Veröffentlicht: 07.07.2018
Namaste Indien - und vielen Dank für den herzlichen Empfang. Wer hätte gedacht, dass es so schnell geht und ich nach nur zweieinhalb Monaten in Deutschland schon wieder hier lande? Ein kleiner Teil in mir wusste es sicher schon, als ich im März aus den Sundarbans weg gefahren bin. Aber diesem Teil dann genug Raum zu geben und letzten Endes die Entscheidung zu überlassen, war gar nicht so leicht. Trotz vieler Zeichen, die mir nach der Ankunft in Deutschland immer wieder vor die Füße gefallen sind, waren die Zweifel riesig und je mehr Zeit verging, desto größer schienen sie zu werden.
Irgendwann stolperte ich über die Frage "Was würdest du tun, wenn du keine Ängste hättest?" Und darüber musste ich nicht lange nach denken. Also hab ich bei meiner neuen Arbeitsstelle wieder gekündigt, einen Flug gebucht, meine Sachen in Kartons bei meinen Eltern untergestellt und dort noch ein paar schöne Sommertage verbracht, bevor ich am 12.Juni ins Flugzeug gestiegen und nach Neu-Delhi geflogen bin. Von dort aus ging es direkt weiter nach Dehradun, der Hauptstadt des Staates Uttarakhand. Ich hatte vorher mit einem Projekt Kontakt aufgenommen, welches in den Ausläufern des Himalaya Freiwillige aus aller Welt einlädt, um an Schulen in kleinen Dörfern beim Englischunterricht zu unterstützen. Mit Naveen, dem Projektkoordinator, hatte ich ausgemacht, dass ich eine Nacht in Dehradun bleibe und am nächsten Tag mit dem Bus nach Barkot komme, wo er mich dann abholen wollte. Die Fahrt nach Barkot war schon ein kleines Abenteuer. Erstmal war am Morgen Taxistreik - das scheint es in Indien häufiger zu geben. Dann fand sich zum Glück jemand, der sich bereiterklärte, mich von meiner Unterkunft zum Busbahnhof zu bringen. Der Typ ist gefahren wie ein Henker und das sogar für indische Verhältnisse. Dann wurde er von der Polizei angehalten, weil er am Steuer telefoniert hat. Der Polizei war es ziemlich egal, dass ich hinten im Taxi saß und Sorge hatte, meinen Bus zu verpassen. Und so saß ich etwa eine Stunde allein in dem Taxi und habe mich in Geduld geübt während der Fahrer 100m entfernt mit der Polizei diskutiert hat. Irgendwann kam ich aber doch am Busbahnhof an, wo sich rausstellte, dass dort kein Bus nach Barkot fährt. Ich könnte jetzt schreiben, wie nervig das alles war, dass ich etwas aufgeschmissen war, weil meine indische SIM Karte nicht mehr funktionierte, keiner am Ticketschalter Englisch sprach und ich keinen Plan hatte, wie ich nach Barkot kommen sollte. Ich könnte auch schreiben, dass mir dort am Busbahnhof zwar jemand geholfen hat, mir sein Handy geliehen hat, um Naveen anzurufen und ich es so geschafft habe, zur richtigen Bushaltestelle zu gelangen, dass dort aber der Ärger erst richtig los ging, weil sich ungefähr 500 Leute um die Ticketschalter drängelten und ich für den letzten Bus nach Barkot kein Ticket mehr bekommen habe. Aber es gibt keinen Grund, es aus einer so negativen Perspektive zu erzählen. Ich war mir sicher, dass ich irgendwie in Barkot ankommen würde. Und so war es auch. Mit mir standen drei Jugendliche in der Schlange. Wir waren schon ganz vorne, als die Ticketschalter plötzlich geschlossen wurden - Lunch Break - natürlich. Die Drei und ich stellten fest, dass wir das gleiche Ziel hatten. Sie erklärten mir in einer Mischung aus Hindi, Englisch und Körpersprache, dass zwar kein Bus mehr nach Barkot fahren wird aber in den Ort Naugaon, der von dort nur 10km entfernt ist und dass man den Rest der Strecke mit einem Taxi fahren kann. Sie ließen mich auch mit ihrem Handy telefonieren und so konnte ich Naveen auf den aktuellen Stand bringen. Nach ungefähr zweieinhalb gemeinsamen Stunden am Ticketschalter, einer langen Busfahrt (wir mussten oft halten, damit ein paar Männer aussteigen und große Felsbrocken aus dem Weg räumen konnten, die auf die Straße gerollt waren) und einer Fahrt mit acht Leuten in einem kleinen Taxi nach Barkot, haben die Drei mich dann in ein Hotel gebracht und sind erst gegangen, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass mein Zimmer in Ordnung ist, ich etwas zu essen bekomme und Naveen ihnen am Telefon versicherte, dass er mich am nächsten Morgen abholen würde. Mit einem Lächeln im Gesicht und dankbar für diese Erlebnisse gleich zu Beginn meiner Reise bin ich an diesem Abend eingeschlafen.
Am nächsten Morgen hat mich Naveen auf die Minute pünktlich im Hotel abgeholt und hatte gleich eine Überraschung für mich: er möchte im Rahmen seiner Arbeit, ein paar Männer dazu ermutigen, selbstständig Trekkingtouren anzubieten und es gäbe quasi in den nächsten vier Tagen einen Testlauf und ich hätte das große Glück, dabei zu sein. Noch etwas verschlafen sagte ich nur "ok, nice" und dachte "aber ich bin überhaupt nicht auf wandern vorbereitet". Eine andere Option gab es aber sowieso nicht und dass mir wandern in den Bergen Spaß macht wusste ich ja noch von der letzten Tour bei Darjeeling. Also ging es mit Sack und Pack aufs Motorrad und ab nach Hanuman Chatti. Dort wartete die nächste Überraschung.
Die nächsten Nächte würden wir in Zelten verbringen. Außer mir waren noch Vincent aus der Schweiz und Deepteh aus Hyderbad mit dabei, die vorher zwei Wochen am Volunteering Programm teilgenommen hatten
Am nächsten Morgen ging dann die Tour los - es waren 10km geplant und ich dachte "das ist ja nichts". Aber ich hatte nicht mit einem so steilen Anstieg gerechnet. Anstrengend war es aber auch wunderschön. Der Weg führte uns vorbei ein kleinen Dörfern, pilgernden Sadhus und blühenden Wiesen...
Cannabis ist hier fast ein Grundnahrungsmittel
Ich war froh, dass die Mulis Zelte und Verpflegung für uns getragen haben
Herr oder Frau Fuchs beobachtet neugierig unsere Wandertruppe
Anstrengend!!!
Aber der Aufstieg lohnt sich
Für den zweiten Tag war eigentlich eine weitere kurze, aber steile Etappe geplant. Allerdings hatte es schon in der Nacht angefangen, heftig zu regnen und zu gewittern und es wurde auch im Laufe des Vormittags nicht besser. Also sind wir an unserem Lagerplatz geblieben und haben die Zeit in den Zelten und unserer kleinen "Küche" verbracht.
Ein kleiner Teil von allem was gekocht wird (ein Stück Gemüse oder ein Schluck Chai) wird immer als Gabe für die Götter ins Feuer geworfen. Das werde ich hier in Uttarakhand noch häufiger beobachten.
nach Regen kommt Sonnenschein
Ich weiß nicht ob es der Rauch des Feuers war, den wir stundenlang inhaliert haben, der gekochte Farn, den es am Vortag zu essen gab, die Cannabis Pakoras oder die selbst gesammelten Pilze, die wirklich sehr gut geschmeckt haben. Vielleicht war es auch das Himalaya Quellwasser oder eine Mischung aus allem. Auf jeden Fall waren Deepteh, Vincent und ich am Abend des zweiten Tages alle krank. Am nächsten Morgen war es nicht besser - eher im Gegenteil. Also beschlossen wir, die Tour einen Tag eher zu beenden und zurück nach Hanuman Chatti zu gehen. Den ganzen Weg also wieder zurück, diesmal steil bergab. Da es keine Straßen gibt, war Laufen alternativlos.
Mit vielen Pausen haben wir uns zurück gequält und waren froh, an diesem Abend nicht mehr im Zelt schlafen zu müssen. Es war nämlich ziemlich kalt in den Bergen. Trotz allem war es eine tolle Wandertour und ein schöner Einstieg für mein Zeit in Uttarakhand - dem Land der Götter. Die Menschen, die hier leben nennen es auch "Dev bhoomi", der Wohnort des Gottes Shiva. Es gibt hier sehr viele Pilgerorte und kaum westlichen Touristen. Nach einer Nacht in einem richtigen Zimmer mit Bett ging es uns allen besser. Ich verabschiedete mich von Deepteh und Vincent und dann ging es, wieder mit vollem Gepäck, auf Naveens Motorrad und weiter nach Karadhi, meinem eigentlichen Ziel und Aufenthaltsort für die nächsten drei Wochen.
Karadhi ist ein ein kleiner Ort in der Nähe der Stadt Barkot. Er liegt umgeben von grünen Bergen am Fluss Yamuna, der im Himalaya entspringt und unter anderem durch Delhi und Agra fließt. Ich habe also vom Taj Mahal aus schon auf diesen Fluss geschaut, auch wenn ich seinen Namen damals noch nicht kannte. In Karadhi war er schon allein deswegen ständig in meinem Bewusstsein, da das laute Rauschen manchmal das einzige Geräusch weit und breit war.
Außerdem blickte ich vom Balkon vor meinem Zimmer direkt auf den Fluss...
...und freute mich, endlich wieder Kingfisher zu sehen
...den kannte ich noch gar nicht
Anfangs konnte man den Fluss locker zu Fuß überqueren, da er nicht viel Wasser führte. Manchmal habe ich auch auf einem der Steine gesessen und die Beine ist kalte und klare Wasser gehalten. Die Frau, die mit ihrer Tochter den Fluss überquert, kommt aus einem höher gelegenen Teil der Berge. Das erkennt man daran, dass der Hund ein breites Halsband mit langen Metallspitzen trägt. Das soll ihn vor Tigerangriffen schützen - denn Tiger beißen gezielt direkt in den Hals ihrer Beute.
Wenn man nicht zu Fuß gehen will oder viel zu transportieren hat, kann man den Fluss auch im sogenannten "Trolley" überqueren. Man braucht nur genug Kraft in den Armen und sollte möglichst keine Höhenangst haben.
Einmal sind Naveen und ich auch auf diese Art auf die andere Seite gekommen. Allerdings sind wir nach einem dreiviertel Teil der Strecke stecken geblieben und bekamen zum Glück Hilfe von dem gut gelaunten Jungen auf der anderen Seite. Der hat sich kaputt gelacht und uns die restlichen Meter gezogen. Er kommt aus Nepal und lebt seit einem Jahr auf dieser Seite des Flusses zusammen mit anderen nepalesischen Arbeitern, die hier eine Brüke bauen. Noch für ungefähr zwei weitere Jahre werden sie hier sein. Sie leben unter sehr einfachen Verhälnissen in kleinen Wellblechverschlägen, ganze Familien mit kleinen Kindern, die zum Teil hier geboren wurden. Als wir aus dem Trolley stiegen führte uns unser Retter durch die kleine Siedlung und wir wurden zu selbst gebrautem Reiswein eingeladen, der geschmacklich eher einem Bier ähnelt, und durften in einem der kleinen "Häuschen" sitzen, die sich oft vier bis fünf Menschen teilen.
Der Fluss ist für diese Menschen lebensnotwenidig und ich konnte stundenlang damit verbringen, das Leben dort vom anderen Ufer aus zu beobachten.
Kinder waschen die Innereien eines frisch geschlachteten Tieres...
Frauen schleppen schwere Felsbrocken...
... oder Wasser
Es gab Momente, in denen ich mich ziemlich einsam fühlte und mir eine Aufgabe wünschte, um meine Zeit hier irgendwie sinnvoll zu füllen. Aber dann gab es meist irgendeine kleine Begegnung, die mich meinen Ärger schnell vergessen ließ. Zu diesen kleinen Highlights gehörte auf jeden Fall mein täglicher Besuch beim Obst- und Gemüsehändler. Ich weiß nicht ob er mir ansah, wenn ich einen schlechten Moment hatte aber oft lud er mich genau an diesen Tagen ein, mich zu ihm in seinen kleinen Laden zu setzen und er bestellte uns beiden einen Chai von nebenan. Jeden Tag lernte ich von ihm ein paar neue Wörter in Hindi. Am meisten Spaß machte es ihm, mir den Preis für meine Einkäufe in Hindi zu sagen und mir somit Zahlen beizubringen. Wir beide schimpften immer, wenn zufällig jemand daneben stand, der mir den Preis in Englisch verriet, bevor ich es selber herausgefunden hatte. Nach kurzer Zeit konnte ich jedenfalls meine Mangos - aam und Bananen - kela kaufen ohne dabei ein englisches Wort zu verwenden. Ich konnte auch sagen wo ich herkomme und mich einen Tag vor meiner Abreise verabschieden.
Und dann war da noch Familie Dimri, von der das Hotel betrieben wurde, in dem ich mir mein Zimmer mit zwei ziemlich großen Spinnen teilte. Der Chef ist der Großvater, Gobindram Dimri. Nach zwei Tagen, an denen ich mich schon manchmal gefragt hatte, warum er mich manchmal so seltsam ansieht, sagte er (Naveen hat für mich übersetzt), dass ich eine besondere Ausstrahlung hätte und er fühlt, dass er mir ein Mantra geben sollte, mit dem ich meditieren kann. Wenn ich das denn wollte. Ich war natürlich neugierig und sagte ja. Er lud mich außerdem ein, mit ihm uns seiner Familie zu einem Festival in einen der Pilgerorte in den Bergen zu fahren. Dies wurde leider abgesagt, nachdem in dem Ort kurz nacheinander zwei Menschen verstorben sind. Mein Mantra bekam ich aber trotzdem. Und auch das nötige Zubehör, dass mir Uncle ji, wir er von allen genannt wird, im Rahmen einer "Puja" (Gebetszeremonie) überreichte.
Eine Mala und ein punch patra mit aachmani
Das Mantra ist für die Hindu Göttin Ma Durgha bestimmt, die auch als die schwer zugängliche oder die schwer zu begreifende gilt und für Frauenpower steht.
Zur Familie Dimri in Karadhi gehören noch Großmutter Sarda, Sohn Parbhkar, seine Frau Vijay Laxsmi und die Kinder Om, Priya und Diya. Sie wohnen alle in kleinen, einfachen, aus Brettern gebauten Räumen unterhalb des Hotels und luden mich oft auf einen Chai oder auch etwas zu essen zu sich nach Hause ein. Manchmal spielte ich mit den Kindern am Fluss, half ihnen bei Mathe- oder Englischaufgaben, die sie in den Ferien freiwillig machten wollten oder wir machten einfach nur Quatsch.
ein paar Matheaufgaben lösen während Oma kocht
Mit Vijay, die nur zwei oder drei Jahre älter ist als ich und ihre Kinder immer liebevoll kopfschüttelnd als "little monkeys" bezeichnet, habe ich mich auch ohne Worte verstanden.
Diya zusammen mit ihrer Großmutter