Veröffentlicht: 30.06.2023
Wir befinden uns auf dem Heimweg und versuchen dies mit Zug und Rad zu bewerkstelligen. Dies ist der vorletzte Blogeintrag. Bald haben wir es tatsächlich geschafft.
Heute nehmen wir den Zug, um von Burgas, der viertgrößten Stadt Bulgariens, in die fünftgrößte, nach Ruse zu kommen. Auf der Straße sind es 250 km, für die man 3h30 braucht. Mit dem Zug sind es ein paar Kilometer mehr, Zeitaufwand mit zwei Umstiegen 8h30 min. Am Bahnhof in Burgas wartet eine Lok mit fünf klassischen, Graffiti-gezeichneten Waggons. Wir konnten zwar Tickets für die Fahrrädern kaufen, einen Abstellplatz für unsere Velos suchen wir aber vergeblich. Wir stellen sie im letzten Waggon ganz hinten ab, was in Ordnung zu sein scheint. Es hat auch nicht viele Fahrgäste auf dem Weg nach Sofia. Unterwegs geht einmal bei laufender Fahrt direkt vor unseren Rädern die Tür auf, doch der Schaffner ist gleich zur Stelle und regelt die Angelegenheit. Wir fahren die ganze Strecke über durch landwirtschaftlich geprägtes Gebiet, hin und wieder hält der Zug in kleinen Dörfern, manchmal besteht der Halt nur aus einem verfallenen Bahnhof, wo die streng aussehenden Bahnhofvorsteherinnen ihrer Aufgabe gewissenhaft nachkommen und zügig die grüne Kelle für die Weiterfahrt zeigen. Beim Umstieg in Dabovo wartet der Anschlusszug, da wir 20 Minuten Verspätung haben. In Gorna Orhajovica, dem größten Bahnknotenpunkt im Norden Bulgariens, müssen wir auf den Zug nach Ruse umsteigen. Schon von weitem sieht man die Folgen der kommunistischen Bauidee, Plattenbauten aus den 80-er-Jahren, in denen bis heute rund 20.000 Menschen leben.
Ähnlich wie die Plattenbauten sieht auch unser nächster Zug aus. Ob er nicht noch früher gebaut wurde als in den 80-er-Jahren? Die Sitze lassen es jedenfalls vermuten. Nach 2h30 Minuten durch Niemandsland kommen wir in Ruse an. Heute schaffen wir es ins Hotel bevor der Regen beginnt. Mit Regenjacke spazieren wir später bis zur Donau. Von Negotin, wo wir nach Rogljevo, dem „Weinkellerdorf“ abgebogen sind, sind es auf dem Donau-Radweg nur etwas mehr als 300 km, doch das war nicht unser Weg 😀
Es gibt auch eine Zugverbindung von der rumänischen Donauseite nach Bukarest, doch angesichts der geringen Entfernung wollen wir noch einmal aufs Rad steigen. Zuerst muss man auf jeden Fall über die imposante 3,5 km lange Donaubrücke, die zu sowjetischen Zeiten Freundschaftsbrücke hieß. Sie war bis 2013 die einzige feste Querung entlang des 470 km langen bulgarisch-rumänischen Abschnitts der Donau. Wir sind jedenfalls sehr beeindruckt von dem 1954 eröffneten Bauwerk. Obwohl Bulgarien und Rumänien noch nicht zum Schengen-Raum gehören (ein Beitritt soll noch im Laufe des Jahres erfolgen), werden wir auf beiden Seiten ohne Kontrolle durchgewunken. In Giurgiu kommen wir schnell auf die DN 5, die auch als E70 oder E85 firmiert. Entsprechend ist der Verkehr mit Lastwagen und PKW. Gleich am Ortsausgang wie auch unterwegs an einer Tankstelle haben wir nochmals Begegnungen mit den rumänischen Hunden, doch dank unserer Erfahrung geben wir denen den Tarif durch (wie der Schweizer zu sagen pflegt).
Auf der ganzen Strecke haben wir einen gut asphaltierten Seitenstreifen, so dass uns auch zwischenzeitlich starker Verkehr nicht aus der Ruhe bringt. Großes Lob an Dominique, die das voll mit durchzieht, obwohl es ja die Alternative 'Zug' gegeben hätte. In Bukarest müssen wir fast durch die ganze Stadt, da wir wegen der Weiterreise ein Hotel in der Nähe des Gara de Nord gebucht haben. Dank komoot ist das kein Problem, er führt uns auf kleinen Nebenstraßen und direkt vorbei am Casa Populirui, dem Haus des Volkes, für dessen Erbauung das Volk hungern musste. Diktator Ceausescu ließ ein ganzes Stadtviertel abreißen, um zu gewährleisten, dass der Blick auf diesen wahnwitzigen Palast direkt zentriert werden kann. Man kann die Größe kaum glauben, wenn man als kleiner einfacher Mensch mit dem Rad daran vorbei fährt.
Kaum im Hotel angekommen, mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof, um die Weiterfahrt nach Brasov zu buchen und mich insbesondere um die Fahrradkarten von Brasov nach Budapest zu kümmern. Die Fahrt nach Brasov ist kein Problem, die Fahrkarten für uns und die Räder bekomme ich nach kurzem Warten in der Schlange schnell. Bei der Weiterfahrt von Brasov nach Budapest handelt es sich um internationalen Verkehr, der natürlich an Schalter 1 bearbeitet wird. Dort wartet niemand, die Sachbearbeiterin ist mit ihrem Handy beschäftigt. Doch mit meiner Ankunft ändert sich die Lage komplett. Es dauert etwas bis sie mein Anliegen verstanden hat. Äußerst hilfreich ist dabei, dass ich die Fahrkarte mit Reservierung bereits via Internet zu Hause gekauft habe und vorlegen kann . Die Frau verlässt den Schalterbereich und kommt fünf Minuten später wieder. Sie nimmt ein Registrierbuch von einem Stapel und schlägt die nächste freie Seite auf, telefoniert, schreibt mit einem Buntstift etwas ins Buch und bedient den Computer. Dann steht sie wieder auf, durchsucht den Stapel mit den anderen Registrierbüchern. Wieder greift sie zum Telefonhörer und hört wohl vor allem zu. Eine Kollegin kommt dazu und setzt sich zu ihr. Abwechselnd durchsuchen sie gemeinsam das Registrierbuch, telefonieren oder tippen mit Einfingersuchystem am Computer. Nach einer halben Stunde die erlösende Frage: "Cash or Card?" Dies bedeutet, dass wir auf einem guten Weg sind. 15 Minuten später schnaufen wir alle durch, ich bekomme zwei Reservierungen für die Fahrräder von Brasov nach Budapest für umgerechnet 10 € - und könnte die ganze Welt umarmen. Dass dies nun geklappt hat!! Für die weitere Heimreise sind alle Züge mit Fahrradreservierung gebucht. Mein Glück kann nur verstehen, wer schon unter schwierigsten Bedingungen versucht hat, Fahrrad und Zug zusammen zu bringen.
Wann kommt man schon einmal nach Bukarest? Ist doch relativ weit im Osten und nicht sehr bekannt für Sehenswürdigkeiten. Bukarest hat den Beinamen Paris des Ostens, was auf die vielen Bauwerke im Zentrum zurückzuführen ist, die deutlich die Handschrift französischer Architekten zeigen. Daneben existieren natürlich auch viele kommunistische und balkanische Einflüsse. Gelitten hat die Bausubstanz unter der starken Bombardierung am Ende des II. Weltkriegs als Rumänien sich auf die Seite Russlands stellte, durch das Erdbeben 1977 und die kommunistische Herrschaft. Vieles ist in den letzten Jahren unter großem Aufwand wieder aufgebaut und restauriert worden, neben den Prachtstraßen und Boulevards mit Neubauten findet man aber auch noch zahlreiche verfallene Häuser, die dringend einer Sanierung bedürfen. Aber das macht auch den Charme dieser Stadt aus.