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Erster Arbeitstag in Afrika

Veröffentlicht: 20.08.2018

Ich sitze hier. Starre vor mich hin. In meinem Kopf tausend Gedanken. Doch wie soll ich es beschreiben..

Flerimo Hospital. 10Uhr. 4Schwestern im Dienst (wie ich erfahre, gibt es quasi keine extra Ausbildung zur Hebamme) Mir gegenüber teilweise freundlich, teilweise skeptisch- ich verstehe das. Man spürt, dass sie Angst haben kritisiert zu werden von einer ‚Weißen‘. Da ich noch jung bin, muss ich in ihren Augen noch in Ausbildung sein. Ich erkläre, dass ich drei Jahre Berufserfahrung habe, das Eis bricht langsam.

Karibu! Willkommen! (im Chaos)

Auf dem Tresen: überall Mutterpässe (A4 Blatt 2x geknickt), Kinderhefte, Geburtenbuch, Geburtsanzeigen, Parthogramme - ich kenne es anders, aber es ist ja prinzipiell das Gleiche.

Ich soll mich um die Geburtsanzeigen kümmern. Vor uns sichtbar, draußen auf der Treppe und im Dreck, sitzen die wartenden Mütter. Entbunden haben sie vor 8 bis 24h.

Und nun sitzen sie da auf der Straße, ihre Neugeborenen eng in Tüchern an ihren Körper gewickelt und warten darauf abgeholt zu werden. Unfassbar.

Also sitze ich vor einem Buch, eine Seite pro Frau.. alles auf Swahili/Kisuaheli.. Ich frage mich durch, versuche die Zusammenhänge von vorausgefüllten Seiten zu erkennen, muss ständig fragen. Ich fitze mich durch. Nebenbei werden ständig Papiere von rechts nach links geworfen- absolut kein System ist erkennbar. Typisch Tansania muss ich mir schon denken. Egal, ob im Haushalt oder hier: Ordnung oder Systeme scheint es einfach nicht zu geben.

Schwierig! Vor allem für mich ordnungsliebenden Menschen 😅

Die dünnen Papiere leiden natürlich darunter und ich zeige euch als Beispiel dann nur mal ein Bild des Geburtenbuches.

Wir sitzen ca. 2h am Tresen und ich denke mir.. Haben wir gar keine Frau unter Geburt? Doch, drei! Die werden nun das erste Mal untersucht und da kommen wir zu dem Punkt, der einfach gerade nicht in meinem Kopf verarbeitet werden kann..

Die Art und Weise, wie die Schwestern mit den Frauen umgehen!

Bei uns gibt es Bewerbungen und Gespräche vor der Ausbildung. Grundvoraussetzungen für die Ausübung eines generell medizinischen bzw. sozialen Berufes sind dabei:

Empathie, Hilfsbereitschaft, Sorgfältigkeit, Gewissenhaftigkeit, Zuversicht/ Optimismus, Zuverlässigkeit, Belastbarkeit, Verantwortungsbewusstsein

Es tut mir leid. Aber nichts davon kann ich momentan bei diesen Schwestern finden.

Ich stehe daneben. Ich verstehe kein Wort, aber spüre, wie die Frau keine Chance hat ihre Position zu schildern, keine Hilfe wird ihr angeboten (es liegen Sachen auf dem Boden, eine Frau übergibt sich, eine andere blutet - ich eile dazu und die Schwester fordert die hochschwangere, entbindende Frau auf, dies selbst zu reinigen)

Auf die Frage weshalb sie ihr nicht hilft, antwortet sie: Weil es nicht mein Dreck ist

Ich stehe da und bin fassungslos.

Ich brauche keine Worte, um die Dankbarkeit in den Augen zu sehen, als ich ihr trotzdem helfe.

Dass die Frauen keine schönen Räume, keine Schmerzmittel und keine Materialien für Ihre Geburt haben, dafür kann hier in diesem Raum niemand etwas. Aber man kann doch zumindest mit liebevoller Betreuung den Schmerz lindern und die Frauen bestärken, dass sie es schaffen und es ihnen nicht noch schwerer machen durch diese strenge Art und Weise.

Eine Geburt war nicht mehr in meinem Dienst und ich habe das Gefühl ab morgen alle Geburten selbst leiten zu müssen, um die Frauen vor den Schwestern dort zu bewahren. Ich hoffe es ist nur der erste Eindruck und es folgen andere Dienste.

Schon jetzt grübele ich, wie ich es ihnen erklären kann, dass die Frauen genau so und vermutlich schöner entbinden, wenn sie ihnen den Freiraum geben und sie liebevoll begleiten..

Zum Glück war ich am Morgen schon eine Runde joggen, sodass ich nun geschafft ins Bett fallen kann und morgen ist ein neuer Tag.

Ich habe nämlich auch erst heute nach dem Lauf gespürt und darüber nachgedacht, dass Sport auf über 1500m für den Körper durchaus anstrengender ist als in meinem Flachland Leipzig.

Good night! 

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