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Holz, Tau und Salzwasser

Veröffentlicht: 28.06.2021

Ende Mai schrieb eine Studentin in die große WhatsApp Gruppe der Austauschstudenten. Sie und ihre Freundesgruppe hatte auf einem Roadtrip nach Bergen einen Kapitän getroffen, der, wie sich später herausstellte, ein Schiff in der Nähe von Trondheim restauriert. Er lud sie und ihre Freunde ein, für Kost und Logis auf dem Schiff auszuhelfen. Sie bot an, danach als Korrespondentin zwischen dem Kapitän und den Trondheimer Studenten zu fungieren.

So erfuhr von der Möglichkeit als Helfer auf der S/K HELT zu arbeiten. Die Organisation ergab, dass in der Woche vom 21.06 bis zum 28.06 ein passender Zeitraum wäre. Ich und 5 andere Studenten meldeten uns für diesen Zeitraum an. Zufälligerweise kannte ich bereits 4 von Ihnen, was mitunter damit zusammenhing, dass ich Uli und Martin persönlich davon überzeugen konnte an der Aktion teilzunehmen. Mit dem Franzosen Valentin hatte ich bereits eine Hüttentür und den Anfang der Lofotenreise unternommen und Sabine wohnt ebenfalls in meinem Studentendorf. Lediglich der Ungar Domonkos kam als neues Gesicht hinzu. Auch wenn man es schade nennen könnte nicht mehr so viele neue Gesichter zu treffen, so konnte dies doch nicht davon ablenken, dass es eine überragende Gesellschaft war. Wir konnten die Zeit so kurz vor der Abreise der Anderen noch einmal auf`s Beste wertschätzen. (Falls das jemand von euch liest – Danke! Ich hätte mir keine bessere Gesellschaft wünschen können!)

Und so begann 3 Tage nach meiner Rückkehr von dem Lofoten Campingtrip die Woche auf dem Segelkutter. Martin, Uli, Valentin und ich reisten als erste an und nahmen am Montag die Hurtigbåt-Fähre von Trondheim nach Hasselvika, wo der Segelkutter im Hafen lag. 


An diesem Tag bot sich mir zum ersten Mal die Möglichkeit ein Hurtigbåt aus der Nähe zu betrachten und zu benutzen. Diese High Speed Schiffe, welche größtenteils in Norwegen zum Einsatz kommen, besitzen einen geteilten, katamaranförmigen Rumpf, so dass sie trotz von 100 oder mehr Passagieren eine enorme Geschwindigkeit erreichen können. Mit 60 km/h mit einem Boot dieser Größe über das Wasser zu fahren ist schon eine etwas andere Erfahrung. 45 Minuten später gingen wir an Land und wurden von unserem Kapitän Børje Møster begrüßt. Direkt neben dem Fährkai lag die SK HELT, mit ihren 30 Metern an Länge und 20 Meter hohen Masten aus der Hafenanlage herausstechend. 

S/K HELT liegt am Kai

Er wies uns in die Abläufe auf dem Schiff ein und zeigte uns die verschiedenen Räume. Kombüse, Koje, Navigations- und Maschinenraum. Und natürlich der Aufenthaltsraum, welcher geräumiger ist, als man zunächst denkt. Die ersten Aufgaben wurden verteilt, während Børje neue Vorräte für die Woche besorgte.

Schlaf-kajüte
Maschinenraum
Gemeinschaftsraum
Toilette und Duschraum
Tom auf der Seilleiter
Uli auf der Seilleiter

Da das Schiff bereits im Jahr 1932 erbaut wurde, fielen über die Zeit viele Ausbesserungsarbeiten an und um die Passagierlizenz wiederzuerlangen, ist es notwendig vielseitige Aufgaben durchzuführen. Das Abschleifen von altem Decköl, das Aufbringen von Neuem, das Bespannen der Seilleitern mit Seilen und nicht zuletzt auch das berühmte Schrubben des Decks gehörten alle in unseren Aufgabenbereich. Auch das Ausbessern von Löchern im Kai, in dem das Schiff kostenfrei mit der Gegenleistung von Wartungsarbeiten liegen durfte. So übernahmen Martin und ich den Großteil des ersten Tages die Arbeit, Beton zu mischen und die Löcher im Kai aufzufüllen. 

Betonarbeiten
Uli hat den Spaß seines Lebens mit den Planken

Das Mittagessen wurde von Børje fertiggemacht und während des Essens konnten wir zuhören, was er in seinem Leben unternommen hat. So war der Kutter HELT nach 1990 eine Zeit lang in seinem Besitz und er unternahm Passagierfahrten. Ebenso besaß er eine organische Farm in der Nähe von Bergen, wo er ebenfalls freiwillige Helfer aufnahm und so auf vielerlei Gesichter traf. Auch das Absegeln der norwegischen Küste und das damit verbundene Aufräumen von vermüllten Stränden war Teil seines Repertoires an Erfahrungen. Alles in allem eine Person mit äußerst positivem Mindset. Das Arbeiten war demnach auch eine tolle Erfahrung, da er viel unserem eigenen Urteilungsvermögen überließ. Nie hatte man das Gefühl überwacht zu werden und das spiegelt sich, wie ich denke, positiv in den Ergebnissen wider. In dem Boot HELT steckt demnach von jedem von uns ein wirkliches Stück individuelle Arbeit. An Bord war eine Dusche und ein WC, wobei wir meist die WC´s am Kai nutzten, um Wasser zu sparen und den septischen Abwassertank seltener leeren zu müssen. Dies erfolgte nämlich direkt in das Hafenwasser und sollte damit so selten wie möglich gemacht werden. Sieht man wie das trübe Abwasser unter dem Schiff in das Hafenwasser gepumpt wird, so sieht man auch weshalb. Das Duschen hingegen, welche überschaubare Mengen an dreckigem Wasser produziert, war nach schweißtreibender Arbeit hingegen eine äußerst willkommene Ausstattung. Das Gebrauchen der WC´s an Land hingegen erwies sich die ersten Tage als Herausforderung, senkt sich die Bordwand doch durch die Ebbe doch etwa 3 Meter ab und der Wind bläst das Schiff vom Kai, so dass eine 2 Meter breite Lücke entsteht. Das Balancieren auf den Sicherungsseilen, um diese Kluft zu überwinden erwies sich als spaßige Herausforderung, war es doch alles in allem mit dem überschaubaren Risiko verbunden, einen Sprung ins Wasser zu machen. Zu manch anderer Zeit macht man von der Bordwand nur einen Schritt auf den Kai. 

Wie an Land kommen?
Ebbe
Flut
Unsere laute Nachbarschaft
Möwenkücken

Der erste Tag neigte sich dem Ende und Børje verabschiedete uns. So kam es, dass wir die Abende das Boot für uns allein hatten und uns wie Zuhause fühlen konnten. Neben dem Genießen von ruhigen Abenden auf dem Boot unternahmen wir ebenfalls kleinere Ausflüge. So war in Hasselvika bis zum Jahr 2000 eine Militäranlage aktiv, welche auch heute noch in Form von Tunneln, alten Gebäuden und Bunkeranlagen entdeckt werden kann.

Ausblick aus einem verlassenen Bunker
HELT im Hasselvika Hafen

Uli war der erste, der wieder abreiste, um sich auf seine Abreise vorzubereiten. Er reiste Freitag schon ab, so dass ihm die Gelegenheit verwehrt geblieben wäre das Boot, wenigstens mit Motor im Einsatz zu sehen. Deshalb unternahmen wir an diesem Tag noch eine Fahrt. Ebenfalls hatte ich gefragt, ob sich ein Fischausflug anbieten würde. Børje besorgte uns daraufhin Angelequipment aus dem örtlichen Laden, in Form von Angelschnüren mit 6 Haken und Ködern, welche auf einer Art Griff aufgewickelt waren. Für das Fischen lässt man die Schnur vom Griff abwickeln und das Bleigewicht am Ende zieht die Schnur in die Tiefe. So kam es, dass wir am Donnerstag hinausfuhren, um unser Angelglück zu versuchen. Die erste Stelle nahm etwas Zeit in Anspruch, war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Wir ließen unsere Schnüre absinken und zogen sie dann mit den Händen schnell ein paar Meter wieder an Bord (die Schnurlänge war insgesamt 100 Meter) und ließen sie wieder abrupt absinken, um die Fische auf die Köder aufmerksam zu machen. Da ich eine größere Distanz nach oben ziehen und wieder absinken lassen wollte, kam ich auf die glorreiche Idee 20 Meter mit einmal an Bord zu ziehen. So ergab sich, dass sich vor mir, von mir unbemerkt, ein Schnurchaos auf dem Deck aufbaute und ein Fitz sich entwickelte. Bis zum Wechsel unserer Fischposition ließ sich dieser nicht lösen und nachdem mir geholfen wurde, die restliche Schnur unverfitzt an Bord zu holen, schrieb ich meine Angelmöglichkeiten für diesen Tag ab. Mit dem Erreichen der zweiten Stelle reihten sich alle wieder in regelmäßigen Abständen an der Bordwand auf und ließen die Köder ins Wasser - ich währenddessen immernoch hochkonzentriert das Schnurrätsel lösend. Diese Konzentration wurde gebrochen, als Martin neben mir preisgab, er hätte etwas an der Schnur bemerkt. Das Hochziehen ergab einen etwa 2 Kilo schweren Kabeljau, direkt gefolgt von einem weiteren derselben Größe. 


Martin und ein Kabeljau

Børje zeigte uns wie man Fische dieser Größenordung tötet. 2 Finger in jeweils eine Kieme und den Kopf nach hinten ziehen, bis das Rückgrat bricht. Ich war der erste der sich um den anderen Fisch kümmerte. Nicht weil es Spaß gemacht hätte – mir war es nur wichtig selbst einmal an diesem Prozess der Fleisch-/Fischgewinnung beteiligt zu sein. Im Laden gekaufte Produkte verbinden wir selten mit dem Tier, welches tatsächlich hinter dem Steak, Hackfleisch oder Filet steht. Am notwendigen Prozess des Tötens teilzunehmen ist für mich wichtig, um den Bezug zwischen Produkt und Tier zu stärken. Und so wurde getan was getan werden musste. Die anderen zogen kurz darauf ebenfalls weitere Fische auf das Deck. Nach dem was ich erkennen konnte zumeist Köhler und einen kleinen Schellfisch. Da ich auch einmal die Angelschnur in das Wasser halten wollte, übergab mir Uli seine gerade herausgezogenen Haken. Ich nahm das Bleigewicht und ließ die Schnur durch meine Finger in das Wasser gleiten. Dass ein Bleigewicht an einer dünnen Schnur zu halten wohl keine so gute Idee war merkte ich, als die Schnur mir durch die Finger rutschte. Der abrupte Ruck in meiner Hand und das Stoppen der Schnur verhieß nichts Gutes. Ein Angelhaken hatte sich zum Anschlag in meinen Ringfinger gebohrt und auch mein sofortiges ruckartiges Ziehen an dem Haken löste ihn nicht. Der Widerhaken leistete in dem Finger gute Arbeit. Erst als Børje mit seine Zange den Haken griff, ließ dieser sich lösen. Der Schmerz war überschaubar, Schwindel ergriff mich dennoch und ich musste erstmal Pause machen. 

Da haben wir das Häkchen

Mit unserem Fang fuhren wir währenddessen wieder in den Hafen ein. Da der Käptn nur noch wenig Zeit hatte, zeigte er uns nur an einem Fisch, wie der Filetierungsprozess vonstattengeht und überließ uns den Rest. Da dieser Verarbeitungsschritt jedoch alles andere als trivial war, war die folgende Diskussion über die geeignete Schnittreihenfolge und die Führung des Messers ziemlich… angeregt. Mit einem Video kamen wir schließlich auf einen effektiven Weg, Organe zu entfernen und am Rückgrat das Filet abzulösen und anschließend die übrigen Gräten der Rippenregion zu entfernen. Der Prozess dauerte gut 2 Stunden aber anschließend hatten wir einen Eimer voll von Fischresten und eine Pfanne mit mehr oder weniger gut erhaltenen Filets. 


Diese brieten wir zum Abendessen. Die Frische konnte man ohne Zweifel schmecken. Und so aßen wir mit etwas Reis, Gemüse und Zitrone unsere eigenen gefangenen Fische. Die Kontraste des Tages, positive (Schifffahrt, Angeln…) sowie negative (Angelfitz, Angelhaken…), machten diesen Tag im wahrsten Sinne des Wortes unvergesslich.

Sonnenuntergänge "Wie ein Ölgemälde"

Tags darauf verabschiedeten wir Uli, der bereits früh die Fähre zurück nach Trondheim nahm. So konnte er leider nicht mehr die Segelfahrt am Samstag miterleben. Mehrere Helfer aus Hasselvika und Umgebung waren zu dieser eingeladen. Das Wetter war angenehm, lediglich der Wind war schwächer als angekündigt. Nichtdestotrotz konnten wir die Segel setzen und ein paar Kilometer mit dem Wind fahren.

Segel an die Masten binden

Es war eine tolle Erfahrung, die von den Gruppen vor uns vorbereiteten und bemalten Segel im Einsatz und im Wind gebläht zu sehen. Auch das Hochziehen an dem Mast mit der Schiffsschaukel. und das Steuern des Schiffes waren Gelegenheiten für neue Erfahrungen. Später kam trotzdem noch der Motor für einen Teil der Strecke zum Einsatz so dass wir etwa 17:30 im Hafen wieder einfuhren konnten.


Auf der Schiffsschaukel


Der Sonntag verlief entspannt und Børje war nur ein paar Stunden da. Wir beschäftigten uns noch damit die Seilleitern weiterzuknoten und unsere Knoten zu verfeinern, von denen wir in dieser Woche einige mit auf den Weg bekommen haben.

Goodbye
Ein Abschiedsgruß

Heute, am Montag eine Woche später, hieß es dann Abschied nehmen. Es war eine absolut lohnende Entscheidung auf dem Boot auszuhelfen. Allein die Kost und Logis waren so einzigartig, dass sich die Arbeit vielfach ausgezahlt hat. Zumal wir alle an einem wertvollen Projekt mitarbeiten konnten und auch untereinander sehr viel Spaß hatten. Freiwillig auszuhelfen wird nun für die Zukunft wohl stärkere Bedeutung bei mir finden. Da die Studentin, welche zunächst die Koordination übernommen hat, nun ebenfalls Norwegen verlässt, habe ich Børje vorgeschlagen die Organisation für nächstes Semester zu übernehmen. Er freut sich über die Möglichkeit das Boot zu beleben. Vielleicht findet sich für mich auch noch einmal ein zweiter Zeitraum, in dem ich mit den neuen Austauschstudenten die Arbeiten fortsetze. Das ist ein guter Gedanke und ich bin sehr gespannt auf die kommende Zeit. Möge diese schnell kommen. Etwas flau ist mir schon im Magen. Die Leute mit denen ich solche Momente teilen durfte ziehen nun wieder in die Heimat...

In jedem Fall wünsche ich ihnen trotzdem eine sichere Heimreise oder tolle Erlebnisse bis dahin!

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