Veröffentlicht: 18.10.2024
Direkt nach meiner Ankunft in La Paz am späten Abend teilte mir Nim mit, dass sie für uns morgen eine Tour mit dem Fahrrad die legendäre Death Road hinunter gebucht hat. Zwar hatten wir im Vorfeld darüber gesprochen allerdings bin ich davon ausgegangen, dass ich mich zumindest erstmal einen oder zwei Tage in La Paz akklimatisieren könne, bevor es an irgendwelche Aktivitäten geht. Tja damit lag ich dann wohl falsch und nach einer echt beschissenen Nacht in der ich wohl auf Grund der Höhe kaum ein Auge zu tat, ging es früh am Morgen schon los. Wir wurden in Transporter verfrachtet, auf dem Dach bereits die Fahrräder verstaut und ab auf über 4.600 m Höhe. Da ich bei meiner gestrigen Ankunft die Stadt lediglich im Dunkeln betrachten konnte, bekam ich auf der Fahrt auch einen ersten Eindruck vom quirligen Chaos, was sich hier tagsüber abspielt. Ein ganzes Stück außerhalb der Stadt wurden die Fahrräder abgeladen und wir erhielten erste Instruktionen und einen Überblick, was uns am heutigen Tage erwartet. Für einen kleinen Aufpreis hatten wir uns für die Fahrräder mit Federung vorn und hinten entschieden, eine kluge Entscheidung, wie sich später noch herausstellen sollte. Anschließend kleidete man uns mit allerlei Schutzausrüstung ein: Jacke und Hose mit Protektoren, Ellbogen- und Knieschützer und Handschuhe. Wird wohl schon seinen Grund haben, warum man so gut geschützt auf die Reise geht.
Die Death Road oder Yungas-Straße - auch bekannt als Camino de la Muerte galt bis ins Jahr 2007 als die gefährlichste Straße der Welt. Schätzungen zufolge starben jährlich ca. 200 – 300 Reisende auf der Strecke, die sich insgesamt über rund 65 km erstreckt und bis zum Bau einer neuen, zweispurigen Straße, die wichtigste Verbindung zwischen La Paz und dem Amazonas-Regenwald war. Da die Straße heute nur noch sehr wenig für den regulären Verkehr genutzt wird, kann man die Strecke recht problemlos mit dem Mountainbike zurücklegen und durchquert dabei bis zum Ziel auf 1.200 m fast alle Klimazonen Südamerikas.
Dass jedes Jahr bei der rasanten Abfahrt 1 – 2 Todesopfer zu beklagen sind, erzählte uns unser Guide erst weiter unten im Tal. Aber mit den unserer tollen Schutzausrüstung im Transformers-Style konnte uns ja nichts passieren. ;)
Den ersten Abschnitt der Strecke fährt man vom La-Cumbre-Pass ca. 22 km auf der neu asphaltierten Straße ins Tal hinab und es bieten sich bereits spektakuläre Ausblicke auf die umliegenden Berge und Schluchten. Dieser Abschnitt ist meist mit Leitplanken gesichert und die Fahrbahnbeschaffenheit ist recht gut. Das Problem hier ist lediglich der Verkehr und der Wahnsinn, den einige der Fahrer mit ihren Manövern an den Tag legen. Nach diesem Abschnitt beginnt die eigentliche Death-Road mit ihrer schmalen unbefestigten Strecke und den steilen Abhängen. Teils ist die Straße nicht breiter als 3 Meter und sie verläuft an steilen Klippen entlang, die teilweise mehrere hundert Meter in die Tiefe fallen. Bevor wir auf den unbefestigten Teil der Strecke losgelassen werden, halten wir nochmal an einer Art Aussichtspunkt und erhalten ebenfalls nochmals Instruktionen und den mahnenden Hinweis, dass wir uns immer so weit wie möglich rechts halten sollen. Dies gilt nicht, wenn Gegenverkehr kommt, denn dieser wird (und dies ist eine Besonderheit dieser Straße) von oben kommend, rechts vorbei gelassen. Diese Regel wurde geschaffen, da sich die Fahrzeuge bergab besser manövrieren lassen und somit dem Fahrer, der sich bergauf bewegt, die Seite abseits des Hanges überlassen wird.
Vom Aussichtspunkt und dem Startpunkt der eigentlichen Death-Road aus kann man auch das erste Mal von oben den Verlauf der Straße weiter ins Tal einsehen und man staunt auch das erste Mal über die doch sehr steil abfallenden Hänge am Rande der Straße.
Anfangs noch recht vorsichtig, stürzt man sich im Verlaufe der Abfahrt doch schon etwas schneller die unbefestigte Piste herunter. Nicht schlecht, was die Bikes so alles wegstecken und vor allem alles aushalten. Vielleicht ein Trugschluss, allerdings fühlte ich mich auf dem Mountainbike schon nach recht kurzer Zeit erstaunlich wohl und sicher und die Fahrt wurde nach und nach immer wilder. Immer wieder wartete ich dann an einer Stelle mit spektakulärer Aussicht (und davon gibt es einige) auf Nim, um dann abermals mit voll Karacho die Straße hinunter zu brettern. Auch Nim fühlte sich nach einiger Zeit immer sicherer auf dem Rad und wir hatten bei der Abfahrt einen Mordsgaudi, ohne uns wirklich in Gefahr zu bringen, denn wir wollten ja alle trotz jeder Menge Adrenalin sicher im Tal ankommen.
Während man die steilen Abhänge herunter braust, öffnen sich immer wieder dramatische Panoramen mit tiefen Schluchten und saftigen Wäldern. Auf einem Teil der Stecke fährt man sogar unter einem Wasserfall hindurch. Absolut spektakulär und gern hätte ich mal für einen Moment die Zeit zurückgedreht und den Verkehr beobachtet, der sich vor dem Bau der neuen Yungas-Straße hier den Berg hoch- und runtergequält hat.
Gegen Mittag halten wir an einem breiteren Abschnitt der Straße an, es gibt Snack, Pfannkuchen mit Dulce de Leche und Obst. Danach geht es weiter ins Tal und man hat spürbar den Eindruck, dass die gesamte Truppe (insgesamt waren wir 12 Bekloppte) sicherer mit den Fahrrädern geworden ist, denn das Tempo der Abfahrt steigert sich spürbar.
Die letzten Kilometer vor der Ankunft im Tal setzten wir uns in einer 6-köpfigen vom Rest des Feldes ab und es entwickelte sich ein regelrechtes Rennen mit Positionskämpfen. Hier war die Strecke auch etwas breiter und es machte richtig Spaß sich in einer Art Wettkampfcharakter weiter herunter zu stürzen. Bis auf einen kleinen Fauxpas eines Franzosen, der in einer Kurve knapp vor mir nur haarscharf mit dem Hinterrad am Abgrund vorbeischrammte (der Franzose meinte, es war entspannt, aus meiner Perspektive waren es wenige Zentimeter) gab es auch keine großen Komplikationen und in rasantem Tempo brauste die Gruppe in Richtung Ziel, währenddessen es den einen oder anderen Positionswechsel gab. Unten angekommen fielen wir uns alle erstmal in die Arme. Voller Adrenalin realisierten alle Gemeinsam, was die letzten Stunden für ein unfassbar geiles und einmaliges Erlebnis waren. Die Gesichter voller Schmutz und Staub und mit schmerzenden Handgelenken wurde eiskaltes Bier serviert und wir erfreuten uns an diesem erlebnisreichen Tag. Ein Hoch hier auch nochmals auf die Entscheidung, die Fahrräder mit Vollfederung zu nehmen. Bei der wilden Fahrt wurde man teilweise so heftig durchgeschüttelt, dass man seine Handgelenke wohl ohne die Full-Suspension einmal generalsanieren lassen müsste.
Nach einer Stunde wurden die Räder wieder aufs Dach geladen und es ging in eine der anliegenden Ortschaften im Tal, wo bei tropischen Temperaturen und dichter Bewaldung das im Preis enthaltene Abendessen serviert wurde. Was für ein Kontrast zu La Paz. Das Buffet war reichhaltig und schmeckte und zur Verdauung legten wir uns an bzw. in den Pool und bestaunten die bunten Aras, die sich in den Bäumen tummelten.
Auf der anschließenden recht langen Rückfahrt – fast 5 Stunden brauchten wir bis La Paz – wurden noch allerlei Geschichten zum Besten gegeben oder auch einfach irgendwelcher Blödsinn erzählt, bevor es glücklich und zufrieden ins Bett ging.
Am Ende bleibt die erneute Erkenntnis, dass manche Erlebnisse mehr sind als nur Adrenalin und Abenteuer, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Die verrückte Reise auf der Death Road war nicht nur eine Herausforderung, sondern auch ein Moment des Innehaltens inmitten der wilden Natur Boliviens – ein Erlebnis, das noch lange nachwirkt.