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Der König aus Stein im weißen Nichts

Veröffentlicht: 11.09.2020

Als ich frühmorgens in Abries, abermals vor Kälte schlotternd, aufwachte, freute ich mich auf einen schönen Bike-Tag. Es sollte ganz nah am berühmten, diese Gegend dominierenden, Monte Viso vorbei nach Italien gehen. Die Route sah auf der Karte recht angenehm aus, und die prognostizierten 1450 Höhenmeter am dem Tag sind beim aktuellen Trainingsstand inzwischen ja wohl auch ein Klacks. Alles problemlos machbar, dachte ich mir.

Anfangs ging es auch recht gemütlich und in angenehmer Steigung eine Fahrstraße und dann einen Forstweg hoch bis zu einem Aussichtspunkt auf den Monte Viso. Ich spulte also die Höhenmeter gerade so runter, bis sich die Ikone des Piemont in gleißendem Sonnenschein mächtig und stolz in der Ferne vor mir erhob. Ein paar Blicke konnte ich auch auf den Pass erhaschen, den ich noch zu erklimmen hatte. Und dann zog sich der König aus Stein wie ein scheues Reh hinter seinen Wolkenkordon zurück, und ließ sich für den Rest des Tages nicht mehr blicken. Zu allem Übel wirkte der Pass auch noch wie ein steil-felsiges Monstrum auf mich, das es zu bezwingen galt.

Es hieß nun also absteigen, und die erste Schiebepassage dahin in Angriff nehmen. Bis zu einem See auf 2550 Meter funktionierte das auch ganz gut, und faktisch trennten mich jetzt nur noch 270 Höhenmeter vom Scheitelpunkt des Col de Valante. Aber die hatten es in sich. Der Albtraum des Bikepackers wurde real - es galt ein Geröllfeld zu überqueren - wegloses Gelände bei dem das Bike unentwegt von einem Stein auf den nächsten gehievt, geschoben oder getragen werden musste. Spaß war das keiner mehr, und die Wanderer, die mir entgegenkamen hatten nur noch mitleidige Blicke und Kopfschütteln für mich übrig. Aber das Ganze war in dem Moment halt einfach alternativlos. Ich musste da jetzt durch, wenn auch mit allerhand Gefluche und Gezetere.

Kaum war diese Passage dann schwer keuchend überstanden kam die nächste Unannehmlichkeit - eine ewig lange Querung mit leichtem Gegenanstieg zum zweiten Pass, dem Colle Losetta. Das hätte sicher ein Genuss sein können bei freiem Blick auf den Monte Viso, aber da der sich wie die beleidigte Leberwurst verhielt, starrte ich beim holprigen Schieben durchs Geröll ins weiße Nichts. Einzig eine schöne Abfahrt konnte diesen Tag noch retten.

Zu meiner Genugtuung bekam ich diese aber auch. Von ganz oben beinahe durchgängig fahrbar ging es rasant bergab über rutschige Schotterfelder, durch nicht zu enge Flußtäler und über breite Hochalmen bis zur Passstraße nach Pontechianale. Italien hatte mich wieder, und nach dem zweiten Espresso war ich wieder einigermaßen mit dem Rest der Welt versöhnt.

Pontechianale war ein etwas aus der Zeit gefallener Skiort mit altertümlichen Liften, einer rustikalen Pizzeria, einem Campingplatz sowie einem Lebensmittelladen und einer Bäckerei. Es gab also alles was ich brauchte. Für die nächsten zwei Tage sollte das auch die letzte Möglichkeit sein, meine Vorräte aufzustocken.

In der Hoffnung auf eine entspanntere Tagesetappe startete ich in den nächsten Tag. Und wurde gleich mal Opfer meiner eigenen Blödheit. Nach wenigen Kilometern hatte ich nämlich eine Reifenpanne. Die erste auf der Tour bisher, und so dachte ich mir, wird eigentlich mal Zeit dass einem Schlauch die Luft ausgeht. Ohne weitere Komplikationen wechselte ich den also ruckzuck aus und weiter ging‘s. Kaum hatte ich mich wieder in den Sattel geschwungen, fiel mir ein, dass ich den Reifen gar nicht auf Nägel oder andere Gegenstände geprüft hatte. Aber egal, der Schlauch war ja bestimmt altersschwach gewesen. Und es kam wie es kommen musste - ein paar Meter weiter war der Reifen wieder platt. Es war doch ein Nagel. Was für ein Anfängerfehler! Da ich nun nur noch einen Ersatzschlauch übrig hatte, wollte ich den lädierten Schlauch lieber flicken. Das war das nächste Dilemma, denn der Flicken hielt nicht. Nach drei Versuchen wurde ich zunehmend nervös. Die Hälfte der Flicken war aufgebraucht. Mitten im abgeschiedensten Teil meiner Tour brachte ich mich ohne Not in eine prekäre Situation. Also entschied ich mich, doch meinen letzten Schlauch zu verwenden, und den lädierten als Notnagel mitzunehmen. Bei einem weiteren Platten in den nächsten zwei Tagen konnte ich nur hoffen, dass einer der drei letzten Flicken beim letzten Ersatzschlauch halten würde.

Auch an diesem Tag übte sich der Monte Viso übrigens wieder in Vollverschleierung, so dass der nächste Pass abermals vor allem viel Arbeit ohne Aussicht auf mehr bedeutete. Immerhin diesmal auf Teer, und mit anschließender Abfahrt auf einer halb verfallenen, inzwischen gesperrten Fahrstraße durch eine steile Schlucht. Den Grund der Sperrung kannte ich nicht, und inständig hoffte ich, dass nicht ganz unten ein Hangrutsch oder ein eingestürzter Tunnel mich zur Umkehr und Wiederaufstieg zwingen würden. Es ging aber alles gut, und bei Ankunft im einsamen Valle Meira kam zudem noch die Sonne zurück. So genoß ich einen entspannten Abend in einem schön gelegenen und sonnendurchfluteten Zeltpaltz mitten im Nirgendwo. Der größte Teil der Strecke bis Barcelonnette war geschafft.

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