Veröffentlicht: 09.03.2018
26.02 bis 28.02. Das die Notwendigkeit besteht, während des Aufenthalts in Kanada arbeiten zu müssen, war uns bereits im Vorfeld klar und wurde uns während unserer ersten Tage in Vancouver noch klarer. Schließlich sind die Mieten in den großen Städten British Columbias absurd hoch. Genauso wie die Lebensmittelpreise. Und, ach ja, wollten wir nicht ein "bisschen" durch Nordamerika touren? Dafür braucht man schließlich auch Geld (sehr viel sogar).
Mitte Februar hatten wir bereits über eine Zeitarbeitsfirma einige Stunden gearbeitet. Doch das damit einhergehende alltägliche Aufstehen gegen 5 Uhr, die Ungewissheit, überhaupt einen Job für den Tag zu bekommen und das damit verbundene stundenlange Warten in einem nicht beheizten Büro (ja, auch in Kanada kann es kalt werden) ließen uns schnell nach anderen Jobs Ausschau halten.
Einige Tage zuvor hatten wir unsere Lebensläufe an diverse Einzelhändler, Hotels, Autowaschanlagen verteilt, Online-Bewerbungen verfasst und auch schon Bewerbungsgespräche ergattert. Wir konnten tatsächlich endlich kleine Erfolge vorweisen: Wir hatten Vorstellungsgespräche. Bella bei einem Klamottenladen (Reitmanns), in einem Hotel und in einem Second-Hand-Laden (Value Village). Ich bei einer Autowaschanlage, in einem Hotel und ebenfalls im Second-Hand-Laden. Ausgerechnet bei dem letztgenannten war es eher eine Bewerbung aus der Not heraus ("Was haben wir schon zu verlieren? Absagen können wir immer noch."). Nachdem wir negative Rückmeldungen von beiden Hotel-Jobs und Bella keine Rückmeldung von Reitmanns erhalten hatte ("Wir melden uns bis Dienstag (27.02.)." Sie haben sich bis heute (09.03.) nicht gemeldet. Das nenn ich mal Gastfreundlichkeit.) blieb quasi nur noch Value Village übrig. Wir hatten Montag und Dienstag jeweils ein Vorstellungsgespräch bei denen. Mega aufwändig und nicht sonderlich effizient, aber wohl Teil ihrer Geschäftspolitik. Das zweite Vorstellungsgespräch, in dem wir übrigens die gleichen Fragen wie am Vortag beantworten mussten (die haben einen speziellen Fragebogen für Bewerbungsgespräche), nur von einer anderen Person gestellt, endete mit dem Satz: You are hired! Whoop Whoop. Endlich ein Job. Vollzeit. 13$/ Stunde (über Mindestlohn 11,35$). Der Notnagel also sollte unser künftiger Arbeitgeber werden. Ich hatte nur noch die Entscheidung zu treffen, ob ich im Value Village oder doch lieber in der Autowaschanlage arbeiten sollte. Ich entschied mich für Value Village. Hauptsächlich des Geldes wegen, denn bei der Autowaschanlage wäre es eben nur der Mindestlohn gewesen und das macht am Ende des Monats um die 300$ aus. Geld, was wir dringend brauchen.
Am nächsten Tag sollten wir wiederkommen, dabei wurde uns unser neues Arbeitsumfeld vorgestellt und unsere Positionen zugeteilt. Bella darf in der "Produktion" arbeiten und ich im Donation Center, welcher Arbeit wir die nächsten Monate nachgehen sollten - wurde erst die nächsten Tage klar. Unsere neue Vorgesetzte, eine Inderin mit starkem Akzent, gab uns unzählige Dokumente die wir durchlesen und ausfüllen sollten. In einem Hefter stand alles zum "Arbeitsrecht" in diesem Unternehmen - diese Absätze ließen uns schmunzeln, aber auch echt staunen. Langsam wurde uns klar, dass es zwischen den USA und Kanada kaum Unterschiede gab, was die "Arbeitsbedingungen" anging. Jährlich hat ein Arbeitnehmer in Kanada circa 2 Wochen Urlaub, aber er muss mindestens ein Jahr angestellt sein. Wenn man 5 Jahre für den selben Betrieb gearbeitet hat, sind die Kanadier auch großzügig und erhöhen den Urlaubsanspruch auf 3 Wochen. Noch großzügiger sind die kanadischen Arbeitgeber bei Krankheit, da gibt es dann einfach gar kein Geld - na wer wird denn auch krank - selbst Schuld. Das Gleiche gilt, wenn jemand als Geschworener im Gericht angestellt wird, da gibt es auch kein Geld für die Abwesenheit, ist ja auch klar - wer nicht arbeitet bekommt halt auch kein Geld. Bei Schwangerschaft bzw. Elternzeit, gibt es ebenfalls kein Geld (absolut nix), aber der Arbeitgeber ist verpflichtet einer frisch gebackenen Mutter eine Auszeit von bis zu 35 Wochen zu gewährleisten. Besser als Nichts.
In dem Dokument wurde auch auf den Dress-Code hingewiesen, keine Shorts oder Kleider die über dem Knie enden. Tank-Tops dürfen wir auch nicht tragen, was Bella schwer fallen wird. Am besten sollen wir Sachen tragen in Schwarz, Rot oder Weiß...ahem okay. Außerdem müssen wir geschniegelt, gestriegelt und gut riechend auf Arbeit erscheinen. Kein Problem. Nach dem wir uns durch ca. 20 Seiten englischem Hick Hack gelesen hatten und eigentlich nicht mehr aufnahmefähig waren. Mussten wir noch ein Dokument über sexuelle Belästigung durchlesen und unterschreiben. Beim Durchlesen, fiel mal wieder auf, wie weit Kanada in seiner Entwicklung hinterherhinkt. Denn in ihrem Pamphlet wurde natürlich nur davon gesprochen, wie Männer Frauen belästigen. Willkommen im 21. Jahrhundert. Dabei wurden Frauen auch nochmal darauf hingewiesen, wie sie sich bitte zu kleiden haben, damit es nicht zu einer sexuellen Belästigung kommt. Dazu gab es auch noch wunderschöne Beispiele, die wieder jegliche Klischees bedienten. Oh Canada.
Nachdem wir alle Formulare unterschrieben hatten, mussten wir uns noch Online bei Value Village registrieren. Den Sinn dahinter haben wir bis jetzt noch nicht ganz verstanden - aber vielleicht bekommen wir bald die Eingebung. Viel schöner war unsere Email die wir daraufhin erhalten haben, darin war unser Passwort nochmal schwarz auf weiß abgebildet. Vielleicht, falls wir es mal vergessen, ist es auf jeden Fall im E-Mail-Postfach. Richtig praktisch. Nach einem zwei-stündigen Kampf mit der kanadischen Bürokratie dürften wir wieder nach Hause. Allerdings fiel uns im Nachhinein auf, dass wir gar keinen Arbeitsvertrag unterzeichnet hatten...mmmhhhh das ist kurios. "Zuhause" angekommen quälten uns Fragen wie: "Sind wir jetzt wirklich offiziell angestellt?" / "Bekommen wir wirklich 13$ pro Stunde?" / "Wieso gab es keinen Arbeitsvertrag, ist das überhaupt legal?"
All diese Fragen sollten sich die kommenden Tage klären.