fernvonlummerland
fernvonlummerland
vakantio.de/fernvonlummerland

Die Natur übertreibt...

Veröffentlicht: 27.10.2024

Bereits auf unserem Weg zu Lennie – dem freundlichen Messie – machten wir unsere ersten Tierbeobachtungen (Rehe, unbekannte Hornträger). Was aber weit beeindruckender als die Tierwelt war, waren die Wälder Washingtons. (Der Bundesstaat links oben auf der Karte, nicht die Hauptstadt am Atlantik.) Dachten wir schon auf Vancouver Island alles gesehen zu haben in Richtung von Moosen und Flechten, erwarteten uns hier neue Superlative an völlig grün bepelzten Bäumen mit zig Zentimeter lang herunterhängenden Flechten sowie manchmal mannshohen (meist aber eher frau- oder noch eher kindshohen) Farnen. Und auch was Baumriesen anging, wähnten wir uns vorm Redwood Forest frei von neuen Rekorden. Doch wir irrten uns. Aufgrund von Empfehlungen von Begegnungen auf unserer Reise begaben wir uns zum Lake Quinault, direkt neben einem First Nations Reservat, das wir später noch kurz kreuzen sollten. Hier wurde die größte Sitka-Fichte der Welt beworben (siehe Foto.) Aber auch ansonsten gab es reichlich Baumriesen, so dass die dicht bewaldeten Berge ein üppigeres satteres Grün hatten, als es uns in Kanada je irgendwo begegnet war. Diese Landschaft mutete manchmal wie ein verwunschener Wald an, in dem man entweder Rotkäppchen und den Wolf oder Shrek oder einen Ent oder einen Dinosaurier hinter der nächsten Biegung erwartete – je nach kulturellem Hintergrund. Aus einem der mächtigen Baumriesen, die in Europa ihres Gleichen suchen, drangen gar gluckernde Geräusche aus einer großen Baumhöhle – ein Baum mit eingebautem Wasserfall! Die Natur übertreibt einfach im Westen der USA...

Als wir schließlich das Meer erreichten, präsentierte sich prächtiger Sandstrand mit großen mehrere Meter hohen wogenden Wellen. Dazu passend gab es wie in Kanada bereits überall Tsnunami-Warnungen. Die Natur übertreibt...

In Oregon wechselte die Landschaft sich leicht. Auch hier gab es Wälder über Wälder und die schönen Strände Washingtons setzten sich fort, doch wurde es wärmer, und die Wälder wurden etwas trockener und normalwüchsiger, dafür aber wurden die Strände gefühlt noch breiter. Einen Kilometer durch Dünen und Wälder zum Strand zu wandern und dort auf Meilen hin weder links noch rechts jemanden zu sehen war schon sehr beeindruckend ebenso wie die immer wieder kommenden Steilküsten und Felsenformationen, an denen sich mal Seelöwen, mal Pelikane und Kormorane fanden. Die richtige Saison für die Alke haben wir indes leider verpasst.

Eines Abends auf dem Weg vom Strand begleitete uns als verschommener Schemen in 50 Metern Entfernung von uns mit großer Sicherheit auch ein Schwarzbär.

In Kalifornien schließlich erwartete uns der Redwood Forest. Zurecht berühmt beeindrucken hier die Baumriesen wie mächtige Säulen, die gen Himmel ragen. Die Pracht der Baumriesen kommt leider auf den Fotos nicht voll zur Geltung, da sie sich im Foto einfach nicht erwischen lassen, da man die Bäume vor lauter Wald nicht sieht und man sie aus der Nähe quasi als BRAVO-Starschnitt in mehreren Teilen fotografieren müsste. Die Natur übertreibt eben einfach an der Westküste und sprengt jedes Fotoformat...

Die mit dem Auto zu durchfahrenden Bäume, die von Menschenhand ausgehöhlt wurden, die man hier findet, wären sicher ebenfalls beeindruckend anzusehen gewesen. Da es aber gleichzeitig infantiler obszöner Frevel an der Natur ist, hundert Meter hohe über tausend Jahre alte Bäume auszuhöhlen, nur um mit dem Auto durchzufahren bzw. um damit Geld zu verdienen, wenn andere es tun, haben wir auf das Finanzieren eines solchen Geschäftsmodels verzichtet. Wer’s sehen will, muss die Suchmaschine ihrer* Wahl bemühen. An den ausgehöhlten Bäumen ist ein bisschen zu sehen, was an Amerika unseres Erachtens nicht stimmt. Die US-Amerikaner*innen, die uns begegneten waren eigentlich alle freundlich und hilfsbereit und zugewandt. Der nette Motorradfahrer, der uns an der Tankstelle sein Reifendruckmessgerät lieh und den Tipp zur besten Reifenreparatur gab und uns riet das Kleingedruckte unserer Leihwagenpolice zu studieren, versorgte uns genau so mit Tipps für unsere weitere Reise wie der Tankwart in Oregon. (In Oregon Vorschrift, um Arbeitslosigkeit zu verhindern.) Genauso hilfsbereit und auskunftsfreudig war der Lehrer aus Oregon, dem wir bereits im Kanada im Zug begegnet waren oder natürlich Lennie als durchgehend hilfsbereiter und zugewandter Gastgeber. Die US-Amerikaner*innen erschienen uns – wie eigentlich auch erwartet – als freundlicher und hilfsbereiter Menschenschlag. Und doch fanden sich auch im liberalen Westen überall Trump/Vance-Schilder am Straßenrand, gab es „Fuck Democrats“-Chilisauce in den Läden und Autoaufkleber, die das Recht auf Schusswaffen propagierten. Weite Teile der Kultur mit infantilem Humor wirkten auf uns wieder einmal wie von zwölfjährigen Jungs erdacht – wie z.B. die Wagenrad großen Pizzen oder die Cola-Refills im Restaurant und das fettige gemüsebefreite Essen. Ein Baum, durch den man mit dem Auto fahren kann, ist eben ein kindlicher Gedanke – wie auch die ausufernden Halloweendekorationen. Und doch sind diese toll und unterhaltsam, ist diese Ungebremstheit teil des Faszinosums USA. Und die kleinkarierte geisteskranke Hasswelt des Donald Trump relativiert sich wieder an den Menschen, die ihn oft wählen, und die trotzdem nett und hilfsbereit sind. Wie uns schon der Weinexperte auf „unserem“ Weingut sagte: Wenn er wieder mal an der Menschheit verzweifele mit ihren Waffennärr*innen und Klimawandelleugner*innen, sei es hilfreich für ihn, selbst in Bundesstaaten wie Alabama mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und festzustellen, dass es nette Menschen sind, die sich im Alltag freundlich, hilfsbereit und hochanständig zeigen und eigentlich die Guten sein wollen.

Es ist nicht leicht, diese Bilder über einander zu legen und zu verstehen, wie z.B. unsere hippieeske Gastgeberin im Redwood Forest Trump-Wählerin sein kann, die sich so liebevoll um ihre Gäste bemüht und die mit ihrer alten Schäferhündin ihr Abendessen teilt und riesige Gebetsversammlungen in Washington gegen Hexerei auf YouTube verfolgt und nur das Gute in den Menschen sehen will. Vielleicht ist es der Grad an Unerwachsenheit, der die Menschen sich einen allmächtigen Freund wünschen lässt, wie ihn kleine Kinder sich herbeiwünschen und dabei übersehen, dass es ein geistesgestörter Faschist ist. Dann ist dies ein selbstgemachtes Problem der „Demokratie“ der Lobbyisten, in der das Volk von Bildung, Entscheidungen und somit letztlich Verantwortung fürs eigene Handeln ferngehalten wird.

Doch wir versuchten uns auf unserer Reise nicht davon herunterziehen zu lassen. Wir erfreuten uns an Muscheln, „Sanddollars“ (Überbleibsel von Seesternen), Vulkanglas und Jade am Strand. Wir erfreuten uns an den absurd großen Bäumen, langen Stränden, wuchernden Moosen, Flechten, Pilzen, den riesigen Weiten, den Wapitis, Pelikanen, Seelöwen und an den vielen netten Begegnungen auf unserem Weg mit echten Menschen, die im Grunde einfach nur anständig und gut sein wollen. Und an dem Glück, das wir haben, dies alles frei und mit genügend Reisekasse erleben zu dürfen.

Antworten

USA
Reiseberichte USA