Veröffentlicht: 18.09.2024
Nach kurzer Stippvisite in Santa Cruz de la Sierra entschied ich mich auf dem Weg in Richtung Westbolivien noch einen Zwischenstopp irgendwo in der Natur einzulegen. So richtig entscheiden konnte ich mich aber auf Grund der zahlreichen Möglichkeiten nicht und so schlenderte ich zum Vormittag a den Terminals der verschiedenen Bus- und Transportunternehmen vorbei und hielt Ausschau nach einem für mich passendem Ziel. Nach kurzer Zeit weckte das Angebot einer Fahrt im Colectivo nach Samaipata mein Interesse. Auf dem Weg nach Cochabamba und La Paz und nicht mal umgerechnet 5 Euro für die 3,5 stündige Strecke, eine verschlafene Kleinstadt in Mitten von Nationalparks und irgendwelche Inka-Ruinen. Passt – Deal! Rucksack im Büro der Company gelassen, noch fix was gegessen und dann sollte es los gehen. Eingequetscht mit 8 anderen Fahrgästen ging die Fahrt über hügeliges Terrain und durch beeindruckende Landschaften mit zahlreichen Felsformationen. Kurz vor 18 Uhr erreichten wir Samaipata und ich trabte zur vorab gebuchten Unterkunft. Angekommen am „Las Aventureros“ (so der vielversprechende Titel auf einer bekannten Buchungsplattform) erschien ein etwas älterer Herr und begrüßte mich in akzentfreiem Deutsch: „Moin – ich bin Thomas. Komm rein, ich hoffe Du hattest eine entspannte Reise“. Kurz verblüfft über die in diesen Gefilden ungewöhnliche Begrüßung stellte sich heraus, dass Thomas seit 35 Jahren in Bolivien lebt und ursprünglich aus Kiel stammt. Als Diplomatensohn verbrachte er fast sein gesamtes Leben im Ausland und schließlich entschied Thomas sich dazu, in Bolivien niederzulassen. Der nette Herr führte mich zu meiner Hütte auf dem riesigen Grundstück und instruierte mich kurz in die Nutzung der äußerst gemütlichen Räumlichkeiten. Nachdem der Pflichtteil erledigt war, teilte ich den aus Santa Cruz mitgebrachten Biervorrat und wir verschwatzten und für eine gefühlte Ewigkeit. Der Protagonist dieses Dialoges war allerdings ganz klar der Grundstückseigentümer, dessen Geschichten über das Land und Leute, früher und heute meine Ohren schlackern ließen. Ich mag ja solche Erste-Hand-Infos sehr und so wurde es ein recht kurzweiliger Abend. Thomas stellte mich später noch 2 jungen Landsmännern vor und da mir die beiden Kollegen aus München durchaus sympathisch erschienen, entschieden wir uns zu Dritt auf den Weg in die Ortschaft zu machen und nach einem Guide zu suchen. Danach ab ins Bett und auf den nächsten Tag gefreut. Sehr früh am Morgen ging es los und wir wurden per Pick-Up direkt am Anwesen von Thomas abgeholt. Nach 2 Stunden fahrt und sagenhaften Ausblicken stoppte der Wagen und wir wanderten los. Der Name der Wanderroute „Codo de los Andes“ bedeutet soviel wie „Ellbogen der Anden“ und bezieht sich auf die markante Biegung der Andenkette in dieser Region. Die ersten Stunden ging es stetig bergauf durch eine felsige Landschaft und grüne Hänge, teils querfeldein und mit sagenhaften Panoramen. Nach stetigem Klettern entlang der steilen Hügel erreichten wir gegen Vormittag einen Aussichtspunkt, von dem aus ein atemberaubendes 360°-Panorama über die umliegende Landschaft hat. Die umliegenden Hügel mit üppiger Vegetation schienen endlos zu sein und das menschliche Auge hat auf Grund der Weitläufigkeit Probleme, die Entfernung und die Höhe der Erhebungen zu skalieren. Auf jeden Fall ein äußerst spektakulärer Ausblick und ein geeigneter Ort für einen Snack. Gemeinsam mit Elias und Lennart bereiteten wir ein üppiges Mahl aus Keksen, Bananen und trockenem Brot mit Dulce de Leche. ;)
Völlig ausreichend für den Moment und nach weiterem Staunen über die Schönheit der Landschaft wanderten wir über eine andere Route wieder zurück zum Jeep, um ein kleines Stück weiter in die Wildnis von Samaipata vorzudringen. Nach kurzer Fahrt dann der zweite Teil der Wanderung. Man taucht tiefer in die üppige Natur ein und die Landschaft verändert sich. Der Pfad schlängelt sich an einem Fluss entlang, begleitet vom ständigen Rauschen des Wassers, welches in der ruhigen Umgebung fast eine meditative Wirkung hat. Der Fluss ist von tropischer Vegetation umgeben und teils hängen Pflanzen und Bäume weit in den Pfad hinein während immer wieder kleine und größere Wasserfälle unseren Weg kreuzen. Mehrfach durchqueren wir das Wasser und die Wanderung folgt keiner festen Fährte mehr sondern verläuft eher querfeldein. Während des ganzen Tages führen wir in unserer kleinen Reisegruppe interessante Gespräche und die beiden Kollegen sind wirklich allerfeinste Zeitgenossen. Elias macht ein freiwilliges Jahr in Santa Cruz und betreut in einer Einrichtung Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern verstoßen wurden und oftmals unter häuslicher Gewalt litten. Hut ab für dieses Engagement und den Mut, mit Anfang 20 in ein so exotisches Land zu gehen um dort einen Mehrwert für die Gesellschaft zu leisten. Lenni ist zu Besuch und die Beiden haben auf jeden Fall richtig Bock auf Land und Leute und werden wohl gemeinsam zukünftig noch viele weitere Abenteuer fernab der Heimat erleben.
Mit nassen Füssen und vollends eingetaucht in die umliegende Natur erreichen gegen 14 Uhr ein steiniges Plateau und entscheiden uns, einen kurzen Mittagsschlaf zu halten. Herrlich, die Augen schließen und das Einzige, was einen umgibt, ist die Schönheit der Natur. Keine Gedanken an irgendeinen Alltagsstress, keinen Ärger – nur der Frieden der Landschaft, das Zwitschern der Vögel und ein paar Schmetterlinge – so lässt es sich aushalten.
Nach der Rast führt die Wanderung weiter durch dichter werdenden Wald und sanfte Anstiege. Der Weg beginnt sich wieder leicht nach oben zu winden und verlässt das Tal und langsam schwindet auch das Rauschen das Wassers aus den Ohren. Gelegentlich öffnet sich jetzt die Vegetation und man kann erneut ein paar schöne Aussichten auf die umliegenden Hügel erhaschen. Der Pfad ist abwechslungsreich und das Geläuf wechselt vom weichen Waldboden, vorbei an Felsen und Wurzeln, die teils wie natürliche Treppen wirken. Der weitere Verlauf der Wanderung ist ein stetiges Auf- und Ab und man wird begleitet, von einer angenehmen Stille. Am späten Nachmittag erreichen wir wieder den Wagen und auf der Ladefläche geht es zurück in den Ort. Dabei werden wir auf dem unwegsamen Terrain ordentlich durchgeschüttelt bevor wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit Samaipata erreichen.
Zu Dritt gesellen wir uns am Abend auf die Dachterrasse einer kleinen gemütlichen Bar und verplappern bei ein paar Bierchen die Eindrücke dieses schönen Tages.
Weite Teile der heutigen Wanderung führten uns auf der „Ruta del Che“ entlang und in die Fußstapfen eines bedeutenden Kapitels der bolivianischen Geschichte. Die Ruta del Che ist ein historischer Wanderweg, der sich mit dem letzten Lebensabschnitt des streitbaren Revoluzzers Che Guevara befasst und führt durch die Berge und Dörfer, die Che und seine Guerillagruppe auf ihrer Reise durch Bolivien im Jahr 1967 durchquerten, bevor er in La Higuera gefangen genommen und hingerichtet wurde. Immer wieder stoppten wir am heutigen Tage, und unser Guide, ein wahrer Che-Fan und Fachmann, erzählte uns interessante Geschichten aus dem Leben des Revoluzzers. Man spürt die Verbindung zur revolutionären Vergangenheit, während man durch dieselben abgelegenen Gebiete wandert, in denen Che mit seinen Truppen operierte.
Die Ruta del Che ist jedoch mehr als nur eine historische Route. Sie verbindet die politische Geschichte der Revolution mit der Kultur und dem Alltag der bolivianischen Bevölkerung. Viele Menschen, die entlang der Route leben, haben selbst die dramatischen Ereignisse der damaligen Zeit erlebt und man bekommt als Außenstehender einen intensiven und sehr interessanten Einblick in die Konflikte und Ideale, die das Land und die Region bis heute prägen.
Nach dem ereignisreichen Tag folgte eine entspannte und erholsame Nacht. Am nächsten Morgen und einem recht späten Weckerklingeln kredenzte Thomas mir ein reichhaltiges Frühstück und ich machte mit ordentlich gestärkt auf zum Ortsrand des verschlafenen Nestes. Ziel des heutigen Tages sollte das El Fuerte de Samaipata sein, eine Ruinenstätte der Inkakultur und UNESCO-Welterbe in den umliegenden Bergen des Ortes. Für einen schmalen Taler brachte mich ein Motorbikefahrer an den Rand der Ruinen und nach einem kurzen Blick von oben in die Täler um das Welterbe begann die kleine Zeitreise in die Kultur der Inka. Die Hauptattraktion der Stätte ist eine beeindruckende Felsplattform, die etwa 220 m lang und 85 m breit ist und eine Vielzahl von architektonischen und religiösen Merkmalen der Inkakultur abbildet. Die Inka nutzten die Plattform als Zeremonialzentrum und ihre geschickte Bearbeitung des Felsens umfasst Schnitzereien und Gravierungen, die Symbole und religiöse Motive darstellen. Zu den auffälligsten Merkmalen gehören eine große zeremonielle Treppe, ein Wasserkanal (möglicherweise für rituelle Reinigungen) und verschiedene geometrische Muster und Figuren, darunter ein Jaguar.
Viele dieser Symbole sind noch nicht vollständig entschlüsselt und lassen der Wissenschaft erheblichen Spielraum in der Deutung dieser Symbolik.
Archäologische Forschungen haben seit den 1960er Jahren erheblich zur Entschlüsselung der Bedeutung und Nutzung der Stätte beigetragen. Es wird vermutet, dass der Ort nicht nur für Rituale sondern auch für astronomische Beobachtungen von Bedeutung war, denn die Ausrichtungen einiger Schnitzereien und Bauwerke deutet auf astronomische und kosmologische Überzeugungen der damaligen Kultur hin.
Ein weiteres faszinierendes Element der Stätte ist ein ausgeklügeltes Wasserleitungssystem. Das System umfasst Kanäle und Becken, die wohl für rituelle Waschungen und die Bewässerung genutzt wurden.
El Fuerte ist einer der größten von Menschen bearbeiteten Steine der Erde und auf jeden Fall eine sehr beeindruckende Erscheinung. Während man über die Anlage wandert, hat man allzeit einen schönen Panoramablick in die umliegenden Tälern, es weht ein leichter Wind und es ist angenehm ruhig. Man ist mit ein paar anderen interessierten Touristen recht allein auf der weitläufigen Anlage unterwegs, was ich als super angenehm empfand. Abseits des Felsplattform gibt es eine ganze Menge weiterer Ruinen zu entdecken einen wunderbaren Eindruck von der Komplexität der Bauweisen und die dazugehörige Integration von Gebäuden und Plätzen in die natürliche Umgebung.
Der gesamte Komplex zeichnet sich durch seine Größe und Komplexität, der in den Fels gehauenen Elemente aus und machen diesen Ort zu einem einzigartigen Beispiel der Inka-Kultur.
Es gibt allerdings auch gegenteilige Meinungen zu Samaipata, Erich von Däniken behauptete nach der Besichtigung von El Fuerte erst, dass es sich um ein abgestürztes UFO handelt, später revidierte er dies in einen seinen Werken und bezeichnete den Fels lediglich als Landebahn für UFOs. Auch interessant, allerdings bleibe ich hier wohl bei der Wissenschaft, deren Erklärung und Forschung zu dieser Stätte mir um einiges plausibler erscheinen.
Nachdem ich mich mehrere Stunden der detaillierten Inspektion der Anlage gewidmet hatte, lief ich die 10 km zurück ins Tal und genoss die schöne Landschaft. Kurz vor der Verbindungsstraße nach Samaipata kam ich an einem Haus vorbei, an dem ein großes Schild mit „Kolibri-Refugee“ auf sich aufmerksam machte. Also kurz am Tor geklingelt und geschaut, was es damit auf sich hat. Eine Frau öffnete mir das Tor und gewährte mir Einlass in einen wunderschönen Garten. Allerlei Blumen und wilde Pflanzen bilden hier ein Paradies für die Flugkünstler und die Dame hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, in ihrem Garten ideale Bedingungen für Kolibris zu schaffen. Allerlei weiße, blaue, schwarze, grüne und gelbe Kolibris segelten hier unentwegt durch den Garten, ein schönes Schauspiel, vor allem auch was die Flugkunst angeht. Ich blieb ein Stück und lies mir ein bisschen was zur Geschichte ihres Gartens und ein paar interessante Fakten zu Kolibris allgemein erzählen. Schön hat es die Dame hier und auch die bunten Vögel scheinen sich sehr wohl zu fühlen, in so einer großen Population hatte ich Diese vorher noch nicht gesehen.
Da ich zu faul war, die restliche Strecke zurück nach Samaipata zu Fuß zurück zu legen, hielt ich die Hand raus und nach kurzer Zeit stoppte ein Fahrzeug mit einer freundlichen älteren Frau-Mann-Besatzung und brachte mich zurück in den Ort, während mich die Frau vom Rücksitz aus mit Keksen fütterte.
Zum Abschluss schlenderte ich noch ein wenig durch Samaipata und erfreute mich am charmanten, kolonialen Ambiente und den gut erhaltenen historischen Gebäuden. Ein kurzer Plausch noch mit Thomas – Alles Gute gewünscht und dann die Sachen gepackt, denn früh am nächsten Tag sollte es weiter gen Westen gehen.