Veröffentlicht: 29.03.2019
Tag 175
Das Wetter ist immer noch besser, als wir es uns zu wünschen getraut hätten. Wenn man keine Ahnung hätte könnte man meinen, dass es noch der schönste Sommer ist, dabei haben wir Herbst in Argentinien, es ist der 29. September. Die Blätter färben sich auch tatsächlich langsam orange. Wenn wir allerdings durch Buenos Aires schlendern und uns auf weitläufigen Plätzen und in den breitesten Straßen begeben, dann tun wir das bei herrlichen 25 Grad und blauem Himmel. Die letzten Tage haben wir also irgendwie doch nochmal Sommer, hier in der Hauptstadt. Wir sind wieder da.
Nach einer Woche Uruguay ging es gestern von Montevideo aus mit der Fähre wieder zurück nach Argentinien. Hier in Buenos Aires haben wir nun noch eine Handvoll Tage bis hier schließlich alles endet und es vom Oktober in den April und zurück nach Deutschland geht. Was denkt man so kurz vor Ende einer solchen Reise. Ja, gute Frage. Natürlich kann man es irgendwie nicht richtig glauben, nicht verarbeiten und nicht fassen, dass es nun einfach so vorbei geht. Dass diese sechs Monate auch ein Ende haben können, und dass sich in wenigen Tagen alles ganz radikal ändern wird. Ich würde das schon gerne begreifen können, aber vielleicht, und das nehmen Linus und ich auch gerne als Ausrede, um uns vor anstrengenden Denkprozessen zu drücken, ist unser Gehirn dazu auch einfach nicht in der Lage. Wir sind, um das zu verstehen vielleicht schlichtweg zu dumm. Und trotzdem überlegt man viel und versucht es sich vorzustellen. Dass man in ein paar Tagen wieder ganz normal zuhause im kalten Norddeutschland auf der Couch sitzt und sich beschwert, dass die Fernbedienung so weit entfernt liegt. Bitte beschwer ich mich nicht mehr über solche Dinge.
„Alles hat ein Ende, nur unsere Reise hat zwei“. So hieß mal ein Eintrag von mir. Und das zweite Ende ist jetzt also auch gekommen, obwohl das beim Schreiben jenen Beitrags gedanklich noch so weit weg war. Tag 175. Hundertfünfundsiebzig. Auch das Ausschreiben dieser großen Zahl lässt mich nicht verstehen, dass wir schon so lange unterwegs sind und schon so bald wieder zurück. Ich habe viele Freunde gefragt, die auch auf Reisen waren und in den letzten Wochen wiedergekommen sind, wie es sich anfühlt nach einer solchen Zeit wieder zu Hause anzukommen und sie alle antworteten mit „komisch“. Das glaube ich ihnen aufs Wort. Aber das werde ich erst erfahren, wenn es auch bei mir so ist und noch bin ich hier, in Buenos Aires. Noch kann ich nur spekulieren und versuchen zu begreifen, auch wenn ich weiß, dass das wie bereits gesagt nicht im Rahmen, zumindest meiner geistigen Möglichkeiten steht.
Also erzähl ich lieber noch ein bisschen etwas über Uruguay, das direkte Nachbarland Argentiniens, das im Süden nur durch eine Meerenge, den Rio de la Plata von Argentinien abgegrenzt wird. Vor genau einer Woche kamen wir in Sacramento an, das nur 90 Minuten Fährfahrt von Buenos Aires entfernt liegt. Über das traumhafte Städtchen mit diesem besonderen Flair habe ich schon ein wenig erzählt. Von dort aus ging es mit dem Bus weit in den Osten des Landes nach Punta del Este. Wir wussten über diesen Badeort vorab eigentlich nicht viel, außer dass er direkt am Meer liegt und den Übergang vom Rio de la Plata zum Atlantik bildet. Als wir die Stadt aus dem Bus aus der Ferne sahen wunderten wir uns über die Größe dieser und vor allem über die vielen Hochhäuser, die uns an andere argentinische Städte erinnerten, weil wir gelesen hatten dass Punta del Este nur etwa 9000 Einwohner haben soll. Später, als wir ankamen und uns zur Unterkunft begaben, merkten wir dass die Geisterstadt derartig vom Tourismus profitiert, dass die ganzen Hochhäuser Hotels waren, die Ende September nun mal leer stehen. Uns störte das aber nicht. Wir fanden eher die Preise der Restaurants und Supermärkte exorbitant, die noch einmal viel höher waren, als in Sacramento, wo wir zuvor waren. Später wurde uns klar warum. Ich zitiere meinen Reiseführer: „ Punta del Este (...) ist einer der exklusivsten Ferienorte Südamerikas und steht bei reichen Argentiniern und Brasilianern enorm hoch im Kurs; und der teuerste Ort Uruguays ist Punta locker auch,“. Ich glaube damit ist alles gesagt. Wir haben es dort trotzdem sehr genossen und waren außerdem ein letztes Mal auf unserer gesamten Reise im Meer baden. Zwei Minuten später wurden wir zwar von einem Lifeguard herausgepfiffen, weil die rote Flagge gehisst war, aber der Moment zählt.
Nach Punta del Este ging es weiter in die Hauptstadt nach Montevideo. Dort blieben wir weitere zwei Tage und fühlten uns wie in einer kleineren Version von Buenos Aires. Wir haben uns die Stadt angeschaut, und haben in einer lebendigen Fußgängerzone, in der es viele verschiedene Verkaufsstände gab, das ein oder andere Andenken gekauft.
Gestern ging es dann wieder mit der Fähre in die Stadt in der das zweite Kapitel unserer Reise begann.
Ich sitze an einem Tisch in unserem Hotelzimmer. Das Zimmer ist groß, die Preise hier wieder sehr niedrig. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Großstadt, hohe Gebäude dicht an dicht. Alle paar Sekunden lautes Gehupe.
Mein zerfetzter Reiseführer neben mir, den ich jetzt nicht mehr brauche und der mir vor Monaten noch so neu und wichtig vorkam. Mein Rucksack der in der Ecke liegt, ist verstaubt. Er platzt aus allen Nähten. Die Dinge die darin sind, sind abgenutzt. Meine Schuhe sind dreckig, die Speicherkarten voll.
Es wird Zeit.
Ich melde mich aus dem Flugzeug nochmal.