Veröffentlicht: 21.06.2023
In den nächsten Tagen radeln wir durch drei Länder, die lange Zeit Teil des Osmanischen Reiches waren. Griechenland wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts selbstständig, Bulgarien in Folge des Berliner Kongresses 1877. Die Türkei entstand nach dem endgültigen Untergang des Osmanischen Reiches und wurde auf das Gebiet um Konstantinopel sowie auf Teile von Kleinasien und Anatolien reduziert. Immer wieder kam es zu Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen wegen der Grenzziehung. Zwischen Griechen und Türken bis heute, mehr in der Ägäis als auf dem Festland. Wir können hier, auch dank des europäischen Friedensprojekts die drei Länder ganz entspannt bereisen und die Grenzen bedenkenlos wechseln.
Mit Lothar und seinem Klapprad nun auch eine Bergetappe. Er radelt damit auf den Spuren von Tim Moore, der mit dem DDR-Klapprad MIFA 904 den Iron Curtain Trail an einem Stück gefahren ist. (Lesetipp: Mit dem Klapprad in die Kälte).
Wir verlassen Komotini auf einer Nebenstraße und erreichen bald die alte Passstraße Makaza, die von Meeresniveau zur griechisch-bulgarischen Grenze auf 700 hm führt. Es ist wohl die beste Radroute Griechenlands - guter Straßenbelag, mit Ausnahme eines Abschnitts nicht zu steil, kein Autoverkehr und schöne Ausblicke auf die thrakische Ebene und das Meer. Eine kleine Einschränkung sind plötzliche Hundeattacken in den Dörfern am Anfang des Anstiegs, doch zum Glück kläffen sie vor allem. Es hat aber eindeutig zu viele Hunde auf Griechenlands Straßen.
Lothar schafft den Anstieg lockerer als wir und hat noch Zeit zum Fotografieren. An der Grenze fahren wir frech an der langen Kolonne vorbei, die in Gegenrichtung sogar 2 km lang ist. Die Grenzkontrolle dauert bei uns nur wenige Sekunden.
Auf bulgarischer Seite bleiben wir eine Weile auf der Hauptstraße, ehe wir auf eine Nebenroute abbiegen, die durch eine hügelige, grüne Landschaft führt, was selbstverständlich mit einigen Anstiegen verbunden ist. In dem einen oder anderen Dorf ruft der Muezzin zum Mittagsgebet. Es gibt in diesem Teil Bulgariens eine türkisch-muslimische Minderheit. Bei Hadzhiysko treffen wir wieder auf den EV 13, dem wir aber nicht gleich folgen, da es im näheren Verlauf keine Unterkunft gibt. Wir fahren weiter Richtung Norden und treffen morgen bei Krumovgrad endgültig auf den Iron Curtain Trail. Doch da liegen noch einige km und hm dazwischen.
Wir müssen uns leider von Lothar verabschieden, was uns sehr schwer fällt. Seine Begleitung war aufbauend, bereichernd und entlastend. Großartig! Dass er die ganzen Umstände auf sich genommen hat, empfinden wir als herausragende Wertschätzung unserer Tour.
Wir haben ihn schon beim Abschied vermisst, doch wenige Kilometer später noch mehr. Er wäre ein guter Helfer beim Schlauchwechsel nach dem ersten Plattfuß gewesen. Ein kleiner Stachel hatte sich seitlich ins Vorderrad gebohrt. Doch gemeinsam haben Dominique und ich schnell den neuen Schlauch eingesetzt und können den nächsten Anstieg angehen. Es geht ständig auf und ab bis wir gegen 17 Uhr an unserer Unterkunft ankommen.
Bis Momchilgrad ist es nicht weit, und wir fahren ohne Pause auf der 59 weiter, auf der wir bis zu unserem Zielort Ivaylovgrad bleiben. Es geht gleich auf einen „Albaufstieg“ mit 400 hm, der gut machbar ist. Von oben hat man einen wunderschönen Ausblick auf den östlichen Teil des Rhodopengebirges mit vielen Bergen um die 1000 m und tief eingeschnitten Tälern. Ortschaften gibt es kaum, obwohl wir auf der Hauptstraße fahren, was für uns aber bedeutet, dass es auf dem schönen Asphalt gut rollt. Etwas Mühe bereiten uns die kurzen, knackigen Anstiege zwischendurch, doch um die Mittagszeit sind wir in Krumovgrad. Wir machen Pause und kaufen fürs Vesper ein, denn vor uns liegen 55 km mit einem Anstieg auf über 800 m (600 hm), während denen es keine Einkaufsmöglichkeit gibt. Die wenigen Dörfer liegen rechts und links der Hauptstraße und haben nur noch wenige Bewohner. Im ersten Abschnitt ist der Anteil der Pferdefuhrwerke nur wenig geringer als der der Autos. Und dann wir zwei Radler, die völlig überraschend auf englische Fernradler treffen. Die beiden sind nach zehn Monaten durch Nordafrika, Irak, Türkei und Georgien auf dem Heimweg. Am Abend treffen wir zwei Engländerinnen, die den EV 6 und den EV 13 kombinieren und dies wie wir in drei Abschnitten machen. Sie hatten noch mehr Probleme mit dem schlechten Wetter und sind deshalb die letzten Tage vom EV 13 abgewichen. Für diesen dritten Abschnitt ihrer Tour haben sie sich in Belgrad E-Bikes gekauft. Es ist sehr interessant zu hören, was Menschen mit dem Fahrrad so alles machen. Der Anstieg zum Pass ist angenehm zu fahren, danach geht es vor allem bergab, so dass wir kurz vor 17 Uhr unser Ziel erreichen.
Von Ivaylovgrad ist es nicht weit zur bulgarisch-griechischen Grenze, die wir nach kurzer Kontrolle passieren dürfen. Der Himmel strahlt hellasblau über der fruchtbaren Ebene mit Obst- und Weingärten, Sonnenblumen- und Getreidefeldern. Nach 15 km wartet wieder ein kleiner Albaufstieg, der einzige längere Anstieg heute. In dem beschaulichen Dorf Petrota machen wir eine Pause und wollen dann ohne Halt die 45 km bis Edirne durchfahren. Dann bleibt genügend Zeit für die ehemalige Hauptstadt des Osmanischen Reiches.
Zunächst kommen wir auf der gut asphaltierten Straße fast ohne Verkehr gut voran. In Orméni geht es auf einem Feldweg in unmittelbarer Nähe der bulgarischen Grenze weiter. Durch die Regenfälle hat es teilweise tiefe Spuren, die uns manchmal zum Absteigen und Schieben zwingen. Nach einer schönen Strecke auf Asphalt warten noch einmal 8 km Feldweg auf uns bis wir das kleine Grenzdorf Marasia erreichen, wo einige Grenzpolizisten gelangweilt herumstehen. Eine Brücke, die häufig mit einer Fahrt durchs Wasser verbunden ist, soll auf die andere Seite des Ardas-Flusses und zur Grenzstation führen, doch der Fluss hat die Brücke weggespült. Schock! Es gibt keine Furt, auch kein Boot, das uns zur anderen Seite bringen könnte. Doch nach genauem Kartenstudium stellen wir fest, dass in rund 3 km Entfernung die Autobahnbrücke über den Fluss führt. Also nochmals ein Stück Feldweg und dann auf die Autobahn, auf der kaum Verkehr ist und die einen breiten Seitenstreifen hat. Nach 2 km kommt die Ausfahrt zur Grenze. In Richtung türkischer Seite wird der Himmel immer dunkler, ein starkes Gewitter kündigt sich an. Wir passieren noch die griechische und türkische Grenzkontrolle und haben mit der Türkei das zehnte und letzte Land unserer diesjährigen Reise erreicht. In zwei Tagen passieren wir ein letztes Mal mit dem Rad eine Grenze - zurück nach Bulgarien.
Kaum sind wir in der Türkei angekommen, geht ein sintflutartiges Gewitter herunter. Wir retten uns zu einem Unterstand, der den schlimmsten Regen abhält. Nach einer halben Stunde können wir die letzten sechs Kilometer nach Edirne zum Hotel zurücklegen. Auf dem Weg überqueren wir den Evros, der im Unterlauf auf fast 200 km Grenzfluss zwischen Griechenland und der Türkei ist. 2011 kamen an dieser Grenze 55.000 Armutsflüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan, Somalia und dem Sudan an, woraufhin die griechische Regierung einen drei Meter hohen Grenzzaun errichtete. Seit der Fertigstellung des Zauns hat sich der Flüchtlingsstrom auf die Inseln der südlichen Ägäis verlagert.
Die meisten Straßen sind überflutet, und die vorbeifahrenden Autos spritzen uns richtig nass. Später verziehen sich die Wolken, so dass wir Zeit haben für eine Stadtbesichtigung. Wir sind in einer anderen Welt angekommen, mehrere Moscheen dominieren das Stadtbild, überall gibt es kleine Läden mit auffälliger Reklame, viele Leute sind unterwegs, Händler im Straßenverkauf. Wir genießen das sehr.
Besonders beeindruckend in Edirne ist die über der Stadt thronende Selimiye-Moschee aus dem Jahre 1575, die seit 2011 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Leider werden derzeit große Teile restauriert. Nicht minder schön ist die Eski Cami, die alte Moschee, mit wunderschönen Ornamenten im Innern. Sehenswert sind auch die alten Häuser aus Holz aus osmanischer Zeit in der Altstadt Kaleici.
Nur noch drei Tage oder ein Blogeintrag oder 250 km oder 3000 hm oder ein Grenzübergang oder ...bis wir hoffentlich ins Schwarze Meer springen. Wir sehen den nächsten drei Tagen gespannt entgegen.