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Ashura in Yazd

Veröffentlicht: 30.09.2018

So ¨fürsorglich¨ wie Banda Abbas aufgehört hatte, ging es in Yazd weiter.

Wir durften im Hostel auf dem Dach schlafen bis zum nächsten Morgen und der verschlafene Hostel-Mann ließ uns erst alleine, als wir nicht zur bereit zum Schlafen lagen, sondern auch noch bis unter das Kinn zugedeckt waren. Es war aber auch wirklich etwas kalt in dieser Nacht.

Wie auch in Ägypten ist es im Iran den Nationals verboten, in Hostels zu übernachten. Am nächsten Morgen fiel jedoch schon auf, dass einige Iranerinnen und Iraner eingecheckt hatten, die wie wir dem besonderen Spektakel in Yazd beiwohnen wollten. Nach dem Frühstück warfen wir uns in dunkle Klamotten, da Schwarz die Farbe des Tages war. Nur ein Mädchen aus dem Hostel wusste entweder nicht welcher Tag ist oder wollte dem Iran Rebellion entgegenbringen. In beiden Fällen, war es relativ verwunderlich, dass man sich am wichtigsten Trauertag der Schiiten im Iran dafür entscheidet, ein bauchfreies und halbdurchsichtiges Oberteil sowie einen Hut statt Kopftuch zu wählen. Die Männer aus dem Hostel konnten gar nicht in den Mund nehmen, was an ihrem Outfit alles dafür sorgen könnte, dass sie den Tag auf der Polizeiwache verbringt. Deshalb habe ich ausgeholfen und ihr zu ihrem Ärger erklärt, dass sie sich besser umziehen solle.

Wir gingen los und suchten den großen Platz, an dem die Hauptzeremonie ablaufen sollte. Auf dem Weg durch die Altstadt von Yazd sahen wir hunderte von Frauen anstehen. Warum, wofür und wo wussten wir nicht - wir hielten es aber für eine gute Idee uns auch einfach mal anzustellen.

Lange standen wir nicht in der Reihe. Ein Domino-Effekt trat plötzlich ein und wir wurden von ausnahmslos allen Frauen nach vorne durchgeschoben und geschubst. Wir wurden unter Absperrbändern hindurch gepuschelt (sehr oft im Iran wird man nicht mit Händen, sondern mit Staubpuscheln durch die Gegend geschoben) und an Frauen vorbei gedrückt. Irgendwann waren wir dann ganz vorne und fanden endlich raus, wo wir waren: In einer Moschee, um etwas von dem dort während dem Trauermonat zubereiteten Essens abzuholen. Zwei Styroporboxen mit Hähnchen-Reis trugen wir nun durch die Stadt.

Schlussendlich kamen wir am Hauptplatz an. Das Wasser im Brunnen auf dem Platz war rot eingefärbt und sollte wohl an das Blutvergießen der 77 Märtyrer und Imam Hussein erinnern.

Neben dem Platz stand eine Brücke, auf der wir Menschen stehen sahen. Ich glaubte nicht, dass wir auf die Brücke hoch kämen, die mir eher nach VIP und Presse-Area aussah. Doch wir versuchten es trotzdem und waren wenig später auf der Brücke, von der wir uns in den nächsten 4 Stunden nicht mehr wegbewegten und von wo man die gesamte Parade perfekt beobachten konnte.

Zu Anfang der Zeremonie wurden wir bereits beeindruckt. Durch große Lautsprecher wurden alle Touristen begrüßt, die an diesem Tag dabei seien. Gleich stellten wir uns die Absurdität eines Pendant in Deutschland vor. Nur schwer kann man sich vorstellen, dass an Ostern Pfarrer und Bürgermeister recht herzlich alle zu Besuch gekommenen Muslime begrüßt. Punkt für den Iran in der Kategorie Gastfreundlichkeit.

Dass sich so sehr um uns gekümmert wurde, hat auch religiöse Gründe. Alle Touristen in Yazd an der Ashura werden als persönlich durch Imam Hussein Auserwählte gesehen. Wir hatten in den AUgen der gläubigen MuslimInnen also quasi einen Heiligenschein über dem Kopf.

Es wurde sich wieder gepeitscht, es gab einen Fanfarenzug, zu dem solch große Flaggen geschwenkt wurden, dass zwei Männer zur Stabilisierung des Fahnenmastes nötig waren. Dann nach einiger Zeit wurde ein Immam auf ein riesig großes schwarzes Ding in Form eines Feigenblattes gesetzt, das von mehreren Duzend Männern dann mehrere Male im Kreis getragen wurde. Es war alles irgendwas zwischen Beeindrucken und seltsam.

Plötzlich schrie es hinter uns! Frauen nahmen unsere Wasserflaschen und schütteten einer ohnmächtigen Frau, die zwei bitterlich weinende Kinder auf dem Schoß hatte, das Wasser ins Gesicht. Als sie aufwachte konnte sie ihren Mund nicht bewegen, ihre Kinder weinten und die Frauen fragten sie immer und immer wieder was los sei. Ich vermute, die Frau wusste es selber nicht, denn als sie wieder die Macht über ihren Mund hatte schrie sie wie am Spieß. Auch mir standen inzwischen die Tränen in den Augen, vor allem die Kinder taten mir unendlich Leid. Wie schlimm muss es für Kinder sein, wenn die eigene Mutter schreit und ohnmächtig wird.

Von dem Schock mussten wir erst einmal erholen. Als die Frau von ihrer Familie weggebracht wurde verließen auch wir den Festplatz um zu schauen, was sonst noch so los sei.

Wir spazierten durch Yazd. Die Straßen waren voll aber insgesamt war es ruhig. Wir redeten über all das, was wir gesehen hatten und tranken eine der kostenlos verteilten Zitronenlimos.

Plötzlich passierte aber etwas. Aus einer Seitenstraße heraus kam ein Umzug heraus. Wieder mit den üblichen Elementen. Schwarz-grün-rote Banner, sich schlagende Männer, eine Art riesiger Kerzenständer und Trommeln. Wieder waren es nur Männer. Sie zogen an uns vorbei.

Hinter den Männern gab es dann aber etwas neues. Rennende Frauen. Mit leicht verzweifelten Gesichtern und mit mancher Mühe nicht auf den eigenen oder den Tschador der Nachbarinnen zu treten, stürmten die Frauen durch die Straße. Ein Mädchen, das uns angesprochen hatte, erklärte uns, dass gleich eine weitere Zeremonie stattfinden würde und die Frauen sich beeilen müssten, um rechtzeitig anzukommen.

Für uns bedeutete es: hinterher. Wir folgten den Frauen und gingen zur zweiten Riesenmoschee von Yazd. Von einer Treppe aus, beobachteten wir die Masse an Menschen, konnten jedoch nicht besonders Spezielles sehen.

Als die Zeremonie fertig war, gingen alle Menschen ihren Weg und verließen den Platz vor dem Bazaar und der Moschee. Jetzt sahen wir, was besonders an der Zeremonie war: Ein Lamm wurde offensichtlich geschlachtet und Lamm sowie Blutlache lagen noch auf der Straße. Traurig. Besonders schlimm fand ich an der Opferung vor allem, dass das Schaf bestimmt die furchtbarste Stunde seines Lebens hatte, als es von grölenden, trommelnden, weinenden Männern durch die Stadt getragen wurde und schlussendlich zeremoniell die Kehle durchgeschnitten bekam.

Wir brauchten eine kleine Mittagspause und gingen erstmal zurück ins Hostel. Nach einem Nickerchen taten wir mit Hilfe der Rezeption eines benachbarten Hotels (unsere eigenen Rezeptionisten waren irgendwas zwischen nicht hilfreich und etwas doof) ein Restaurant, das an diesem Tag nicht geschlossen war. Wir speisten wie die Königinnen und machten uns dann auf zur nächsten Zermonie.

Auf dem Festplatz vom Vormittag sollten am Abend Kerzen entzündet werden.

Als wir ankamen funkelte es schon überall. Wieder platzierten wir uns auf der Brücke und genossen den Blick auf die vielen Gruppen von Freunden und Familien, die um Kerzen herum zusammensaßen und den Abend ausklingen ließen. Wirklich sehr schön, sehr friedlich und magisch.

Ashura in Yazd war toll! Sehr eindrücklich und besonders. Weniger die Zeremonien an sich, die haben wir uns ehrlichgesagt größer vorgestellt und sie werden ohne Wissen über die Gebete auch schnell etwas...redundant. Viel mehr aber bleibt die Stimmung auf den Straßen in Erinnerung. Die weinenden Menschen, die Ehrfurcht, die Spiritualität, die Gastfreundlichkeit und Offenheit uns gegenüber.

Am kommenden Tage gingen wir bei der Free Walking Tour mit. In den ersten Sekunden hatten wir noch den Eindruck, dass diese nicht so der Renner werden würde, doch der erste Eindruck bestätigte sich nicht. Unser Guide erklärte total viel über die Traditionen des Ashura und legte einen Fokus auf die Unterscheidung persischer und islamischer Geschichte. Yazd ist auch eine Hauptstadt der Naturreligion der Zoroastrier, die vor der Islamisierung des Irans maßgebend für die persische Architektur und Kultur waren. Heute leben im Iran nur noch ein paar zehntausend Zoroastrier, davon zu einem großen Anteil in Yazd.

Ein Museum über diese Kultur schauten wir uns am nächsten Tag auch noch an. In der Religion ist es verboten Wasser zu verschwenden, Kinder entscheiden erst mit 14 ob sie Teil der Gemeinde sein wollen, die Traditionen sind sehr respektvoll. Siiri und ich fragten uns, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn nicht der Islam und das Christentum große Teile der Welt erobert hätten, sondern eine Naturreligion, die entgegen unserer Religionen den Mensch nicht als Krone der Schöpfung sieht sondern als gleichberechtigten Teil der Natur, die man deshalb schützen muss. Who knows...

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#yazd