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Going to San Francisco

Veröffentlicht: 03.11.2024

Wir trugen keine Blumen im Haar, aber Frau Waas trug zumindest Kirschohrringe, als wir nach „San Fran“ kamen. (Reisewiki warnt, niemals „Frisco“ zu sagen.)

Die Zeit der Blumenkinder ist leider definitiv vorbei – auch in San Francisco. Aber die Stadt hat sich ihre weltoffenen, liberalen und sehr entspannten Vibes bewahrt. Wer bei „entspannt“ jetzt an Marihuana denkt, hat nur teilweise Recht. Gras riecht man eher in den wohlhabenderen Stadtteilen, die Droge in San Francisco ist Fentanyl, das Herr Ärmel sonst älteren Damen und Herren auf den Rücken klebt. Nach der Legalisierung des Marihuanas suchten die Drogenkartelle neue Märkte und wurden im schnell abhängig machenden Fentanyl fündig, dass seine User*innen – man muss es leider so sagen – schnell in an Zombies erinnernde gebückte und gekauerte dahin vegetierende elende Menschen verwandelt, die mehr noch als in anderen Städten Nordamerikas, die wir gesehen haben, in San Francisco teils ganze Viertel bevölkern, wo sie (zum Glück) keine restriktive Politik vertreibt. Diese bitteren Folgen von Kapitalismus und dummer Drogenpolitik (nicht die Marihuana-Legalisierung ist hier das Problem) kann man aber schnell (zumindest räumlich) hinter sich lassen, wenn man sich zweimal nach links und einmal nach rechts dreht und dann wieder in einem ganz anderen San Francisco landet...

San Francisco bietet hier dann wunderschöne Häuserkulissen, die nicht zu hundert Prozent spanisch/mexikanisch und nicht zu hundert Prozent US-amerikanisch anmuten – die oft mit Holzfassaden, Frontporches, Säulen und Verzierungen daherkommen. Mit einer Millionen Dollar ist man schnell Eigenheimbesitzer*in und kann diese wunderschöne Stadt dauerhaft erkunden, in der man manchmal das Gefühl hat, noch seine Sonnenbrille zu tragen, da an vielen Ecken Sandfarben, Terracotta, Altrosa, Bronze und Beige (das seinerseits wieder gefährlich nahe an sandfarben ist) überwiegen. Oft finden sich auch weißgetünchte spanisch/mexikanische Fassaden, die uns aber noch wesentlich mehr in Santa Barbara begegnen sollten. Insgesamt hat die Stadt quasi einen sonnengebräunten Farbfilter.

Während man so durch die Straßen von San Francisco wandert, bekommt man zwangsläufig Hunger: Die vielen Gefälle und Steigungen, die einem hinter jedem Berggrat den Ozean vermuten lassen (wobei man mit dieser Vermutung oft nicht enttäuscht wird), sorgen für einen ordentlichen Kalorienumsatz. Bei den Wanderungen durch San Francisco begegnen einem dann wiederum nicht nur schöne Parks und (in dieser Jahreszeit) kunstvolle Halloween-Dekorationen sondern auch etliche Restaurants und Diner, die dazu einladen, das Kaloriendefizit gleich wieder vergessen zu machen. Die Restaurants und Diner bieten dabei nicht nur amerikanischen Einheitsbrei sondern ein weites Angebot von veganen Burgern über indisch/nepalesisch hin zu Falafel und Dönern. Man kann auch den Fehler machen, und in einer Weinbar reichlich kalifornische Weine verkosten. Vor allen Dingen gibt es jedoch eine kleine aber feine Japan-Town, die uns beide positiv überraschte, die schönste China Town, die uns auf unseren Reisen begegnete und ein Little Italy, das die New Yorker Variante alt aussehen lässt. Ramen, Tofu und Pizza standen also auf unserer Speisekarte, und der Trip durch San Francisco hatte so insgesamt etwas von einer kleinen Weltreise, in der wir eingedampfte Versionen von Italien, China und Japan besuchen konnten, wobei Frau Waas ihrer Matcha-Leidenschaft mit Matchakuchen, großartigem Matcha-Eis und Matcha-Bier (sic!) frönen konnte.

Wenn man dann noch in Lori’s Diner geht, dann wird aus der Weltreise noch gleich eine Zeitreise zurück in die späten 50er, wo einen zwischen roten Polstermöbeln im klassischen Diner-Stil mit Musikbox, 50er-Musik und sogar einem Ford Edsel mitten im Raum Bedienungen mit klassischen Papierhütchen auf dem Kopf erwarten, um einen traditionelle amerikanische Köstlichkeiten (nur zum Teil köstlich) zu servieren. Die ältere verwirrte Dame, die mit nur einer Socke während unseres Besuchs dort hereinkam, um nur eben schnell die Toiletten zu benutzen, hatte einen entrückten Blick im Gesicht, als wäre sie per Zeitreise in ihrer Kindheit gelandet.

Frau Waas machte indes eine Erfahrung ganz anderer Art: Ihr wurden bei Pommes und Bier die Football-Regeln erklärt, als wir ein Spiel der 49ers in einer Sports Bar sahen.

Klassische Touri-Attraktionen sind unter anderem der Pier 39 (viel unnötiger Rummel, aber tatsächlich ein paar tiefenentspannte Seelöwen an den Piers), Alcatraz (tatsächlich seinerzeit ein progressives Gefängnis), die Golden Gate Bridge (wirklich farblich beeindruckend gegen den blauen Himmel) und die Lombard-Street mit ihren engen Serpentinen zwischen Blumenbeeten. Für uns war es ein Insider-Vergnügen, Drehorte eines unserer gemeinsamen Lieblingsfilme (“What’s Up, Doc?“) abzuwandern.

Ein besonderes Highlight waren auch noch einmal die altmodischen Cable Cars, die in Deutschland sicherheitstechnisch von keinem TÜV in der ganzen Republik abgenommen würden. (Und vom Lummerländer TüV sowieso nicht - Jim Knopf ist da streng...) Daneben verblassten fast die stylishen Straßenbahnen aus den 1940ern. Im Gegensatz zu diesen Oldtimern standen die neumodischen unbemannten Taxi, die in San Francisco ihren ersten Probebetrieb erleben und in denen man immer wieder Fährgäst*innen aber kein*e Fahrer*in sieht.

 Außerdem statteten wir dem Yoda-Brunnen einen Besuch ab, während die Sternenflottenakademie in dem Park in dem wir waren, erst noch gebaut werden muss. Und wir waren an einem schönen Strand, an dem die Leute mal mehr, mal sehr viel weniger anhatten, und von dem aus man auch noch einmal einen schönen Blick auf die Golden Gate Bridge hatte, wenn man nicht gerade mit geschlossenen Augen dalag, die sonne auf dem Gesicht spürte und den Wind in den Ohren hatte.

Und so waren unsere Herzen schwer, als wir diese wundervolle Stadt verließen ohne sie leergegessen zu haben, ohne alle Ecken gesehen zu haben und in dem Wissen, dass die Menschen in dieser Stadt bald einen faschistischen Präsidenten haben könnten. Wenn dem so kommen sollte, dann sollte sich Kalifornien wirklich von der Union lossagen und selbständig werden, denn San Francisco ist zu gut für Trump und muss nicht mehr great werden – das ist es schon.

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