Veröffentlicht: 13.03.2024
Nachdem wir bereits die Favela Santa Marta auf eigene Faust erkundet haben, sollte es kurz vor dem Ende unserer Zeit in Rio nochmal eine geführte Tour in die Favela Rocinha werden. Rocinha gilt als die größte Favela Lateinamerikas, in der nach inoffiziellen Angaben bis zu 250.000 Menschen leben. Theoretisch kann man die Favela auch ohne Guide betreten, auf Grund der immensen Größe empfiehlt sich allerdings eine geführte Tour, denn im Wirrwarr der Gassen und Pfade kann man doch recht leicht den Überblick verlieren.
Die Tour wurde direkt im Hostel gebucht, laut Information eines anderen Gastes sollte der Guide wohl ein Bewohner der Favela sein und die gezahlte Gebühr (ungefähr 25€) somit unmittelbar der Kommune zufließen.
Dies war wohl allerdings eine Falschinformation, denn als wir 9 Uhr in der Früh abgeholt wurden, stellte sich heraus, dass es sich bei unserem Guide um den Mitarbeiter einer Agentur handelte und somit auch die Einnahmen der Touristen einzig und allein dem Unternehmen zugeführt werden dürften. Naja ist dann eben so, also zähneknirschend in den Bus gestiegen und bei einer fast 2-stündigen Stadttour (während der zahlreiche andere Touristen aus allerlei Hotels und Gasthäusern in den Bus geleitet wurden) den unzähligen schlechten Witzen unseres Guides gelauscht.
Als man endlich in Rocinha ankam, gab es einen kurzen Abriss über die an einer Wand dargestellten Graffiti: Die Motive sollen den jugendlichen Bewohnern Hoffnung geben und symbolisch aufzeigen, dass es einen Ausweg aus dem Leben der Favela gibt.
Unmittelbar danach kam man an allerlei Ständen vorbei und es wurde fleißig Werbung für die Kunst und auch den Krempel gemacht, die Kauffreude unserer Gruppe hielt sich allerdings stark in Grenzen.
Weiter ging es in den nächsten Laden, leicht genervt entschied ich mich allerdings, draußen zu warten, denn das quirlige Treiben auf der Straße erschien mir weitaus interessanter als akkurat aufgehangene Malereien, die ich sowieso nicht erwerben wollte.
Danach war die Verkaufsveranstaltung beendet und man gelangte an einen Aussichtspunkt, von dem man einen recht guten Überblick über die Ausmaße der Favela hatte und von da aus weiter über verbaute Pfade talwärts. Ich hielt mich etwas abseits der Gruppe auf und zog es vor, die Bewohner zu beobachten und in kurzen Gesprächen (welche sich zum Großteil in Hand und Fuß-Kommunikation abspielten) ein bisschen ein Gefühl für das Leben in so einer Siedlung zu bekommen. Die Menschen waren alle sehr freundlich und interessiert, vor allem musste ich zahlreiche Fragen zu meiner Herkunft beantworten. Trotz der angebotenen Touren hierher ist man also offensichtlich noch ein recht exotischer Gast.
Eine Interessante Geschichte auf unserem Weg durch die Favela handelte von den nicht vorhandenen Hausnummern oder offensichtlichen Markierungen der Häuser für einen Nichtortskundigen. Dies soll vor allem die Orientierung für ungebetene Gäste erschweren und dass es sich dabei um staatliche Kontrollorgane und Polizei handelt, liegt auf der Hand. Post wird an mehreren Sammelpunkten abgegeben und dann von den Bewohnern verteilt.
Weiter unten angekommen, mischten sich immer mehr schwerbewaffnete Personen unter die Bewohner und es wurde recht schnell klar, wer hier die Kontrolle über das Gebiet hat. Im Gegensatz zur Favela Santa Marta war dies aber noch eine etwas andere Dimension: Jugendliche und Männer in Flip-Flops und Badehosen, bewaffnet mit Maschinengewehren, Pistolen oder einfach riesigen Messern und Macheten. Gefühlt Dutzende von denen liefen hier durch die Gassen oder lungerten einfach gemeinsam an einer Straßenecke ab. Wir wurden zwar gemustert aber auch in Ruhe gelassen. Höchstwahrscheinlich wird wohl ein Teil der Einnahmen bei den Bewachern bleiben, welche im Gegenzug für die Sicherheit der Besucher garantieren.
Nach ca. 3 Stunden waren wir nun fast am Ausgang der Favela angekommen und die Tour endete mit einem kleinen Aufreger: Nachdem ich ein Foto von einer imposanten Häusersilhouette geschossen hatte und wieder in eine der Gassen abbiegen wollte, hinderte mich ein kurzes aber bestimmtes Pfeifen akustisch am Weiterlaufen. Ich drehte mich um und erspähte in einiger Entfernung einen bewaffneten Mann, den ich vorher überhaupt nicht wahrgenommen hatte und der mir zu verstehen gab, dass ich warten sollte.
In zügigen Schritten kam er auf mich zu, um die Schulter irgendeine großkalibrige, vollautomatische Waffe neuerer Bauart. Er stellte sich vor mich und signalisierte mir, dass ich ihm mein Telefon und das eben gemachte Foto zeigen sollte. Die Argumente waren eindeutig auf seiner Seite und ich zeigte ihm das Foto, welches der Überprüfung seines kritischen Blickes stand hielt: Es war recht eindeutig zu sehen, dass das Bild nicht ihm sondern der Häuserfront galt. Dennoch und wahrscheinlich zur Sicherheit forderte er mich auf, das Bild zu löschen. Der Forderung kam ich natürlich nach und alles war in Ordnung. Schwer zu sagen, wie so eine Situation ausgeht wenn man so einen Typen offensichtlich ablichtet, wahrscheinlich aber nicht so freundlich und bestimmt.
Kurz darauf tauchte unser Guide wieder auf, die Beiden tauschten noch ein paar Worte aus und der Typ verschwand in einer Gasse.
Ich muss zugeben, dass die Situation zwar etwas seltsam war, ich mich allerdings in keinster Weise bedroht oder in Gefahr fühlte.
Kurz darauf sammelte uns der Bus am Ausgang der Favela ein und wir fuhren wieder zum Hostel.
Resümierend hätte ich mir zwar etwas mehr einen authentischen Einblick in das Leben der Menschen und etwas weniger Verkaufsveranstaltung gewünscht allerdings war es dennoch ein recht interessanter und spannender Tag.