Veröffentlicht: 19.06.2021
Anfangs diesen Semesters:
Beim Durchstöbern der Prospekte, welche im Café des Nidarosdomen ausgelegt waren, fiel mir ein beeindruckendes Bild ins Auge. 2 A4-Seiten zeigten eine riesige Höhlenöffnung mit Blick auf`s Meer. Ziemlich abgelegen auf einer schwer zugänglichen Halbinsel stellt die Halvikhula die größte Höhlenöffnung Nordeuropas dar. Mit 3 Stunden Fahrtzeit auch recht einfach zu erreichen (für norwegische Verhältnisse). Für mich war klar – da muss man mal einen Ausflug hinmachen.
04.06.2021:
Martin, Uli und ich sitzen in Peperoni und fahren gespannt Richtung Norden. Unser Wochenendausflug sollte nicht nur die Halvikhula umfassen, sondern auch Hanshelleren, eine weitere Höhle und für ihre schwierigen Kletterrouten weltberühmt. Für die 3 Tage waren die Zelte eingepackt und Vorräte verstaut. Unsere Vorfreude war ungezügelt… Bis ich die ersten Meter mit Peperoni angefahren bin.
[Nur kurz für den Kontext – mein Auto pfeift. Und das nicht erst seit Kurzem. Seit ich Anfang Januar nach Norwegen gefahren bin begleitete mich das Pfeifen der Dachbox auf Schritt und Tritt. Manchmal lauter, manchmal leiser… Je nach Geschwindigkeit und Wind. Deshalb habe ich vor unserem Höhlentrip den Entschluss gefasst, endlich die Dachbox abzumontieren. Problem gelöst? Endlich stille Fahrten? Nicht die Bohne. Mein Dach pfeift lauter denn je und erst jetzt merkte ich, es ist nicht die Box, sondern die Dachträgerschienen. Tja dumm gelaufen, denn die Schienen sind sehr umständlich ab- und anzubauen.]
Die Dachträger machten Lärm wir nie und nach 30 Minuten wurde es mir zu bunt und ich flog auf einer Tankstelle ein. Ich hatte mir für diesen Fall bereits einen experimentellen Plan überlegt. Ich adressierte die Bedienung mit „Einmal das stärkste Panzertape, was sie entbehren können, bitte.“ (natürlich in akzentfreiem Norwegisch). Und so standen Martin und ich 10 Minuten später an Peperoni und brachten an der vorderen Dachschiene kleine Windbrecher an. In der Theorie entsteht ein Pfeifen durch Windwirbel, die sich an der Dachschiene während der Fahrt bilden und ablösen. Umso größer die Wirbel, umso lauter das Geräusch. Die Windbrecher aus dem Klebeband sollten dafür sorgen, die Wirbel zu „zerschneiden“ und das Geräusch zu verringern.
Ich hätte nicht gedacht, dass diese Methode eine großartige Verbesserung geben würde und so fuhren wir wieder an. 30, 60 dann 90 km/h (Höchstgeschwindigkeit!) und siehe da. Stille. Oder zumindest „Fast-Stille“ aber die Überbleibsel des einstigen ohrenbetäubenden Pfeifens waren nicht der Rede wert. Und so konnten wir in Ruhe unser Destination entgegenfahren.
Zur Fahrt: War schön. Punkt. Kennen wir ja… Wir stellten das Auto auf einem abgelegenen Platz ab, sattelten unsere Rucksäcke und marschierten Richtung Höhle. Wir planten den Landweg auf die Halbinsel zu nutzen und die 10 km über Stock und Stein zu wandern und zunächst lief es auch ganz gut. Wir folgten einem Pfad der leicht begänglich war. Sehr bald endete der Pfad jedoch und vor uns nur noch unwegsamer Wald am steilen Berghang. Nachdem wir uns etwa 30 Minuten emporgekämpft hatten und kein Ende der Schwierigkeiten in Sicht war entschlossen wir den Plan diese Nacht in der Höhle zu verbringen zu verwerfen. Dies mitunter auch, weil von allen meinen Erlebnissen der Aufstieg an der bewaldeten Bergflanke mit Sicherheit die riskanteste Aktion war. Ohne näher darauf einzugehen, die „Potentieller Knochenbruch zu potentiellem Erfolg“ - Rate war einfach miserabel…
Und so zelteten wir an der anderen Seite der kleinen Bucht, an der wir uns zunächst hochgequält hatten. Die Gegend war schön und abgelegen und die Rufe, die wir in den Fjord schickten, hallten mehrere male wider, wurden sie doch verzögert von den Steinwänden durch den gesamten Fjord reflektiert. Der Sonnenuntergang hinter den Fjordbergen markierte den Ende des Tages und war mindestens so ansehnlich wie die Landschaft selbst.
Mein Zelt ist anscheinend für zwei kleine Menschen ausgelegt, denn mein Zeltmitbewohner nahm die erste Nacht ungewöhnlich viel Platz ein (Uff). Der nächste Tag begann mit etwas Müdigkeit und mit einer Wanderung auf einen nahegelegenen Berg zum Wachwerden.
Um doch noch eine Chance zu haben, Nordeuropas größte Höhlenöffnung zu sehen, wanderten wir zurück und fuhren in den kleinen Ort Vingsand. Wir versuchten jemanden mit einem Boot aufzutreiben, der uns doch noch zur Höhle fahren könnte. Wir riefen dazu bei verschiedenen an der Touristeninfo ausgeschriebenen Nummern an aber selbst nach drei Stunden bangen Wartens konnten sie uns niemanden auftreiben der uns transportieren könnte.
Schließlich sprach Martin mit einem Bootsführer, der gerade angelegt hatte. Auch er konnte uns nicht fahren. Wir wollten gerade die Sachen packen und die Halvikhula hinter uns lassen, als sich ein Anwohner bei uns meldete. Der Bootsführer hatte wohl bei mehreren Leuten in Vingsand persönlich geklingelt und uns so noch jemanden auftreiben können. Danach ging alles ganz schnell. Auto abschließen, Wasser nachfüllen und ab ins Boot. Nach 10 Minuten erfrischender Bootsfahrt kam der Schatten der gewaltigen Bergflanke inklusive der Höhlenöffnung auf der Halbinsel Halvik in Sicht.
Wir machten eine Abholzeit für den nächsten Tag aus, verabschiedeten uns und wanderten Richtung Höhle. Die Sonne hinter dem Berg verschwand bald, als wir in den gewaltigen Schatten der Bergflanke eintraten und ein provisorisches Camp aufschlugen. Wir packten nur das Notwendigste und liefen die restlichen 10 Minuten zur Höhle. Weite Geröllfelder erwarteten uns und als wir noch gut 50 Meter von der Felswand entfernt waren fiel uns auf, dass wir bereits „in“ der Höhle standen. Das heißt, wir waren bereits von Fels überdacht.
Die Höhlenöffnung lässt sich somit am besten als eine in die Höhe gezogene Welle beschreiben. Bloß mit über 100 Meter Höhe. Folgt man der Felswand, erreicht man eine vollständig geschlossene Höhlenöffnung, die man noch einige Meter in die Dunkelheit erkunden kann. Auch wenn diese kleiner ist als die eigentliche Höhlenöffnung, so hat sie doch noch gewaltige Ausmaße. Der Nachmittag verging mit einem Bad am traumhaft weichen Sandstrand und im traumhaft (kaltem!) Wasser.
Nach dem Abendessen Wir entschieden uns, in der Höhle unsere Zelte aufzuschlagen. Diese Nacht sollte etwas erholsamer werden als die vorangegangene, spendete die Höhle doch eine angenehme Dunkelheit. Außerdem schien ich diese Nacht den Großteil des Zeltes zu beanspruchen, wie Martin am nächsten Morgen beklagte, was zumindest meine Ausgeruhtheit erklärt.
Am nächsten Tag brachen wir unser Lager ab und begaben uns zum Treffpunkt für die Abholung, wo uns unser Bootsführer auf die Minute genau abholte. Die Transportkosten von 50 € waren mehr als fair und wir drückten ihm zusätzlich unseren tiefsten Dank aus. Eine Lehre für die Zukunft. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg und Lösungen lassen sich mit genügend Hartnäckigkeit häufiger auftreiben als man denkt!
Da dieser Tag ohne Übernachtung geplant war, fuhren wir ohne Umschweife zu der zweiten Höhle, welche noch ein Stück in nördlicher Richtung lag. Ohne Umschweife stimmt nicht ganz. Zwischendurch haben wir neben der Straße einen starken Wasserfall entdeckt, den wir uns noch aus der Nähe anschauten. Solche Sachen findet man hier eben mal am Straßenrand.
90 Minuten später kamen wir auf dem Parkplatz zur Hanshelleren Höhle an. Da diese Höhle, auch wegen ihrer Reputation, relativ gut erschlossen ist, konnten wir sie innerhalb von 45 Minuten zu Fuß erreichen. Auch hier erstreckte sich vor der Höhlenöffnung ein riesiges Geröllfeld, was es zu überwinden galt. Die geologischen Prozesse führen über die Jahrmillionen dazu, dass große Stellen aus dem Fels der Höhle ausbrachen und sich vor ihr ansammelten. Diese Brocken können Durchmesser von einigen Dutzend Zentimetern, wie auch von einigen Metern haben. Navigation und das Vorankommen über die Felsen gestalteten sich dementsprechend spannend. In der Höhle angekommen, beobachteten wir zunächst ein paar Kletterer, die sich über die in der Wand fixierten Sicherungen eine Kletterstrecke hocharbeiteten. Diese Sicherungen waren kreuz und quer an allen Wänden der Höhle, wie auch an der Decke verteilt. Hanshelleren besitzt seit einigen Jahren auch die wohl schwerste Kletterroute der Welt und wenn man sich die Routenverläufe anschaut, kann man auch erahnen warum.
Die an einigen Stellen von der Decke hängenden Seile, welche zum Erreichen der Routen an der Decke genutzt werden, wurden von uns aber etwas umfunktioniert. So kann man an ihnen wunderbar frei in die Höhle hineinschwingen, was recht spaßig ist.
Wir ließen unsere Rucksäcke in der Höhle und bestiegen den Berg, in welchem Hanshelleren eingebettet liegt. Der Ausblick auf die verstreuten Inseln der Küstenlandschaft und das Nordmeer in der Ferne war wohl einer der schönsten des bisherigen halben Jahres. Die Sonne spiegelte sich in dem blauen Wasser der Fjorde unter uns und ein hochgelegener See auf dem Berg gab dem Anblick noch den letzten Schliff.
Auch wenn der Ausflug nur 3 Tage dauerte, so fühlte er sich doch länger an. Nicht im negativen Sinne. Auch während der Hüttentrips merkten wir, wie sehr wenige Tage im Freien doch entspannen können. Das sollte uns auch jetzt so gehen. Außerdem konnten wir uns mit diesem Ausflug auch wieder ein gutes Stück Norwegen neu erschließen.