschnappen und zu sortieren ist gar nicht so einfach und somit hatte ich einen ordentlichen Hänger nach meiner Ankunft in Mendoza. Das Energielevel war im Keller und die Schwelle für die Aufnahme neuer Eindrücke weit überschritten. Dies ist natürlich nichts Besonderes auf einer langen Reise, die Kunst ist wohl, zu erkennen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, eine Pause einzulegen. Und der war nun definitiv erreicht und Mendoza ein guter Ort um mal komplett runterzufahren. Ein paar Tage machte ich überhaupt nichts, die Aktivitäten beschränkten sich auf Spaziergänge im Stadtzentrum und die Nahrungsaufnahme. Ansonsten Stillstand. Sortieren und auf keinen Fall irgendwelche Pläne schmieden. Denn das ist auch immer mit Emotionen verbunden und einer inneren Unruhe, die entsteht, wenn man schon wieder tausend neue Gedanken im Kopf hat, die einen wieder antreiben.

Nach den Tagen der Ruhe kamen dann Kevin und Andrea in Mendoza an und wir verbrachten eine gute Zeit. Restaurantbesuche, Asado bei den beiden im Apartment, ein paar innerstädtische Aktivitäten und Fußball. Ideal also um wieder ein bisschen in Stimmung für anstrengendere und aufregendere Aktivitäten zu kommen. Wobei ich zum Thema Fußball bemerken muss, dass ich hier eines der besten Spiele auf meiner bisherigen Reise im Gesamtpaket erleben durfte. Clasico und Stadtderby in der höchsten Spielklasse Argentiniens zwischen den beiden Rivalen Rivadavia und Godoy Cruz – ein Schauspiel allererster Güte. Völlig bekloppt mit welchem Wahnsinn hier wiedermal die Unterstützung von den Rängen zelebriert wird. Mehrere Choreos, Rauch, eine unfassbare Lautstärke und Menschen auf allen möglichen Konstruktionen im Stadion. Da werden mehrere Meter hohe Zäune erklommen, Stacheldraht überklettert, Absperrungen beseitigt und in jedem Gesicht eine absolute Hingabe und Begeisterung für den eigenen Verein. Zwar hat die Kirsche auf der Torte in Form von Toren gefehlt aber dennoch ein Genuss für Augen und Ohren.

Clasico in Mendoza

Das Energielevel stieg allmählich wieder und nachdem ich in einer Bar eine Gruppe Argentinier kennengelernt hatte, konnte ich auch der Einladung zu ein paar Ausflügen in die schöne Landschaft im Umfeld von Mendoza nicht mehr widerstehen. Was für unfassbar nette Menschen. Mehrfach wurde ich direkt an meiner Unterkunft abgeholt und mit dem Pick-Up ging es in das Umland und die Berge der Stadt, die südamerikanischen Kordilleren und direkt anliegend die Anden. Die karge Landschaft und die vielen Weinberge an den Hängen und auch im Flachland geben ein wunderschön farbenfrohes Bild ab, gerade in dieser Jahreszeit und auch die Sonne zeigt sich im Prinzip die ganze Zeit, so dass man nie das Gefühl hat, dass mich sich eigentlich gerade im Winter der südlichen Hemisphäre befindet.

Tupungato

Während meiner Zeit hier in Mendoza fiel mir auch wieder mehrfach die unfassbar positive Art der Menschen Argentiniens auf. Eine Inflationsrate von über 280%, es funktioniert bis auf den Nahverkehr fast gar nix, dazu Preise im Supermarkt über dem mitteleuropäischen Niveau, die Wirtschaft schmiert immer weiter ab und die Menschen sind einfach so geil. Selten hab ich so eine solidarische Gemeinschaft erlebt. Es bleibt gefühlt einfach keiner auf der Strecke und jeder noch so große Abfuck wird mit Humor genommen. Allgemein machen sich die Leute hier über ihre eigene Situation lustig, ein bizarrer und sehr herzlicher Galgenhumor. Hinterfragt man das, bekommt man die Antwort: „wir sind mit der Krise aufgewachsen“ und wahrscheinlich ist das auch das einzige Mittel, um sich nicht vollends die Karten zu legen. Kommst Du den Leuten hier mit irgendeinem Scheiß, dann erzählen sie Dir umgehend, was aber alles noch funktioniert und wie toll das doch ist. Das ist so krank positiv und faszinierend. Gesellschaftstechnisch können wir hier echt noch viel lernen. Das holt mich irgendwie jeden Tag wieder aufs Neue ab. Im Allgemeinen ist das eine Erfahrung, die ich auf meinen Reisen gemacht habe: Umso krisengeschüttelter das Land, desto herzlicher die Menschen. Aber das hier in Argentinien ist irgendwie Next Level, was diese Thematik betrifft.

Zum Feiertag der Mairevolution (Dia de la Revolucion de Mayo) vom 25.05.1810, einem der wichtigsten Feiertage in Argentinien, gab es noch einmal ein paar Tage vor Abreise einen Ausflug in einen der Vororte von Mendoza. In diversen Lokalitäten (in unserem Fall eine Gärtnerei) treffen sich die Menschen, um den Tag zu zelebrieren, es gibt entspannte Musik, guten Wein und Locro, einen Eintopf aus Mais, Chorizo, Gemüse und Bohnen. Ein echter Gaumenschmaus, der in Argentinien auch typischerweise nur an diesem speziellen Tag serviert wird. Schmackhaft lecker und ein sehr entspannter Tag zwischen angenehmen Leuten.

Ein Erlebnis der etwas wilderen Sorte gab es im Anschluss für mich nochmal im Estadio Malvinas. Der geplante Spielbesuch zwischen Godoy Cruz und San Lorenzo wurde von schweren Ausschreitungen innerhalb der Barra des Heimvereins überschattet. Bereits in der ersten Halbzeit wurde das Spiel mehrfach unterbrochen weil diverse Wurfgeschosse und Projektile auf das Spielfeld und die umliegenden Blöcke geschossen wurden. In der Halbzeit holte ich mir von Einheimischen die Information ein, dass es sich hierbei wohl um einen Konflikt zwischen 2 Gruppierungen innerhalb des Lagers von Godoy Cruz handelt und dass wohl die Nachfolgeregelung im Drogengeschäft der Stadt nach der Inhaftierung des eigentlichen Kopfes der Bande ausgefochten wird. Auch wurde ich darauf hingewiesen, dass die Unruhe im Stadion wohl nur die Spitze des Eisberges seien und ich auf der Hut sein solle. Die zweite Halbzeit lief wenige Minuten und das Spiel wurde schließlich abgebrochen, nachdem die Gewalttätigkeiten innerhalb der Gruppe immer weiter auf die Spitze getrieben wurden. Die Cops räumten schließlich den Block, an eine Wiederaufnahme des Spiels war nicht zu denken und es wurde mit Gummi und Schrot zurück geschossen. Eine absolute Unruhe in und um das Stadion und als ich schließlich den Ort des Geschehens verlassen wollte, wurde ich von mehreren Sicherheitsmitarbeitern recht unsanft darauf hingewiesen, dass ich mich doch gefälligst wieder in den sicheren Pressebereich des Stadions begeben sollte. Das Umfeld des Stadions hatte sich mittlerweile in eine Art Schlachtfeld verwandelt und es wurde auch scharf geschossen. Absolut wilde Szenen aber wohl nur bedingt mit dem eigentlichen Ballsport verbandelt. Ich hielt mich an die Empfehlungen und beobachtete das Gewusel aus sicherer Entfernung. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, trat ich schließlich per Uber den Rückzug ins Stadtzentrum an und kühlte die Erlebnisse mit einem Fernet con Coca herunter.

Ganz schön viel los nochmal zum Ende meines Aufenthaltes in Mendoza. Das Verlassen der Stadt und vor allem das Verlassen dieses tollen Landes gestaltete sich nicht so einfach. Erst war der Pass nach Santiago wegen starkem Schneefall mehrere Tage gesperrt, dann tat ich mich selber schwer, mich von Argentinien zu lösen. Mehrfach verschob ich die Abreise um einen Tag, um noch ein wenig Zeit mit den liebgewonnenen Menschen zu verbringen und die angenehme Stimmung der Stadt aufzusaugen. Irgendwann ist aber dann schließlich der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen. Ich versicherte mich über die Passierbarkeit der Passstraße, kaufte mir recht spontan ein Busticket und setzte mich schließlich in den Bus nach Santiago – ein äußerst schwerer Abschied aber auch ein Aufbruch zu neuen Abenteuern – Chile it is your turn!

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