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Die psychedelische Magie des Augenblicks

Veröffentlicht: 18.08.2022

Meine Tour sollte ganz am Anfang des Aostatals starten. Der Regionalzug aus Mailand spuckte mich in dem kleinen Dorf Hone aus. Neben den Ruinen einer Festung, die den Eingang des Aostatals zwischen steil aufragenden Felswände bewacht. Auf gerade mal 400 Meter Meereshöhe. Von dort sollte es mehr oder weniger in der Direttissima diese Wände hoch bis zur ersten Passhöhe auf über 2800 Meter gehen. Bevor ich also überhaupt mal ansatzweise über erste Abfahrtsfreuden nachdenken konnte, stand mir ein gewaltiges Stück Arbeit bevor.

Zum Einkurbeln und Wachwerden gab es die Teerstrasse durch das Valle di Champorcher, hoch zum gleichnamigen Weiler auf 1500 Meter gelegen. Mit wenig Verkehr ging es vorbei an einigen halb verfallenen, typisch italienischen Bergdörfern, immer höher hinauf. Bis ein kleines Schloss die Ankunft in Champorcher ankündigte. Zu meiner Überraschung wurde ich dort mit einem der besten Panini begrüßt, die ich bisher in Italien zu mir nehmen durfte - durch und durch knusprig sowie reichhaltig mit weich geschmolzenem, würzigem Bergkäse aus der Region belegt.

Frisch gestärkt galt es dann die zweite Tageshälfte in Angriff zu nehmen. Ich wollte es unbedingt noch bis zu einem Bergsee etwas unterhalb des Passes schaffen. Ich befand mich nun im Naturpark Mont Avic, und über eine immer noch gut ausgebaute Straße kurbelte ich mich immer weiter aus dem Tal heraus. Die Gipfel kamen, wenn auch im Zeitlupentempo, allmählich näher und näher. Am Rifugio Dondena war dann endgültig Schluss für den motorisierten Verkehr des gemeinen italienischen Tagesausflüglers. Für mich begann damit die erste Schiebepassage der Tour - willkommen im üblichen Bikepacking-Modus. Trotz der inzwischen beinahe 2000 Höhenmeter in den Waderln kam ich in gemütlichem Tempo bei strahlendem Sonnenschein gut voran. Ein wahrer Bilderbuchtag.

Als ich schließlich das Rifugio am Lago del Miserin erreichte, dachte ich, ich bin im (falschen?) Film. Eine kleine Hochebene mit einem azurblauen See erstreckte sich in der Leere der Landschaft vor mir. Davor wie verloren eine kleine gemauerte Kapelle und das Rifugio. Das Gasthaus schien beinahe komplett ausgestorben zu sein. Bis auf einen scheinbar aus der Zeit gefallenen Hippie, der sich bei psychedelischem Jazz-Funk die Sonne auf den tätowierten Pelz brennen ließ. Es war der Hüttenwirt. Eine geradezu surreale Szene. Obwohl die laute Musik hier eigentlich ein Fremdkörper sein müsste, verstärkte sie die Magie des Augenblicks und verzauberte mich geradezu.

Es dauerte nicht lange bis weitere Wanderer auftauchten, und die ersten Gespräche einsetzten. Der besondere Augenblick war vorüber. Aber ich saß bestimmt noch eine Stunde so vor mich hinträumend auf der Terasse, um die immer noch besondere Stimmung dieses Ortes in mich aufzunehmen. Sollte ich irgendwann mal in die Versuchung kommen, in einen LSD-Rausch zu geraten, dann bitte genau hier und bei den Klängen dieser wunderbar hypnotisierenden Musik.

Wie oft in den Westalpen war auch in diesem Naturpark das Zelten für eine Nacht erlaubt. Ich suchte mir also ein nicht ganz so verstecktes, aber doch einsames Plätzchen am andere Ende das Sees. Mit Blick auf das inzwischen geschäftigere Treiben am Rifugio genoss ich den Sonnenuntergang und die angenehme Kühle des Abends so hoch in den Bergen. Ein wirklich magischer erster Tag. So kann das Abenteuer beginnen. 

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