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BikeCamp 2018

Veröffentlicht: 27.08.2018

Über Umwege hatte ich vor wenigen Tagen davon erfahren, dass am Wochenende ein Bike Camp stattfinden soll, bei dem man am Lake Sevan gemeinsam campt, kayakt und entsprechend dem Namen Fahrrad fährt. Nun bin ich prinzipiell gar keine besonders begeisterte Radfahrerin, im letzten Jahr bin immerhin besser geworden, sodass ich mich mit dem Rad in der Regel fortbewege statt auf der Stelle zu trampeln. Auch an einigen den berühmten Berliner Critical Masses bin ich inzwischen mitgefahren. Von dort und aus meinem Freundeskreis weiß ich, dass die Fahrradszene in Berlin echt n ist und deshalb dachte ich mir, dass dies vielleicht auch für die Community in Yerevan gilt. Das Ticket für das Camp inklusive Essen, Zugticket und Campsite kostete 14.000 AMD, was etwa 30 Euro entspricht. Ein Fahrrad organisierte mir das Team, sowie eine Campingausrüstung für dich ich insgesamt noch einmal rund 20 Euro investierte.

Fahrradfahren ist in Armenien noch nicht besonders gängig. Dementsprechend schaute auch der Hostelsohn aus der Wäsche, als ich ihm von meinem Plan berichtete. Mein Coolness-Faktor stieg immens. Woooow, mit dem Fahrrad? Adventurous girl! Gemeinsam schauten wir auf Maps, wie ich am nächsten Morgen zum Treffpunkt am Bahnhof käme. Nur 7 km, das sollte wohl in einer halben Stunde zu schaffen sein - dachte ich. Der Junge guckte etwas zerknirscht, sei der Weg generell schon recht hügelig, er würde mir empfehlen 1 Stunde einzuplanen.

Gesagt, getan. Um 6:45 am Samstag morgen schwang ich mich auf den Sattel meines blauen City-Bikes, um 7:45 war der Treffpunkt an der Almast-Station angesetzt. Schnell musste ich feststellen, dass ¨hügelig¨ das falsche Wort war. Für 7km ging es steil den Berg hoch. Hinter jeder Kurve hoffte ich auf ebene Strecke, stattdessen ging es wieder und wieder in einem Steigungsgrad zwischen 7 und 15 Grad den Berg hoch. Ich war noch etwa einen Mü davor zu weinen. Die Beine brannten, die Zeit verging viel zu schnell. Niemals würde ich es in einer Stunde schaffen, musste ich doch immer wieder schieben. Und dann: sprang die Kette raus! Yippie! Ich schloss damit ab, den Bahnhof noch zu erreichen und versuchte mich darin, die Kette wieder einzufädeln. Glücklicherweise sah schon etwa 1 Minute nach meinem Mini-Super-Gau ein Armenier, wie ich am Rad herumwurschtelte und glücklicherweise kannte er sich mit Rädern aus. In wenigen Sekunden war die Kette wieder, wo sie hingehörte.

Keuchend erreichte ich den Bahnhof um 8 Uhr, um dann festzustellen, dass der Zug erst um 8:30 kam. Rund 10 der 30 Radfahrer waren mit mir an der Station und beäugten mich kritisch. Ich stellte fest, dass ich die einzige Nicht-Armenierin war. Und zudem sah ich auch wie eine Freizeit-Radlerin aus, während ein großer Teil der Männer der Gruppe in kompletter Rennfahrer-Montur vor mir stand. Direkt kümmerte sich jedoch ein Armenier um mich und wir unterhielten uns ein bisschen. Für ihn sei es das erste Mal, so eine lange Strecke Fahrrad zu fahren, eigentlich sei er Kletterer. Naja - trotzdem sportlich. Der nächste Armenier erzählt mir, die 7km den Berg hoch würde er in 1 Stunde ¨entspannt¨ fahren, er hätte es aber auch schon in 30 Minuten geschafft. WHAT? In welchem Elite-Sportcamp war ich denn hier gelandet?

In Shorza kamen wir am Bahnhof an und radelten gemeinsam 7km nach Artanish. Meine Beine brannten von der morgendlichen Fahrt noch immer. Ich kämpfte! Aber nicht alleine, denn ich befand mich im Mittelfeld der Gruppe. Es gab einige, die noch wesentlich langsamer waren, als ich - unter anderem der sportliche Sixpack-Kletterer, der offensichtlich viel Kraft in den Armen hatte, jedoch keine Kondition für das Fahrrad. Wie auch ich, schoben wir die Langsamkeit kollektiv auf unsere Leihfahrräder.

Das Camp war super schön. Der See schimmerte in einem tiefen blau, die Natur war grün und sandig, es war heiß und ich konnte es nach dem Zeltaufbau kaum abwarten, in das kühle Nass zu springen. Das war wirklich kühl, aber nachdem mir gesagt wurde, ich als Deutsche würde das Wasser ja bestimmt nicht kalt finden, war der Stolz zu groß, mir anmerken zu lassen, wie kalt ich das Wasser wirklich fand. Es war ein toller Tag. Alle waren sehr bemüht um mich, es gab niemanden unter den 30 Teilnehmenden den*die ich irgendwie doof fand. Einzig und allein anstrengend war, dass ich vom Gesagten nie mehr als 5% mitbekam, da alle Gespräche auf armenisch geführt wurden. Ich fand es nicht schlimm, das meiste nicht zu verstehen, nur manchmal dachte ich, dass es eventuell auch relevant für mich sein könnte. So war ich immer die letzte beim Essen, weil ich nie mitbekam, wann es begann und auch sonst schaute ich oft ziemlich belämmert aus der Wäsche. Abends um 8 hatte ich dann keine Energie mehr dafür, ständig bei Gruppen zu sitzen, die ich nicht verstehe und die auch nicht wussten, wie sie mich integrieren könnten (oder wollten - des Englischen mächtig war fast alle). Ich ging ins Bett. Wenig später stand ich wieder auf - ich konnte ja jetzt schlecht 12 Stunden in meinem Zelt verbringen. Also raffte ich mich auf und schaute, dass ich jemanden aus der Gruppe fand. Ein junger Typ nahm mich mit in den Gemeinschaftsraum, wo die Gruppe einen Film gucken wollte und wo eine Tombola um Fahrradgutscheine stattfand. Wirklich Lust auf einen armenischen Film hatte ich ja nun nicht und auch sein Versuch mich damit aufzubauen, dass der Film vielleicht auf russisch sei, half mir jetzt auch nicht besonders weiter.

Überraschenderweise war der Film auf englisch. Yippie. Und: ich gewann einen 100 Euro Gutschein für ein armenisches Fahrrad. Yippie. Den Gutschein verschenkte ich weiter, der Film war nicht besonders spannend. Trotzdem war ich wieder glücklich. Das folgende Lagerfeuer bekräftigte dies. Camp-Romantik. Vor allem als dann noch auf armenisch gesungen wurde...uiii.

Am nächsten Tag sollte auf uns eine Strecke von 128 km warten. Ich sagte von vorneherein, dass ich maximal die 50 km zur Zughaltestelle von Sevan fahren würde. Die Organisatorin war sich jedoch sicher, ich könne die ganze Strecke fahren. Sie plante 6 Stunden für die Strecke. Huch. Das würde bedeuten, dass die ganze Gruppe ohne Pause konstant 20km die Stunde fahren müsste. Und ich hatte auf dem Hinweg ja auch schon gesehen, wie langsam wir als Gruppe waren. Ich wollte die Organisation ja nicht als naiv abstempeln, aber ich stempelte sie als naiv ab.

Und dann ging es los. Meine Beine hatten sich vom Vortag erholt und ich befand mich plötzlich im vorderen Viertel bei den ¨Rennfahrern¨. Die waren tendenziell natürlich trotzdem schneller als ich, da der Rest aber immens viel langsamer war, war ich die Queen des Radsports. Noch nie nie nie in meinem Leben wurde mir Anerkennung für sportliche Leistung entgegen gebracht. Vor allem nicht beim Fahrrad fahren, dieser Sport hat bereits einmal mit dazu beigetragen, dass eine Beziehung scheiterte, weil ich so langsam und schnaufend war. Vielleicht hatte es sich also doch ausgezahlt, dass ich seit einem Jahr fast täglich Rad fahre. Dank all der Endorphine hielt ich durch. 10km, 20, 30, dann machten die Rennfahrerjungs und ich eine Pause und genossen armenisches Wurstbrot. Da ich wusste, dass die Jungs mich schneller einholen würden als ich bis 5 zählen kann, seilte ich mich nach kurzer Zeit ab und fuhr schon einmal los. Alleine auf weiter Strecke fuhr ich und fuhr und fuhr. Hinter mir kam niemand, vor mir war niemand. Und dann änderte sich die romantische Seestrecke und ich musste noch etwa 15km auf dem Seitenstreifen des Highways fahren. Gruselig und nicht ganz ungefährlich. Ich wartete ein bisschen, aber von meiner Gruppe kam niemand. Da es sich auf einem Seitenstreifen schlecht wartet, entschied ich durchzuziehen und bis nach Sevan zum Bahnhof zu fahren. Nunja, ich fuhr nicht ganz alleine, ein weißes 4-Wheel folgte mir. Es fuhr langsam an mir vorbei, fädelte sich vor mir ein und bremste, ich fuhr vorbei, das Fenster ging runter, ich überholte. Das Spiel spielten wir bestimmt sieben Mal, bevor ich ihn anschrie ¨WHAT?!?!?!¨. Unbeirrt biegte auch er nach Sevan ab. Ich flüchtete mich an eine Tankstelle, wo ein paar Menschen waren. Das weiße Auto fuhr langsam an mir vorbei, ich schaute ihn böse an und er bog ab. Puh! Der war weg! Jetzt war die Laune trotzdem eher angespannt. Ein armenisches Paar mit dickem Mercedes bot mir an, mich nach Yerevan mitzunehmen, da ich aber erwartete, bald noch mehr Menschen am Bahnhof zu treffen, nahm ich das Angebot nicht an.

In Sevan musste ich zwei Stunden auf den Zug warten und vertrieb mir die Zeit in einer Pizzeria. Und plötzlich sah ich einen der Schnellfahrer aus der Gruppe. Lichtblick. Juhu. Auch er war glücklich jemanden zu treffen. Während die anderen Jungs weiter nach Yerevan fuhren, hatte er einen Sonnenbrand und keine Lust mehr auf weitere 70km. Gemeinsam warteten wir also und endlich hatte ich auch mal ein längeres Gespräch mit einem Armenier über Land, Leute, Jugend, die naive Organisation des Camps, die Relevanz des Genozids.

Im Zug trafen wir dann auf einige aus der Gruppe, wobei ich sagen muss, dass ich überrascht war, dass doch ein Großteil der Gruppe wohl nach Yerevan radelte (oder vielleicht Taxi fuhren? Im Zug waren sie jedenfalls nicht).

Ein wirklich gelungenes Wochenende ab der Touritracks. Wenn das die Fahrradszene von Yerevan ist, dann ziehe ich nach Armenien und gründe einen Fahrradladen :D

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