Veröffentlicht: 09.12.2019
Klar war natürlich, dass wir nicht alleine durch den Dschungel watscheln können. Erstens wäre das ziemlich gefährlich und zweitens würden wir bestimmt ausser Mücken kein einziges Tier entdecken und wenn, wüssten wir nicht, um was es sich handelt.
Ich wollte ursprünglich etwas möglichst einfaches, rustikales in einer möglichst kleinen Gruppe. Ich hatte von Leuten gehört, die in einem Einbaum mit Zelt und Führer einen Fluss hinunter paddeln. Sowas stellte ich mir vor! Nach ausführlicher Recherche fanden wir heraus, dass es das in der Region Manu aber nicht gibt. Der Grund ist, dass es sich um einen gut geschützten Nationalpark handelt, wo nicht jeder Touren anbieten darf und man auch nicht einfach drauf los campieren kann. Dafür ist diese Region von echtem Primärwald bedeckt und es findet sich eine der grössten Vielfalt an Lebewesen im ganzen Amazonas. Der Park ist in drei Zonen aufgeteilt: die Kulturzone, wo Ackerbau erlaubt ist (hauptsächlich weil es schon vor der Parkgründung Leute gab, die dort Ackerbau betrieben), es führt auch eine Strasse dort hin und es gibt einzelne Dörfer. Das Reservat: Hier sind Touren mit ausgewiesenen Öko-Tourismus-Anbietern, und Besuche für Studienzwecke erlaubt. Fischen, Jagen und Ackerbau sind nicht erlaubt. Für die Stämme, die schon seit jeher in dieser Region leben (s.u.), gelten spezielle Regeln. In der dritten und grössten Zone ist das Betreten strengstens verboten. In dieser Zone leben sogar noch Stämme, die der traditionellen, nomadisierenden Lebensweise nachgehen. Die Kontaktaufnahme ist zu ihrem Schutz verboten.
Wir meldeten uns also bei Amazon Wildlife Peru für eine sechstägige Tour an. William, der Tourkoordinator sowie der zweite Guide Jordi sind selbst in Bonanza, auf einer «Farm» im Urwald aufgewachsen und kennen ihn wie ihre Hosentaschen.
Wir verliessen Cusco in einem Minibus. Gleich am östlichen Rand des Altiplano beginnt der Urwald, hier der Nebelwald. Es herrscht eine Nebeldecke, die sich kaum je im Jahr einmal auflöst. Schon hier, noch immer auf 2000m kam uns der Wald extrem dicht und wild und so überwuchert vor. Wir konnten hier schon die ersten Affen beobachten (Grey Woolly Monkey). Wir sahen den knallroten und blauen Quetzal, sowie den knallorangen Cock of the Rock, der Nationalvogel Perus.
Wir übernachteten auf ca. 1000m in einer Lodge – ich war froh, nicht im Zelt hier zu sein :-D. Die Häuschen in allen Lodges waren auf Stelzen gebaut, die Wände jeweils nur Brusthoch und von dort bis zum Dach war ein feinmaschiges Netz gespannt. So schliefen wir praktisch im Wald und konnten die ganze Nacht dem Knistern, Knacken, Quacken, Zirpen lauschen.
In der Nacht und am frühen Morgen sieht man am meisten Tiere. Und so machten wir schon am ersten Abend einen Nachtspaziergang und sahen nebst verschiedenen Insekten und Fröschen auch eine Vogelspinne und sogar ein Gürteltier (allerdings nur den Panzer, es haute natürlich sofort ab, als wir es entdeckten).
Am zweiten Tag wechselten wir im Dorf Atalaya von der Strasse (die wenig später endet) auf das Boot und das blieb für die nächsten vier Tage unser Verkehrsmittel. Viele Stunden verbrachten wir auf diesem Boot, und konnten in einem sehr angenehmen Tempo die Ufer vorbeiziehen lassen und beobachten. Zunächst sahen wir entlang dem Madre de Dios hie und da noch Plantagen an den Flussufern. Bananen, Ananas, Zucker etc. – und natürlich viel Kokablätter wurden und werden hier angebaut. Je näher wir der Reservatszone kamen und je weiter von der Strasse entfernt, desto waldiger wurde es. Die Bäume wurden immer höher, unglaublich hoch, häufiger und die ganze Vegetation dichter.
Während den Bootsfahrten sahen wir eine Menge Vögel, ich kann sie längst nicht mehr alle aufzählen, geblieben sind mir diese: Viele verschiedene Reiher, Aasgeier, der «Caiman Dentist» (ein schwarz weisses Vögeli auf langen Stelzen, das dem Kaiman die Fleischreste aus dem Gebiss pickt), riesige Gänse, Störche. Einmal sah William zwei Capibaras, aber ich sah nur noch ein Füdli im Grün verschwinden. Ich hätte so gerne einen Papagei bzw. eben der «klassische» rot-grüne Ara gesehen, aber wir sahen sie immer nur im typischen Zweiergespann fliegen, und vor dem hellen Himmel sehen sie auch durch den Feldstecher dunkelbraun aus.
Vor allem auf der Rückfahrt konnten wir vom Boot aus diverse weisse Kaimane sehen. Man sieht genau, an welchen Stellen die Ufer zuletzt überschwemmt wurden. Dort wachsen jetzt «Canes» und andere schnell wachsende Pflanzen, bis zur nächsten Überschwemmung oder bis sich der Wald durchsetzt.
Man konnte auch genau die typische Mäandersituation sehen: immer war auf der Aussenseite der Kurve, wo das Wasser schnell fliesst ein steiler, angenagter Hang zu sehen, und darüber gleich der Urwald. Das innere Ufer war dagegen flacher, oft mit Kies- und Sandbänken und viel Totholz.
Die zweite Nacht verbrachten wir in einer Art Hochsitz. Eine getarnte Plattform auf vielleicht 8m über dem Boden. Wir verliessen die Lodge gegen 17 Uhr und wanderten eine Stunde durch den Wald zu einem «Clay Lick». Das sind Stellen, wo salzhaltige Tonerden an die Oberfläche kommen, welche verschiedene Tiere besuchen um davon zu lecken, in diesem Fall einfach ein Schlammloch. Noch während der Wanderung erklärte uns William, wie das abläuft: Matte und Moskitonetz einrichten, den zNacht aus dem Tupperware essen, nicht reden, keine Taschenlampen, Wasserflaschen legen und nicht stellen, dann hinlegen und warten. Simon erspähte im Wasserloch eine Gelbkopf-Schildkröte, sonst kam aber kein Tier vorbei, bis wir die Köpfe ablegten und dösten. – Da rüttelte mich jemand am Arm! Ein Rotwild! Für unsere Verhältnisse war dieses Rehtier riesig! Es ist toll, ein Tier so lange beobachten zu können, ohne dass es einen ahnt. Mich erstaunt es immer noch, dass die Tiere vom Lichtkegel der starken Taschenlampen der Führer nicht verschreckt werden. Aber das sei höchstens beim ersten Mal so, dann hätten sie keine Angst mehr, sagte William.
Dann wurde ich nochmals geweckt: Zwei Tapire! Es waren eine Mutter und ihre Tochter, die ausgiebig im Schlamm herum wateten und schleckten. Whow! Das war für mich schon ein erstes Highlight. Ich weiss gar nicht richtig weshalb, aber es ist so eindrücklich, ein so fremdes Tier in seiner natürlichen Umgebung zu sehen. Ein Tier, das bei jedem Knacken den Kopf hebt und in Fluchtbereitschaft geht, dessen Ohren unablässig in alle Richtungen drehen. Nicht wie im Zoo, wo es längst an die Menschen gewöhnt ist.
Am dritten Tag traten wir innerhalb des Nationalparks Manu in die Reservatszone ein. Ein Ranger machte uns mit den Regeln bekannt, dass wir zum Beispiel auch ein Apfelbütschgi oder Manderindlischalen wieder mitnehmen müssen. Er erklärte uns auch die verschiedenen Zonen im Park und wie die Urvölker im Park leben und wie das mit ihnen gehandhabt wird.
Die Vegetation ist unglaublich! Vor allem der Primärwald im Reservat ist ein unvergleichliches Dickicht. Auf jeder Wanderung durch den Wald hatten unsere Führer denn auch eine Machete dabei, die auch praktisch jedes Mal zum Einsatz kam. Wir mussten auch immer wieder über Baumstämme klettern und durch Wasserlöcher waten (mit Gummistiefeln), und dabei handelte es sich um öfters genutzte Pfade. Ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie das ging, als die Urgrosseltern von William in die Selva gingen, ein Stück Land aussuchten und das roden mussten. Da bist du einen Sommer lang dran!
Wir besuchten den Altwassersee Chocha Salvador. Dort steht ein Katamaran zur Verfügung, mit dem wir schön leise über den See paddeln konnten. Und schon nach wenigen Minuten erblickte William durch den Feldstecher die erhofften Köpfe auftauchen: Riesenotter! Wir ruderten in die Nähe und die vorwitzigen Viecher kamen uns sogar neugierig entgegen. Nachdem sie erkannt hatten, dass wir kein Riesenkrokodil sind, tauchten sie weiter nach ihren Fischen, von denen jeder Otter täglich 5kg verspeist. Dann liessen sie sich auf einem toten Baum im Wasser nieder und spielten etwa zu sechst ewig lange miteinander. Sie knabberten sich gegenseitig an, wohl Fellpflege, schubsten sich aber auch gegenseitig vom Holz etc., es war ein Schauspiel.
Die Otter besetzen als Familienverband ein ganzes Stillgewässer. Ausgewachsene Männchen müssen gehen und woanders ein Weibchen finden. Das macht die Situation etwas schwierig, da sich die weltweit vom Aussterben bedrohte Tierart im Manu-NP stabilisiert und sogar vergrössern würde, aber langsam werden die Seen knapp.
Am gleichen See sahen wir auch einen Kaiman, wobei man davon leider jeweils nicht viel sieht, da er ja bloss das Auge und die Nasenlöcher aus dem Wasser streckt. In den Bäumen am Ufer sahen wir auch das sogenannte Punk Chicken. Ein Feldhuhn oder so mit einem Irokesenfederschmuck auf dem Kopf. Und wir sahen Affen in den Bäumen: Grey Woolley Monkeys und Kapuzineraffen. Diese, etwa fünf Stück, hatten ein Riesenchäferfäscht auf einem Baum ganz nah am Wasser. Diese jungen Äffchen spielten miteinander wie übermütige Kinder. Sie sprangen einander an den Kopf, liessen sich in die Blätter purzeln, schubsten und zupften aneinander.
Es ist mir auch sehr rätselhaft wie die Guides jeweils diese Tiere entdecken. Einmal stoppte Jordi die Gruppe weil er einen Frosch entdeckt hatte, unter einem Blatt. Es war der dreistreifige Giftfrosch, der zwar drei giftgrüne Streifen hat, aber sonst schwarz ist. Ich habe ihn ja aus der Nähe kaum gesehen!
Die zwei Nächte im Reservat verbrachten wir in der Matsiguenca-Lodge. Die Matsiguenca sind ein Stamm aus dem Amazonasregenwald der Region des Manuflusses. Dieser Stamm hat sich schon vor Jahrzehnten zivilisiert in dem Sinne, dass sie stationär und in Häusern leben, Werkzeuge etc. übernommen haben, Schulen eingerichtet wurden und heute ist es so, dass auch ein Teil der Jungen in die grösseren Ortschaften oder Städte gehen und dort Arbeit suchen. In den ?? Jahren, gründete man ein Projekt, mit dem Ziel, dass die Matsiguenca von den Touristen, die schliesslich «ihre» Gegend des Regewaldes besuchten, auch etwas profitieren. Abwechselnd unterhalten jeweils zwei, drei Leute die Lodge für 3 Monate, dann kommt der nächste aus dem Stamm an die Reihe. Und so mieten verschiedene Touranbieter diese Eco-Lodge bei den Matsiguenca.
In unserem Fall waren das Jesus und Julio. Sie zeigten uns ihre traditionelle Festtracht, welche aus einer Faser eines bestimmten Baumes gewoben wird, ein Musikinstrument, Pfeil und Bogen, und wie sie Feuer mach(t)en. Obwohl sie heute ein Feuerzeug benutzen werden, beherrschte auch der 20 jährige Jesus die Technik (siehe Fotos), wogegen wir natürlich kläglich versagten auch nur ein winziges Räuchlein zu erzeugen. Julio traf mit Pfeil und Bogen aus 20m Entfernung zielsicher auf eine handballgrosse Frucht.
Von einem Aussichtsturm beim Cocha Otorongo. Sahen wir verschiedene Affen, ganz nah, das war wieder ein Spektakel. Diesen Tieren schaue ich auch im Zoo am liebsten zu und im Wald ist es logischerweise noch aufregender. Die Affen sahen uns auch und schauten uns sogar neugierig an, als ob es für sie genauso interessant wäre; «schau mal, Menschen! Hihi, die sehen so lustig aus mit ihren blutten Gesichtern.»
Wir waren hoch zufrieden mit dem heutigen Erfolg, dass wir solches Glück hatten mit den Affen. Als wir noch zum Seeufer gingen, sahen wir auch noch die Riesenotter, sie schwammen dem ganzen länglichen See entlang und manche konnten wir beim Verzehr von Fischen beobachten. Und plötzlich ruft Simon: Ein Kaiman! Und tatsächlich, in den Wasserpflanzen am Ufer war ein schwarzer Kaiman. William imitierte das Geräusch von Babykaimanen und er kam tatsächlich näher. Er war keine paar Meter mehr von uns entfernt, wir konnten sogar seinen Körper unter Wasser sehen, es war super!
Bei all den Bootsfahrten und Wanderungen durch den Dschungel sahen wir noch so viele weitere Tiere, wie zum Beispiel wunderschöne Sommervögel, Kolibris, Schildkröten und unzählige Vögel. Natürlich auch unzählige Pflanzen, davon x verschiedene Orchideen und Bromelien. William zeigte uns auch Pflanzen, z.B. eine, dessen Blätter für die Dächer benutzt werden, Bäume mit so schlifriger Rinde, dass keine Parasiten daran wachsen, Heilpflanzen, wildes Kurkuma usw. - und den drittgrössten (dicksten) Baum der Welt. Wir haben etwa 9 Meter Durchmesser gemessen! Simon hats buchstäblich die Sprache verschlagen. Schon krass, schliesslich ist dieser Baumstrunk grösser als das Lupo.
Bei der Ausreise aus dem Reservat mussten wir ein schriftliches Feedback abgeben und die Wärter wogen unseren Abfall. Die Guides wurden ausserdem gebeten, anzugeben, welche Tiere gesichtet wurden. Es erstaunt und erfreut mich sehr, dass Peru den Urwaldschutz (zumindest hier) so genau nimmt.
Am letzten Nachmittag stand die abenteuerlichste Wanderung an: William führte uns auf einem sowieso schmalen, wenig genutzten Weg, der ausserdem seit dem Sturm vor drei Wochen noch nicht wieder richtig aufgeräumt wurde, durch einen kleinen, zum Glück untiefen, Fluss zu seinem Lieblingsplatz: einem klapperigen Aussichtsturm auf einer Insel. Auf dem Weg zeigte er uns einen Baum, dessen Rinde stark nach Knoblauch riecht und einen anderen, dessen Saft als Antischlangengift eingesetzt wird. Zudem sahen wir verschiedene Blattschneiderameisenkolonien, es ist unglaublich was für Strecken diese zurücklegen. Bei einem Ameisenbau sahen wir die Fussabdrücke des Ameisenbärs.
Es war ein herrlicher Ausblick von dieser Höhe in die Bäume und über den Wald zu sehen. Die Sonne näherte sich dem Horizont und es gab eine urfriedliche Stimmung. Wir sahen verschiedene Vögel, zum Teil sehr nah. Es flogen wieder einmal zwei Aras vorbei und William spielte ihren Ruf auf seinem Handy ab – und es klappte! Sie landeten auf einem riesigen Baum ganz in der Nähe. Und endlich konnte ich diese farbigen Vögel von nahem betrachten!
Noch bevor die Sonne untergegangen war, stiegen wir vom Turm. Am Boden war es bereits zu dunkel für Fotos und nach 10 Minuten mussten wir die Taschenlampen hervor nehmen. Es wird so schnell dunkel! Auf dem Rückweg zeigte uns William verschiedene Frösche, eine Riesenkröte, und eine Vogelspinne. Er sah sie gerade noch verschwinden und schaffte es, sie für uns nochmals aus ihrem Versteck zu locken. Er sagte daraufhin, er habe sie im August schon hier in der Nähe gesehen und wusste darum, dass er hier nach ihr Ausschau halten müsse. Wie er sich diese Orte so genau merken kann, das sieht doch wirklich alles so gleich aus!
Wir gingen weiter zu einem Teich, und William fand, was er uns noch zeigen wollte: Den Affenfrosch. Er heisst so, weil er auf Bäumen lebt. Er ist riesig und auf der Oberseite knallgrün. Würde man ihn abschlecken hätte man einen bunten Trip, das habe er auch schon ausprobiert, erzählte er uns.
Am nächsten Tag ging es definitiv heimwärts. Zuerst aber fuhren wir noch auf dem Madre de Dios ein paar Stündchen aufwärts. Wir standen um 4 Uhr auf und ich probierte deshalb wirklich sehr, nicht einzunicken, sondern nach Tieren Ausschau zu halten, doch ich schaffte es nicht ganz. Und als Abschlussüberraschung sahen wir auf dieser Fahrt noch zweimal ein Capibara und dieses Mal konnte ich sie auch sehen und lange genug beobachten. Ein sehr schöner Abschluss!