Cassiopeia
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ABC-Trek - Nepal

Veröffentlicht: 17.12.2023

Da es inzwischen Mitte Dezember war und somit der Winter im Himalaya richtig angefangen hatte, dachte ich, dass ich so ziemlich der einzige Wanderer bin der den Annapurna Basecamp Trek wandert, womit ich mich aber gänzlich irrte. Ja, der Winter hatte zwar langsam angefangen, aber das nur in den hohen Berglandschaften. Der Trek beginnt ebenfalls im subtropischen Gebiet und führt recht steil zum Basecamp hoch, wodurch die Temperaturen doch viele Treker nicht davon abhalten ihn auch jetzt noch zu wandern. Dazu ist die Wanderung durch seine relativ kurze Dauer von durchschnittlich 5 Tagen ziemlich kurz und generell nicht so herausfordernt. Deswegen war ich, zumindest im Vergleich zum Circut, mit recht vielen anderen Menschen unterwegs und ich muss gestehen, dass ich Menschenleere Berge vollkommen bevorziehe. Vorallem wenn es sich um Touristen handelt, die sich über jeglich fehlenden Luxus in Bergdörfern beschweren, die lediglich zu Fuß oder mit dem Esel über teilweise mindestens 3 Tageswanderungen erreichbar sind.

Und das Thema mit den Portern ist so oder so ein ganz anderes. Ich weiß, dass diese Art von Tourismus mit Sherpern auch Jobangebote und somit Inkommen in ärmeren Regionen generiert, trotzdem tat mir jedes Mal mein Herz ein wenig weh wenn ich an den Sherpern vorbeilief, wie sie 30-40Kg auf ihren Rücken hoch hievten, während die Touristen mit ihrem Minirucksack gemütlich nach oben spazierten. Wo endet die Würde eines Menschen und wo beginnt menschenungerechte Arbeit? Natürlich sind Porter bei vielen Langwanderstrecken oder Expeditionen absolut unersetzbar, aber muss man einen Menschen seine Hygieneartikel 3.000 m hoch tragen lassen, wenn man lediglich 5 Tage wandern ist? Oder ermöglicht diese Berufsgruppe doch auch Menschen, wie z.B. körperlich Eingeschränkten, Alten und Gebrechlichen so eine Wanderung überhaupt erst zu machen und rechtfertigt somit seine Existenz?

Ich weiß jedenfalls für mich, dass ich außerhalb von Routen, wo so etwas obligatorisch ist, niemals darauf zurückgreifen könnte. Beim Wandern geht es ja auch in gewisser Weise darum zu schauen wie fit und selbstständig man ist und wo für einen die Grenzen liegen, zumindest ist das für mich ein Teil des Wanderns. Wie soll ich aber so etwas herausfinden, wenn ich meine Last auf jemand anderen übergebe der für einen Hungerslohn seine Bandscheiben zerstört und für den 'gebildeten' weißen seine und seine eigene Ausrüstung trägt?

Am ersten Tag meiner Wanderung war ich so platt wie noch nie auf dem Trek, dank dem 12½ Stunden Tag zuvor. Somit wanderte ich mit mangelnder Motivation und vor allem Energielosigkeit bis zum ersten Drittel vom ABC und hörte schon um 14 Uhr mit dem Wandern auf, was die beste Idee war die ich seit langem hatte. Den Rest des Tages verbrachte ich mit einem Mittagsschlaf, meinem Buch, viel Essen und einem langen Gespräch mit Eva bei der ich ihr auch über meine heikle Situation berichtete, wobei erst ich über all die Aufregung und Spannung in Tränen brach und dann sie. Verdammt tat es gut meine Gefühle so freien Lauf zu lassen.

Ich traf dann noch einen anderen Deutschen, Simon, mit dem ich die letzten Tage immer wieder schon lange Strecken trekte und der mir meinen Horizont um Meilen erweiterte. Ich trug einen Snickers-Riegel, den ich am Beginn der Wanderung mit einem professionellen Pokerspieler, der Jura studierte und in Calesthetic-meisterschaften teilnimmt, gegen einen Kokusriegel eintauschte, seit nun 2 Wochen mit mir um in final am BaseCamp zu essen. Und man kann sich gar nicht vorstellen was für eine Versuchung so ein Snickers ausüben kann wenn man ihn tagtäglich an sich trägt, täglich vorallem Reis isst und mit einem Kaloriendefizit von 1000-2000 kCal sich ins Bett legt. So saß ich mich als ich Mal wieder Simon antraf neben ihn ins Gras und wir machten ein kleines Päusschen, als er plötzluch ein Glas mit Erdnussbutter herausholte und fragte ob ich auch einen Riegel darein dippen möchte. Es mag vielleicht banal erscheinen was für einen Stellenwert dieses Glas crunchy Erdnussbutter bei mir in diesem Moment eingenommen hat, aber ich schreibe mit vollkommender Überzeugung, das es eins der Highlights der Wanderung war. Der Moment als ich mit meiner Enthaltsamkeit scheiterte, mein Snickers mit Zentimeter dicker Erdnussbutter bestrich und von ihm abbiss, erfüllte sich meine Gefühlswelt mit einer Extase, wie ich mir die Wirkung von Heroin vorstelle. Es fühlte sich so Vollkommen und Perfekt an. Ich fühlte mich wie Edvard Munch der seine marienblaue und schwarze Ölfarben anmischte um damit die Grundlage des Nachthimmel seines Gemäldes "der Schrei" zu entwerfen um die so wunderbare und der zur Situation perfekt passenden Schokolade verteilen. Nur damit er das Ölgemälde mit den wohlplatzierten schneeweißen Farbkleksen für die funkelnde Sterne perfektionieren kann. Und jede einzelne Erdnuss die er platziert, egal ob Einzelne im schwarzen Sog des Nachthimmels oder als Sternenformationen die akkumuliert in der homogen Vollmilchschokolade herumschwirren, scheinen dort einen Platz gefunden zu haben der so natürlich und Vollkommen erscheint wie es nur hätte sein können.

Als ich zuerst in den Schokoriegel biss fühlte ich mich wie Remi aus Ratatouille, als er mit seinem Bruder vor dem Restaurant zuerst in den Käse biss und eine malerische und spielerische Aromanuance imaginär vor ihm anfing zu tanzen. Das selbe mit einer Traube, aber einer anderen Farbe, Geräuschen und Tanz. Als ich dann die Erdnussbutter zusammen mit dem Riegel probierte vermischten sich diese beiden Geschmackswolken und in mir fachte ein ineres Feuerwerk auf, welches in allen denkbaren und auch in allen noch nicht bekannten Farben buntes Licht in jede dunkle Ecke meines Verdauungstraktes brachte und mich mit einer wärmer erfüllte, die nur durch stärkste Liebe entstehen kann. Ich würde sagen, dass ich mich vermutlich so fühlte, wie Siddartha Gautama, der Buddha, als er ins Nirwana kam, doch erreichte er diese Vollkommenheit durch die Akzeptanz jegliche Bedürfnisse und vor allem Verlangen abzulegen. In mir aber, fing gerade erst so richtig das Verlangen an. Das Verlangen nach mehr Snickers und crunchy Erdnussbutter um mir den nächsten Kick zu geben und völlig zugedrönt von dem Fett und Zucker im Himalaya zu liegen und von Munchs Sternen, Ratatouilles Tanzenden Aromawolken und Siddarthas Gelüstvollen Leben als Teenager zu träumen. Es war sogar das genaue Gegenteil, erst durch diese Schokoriegel-Erdnussbutter-Fusion verstand ich was Verlangen eingentlich bedeutet. Es ist eine treibende Kraft die in dir jegliche Moral und Liebe vergessen lassen kann um ihren Selbstzweck nachzugehen und dich als Wirt nutzt um ihren unstillbaren Hunger nach mehr hoffnungslos versucht aufzufüllen. Kurz gesagt, war der Snack ein einschneidendes Erlebniss in meinem Leben, aus dem ich die lebensbereichnde Erkenntnis zog, niemals wieder ohne Erdnussbutter wandern zu gehen, aber crunchy!!!

Am nächsten Tag fühlte sich mein Körper durch den erholenden Tag wieder mehr als fit an und ich stapfte in einem niezuvor gesehenen Tempo den Bergkamm herauf. Und dieses Mal konnte ich die Veränderung der lianenartigen Wälder, zu kargen Gerölllandschaften mit dürren Büschen bis hinzu zu dem verschneiten Bergspitzen und Hochplateaus an einem Tag miterleben. Ich kam gegen ca. 15 Uhr in dem Basecamp an und war absolut fasziniert. Vorallem weil ich auf dem Weg nach oben an einem zugefrorenen Bergsee vorbeilief, der inzwischen eine so dicke Eisschicht hatte, dass man bedenkenlos darauf gehen konnte. Während alle anderen Wanderer wackelig und für eine Minute daraufgingen um ein Bild von sich zu haben und dann weiter gingen, legte ich meinen Rucksack ab, steckte mit meine Kopfhörer in die Ohren, spielte mir Musik von Édith Piaf ab und zischte eine Stunde wie ein betrunkener Eiskunstläufer über die spiegelglatte Oberfläche des Sees, welcher langsam in einer Wolke verschwand, man aber zwischendurch noch die weißen Berggipfel drumherum erkennen konnte.

Nachdem ich mich zweimal hinlegte und zufrieden meinen Rucksack wieder anzog traf ich noch einen interessanten Australier, welcher mir sympathisch vor wurf, ich sei Utilitarist. Darauf erklärte ich ihm ausführlich meine generelle Zuneigung zum Kollektivismus und Sozialismus, betonte aber auch die Wichtigkeit des Liberalismus und der Individualität für mich. Nach einer Stunde gab er auf, mich in eine feste Schublade ethischer Philosphien zu stecken und akzeptierte meine zusammengewürfelten Normen und Werte. Abends kam ich dann noch in ein nettes und langes Gespräch mit einer gleichaltrigen Niederländerin und legte mich Nachts in angemessener Zwiebeltaktik in die Kälte unter einen Sternenhimmel wie ich ihn zuvor noch nie gesehen habe. Vom großen Bären, Stier, Aldebaran, Cassiopeia und dem kompletten Orion, bis hin zu den Plejaden konnte man alles sehen und violett erscheinende Sternenstaubwolken im Himmel gaben den perfekten Hintergrund für den aufkommenden Kometenschauer der Geminiden, bei dem zu diesen Zeitpunkt Nacht für Nacht immer mehr Sternschnuppen in Grün, Blau, Rot und Gelb ihren Schweif zwischen den Sternenbildern der nördlichen Hemisphäre malten. Ich war ein bisschen zu müde um bei dem Anblick in diese unfassbare und so unbekannte Weite tiefgründige Gedanken zu haben, sodass ich vielmehr aufgeregt war all meine Wünsche der hunderten Sternschnuppen in Erfüllung zu bekommen. Jetzt kann ich mich entspannt zurücklegen, auf den von selbst kommenden Wohlstand und der gigantischen Menge von Snickers und Erdnussbutter entgegenschauen.

Am letzten Tag gingen Simon und ich den langen Weg vom ABC zu den Thermalquellen, bei denen ich startete an einem Tag herunter. So brauchten wir statt vorgesehenen 5 Tagen lediglich 3. Wir unterhielten uns viel über consent, bzw. Zustimmung, welches meist in sexuellen Kontexten eine wichtige Rolle spielt, aber auch auf andere Situationen bezogen werden kann. Vorallem berichtete mir der nun in Portugal lebende Deutsche, der als Sozialpädagoge arbeitet, über alternative Konzepte des Consents, welche mehr als interessant sind und immer mehr in progressiven und sex-positiv-denkenden Gemeinden in West- und Zentraleuropa populärer werden. Als wir Abends nach über 3000 hm bergab an einem Tag und den, bei dem fußballspeilenden Simon, entstandenen Knieschmerzen in der Thermalquelle ankamen, begriff ich, dass ich gerade am Ziel angekommen war.

Das Resume: 20 Tage wandern, bei bis zu -26°C auf 5500 Metern Höhe, bis zu 55% des atmosphärischen Luftdrucks, 370 km länge, 32.000 Höhenmetern, nackigen Katzenduschen neben Plumpsklos mit halbgefrorenen Wasser, viel zu viel Dahl Bat, viele Blödelein mit neuen Freunden, sehr interessante Bekanntschaften, unfassbare Landschaften, viel Schweiß, ein paar Tränen und kein Blut, Steinböcken, Affen, Adler und Yaks und natürlichen Thermalquellen.

Als ich da so im Wasser lag mit meinen schmerzenden Körper, den Oberschenkeln die auf der Innenseite schon eine schlangenartige Haut durch die ganze Reibung bekamen, auf der Oberseite, die durch die Reibung der Hose jegliche Beinhaare verlor und rot entzündet war und den blutigen Beckenkämmen, durch die Reibung des Rucksacks, freute ich mich schon auf Pokhara mit meiner ersten richtigen Dusche nach drei Wochen und dem vielen Essen.

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