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Harte Arbeit - süßer Wein

Veröffentlicht: 09.10.2024

Nachdem wir uns von unseren Freundinnen verabschieden mussten, steuerten wir unsere Wwoofingstelle in Cobble Hill an. (Wwoof: worldwide opportunities on organic farms. Hier kann man gegen Kost und Logis auf einem Bio-Hof mitarbeiten). Hier betreiben Maggy und Chase (Namen wurden geändert) ein Bio-Weingut. Da dieses außerhalb liegt, holte uns die Winzerin mit dem Auto ab, nachdem sie uns dringend davon abgeraten hatte, in einen anderen Bus umzusteigen, was für das letzte Stück erforderlich gewesen wäre. Wie weise dieser Ratschlag war, sollten wir erst eine Woche später erfahren. Aber dazu wird weiter unten berichtet. Maggy, eine überaus sympathische, aber auch geschäftstüchtige Businessfrau sammelte uns ein und zeigte uns zusammen mit ihrem Mann, Chase, unsere Unterkunft und den Hof. Wir waren im Gästehaus untergebracht, einem neuen modernen, helle Holzhaus, das großzügig angelegt und super gut ausgestattet war. Absolut kein Vergleich zu unserer Unterkunft in Vancouver - Surrey (siehe Blog-Artikel "Manchmal ist billig einfach nur billig"). Das Weingut an sich ist sehr idyllisch gelegen neben einem See, an dem sich Kanada-Gänse und Frösche aufhalten und schräg gegenüber von einem Golfplatz. Im Hintergrund lassen sich die Berge bestaunen. Aber auch der Hof selber ist sehr schön angelegt. Es befinden sich mehrere Wein- und Lavendelfelder auf dem Grundstück, sowie ein Pavillon, ein Testing-House, ein Labyrinth, eine Scheune sowie das Wohn- und das Gästehaus. Zudem leben dort zwei weiße Ziegen und eine von ihnen ist sogar ein Einhorn! Anfangs überlegten wir, dass die Menge an anfallender Arbeit bei so kleinen zu bewirtschaftenden Feldern überschaubar sein müsse, aber das sollte sich als Irrtum herausstellen. Wir stellten bald fest, dass die Arbeit gar nicht zu schaffen war und das, obwohl alle mit anfassten: Frank, ein Weinexperte aus Kalifornien, Chase, Markus, ein Dauerwwoofer aus Deutschland, Agnieczka, eine gebürtige Polin, die zusammen mit ihrem französischen Freund Thierry im Elsass lebt und ebenfalls im Guesthouse untergebracht waren und natürlich Frau Waas und Herr Ärmel. (Alle Namen wurden abgeändert). Die letzten vier Personen sind körperliche Arbeit nicht gewohnt, was sich bald in Form von Muskelkater, Blasen an den Händen, Knie- und Rückenschmerzen äußern sollte. Die Aufgaben, die uns erwarteten, waren vielfältig: Lavendel schneiden, Wein ernten, Unkraut jäten, Schutzgitter um die Weinreben aufbauen, Schutzgitter zurecht schneiden und zusammenbauen... Jede Pflanze wird dabei in Handarbeit und ohne Einsatz von Chemie bearbeitet. Zudem ist man bei jedem Wetter draußen. Mal war es zu heiß, mal zu kalt und mal waren wir vom Regen ganz durchweicht. Ohnehin diktieren einem hier das Wetter und die Natur sehr genau, was man zu tun hat. So mussten wir einmal relativ spontan alle zu den Rebstöcken gehen und die Früchte innerhalb kürzester Zeit abernten, damit die Ernte aufgrund des Wetterumschwungs nicht verloren ginge. Und da es sich um Bio-Trauben handelt, schwirrten jede Menge Wespen um die Reben herum. Dennoch haben wir diesen Arbeitsplatz zu schätzen gelernt: Tolles Panorama, Frösche und Kaninchen, die vor uns Reißaus nahmen, eine Schar Kanada-Gänse, die mehrmals täglich über unsere Köpfe hinwegflog, die beiden Ziegen, die uns - je nach Interpretation- anfeuerten, auslachten, anmeckerten oder einfach nur Aufmerksamkeit wollten, die süßen Trauben um uns herum und - last but not least - der Duft vom Lavendel. Herrlich! Zudem setzte sehr schnell, vor allen Dingen bei Agnieczka und Frau Waas eine gewisse Identifikation mit der Arbeit und der Natur ein. So wurde jede Weinpflanze, die abgestorben war, betrauert, jede Frucht, die abgeerntet werden konnte, gefeiert, jeder Regenwurm erfreut zur Kenntnis genommen, da er gut für die Erde ist und jeder Frosch, der aus Versehen beim Umgraben der Erde eingebuddelt wurde, wieder befreit. Außerdem flammte ein gewisser Ehrgeiz auf: "Wie, wir haben schon Feierabend? So ein Quatsch. Wir machen die Reihe noch zu Ende". "Wir sollen aufhören zu arbeiten, nur weil es draußen gießt? Kommt nicht in Frage. Dann schneiden wir in der Scheune die Schutzgitter aus."

An einem Freitag Abend wurden wir von Maggy und Chase zum Weintesting eingeladen. Es wurden uns 10 verschiedene Weine vorgestellt. Es waren wirklich gute und interessante Sorten dabei. Außerdem konnten wir den Wein nun ganz anders wertschätzen, da wir wussten, wie viel Arbeit darin steckt. Nur schade, dass wir unseren eigenen abgeernteten Wein nicht probieren können. Der dürfte erst nächstes Jahr genießbar sein.

Maggy und Chase haben wirklich unseren Respekt verdient. Sie sind beide eigentlich schon in Rente, wollten aber mit einem neuen Projekt nochmal durchstarten und sind von Kalifornien nach Vancouver Island gezogen, um dort ein Bio-Weingut zu bewirtschaften, was sehr viel Arbeit bedeutet. Und Chase verrichtet mit seinen 72 Jahren auch noch die körperliche Arbeit. Hut ab!

Chase ist ohnehin ein Wunderknabe. Er trägt einen Doktortitel, hat früher Eishockey, Rugby und Canadian Football gespielt, hat bereits in Großbritannien, in den USA und in Frankreich gelebt, war in Großbritannien Football-Coach, er führt nebenbei Regie beim Laientheater und außerdem singt er und gibt Konzerte. Ach ja, und während der Corona-Pandemie hat er seine Kochkünste ausgebaut und ist wohl auch auf diesem Gebiet richtig gut. Und man muss sagen, dass er total gut durchtrainiert ist. Besser als wir und das, obwohl er bereits 72 Jahre alt ist. Eigentlich finden wir so etwas nicht gut, aber Chase und Maggy sind so sympathisch, dass wir ihnen verzeihen, dass sie perfekt sind.

Da die beiden auf dem Hof sehr viel Arbeit haben und sie ja sooo nett sind, sind wir ihrer Bitte nachgekommen, um einen Tag zu verlängern, da noch eine Weinsorte abgeerntet werden musste vor dem nächsten Regen.

Cobble Hill selbst ist ein kleiner charmanter Ort, in dem sich die Einwohner*innen untereinander kennen. Es gibt dort ein nettes Café, einen Imbisswagen mit überraschend gutem Essen, einen Bio-Eis-Verkaufswagen, kleine Antikshops und diverse Stände, an denen Eier, Obst, Gemüse und selbst gemachte Marmeladen verkauft werden. Cobble Hill verfügt sogar über ein Wellness-Center und über zwei Busse. Aber mit denen ist das so eine Sache...

Es verkehren zwei verschiedene Busse hier, die in gewissen Abschnitten die gleiche Strecke und in anderen Abschnitten unterschiedliche Strecken zurücklegen. Sie fahren regelmäßig gewisse Loops, d.h., man darf sich das Streckennetz im groben wie zwei sich überlappende 8en vorstellen. Aber eben auch nur im Groben. Denn auf ihrer Achterbahn bauen sie immer wieder extra Loops ein. Diese befinden sich an unterschiedlichen Stellen und werden zu unterschiedlichen Zeiten mal befahren und mal nicht. Und da manchmal nur 3 Busse täglich fahren, sollte man zusehen, dass man den richtigen erwischt. Ganz kompliziert wird es allerdings, wenn man in einen Schnellbus umsteigen muss, der u.a. nach Victoria fährt. Hier verlieren selbst die Angestellten den Überblick über die Tarife. Aber von diesen komplizierten Bussystem nichts ahnend machten wir uns auf den Weg nach Victoria. Immerhin spuckte Google-Maps sowohl für den Hin- als auch für den Rückweg eine einfache Verbindung aus. Was sollte da schon schiefgehen? Für den Hinweg tatsächlich gar nichts. Für den Rückweg sah es ganz anders aus. Zunächst musste man beachten, dass es für den Schnellbus in Victoria gewisse Drop-Off und gewisse Pick-Up- Haltestellen gibt. Das heißt, dass man für den Rückweg nicht einfach an der gleichen Haltestelle gegenüber einsteigen darf. Aber diese Hürde meisterten wir mit Bravour. Wir stiegen in den Bus und lösten unsere Tickets nach Cobble Hill. Noch während der Fahrt machte der freundliche Busfahrer eine Durchsage, dass "the young lady", die nach Cobble Hill fahren möchte, mal eben nach vorne kommen solle. Als Frau Waas vorne ankam, erklärte ihr der Busfahrer, dass alles viel komplizierter sei, als sie denken würde. Wir wären in der 66, es wäre aber besser gewesen, wir hätten die 99 genommen. Wir müssten in die 9 umsteigen, aber das würde ewig dauern (wegen der Loops). Wenn wir also jemanden in Cobble Hill kennen würden, sollten wir uns bei der Haltestelle Mill Bay Shopping Center abholen lassen. Das sahen wir aber gar nicht ein, schließlich müssten wir ja nur 12 Minuten auf den nächsten Bus warten. Schweren Herzens verabschiedete sich der Busfahrer also von uns und wies auf ein Café hin, in dem wir uns die Zeit vertreiben könnten. Komisch, es handelte sich doch nur um 12 Minuten Wartezeit... Nun geschahen zwei Dinge gleichzeitig: 1.Der Bus fuhr ab und 2. sprang das Ergebnis, das Google Maps ausgespuckt hatte, um. Fortan handelte es sich um 1 Stunde und 30 Minuten Wartezeit. Das Café auf der anderen Seite sah alles andere als einladend aus, daher wurde nochmal recherchiert. Aha! In 20min sollte die 8 kommen, die zwar einen Loop fahren sollte, aber das störte uns nicht. Der Bus rollte pünktlich ein. Wir waren nun gewarnt, da das Bussystem ja doch komplizierter zu sein scheint als man es aus Lummerland kennt. Daher wollten wir direkt den Busfahrer fragen, ob er uns zum richtigen Ort fahren würde. Aber noch bevor wir den Mund aufmachen konnten, begrüßte uns der Busfahrer mit den Worten, dass er alles über uns wisse. Der vorherige Busfahrer habe per Funk die anderen Busse in der Nähe über unser waghalsiges Vorhaben informiert, nämlich, dass wir nach Cobble Hill wollten, offenbar keine Ahnung hätten, beratungsresistent seien und auch noch aus Lummerland kämen. Aber da es sich hier um Kanadier handelt, haben sie alles selbstverständlich viel höflicher ausgedrückt. Mit diesem Bus konnten wir aber nur eine Haltestelle fahren. Da waren Google Maps, das mehrfach das Ergebnis änderte und der Busfahrer sich einig. Verunsichert stiegen wir an der nächsten Haltestelle aus, an der in einer Stunde der nun endgültig richtige Bus kommen sollte. Diese Pause nutzten wir, um unsere Einkäufe zu erledigen. 10 min vor der regulären Abfahrtszeit trudelte ein Bus ein. 10 Minuten zu früh? Das ist ja merkwürdig. Aber das liegt bestimmt an den Loops. Dennoch waren wir gewarnt und gaben vorsichtshalber dem Busfahrer unsere Haltestelle durch, an der wir aussteigen wollten. Jawohl! Die würde er anfahren. Nach 5 min bat er uns nach vorne. Er hätte sich geirrt. Mit den ganzen Loops käme man ja völlig durcheinander und er würde unsere Haltestelle doch nicht anfahren, er käme schließlich von eben dieser. Aber wir sollten hier einfach aussteigen und dem nächsten Bus, der in die andere Richtung fährt, freundlich zuwinken – wenn er denn diese Strecke führe. So ganz sicher, war sich unser Busfahrer da auch nicht. Der Fahrer würde dann- wenn alles glatt lief - halten und könne uns erklären, welchen Loop er gerade fahren würde. "Das klappt doch nie", dachte Frau Waas sich, als sie mit Herrn Ärmel und den schweren Einkäufen auf der Landstraße stand und wollte schon wo anders hin laufen. Aber sie sollte eines Besseren belehrt werden. Nach ca 3 min kam ein Bus, wurde herangewunken, hielt an, wusste abermals über unsere Geschichte Bescheid und wollte uns zu unserem Weingut bringen. Eine Funkberühmtheit zu sein hat so seine Vorteile. Wir mussten uns nicht groß erklären, warum wir mitten auf der Landstraße einen Bus zum Stoppen gebracht haben, sondern durften einsteigen und uns setzen. An der nächsten Haltestelle stiegen Agnieczka und Thierry zu, die ebenfalls in Victoria waren und zurück zum Weingut wollten. Sie waren guter Dinge. Sie hatten den Bus 99 aus Victoria genommen und hatten hier eine Umsteigezeit von 10min. Sie fanden das Bussystem wirklich komfortabel. Außerdem hatten sie jeweils 15$ zu wenig gezahlt, weil sie falsch (aber für sie goldrichtig) beraten worden waren. Sie konnten nur nicht verstehen, wie wir schon in diesem Bus sitzen konnten. Dann mussten wir ja irgendwo eingestiegen sein, wo keine Haltestelle war, aber das konnte ja nicht sein. Wir gaben vor, die Frage nicht zu verstehen. Manche Dinge lässt man am besten unkommentiert...

Antworten (2)

Edmund
Wwoof - Worte mit einem Double-Double-U sind selten, und dann auch noch am Anfang. Hieß die Ziege mit einem Horn vielleicht Amaltheia?

Alexandra
Das wäre dann ja wahrhaftig eine göttliche Fügung 🦄

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