Veröffentlicht: 21.09.2020
Das wichtigste Ziel hatte ich erreicht. Und eigentlich war ich darüber gar nicht so froh wie ich es vielleicht hätte sein sollen. Denn das bedeutete auch, dass die Alpen nun hinter mir lagen. Gemäß der guten, alten Weisheit „der Weg ist das Ziel“ ging es bei meiner Tour ja nicht darum, irgendwann faul am Mittelmeer zu liegen, sondern vielmehr um die unzähligen Trails auf dem Weg dahin. Und davon hätten es ruhig auch noch mehr sein können. Aber der Herbst nahte, und schon allein deswegen galt es nun, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Und ich bin nicht weniger motiviert, die verbleibenden Wochen bis November im Sattel meines treuen Drahtesels zu verbringen wie ich es am ersten Tag in St. Moritz war.
Auf den letzen Metern vor Ventimiglia macht ich ja schon Bekanntschaft mit dem Alta Via dei Monte Liguri, kurz AVML. Mein weiterer Plan war es nun, grob diesem Weg in die andere Richtung zu folgen, um durch das Gebirge entlang der ligurischen Küste weiter zu radeln bis nach La Spezia. Das sollte mich zumindest mal bis Mitte Oktober beschäftigen und bei Laune halten.
Bevor es weiterging gönnte ich mir aber noch einen Ruhetag am Meer mit viel köstlichem Frutti di Mare und erfrischendem Aperol Sprizz. Einen Tag lang kann man das ja mal machen, wie die Mehrzahl der Urlauber dies allerdings ein oder zwei Wochen am Stück durchhalten wird mir wohl für immer ein Rätsel bleiben. Ich wurde jedenfalls schon wieder ganz kribbelig beim Gedanken an die vielen schönen Trails die im Hinterland nur darauf warteten, von mir entdeckt zu werden.
Mein nächstes Ziel dafür war Pigna, der Ausgangspunkt für eine Trailrunde über den Monte Torragio. Gerade mal 20 Kilometer und 200 Höhenmeter hatte diese Etappe. So konnte ich mir Zeit lassen, die kleinen Dörfer am Wegesrand etwas näher zu erkunden. Dolceaqua war das erste Juwel, gleich hinter Ventimiglia. Wie aus der Zeit gefallen klammerte sich die jahrhundertealte Altstadt unterhalb einer Festung an den Hang, durchzogen von einem Labyrinth an engen, schattigen Gassen aus Kopfsteinpflaster. Perfekt an die klimatischen Verhältnisse angepasst, bleibt es hier selbst unter der sengenden Mittagssonne angenehm kühl.
Beinahe genauso beeindruckend war Isolabona, das auf einer Insel im Fluß lag, und anschließend mein Tagesziel, Pigna. Glücklicherweise schienen sich nicht allzu viele Touristen in diese Ecke von Ligurien zu verirren, so dass ich neben ein paar Einheimischen weitestgehend allein auf Erkundungstour war. Gegen Abend erwachte das Dorf dann langsam zum Leben, und vor der Pizzeria, bei der ich mich für ein paar Euro zwei Tage lang in einem Gästezimmer einquartiert hatte, begannen lebhafte Diskussionen über Gott und die Welt bei ausreichend Café und Wein. Nur wenige Kilometer vom Meer entfernt war ich in einer komplett anderen Welt gelandet, die nichts mehr gemein hatte mit dem Massentourismus von Ventimiglia.