Veröffentlicht: 30.08.2022
Just an dem Tag, an dem wir 2 Monate unterwegs und 2500 km durch den Osten Europas geradelt sind, tanzen wir den Reiseblues. Maik beginnt, ich stimme kurz darauf mit ein. Es soll ein längeres Tänzchen werden.
Oh no!
Diese Strecke des Eurovelo 11, die von Nord nach Süden durch Serbien geht, kann schon auch etwas trist wirken, wenn man sich nicht im Reiseglück und Freiheitstaumel befindet. Agrarflächen wechseln sich mit Industriegebieten wechseln sich mit Agrarflächen und Industriegebieten ab. Dörfer reihen sich an Dörfer, reihen sich an Kleinstädten und wieder an Dörfer. Der Reiz des Unbekannten verwandelt sich an einem solchen Tag in bange Ungewissheit. Der Körper ist müde und wartet vergeblich auf einen Alltag mit Dusche und rasten auf der Couch. Der Trainingsgedanke zählt nicht mehr.
Und plötzlich - in diesen leicht getrübten Tagen - wird die Seele durch eine Begegnung mit Menschen und einem Rudel Hunde geküsst, die uns einfach so zum Duschen zu sich einladen, uns ihre Zeit und einen Bruchteil ihrer Geschichte schenken - und uns damit ein Stück weit aus dem „Alleinsein in der Welt“ rausführen. Das lässt mich noch lange hinterher mit großer Freude an der Welt und den Menschen, weiterziehen.
Danke Margarete! Danke Tomas! Für Kaffee, für warmes Wasser, Shampoo und Handtücher!!!
Nebenbei verändert sich die Landschaft langsam und nur kurz in eine satt bewaldete bergige.
Die Hitze der letzten Tage in Serbien, auf der Strecke von Aleksinac nach Niš nach Vranje, scheint sich mit den Höhenmetern zu steigern. Beides kaum merklich aber stetig. Ein bevorstehender Wetterumschwung ist diffus greifbar. Die Nächte bringen in diesen Augusttagen Abkühlung, ein frisches Lüftchen lässt uns allabendlich aufatmen.
In und um die alte Stadt Niš werden wir auf unterschiedliche Art mit der Geschichte dieses Landes konfrontiert. Fast nebenbei erzählt ein Mann, vielleicht nur 10 Jahre älter als Maik, von den Bomben im letzten Krieg.
Die Nacht verbringen wir im Park Bobanj zum Gedenken an die Hinrichtung Widerständischer und Ungewollter durch die Nazis vor 80 Jahren. Die Stimmung hier ist eine friedliche. Die Nutzung dieses Parks zu Freizeit und Feiern hat aus einem Ort des Grauens einen schönen Platz mit friedlicher Atmosphäre gemacht.
Die körperliche Müdigkeit ist in diesen Tagen richtig groß, auch das Herz krümmt sich noch manchmal fern der Heimat.
Wir ahnen, hier wird’s landschaftlich erst wieder spannend, wenn wir an die Grenze Nordmazedoniens kommen. Dazu müssen wir in die Berge - zumindest um etliche Höhenmeter rauf. Der Wetterbericht kündigt tägliche Gewitter an.
Während eines Pausetages in Vranje, vor der letzten Etappe in Serbien, wissen wir nicht recht wohin mit uns. Spannung liegt in der Luft.
Erneut ändert eine Begegnung so vieles. Verhelfen uns Zeit mit und Gesten von Menschen zu neuer Energie. Nicht nur das! Unsere müden Körper, unsere Räder werden mit dem Wohnmobil über die Grenze nach Skopje mitgenommen. Einfach so, weil wir gefragt haben, weils geht.
Unerwartet schnell rollen wir diesmal auf der Autobahn von einem Land ins nächste. Keine Berge hier, alles recht flott.
Danke Edda! Danke Hinnerk! Für eure Zeit, für Schokolade!
Auch bei diesem Land, dessen Straßen wir für drei Wochen unter uns gespürt haben, bedanke ich mich!
Danke Serbien! Für deine vielen Geschenke am Wegesrand. Für Burek und Melone! Für mutmachende Daumen hoch bei Bergetappen. Für rücksichtsvolle Lkw, die im Schritttempo hinter uns her tuckerten. Danke für tiefgekühltes Leitungswasser von der schwarzgekleideten Witwe! Danke für die Dusche im Wasserwerk nach einem verschwitzten Tag! Danke für die Hinweise zu Trinkbrunnen und die Akzeptanz unserer Schlafplätze. Danke einem Land, das am Weg ist sich zu erneuern und mitten drin scheinbar den Faden verliert.
Nun also Nordmazedonien - mit Start in der Hauptstadt Skopje. Statuen in Übergröße und Unmengen davon zieren das Zentrum und wollen offenbar die gesamte Menschheitsgeschichte darstellen. Aus männlicher Sicht. Mit Helden und Denkern und Jungfrauen und aufopfernden Müttern…
Wie ich lese, wurde Skopje vor etwa 10 Jahren einer Erneuerung unterzogen. Die damalige Stadtregierung befand die Investitionen in Monumentalbauten und über 100 Statuen - eine davon die Darstellung „Alexander des Großen“, die in 30m Höhe den Stadtplatz ziert - als zukunftsweisend. Die Mehrheit der Bevölkerung hätte sich Anderes gewünscht und Griechenland fühlte sich ob der Platzierung des genannten Helden auf den Schlips getreten.
Wie auch immer, als Touristin kann ich dem ungewohnten Stadtbild etwas abgewinnen und mag den Kontrast zum alten Bazar.
Die täglichen Gewitter lassen uns hier einige Tage vertrödeln. Auch schön, machen wir ja sonst um Städte einen weiten Bogen.
Hier hätten wir was verpasst!
Eine Wanderung in den Bergen des Matka Canyon renkt die Reisefreude endgültig wieder ein. Wir schnuppern Bergluft, tauchen in die unglaubliche Schönheit der Natur ein, genießen die Ruhe und die Luft und das viele Grün der Bäume und des Wassers.
Als wir nach Tagen aufbrechen sind wir voller Energie. Ausgeruht, satt und sauber, die Räder gewartet, das Gewand frisch gewaschen. Das bergige Umland, durch das wir uns am ersten Tag der Weiterfahrt schlängeln, ist eine Wohltat für Auge und Gemüt. Die Etappen zum nächsten Ziel, dem Ohridsee, sind wohl überlegt.
Rechts und links begleiten uns Berge - teils üppig bewaldet, teils karg und wenig bebüscht. Wir dürfen schließlich die Bundesstraße verlassen und auf kleinen Straßen durch den Tag radeln. In Richtung Mavrovo See. NordMazedonien begrüßt uns hier am Land mit offenen, herzlichen Menschen, die gern ein Plauscherl tun und auch mal eine Einladung zum Kaffee aussprechen:))
Um zum See und dem dazugehörigen Nationalpark zu kommen, müssen wir erstmal auf 1400hm rauf. Der erste Pass erwartet uns.
Langsam schlängeln wir uns hinauf. Der Autoverkehr ist rege, eine zweispurige Schnellstraße bietet jedoch genug Platz um in unserem Tempo hochzustrampeln (6km/h)
An der 1000 hm Kehre dann ein kleines Café. Igor der Wirt stellt sich als begeisterter Yogi heraus. Wir hören zu und sind einmal mehr angetan von den Überraschungen am Wegesrand. Mittags erreichen wir den Mavrovo Nationalpark mit seinem See. Ein offizieller Lagerplatz lässt uns den Radeltag hier beenden. Wir schauen das Wolkenspiel und horchen dem Donnergrollen - kommt das Wetter oder zieht es vorbei? Wir sind in diesem Moment sehr glücklich an so schönen und unterschiedlichen Plätzen verweilen zu dürfen.
Am nächsten Tag erwartet uns eine unglaubliche Abfahrt. Durch eine schmale Schlucht entlang des Flusses Radika sausen wir 30 km bergab. Die Berge ragen hoch über uns. Immer wieder sind kleine Dörfer weit oben zu sehen - wenig Häuser und mitten drin die zwei Turmspitzen einer Moschee. Welch ungewohnter und wunderbarer Anblick. Bis kurz vor Struga und somit unserem Etappenziel dem Ohridsee, staunen und erfreuen wir uns an dieser wahrlich schönen Natur.
Das Herz tanzt und lacht - das Reiseglück und der Freiheitstaumel umschmeicheln uns wieder.