Veröffentlicht: 09.03.2025
Diese Reise ist irgendwie eine andere, als meine bisherigen. Natürlich, sie ist länger, sie ist weiter. Aber das allein meine ich nicht, es ist mehr als das nach außen Offensichtliche. Es ist mehr ein Gefühl. Ich beginne es vor ein paar Wochen in dem Moment erstmals zu greifen, als ich mich mit einer Mitreisenden aus der Gruppe, die seit 6 Monaten unterwegs ist, unterhalte und frage: "Hast du manchmal Heimweh?"
"Nein, nie. Im Gegenteil, ich könnte ewig so weitermachen. Wenn ich irgendwo bin im Nirgendwo, dann bin ich frei. Ich will absolut nicht nach Hause, da gibt es nichts, auf das ich mich freue."
Das versetzt mir einen Stich. Denn ich weiß, wie sich das anfühlt, ich weiß wie unfassbar schwer und ekelhaft dieses Gefühl ist. Und immer wieder muss ich darüber nachdenken, erinnere mich daran wie es mir damals ging uns frage ich mich, was so anders ist. Bis mir irgendwann der Gedanke kommt: Es ist die Richtung. Sie wollte weg von zu Hause. Ich wollte hin zu einem anderen Ort
Bin ich bisher weggefahren, alleine, dann wollte ich auch weg von. Weg von der Arbeit, weg von einem Streit, weg von Verpflichtungen, letztlich wohl weg von mir, was nicht funktioniert, denn egal wie leicht das Gepäck ist: Sich selbst und die vielen dazugehörigen Stimmen hat man immer dabei. Klar hört man sich selbst oft nicht so mehr so deutlich, vor allem anfangs, wenn alles neu ist, laut und aufregend. Deswegen ist weg-von auch wichtig, um mal durchzuatmen, um Kraft zu sammeln, um abgelenkt zu werden. Doch tut man nur das, tut man es unbewusst oder zu lange ist es eigentlich nur ein Wegrennen und Versteckspielen mit sich selbst, bei dem man trotzdem immer nur verliert.
Ich bin in Dunedin, dem "Edinburgh Neuseelands", angekommen. Die Fahrt hat viel länger gedauert, als angegeben, weil ich 1. wegen der Erkältung viele Pausen machen musste und ich 2. einen Umweg gefahren bin, um nochmal diese wunderschöne Strecke zwischen Wanaka und Queenstown zu genießen. Ich glaube, hier ist einer meiner Lieblingsaussichtspunkte. Als ich Dunedin erreiche, ist es schon 16 Uhr und ich fühle mich, als wäre ich auch einmal über mich selbst gefahren. Mehr als einen kleinen Rundgang durch die Stadt schaffe ich nicht mehr, um ehrlich zu sein reicht mir das aber. Denn erwartet hatte ich einen kleinen süßen Küstenort, die Stunden die ich an den Ampeln stehe fühlen sich aber mehr nach Großstadt an. Dann koche ich eine ausgiebige Gemüsesauce (fast wie die von Mama, nur wären ihr die Karotten noch zu hart) und lese beim Essen weiter in meinem Buch. Am nächsten Tag regnet es und ich bin so froh, verkrieche mich wieder mit einer heißen Schokolade in meinem Bett (fast wie meines, nur ist es hier kälter). Und ich spüre: Ich will nach Hause. Will ich nun also doch auch weg-von?
Aber: Ich spüre das nicht wie einen Schmerz, wie eine unaushaltbare Sehnsucht (diese Momente gibt es punktuell auch mal, aber das gehört zum Alleinreisen bei mir irgendwie dazu), sondern eher als kribbelige und erschöpfte Vorfreude. Ja, ich freue mich auf zu Hause. Natürlich kann ich hier in Neuseeland Dinge sehen, die ich zu Hause nicht habe. Und eigentlich will ich nicht weg von hier. Es ist kein weg-von-Gefühl. Es ist ein hin-zu-Gefühl. Und natürlich hätte ich am liebsten beides.
Ich sehe die sich im Schlaf küssenden Seelöwen am Sandfly-Beach und freue mich auf Küsse und Umarmungen der liebsten Menschen zu Hause. Ich sehe diese kleinen süßen blauen Pinguine, die aus dem Meer hochwatscheln und sich über den Haufen rennen und freue mich auf die Nachbarskatze, die auf mich zugelaufen kommt und manchmal vor Euphorie über ihre Füße stolpert. Ich sehe die steilste Straße der Welt und freue mich auf die Straße, die von meiner Wohnung nicht ganz so steil nach unten führt, in Richtung S-Bahn oder über den Marktplatz zur liebsten Kolleginnenfreundin. Ich sehe das Frühstück vor mir in diesem kleinen vegetarischen Café und freue mich auf einen Kaffee & Kuchenklatsch bei Ellis mit der anderen Kolleginnenfreundin. Ich bewundere die Streetart in Dunedin und freue mich auf Schnipseln und Malen und Schreiben an meinem Küchentisch. Ich beobachte die angeregten Gespräche in der Hostelküche und freue mich auf lange, intensive Gespräche auf der Couch mit Wein, Schokolade und was eben sonst noch so da ist. Ich sehe den wunderschönen Bahnhof und freue mich darauf, mit dem Rad nach Grafing Bahnhof zu fahren, um von dort aus zum Sport oder zu lieben Freunden zu kommen. Ich sehe mein Mietauto, in dem ich halb wohne, und kann es kaum abwarten, wieder für eine Woche in einem Dachzelt am Gardasee zu wohnen. Ich klettere auf die Moeraki-Boulders und freue mich auf Bouldersessions mit eins, zwei, vielen Menschen, Cappuccino im Anschluss und (de)motivierenden Anfeuerungssprüchen zwischendurch. Ich sehe zwei Kinder in Schuluniform und - ja - freue mich auf "meine" Schule. Ich tanze auf dem Aussichtspunkt und am Meer und freue mich auf Tanzen mit Stange, mit dem Boden und anderen Menschen. Ich freue mich so sehr, dass ich manchmal gleich nach Hause will und gleichzeitig aber auch nicht weg von hier, aus dieser anderen Welt, die so voller Schönheit ist, dass mir das Herz fast übergeht.
Ich habe verstanden und es macht mich so dankbar: Diese Reise ist eine Hin-zu-Reise. Eine Reise nach Neuseeland, hin zu einem lang gehegten Ziel, hin zu all diesen wunderschönen Orten, wundervollen Begegnungen, hin zu neuen Freunden, hin zu Abenteuern uns vor allem hin zu mir: Meinem Mut, meinem Stolz, meiner Einsamkeit, meinem Selbst, meinem Platz, meinem Leben. Hin zu ewigen Erinnerungen.
Ich bin so dankbar und froh, dass ich heute aus ganzem Herzen sagen kann: Ich weiß zwar, wie es sich angefühlt hat, nur mehr weg-von zu wollen. Aber das ist nicht mehr so. Ich will nicht weg von hier, aber ich will nach Hause (Betonung auf dem 2. Wort)! Denn das zeigt mir, wie sehr ich mein Leben mag. Und euch alle, die ihr darin seid ❤️