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Auf dem Weg zum Schwarzen Meer

Veröffentlicht: 24.06.2023

Genau genommen befinden wir uns seit dem ersten Tag, als wir vor vier Jahren die MS Vesteralen in Kirkenes verließen, auf dem Weg zum Schwarzen Meer. Doch nun wird es konkret, fast können wir es in Edirne schon riechen. Hier beschreiben wir nun die letzten drei Etappen. 

ICT-Radtag 22: Edirne - Vaysal 85 km 1300 hm

Am Morgen verabschieden wir uns von Edirne, übrigens über eine Städtepartnerschaft mit Lörrach verbunden. Bei der Ausfahrt über eine der alten Brücken hat man nochmals einen wunderbaren Blick auf die Selimiye-Moschee. Wir sind schnell auf dem Land, rechts ein Storchennest auf den Resten eines Krankenhauses. Überall entlang der Straße Sonnenblumenfelder, dazwischen auch Getreide und Zucchini. In Karabulut legen wir einen Gedenkstopp für die Karabuluts auf dem Salzert ein. Es wird allmählich heißer, am Mittag über 30 Grad, so heiß hatten wir es bisher noch nicht. Es geht ständig auf und ab, Flachstücke gibt es so gut wie keine. Die Anstiege tun besonders weh, wenn der Asphalt dem Sand und Schotter weicht. Am Nachmittag nimmt dieser Anteil deutlich zu. Wir fahren ganz nah an der Grenze zu Bulgarien und begegnen außerhalb eines kleinen Dorfes einer Gruppe von Flüchtlingen, barfuß und ohne Gepäck. Vermutlich suchen sie ein Schlupfloch in die EU. Nicht weit entfernt ist die Autobahn mit der großen Grenzstation, an der sich die LKW stauen. Wir fahren über die Autobahn und setzen unsere Tour durch die kleinen türkischen Dörfer entlang der Grenze fort:ein paar Bauernhöfe mit landwirtschaftlichen Geräten, daneben ein paar alte Wohnhäuser, ein Gemeindehaus , eine Moschee und meistens noch ein Café, in dem die Männer auf das nächste Essen warten oder darauf, dass es Abend wird. Auch für uns kommt der Abend näher, und wir wissen noch nicht, wo wir übernachten. In Vaysal, 380 Einwohner, gibt es einen neuen Laden, in dem uns die nette Besitzerin weiterhilft. Dank Google Translate und Verhandlungsgeschick schafft es Dominique, dass wir im Nebenraum  (Büro) der Moschee übernachten können. Waschbecken für die Katzenwäsche und Toilette gibt es im Moscheebereich auch.  Ein besonderes Erlebnis!  Im Laden können wir uns mit Essen und sogar mit Bier versorgen. Bier ist aber nicht in der Öffentlichkeit erlaubt, nur im Verschlag hinter dem Laden. Hin und wieder kommt ein Einheimischer dazu, der sein Bier an einer Durchreiche in Empfang nimmt. Der Tag klingt also gemütlich aus. Bald kriechen wir in unsere Schlafsäcke. 

ICT-Radtag 23: Vaysal - Malko Tarnovo 110 km 2000 hm

Es ist der vorletzte Radtag und schon zu Hause hatten wir uns gewundert, dass es Richtung Schwarzem Meer nicht mit den Höhen und Anstiegen nachlässt. Nach den Angaben von komoot soll es heute noch einmal knüppeldick kommen, Rund 100 km, davon 40 km Schotter- und Sandpiste und 1800 hm. Und es kommt wie es kommen muss. Nachdem wir bisher dank Navi und Handy die Strecken ziemlich sicher im Griff hatten, machen wir heute schwerwiegende Fehler. Nun aber schön der Reihe nach. In der Moschee verbringen wir eine angenehme Nacht, und nach den Anstrengungen des vorausgegangenen Tages bringt die Nacht schöne Erholung. Am Morgen frühstücken wir im Garten der Moschee und trinken im Café unseren Tee, den wir genauso wie die Übernachtung nicht bezahlen dürfen. Wortreich wird uns der Weg bis Ahmetler erklärt, den wir dann guten Mutes angehen, zeitgleich mit der Ziegenherde, die aus dem Dorf getrieben wird. 15 km Schotterpiste erwarten uns, gut befahrbar und mit den schon gewohnten Anstiegen. Etwas Probleme bereiten uns die Hunde, von den uns einer bellend einen Kilometer verfolgt. Glücklicherweise kommt uns ein Hirte mit seiner Schafherde und seinen Hunden entgegen, der dann auch unseren Verfolger in seine Obhut nimmt. Nach 15 km Piste erreichen wir Devletliagac, ein kleines Bauerndorf, in dem es nach Stall riecht und alles dreckig wirkt. An dem Abzweiger nach Malkoclar steht ein Traktor, der das Schild verdeckt, das Navi hat sich kurzfristig ausgeschaltet und Dominiques Handy ist nicht aktiv. Nach 1 km kräftiger Steigung bemerken wir den Fehler. Recherche über Google Maps und komoot zeigen an, dass es auch einen anderen Weg gibt, der wie wir meinen, asphaltiert ist. Ein fataler Denkfehler. Wir radeln weiter, biegen ohne weitere Kontrolle am Straßenschild nach Kocatarla ab. Es geht wie immer hier steil bergauf (in diesem Fall 10 %) und genauso steil bergab. In Kocatarla bemerken wir den Fehler, wir sind südlich statt nördlich gefahren. Hätte man auch merken können. 😉 Also 7 km schimpfend, fluchend und schwitzend zurück, schon ahnend, dass es heute ganz, ganz schwierig werden wird. Ich habe erstmals große Zweifel, dass wir das Tagesziel erreichen. Wir finden nun den Abzweiger nach Malkoclar und strampeln demotiviert und mit körperlichen Mühen die 8 km nach oben. Dort kommt Dominique wütend und schimpfend an und braucht unbedingt eine Pause (wir haben vom Tagessoll gerade 23 km geschafft). Nach unserem Führer gibt es im 5 km entfernten Beyci eine Einkaufsmöglichkeit, das Wasser wird langsam auch knapp. Den Laden in Beyci gibt es nicht mehr, also weiter nach oben unter Qualen bis Tatipinar, ein Ort so verlassen wie Holloran Springs in Nord-Dakota. Wieder weiter, wir quälen uns bis Topcular, wo es ein Café geben soll. Dies hat schon länger zugemacht, wenigstens können wir bei einem Bauern unsere Getränkeflaschen auffüllen. Nach übereinstimmender Aussage einiger Dorfbewohner gibt es in Ahmetler eine Einkaufsmöglichkeit. Doch Ahmetler ist noch 7,5 km Piste und 6 km Asphalt entfernt, von den Anstiegen ganz zu schweigen. Auf dem langen Anstieg nach Ahmetler sind wir nahe am Aufgeben, wenn es diese Möglichkeit gäbe. Es gibt viel zu besprechen wie die Überlastung, die Sinnfrage oder wer wem was antut. Es geht nur noch darum wie wir irgendwie weiterkommen. Endlich erreichen wir Ahmetler, es gibt ein Café mit eiskaltem Wasser, ein Gemüsehändler hat gerade seinen LKW davor geparkt und wir können Obst und Gemüse einkaufen. Wir bekommen Toast und es passiert, womit ich schon lange gerechnet habe, dass ich als Fleischvermeider die Wurst gerne in Kauf nehme. Das Studium der Karte und von komoot ergibt, dass wir versuchen, das Tagesziel zu erreichen, auch wenn es noch 48 km und vermutlich viele Anstiege sind. Doch unterwegs gibt es wohl keine Unterkunft.. Es ist 16.30 Uhr als wir weiterfahren. Die 8 km bis Karaabalar sind vielversprechend, da es fast nur bergab geht. Doch dann kommt es wieder hammerhart - die 10 im bis Caglayik sind Schotterpiste mit steilen Anstiegen und schwierigen Abfahrten. Wenn Dominique voraus fährt, klappt es recht gut, sobald ich etwas voraus bin, steigt sie ab und verliert viele Meter - Radpsychologie in extremis.

Inzwischen ist es kurz nach 18 Uhr und es sind noch knapp 30 km bis Malko Tarnovo. In unserem Führer heißt es lapidar, es bleibt hügelig,  doch komoot zeigt im Höhenprofil noch steile Anstiege. Komoot hat mehr als Recht, neben mehreren knackigen, kurzen Anstiegen erwarten uns drei lange 10%-er. Unter Fluchen und mit letzter Kraftanstrengung schaffen wir auch diese Herausforderung. Wir erreichen die Hauptstraße, die zur Grenze führt und natürlich ansteigt. Gefühlt war in der Türkei jeder Meter ansteigend. An der Grenze eine lange Schlange wartender Autos, an denen wir vorbeifahren. An der Passkontrolle steht eine ganze Busladung zur Kontrolle, also lange warten bis wir dran sind. Dann schnell auf die Räder, damit wir vor dem Bus auf der bulgarischen Seite sind. Das klappt und bei einbrechender Dunkelheit geht es nun die 8 km bergab bis Malko Tarnovo. Dort ist es schon Nacht, was die Suche nach der Unterkunft erschwert. Die freundliche Gastgeberin wartet und erklärt uns alles. Restaurants und Supermärkte haben schon geschlossen. Bei Tee und unseren Essensresten lassen wir den Tag Revue passieren. Es war echtes ICT-Feeling mit den entscheidenden Faktoren, die uns auf dieser Tour begleitet und sie auch so schwierig gemacht haben: Wetter (heute war es heiß, fast kein Schatten), Planung der Versorgung (kein Laden über 55 km, zu wenig Wasser), Etappen (große Entfernung wegen fehlender Unterkünfte, Sandpiste und grober Schotter, steile Anstiege mit Gepäck), hohe Anforderungen an die körperliche Fitness und enorme Willenskraft (wir wollen das unbedingt). Heute gibt es am Abend erstmals kein Bier...was nicht so schlimm ist. Nach einer Dusche sinken wir ins Bett. 

ICT-Radtag 24: Malko Tarnovo - Tsarevo 60 km 700 hm

Heute erreichen wir das Schwarze Meer! Die Widrigkeiten des gestrigen Tages sind angesichts dieser Aussicht am Morgen (fast) vergessen. Wir gehen es gemütlich an und radeln erst um 10.30 Uhr los. Es geht durch Laubwälder, auch heute wieder auf und ab. Bis zum Schluss müssen wir kräftig in die Pedale treten. Dominique ist in Topform und fährt die Anstiege zügig hoch. In der durch die Grenznähe auch hier einsamen Bergwelt fahren nur wenige Autos, die Straßenbeschaffenheit ist viel besser als vorhergesagt. Obwohl wir kurz vor Tsarevo noch auf über 150 Meter sind, kann man das Schwarze Meer noch nicht sehen. Wir müssen bis zum beschaulichen Hafen, wo die Fischerboote vor sich hin dümpeln. Ein nicht zu beschreibendes Gefühl erfasst uns, wir liegen uns unter Tränen in den Armen. Was vor vier Jahren nach dem Ausstieg vom Schiff an der Barentsee begann ist nun nach drei Abschnitten und 9100 km auf dem Iron Curtain Trail und 1000 km An- und Abreise mit dem Rad vollbracht. Wir sind angekommen! Ein unglaubliches und kaum fassbares Gefühl!




Antworten (12)

Lothar
Geil !

Yvonne
Es ist unglaublich, was Ihr da geschafft habt! Ich bewundere Euer Wille und Durchhaltevermögen - und bin unheimlich froh, dass ich das nicht tun muss 😉 aber kann mir so gut vorstellen was das für ein tolles Gefühl ist, wenn man sein Ziel geschafft hat und den langjährigen Plan umsetzen konnte!!! Bravo, Bravo, Bravo 👏 🥳👍😎 herzlichste Sonnengrüsse noch aus dem heissen Piemont 🙋‍♀️ Yvonne

Harald
Liebe Yvonne, danke. Es war in der Tat hart zwischendurch. Piemont ist auch sehr schön und wir sind auch schon mal mit dem Rad durchgefahren. Noch schöne Tage und guten Wein…. Herzlich Dominique

everydayangel
Wow, ich fange gerade verkehrt herum an und lese die Ankunft als Erstes 😅, weil ich erst gestern mitbekommen habe, dass ihr aktuell on Tour seid. Herzlichen Glückwunsch!! Was für ein Abenteuer 🤩... ich freue mich nun darauf, "von vorne" zu beginnen und bin gespannt 😊. Ganz liebe Grüße, Carina (Schäuble)

Thomas
Wo bleiben die Strandfotos? 😎

Harald
Kommen…..

Harald
Liebe Carina, welch schöne Überraschung von dir im Blog zu lesen. Das freut uns sehr. Wie bist du auf den Blog gestoßen? Liebe Grüße auf den Salzert

everydayangel
Den Blog selbst hattest du mir 2019 geschickt und Freitag hab ich deine liebe Nachfolgerin beim Abschluss-Apéro eines Spendenlaufs getroffen und dabei gehört, dass ihr gerade wieder unterwegs seid 🚲🚲🚲

everydayangel
Wahnsinn! Ich bin jetzt durch die dritte Etappe durch und voller Bewunderung - Respekt!! Selbst ohne die 2 schlimmen Tage (nach Drama und hier der vorletzte) ein sehr anstrengendes Abenteuer - aber unglaublich faszinierend und bestärkend. Nochmal herzlichen Glückwunsch 🏆 Liebe Grüße, Carina

Nur mal so zum Vergleich. Wir haben gestern 37,7 km und 160 hm in 2:02 h abgerissen🙀

Also, herzliche Glückwünsche und nach hoffentlich etwas Erholung am Schwarzen Meer, einer problemlosen Rückreise und einem tollen Konzert mit „The Boss“ dann herzlich Willkommen daheim. Übrigens, gibt’s schon neue Pläne? Liebe Grüße.

Harald
Egal wie weit und wie hoch, Hauptsache die Radtour macht Spaß! Wir sitzen ab morgen im Zug und schauen uns noch ein paar Städte an.