Veröffentlicht: 13.10.2021
Don Curry liest seine Reiseführer fantasievoll. Er verarbeitet nicht nur die dort versammelten Informationen, sondern lässt vor seinem geistigen Auge Landschaften entstehen, Erlebnisse vorausahnen, Highlights aufleuchten. Wenn er viele Wochen später tatsächlich diese Orte erreicht, bietet sich vieles ganz anders dar, als von ihm erträumt. Manches ist sogar noch schöner und spektakulärer, manch anderes aber enttäuscht nur; Don Currys Fantasie gerät eben manchmal in eine Sackgasse...
Beim Frühstück im Hotel Belinda benötigte er keinerlei Fantasie mehr. Er kannte seine Favoriten und beschränkte sich heute auf eine üppige Portion Rührei, dazu Brot, frisches Gemüse, viel Obst und einem Tee hinterher. Zwischendurch musste er mit allen anderen Gästen seinen Platz nach drinnen verlagern, weil ein Regenschauer einsetzte. So fiel zumindest der Abschied von der Küste nicht allzu schwer.
Zunächst gab es Nachholbedarf vom gestrigen Tag: die Saklikent-Schlucht wollte endlich erforscht werden. Da sich im Hinterland der Küste längst die Sonne durchgesetzt hatte, fuhr Don Curry einen kurzen Umweg vorbei an Tlos, um endlich doch noch die eindrucksvolle Gräberwand im prallen Sonnenschein abzulichten. Dann aber Saklikent, ein Ort der völlig aus Restaurants, Bars, Läden und Anbietern von Rafting-, Tubing- und sonstigen Touren besteht. Schon für's Parken zahlte Don Curry 1,5 €, dann nochmals 1 € für das Betreten der Schlucht. Mit ihren steilen Felswänden und der zwischen ihnen aufgehängten riesigen Nationalflagge über dem reißenden Gebirgsfluss wirkte die tatsächlich eindrucksvoll. Aber nach 150 m war bereits Schluss, der befestigte Zugangsweg endete auf einer Insel mit Restaurant und Picknickbänken, von denen einige allerdings bereits im Wasser standen, weil der gestrige Regen wohl durchaus ergiebig war. Ein Schild warnte vor dem Weitergehen, dennoch versuchten es einige, die tapfer durch das wadenhohe Flusswasser wateten. Don Curry kehrte um, für ihn blieb die berühmte Schlucht eine kurze Sackgasse. Er holte sich lieber eine Art türkisches Fischbrötchen und zahlte dafür samt Pepsi Max 3 €.
Die weitere Strecke führte ihn Richtung Norden. Er hatte von einer weiteren Stadt der Lykier gelesen, die noch nicht ausgegraben wurde und deren Ruinen mitten in der Natur zu finden seien. Das klang nach einem Abenteuer ganz in Don Currys Entdeckerleidenschaft. Oinoanda heißt diese versunkene Stadt, und die Zufahrt zu ihr musste nicht nur das Navi angeben, es standen auch ausreichend Hinweisschilder an jeder Abbiegung. Stetig ging es aufwärts in die Berge. In einem kleinen Dorf führte das Navi Don Curry schließlich auf einen Feldweg, der steil bergan führte. Er folgte diesem Weg auch noch, als der sich immer mehr verengte und zwischen Feldsteinmauern verlief. Im Navi wurde der Weg weiterhin als Fahrtstrecke angezeigt, doch als der Bodenbelag immer mehr zum Geröll wurde, kamen Don Curry erhebliche Zweifel, ob er tatsächlich weiterfahren sollte. Als sich auf einer Seite eine Ausbuchtung auftat, parkte er kurzerhand sein Fahrzeug und ging zu Fuß weiter. Schon wenige Meter höher wurde der Weg so schmal, dass das Auto keinesfalls mehr durchgekommen wäre. Oben am Hang eines Hügels sah Don Curry ein Ortschild; als er sich ihm näherte konnte er klar "Oinoanda" lesen. Er hatte sein Ziel erreicht. Wo aber waren die Ruinen? Er folgte einem Trampelpfad, der von dem Schild weiter bergan führte, bis er nach rund 200 Metern nicht mehr als Weg erkennbar war. Ruinen? Fehlanzeige. Don Curry empfand zwar die beeindruckende Schönheit dieser felsenreichen Berglandschaft und die Zeugnisse einer urtümlichen Landwirtschaft, aber von der Lykierstadt entdeckte er keine Spur. So endete seine vermeintliche Expedition in einer enttäuschenden Sackgasse. Doch es kam noch schlimmer. Nach dem Abstieg zum Auto versuchte er, dieses an der ausgebuchteten Stelle zu wenden. Aber so oft er es versuchte, es gelang nicht. Das Fahrzeug war einfach zu lang und der Platz insgesamt zu klein, um es drehen zu können. Jeder Versuch endete in einem hässlichen Knirschen, das nichts Gutes verhieß. So blieb Don Curry nur eine Möglichkeit: rückwärts den steilen, engen und völlig ungleichmäßigen Feldweg runterfahren. Nach rund 150 m öffnete sich an einer Seite eine weitere Ausbuchtung. Diese erwies sich als groß genug, um dort tatsächlich zu wenden. Bloß weg, dachte Don Curry. Erst 200 km weiter an einer Tankstelle begutachtete er sein Fahrzeug: die Verkleidung und die unteren Scheinwerfer vorn hatten deutlich sichtbare Schäden davongetragen. Ärgerlich, aber nicht mehr zu ändern. Don Curry beschloss, künftig darauf zu verzichten, sich selbst in eine Sackgasse hineinzumanövrieren.
Der letzte Programmpunkt des Tages bildete noch einen versöhnlichen Abschluss. Kurz zuvor geriet Don Curry an der Kreuzung, an der er abbiegen wollte, mal wieder in eine mobile Polizeikontrolle, bei der er diesmal auch herausgewunken und kontrolliert wurde. Der Polizist schaute nur kurz auf seinen Führerschein und wollte Don Curry gleich weiterfahren lassen, doch dieser wies darauf hin, dass er eigentlich an der Kreuzung abbiegen wollte. Hilfsbereit sperrte der Polizist kurzzeitig die gesamte Fahrtrichtung, damit Don Curry als Geisterfahrer zur Kreuzung zurückkehren und erfolgreich abbiegen konnte. Die türkische Polizei - dein Freund und Helfer!
So erreichte er endlich Afrodisias, eine weitere antike Ruinenstätte, aber nicht nur ausgegraben, sondern sogar UNESCO-Welterbe. Dementsprechend prachtvoll präsentierten sich die Schätze aus längst vergangenen Zeiten. Gleich zu Beginn des ausgedehnten Geländes standen dutzende prachtvoll verzierte Sarkophage am Wegesrand, von denen jeder für sich der ganze Stolz manch anderen Museums oder Ausgrabungsgeländes hätte sein können. Auch diverse Tempelbauten, Bäder, ein Bischofspalast und natürlich ein exzellent erhaltenes Theater kündeten von der einstigen Bedeutung dieser Aphrodite geweihten Stadt.
Nach Pamukkale war es nun nicht mehr weit. Don Curry fand auf Anhieb sein Venus Suite Hotel, von dem er sogar einen fernen Blick auf die Travertinterrassen erhaschen konnte. Als ungewohnt erwiesen sich die deutlich kühleren Temperaturen hier im westanatolischen Hochland: bei 19° C saß Don Curry zwar zum Abendessen noch draußen im Innenhof, aber es fröstelte ihn schon etwas. Dafür wärmte er sich an Tomatensuppe, Chicken Kebab und einem Tee kräftig auf; ein Tuborg Gold zum Essen sorgte für die nötige Flüssigkeitszufuhr.
Sackgassen, sinnierte Don Curry, sind eigentlich nur Lebenszeitverlust. Sie bringen nicht weiter, sondern immer nur zurück. Leider merkt man erst zu spät, wenn man in eine Sackgasse gerät...