Zurück bei Shane und Chantal

Auch wenn ich die türkische Kriegsserie ganz spannend fand, hatte glücklicherweise dann auch die Zeit bei Bernie auf der Couch ein Ende. Während sich das Wetter bis zum Ende auf einem bescheidenen Niveau hielt, nahmen die Frequenz der Bäuerchen zu und die Qualität des Essens ab. Zudem servierte sie mir den Fraß ähnlich wie ihren Tieren: Sie klatschte eine Monsterportion auf den Teller und stellte es mir beim Vorbeigehen auf den Tisch, während ich auf der Couch gespannt der Serie folgte. Unsere Gespräche beschränkten sich auf Wetter und Arbeit, doch sie schien meine Anwesenheit weder zu stören noch in irgendeiner Form zu gefallen… so lebten wir nebenher und vor uns hin. Ihre Cousine Piri, die Maori ist, unternahm mit mir nochmal eine kleine Fahrradtour. Sie zeigte mir einen Strand in der Nähe und fuhr mit mir, für mich viel spannender, zu der größten Marae auf der südlichen Hemisphäre, welches sie circa 10mal ganz stolz mir zu sagen pflegte. Eine Marae ist eine Art kommunales Zentrum für die Maoris, welches für unterschiedliche Veranstaltungen zwischen Geburtstagen und Beerdigung genutzt wird. Zudem war für Kinder ein Gebäude neben dem Hauptgebäude, in dem sie eine Art kulturellen Unterricht erhalten. Piri war schon länger nicht mehr dort gewesen und zeigte sich sehr berührt von alten Erinnerungen, die plötzlich aufploppten. Am letzten Tag bei Big Mama machte ich dann bei relativ stabilem Wetter nochmal eine kleine Radtour zu einem historischen 660m langen Steg, welcher für eine bessere Verladung von Schafen, Rindern und anderen Gütern für den Export Anfang des 20. Jahrhundert erbaute wurde. So wurde es nun leider aufgrund des Wetters nix mit Surfen in Gisborne und meine Erinnerungen an dieses Städtchen werden wohl vor allem durch die unzähligen türkischen Kriegsserien geprägt sein, die ich auf Bernies Couch schaute.

Dann besuchte ich nochmal für ein paar Tage Shane und Chantal, die mir anboten nochmal vorbeizukommen. Nach einer Woche hatten die kleinen Welpen inzwischen die Augen geöffnet und waren schon wesentlich agiler und wacher. Dort arbeitete ich 3 Tage, einen Tag machten wir einen Angelausflug und einen anderen einen kleinen Jagdausflug. Die Arbeit war relativ körperlich fordernd. So spaltete ich ne große Ladung Holz, wir installierten ein Betonbecken an einer Wasserquelle und verlegten einige neue Wasser- und Stromleitungen. Doch für die schönen Trips, die Shane mit mir geplant hatte, waren keine Arbeiten zu hart.

Beim Angelausflug nahmen wir Luke mit, der auch der Besitzer des Bootes war, aber durch eine alkoholisierte Fahrt mit Unfall keinen Führerschein mehr hatte und somit auf Angelfreunde mit Führerschein angewiesen war. Das Boot war etwas größer als ne normale Nussschale und für die an dem Tag raue See doch etwas herausfordernd für meinen Magen. Während Luke als Kapitän hinten am Steuer uns zu unseren Fangplätzen schipperte und bei jeder Welle, welche Shane und mich in der vorderen Front des Bootes nach oben trug und kurze Zeit später wieder aufs Wasser schlagen ließ, laut jubelte, kämpfte Shane mit Schmerzen bei der Stauchung mit seinem vom Bau geschundenen Rücken und ich mit meinem durchgerüttelten Erdnussbuttermagen. Da das Boot über kein Echolot verfügte, orientierten wir uns an Ansammlungen von Vögeln über dem Wasser oder anderen Angelbooten, welche als Fischindikatoren dienen sollten. Und die Strategie und das Anglerglück sollte mit uns sein. Wir fingen am laufenden Band Snapper und hin und wieder mischten sich ne Makrelenart, Kahawais und Kingfische unter. Die Trills mit den Kahawais und dem Kingfischen waren dabei am besten, doch für Kingfische gilt ein Mindestmaß von 75cm (welches keiner unserer Fänge maß) und die Kahawais gelten nicht als sonderlich guter Speisefisch, weswegen diese wieder freigelassen wurden. Ich glaube die Gaumen der Neuseeländer sind etwas sonderlich. So habe ich von meinem letzten Neuseelandaufenthalt noch gut den vorzüglichen Geschmack von geräucherten Kahawai auf der Zunge, welche Vampy und Säcken fingen. Weiterhin verschmähen sie Aal, welcher eine unglaublich hohe Population in den hiesigen Flüssen besitzt und bei uns als exzellenter Speisefisch gilt. Aber die Krönung der Verschmähung war der Fisch, den wir als Fetzenköter nutzen: ein richtig dicker Thunfisch… ich weiß nicht welche verschiedenen Sorten an Thunfisch es gibt, aber unglaublich, so ein Fisch als Köter zu nutzen. Naja, auf jeden Fall waren wir alle ganz schön beschäftigt mit Fischen aufs Boot ziehen und Köter wechseln. Am herausfordernd hierbei war meine immer noch anhaltende Übelkeit durch den Seegang und das Kurbeln mit der rechten Hand. So fahren die Neuseeländer nicht nur auf der anderen Seite der Straße, sondern haben auch die Kurbel der Angel auf der anderen Seite und die Bremsen am Fahrrad sind im Vergleich zu unseren Seitenverkehrt… wozu es glücklicherweise keine blutige Story von mir zu erzählen gibt=). Absolutes Highlight auf hoher See war dann Shane’s Problemchen mit der Verdauung. Er hatte seit ein paar Tagen keinen geregelten Stuhlgang und verspürte plötzlich den Drang zu müssen. Ganz routiniert wechselte er sein Plätzchen ans Ende des Bootes, ließ die Hose runter, hängte seinen Allerwertesten über die Bootskante und drückte ab. Luke und ich angelten weiter und Shane erzählte uns bei seinem Geschäftchen auf hoher See Geschichten aus seinem Leben. Herrlich=). Die Fische wurden dann auf Luke’s Vaters Anwesen, welcher Kiwifarmer ist, filitiert, aufgeteilt und am Abend serviert. Formidable!

Am nächsten Abend holten wir dann Luke ab und fuhren einen unglaublich steilen Berg auf seinen Anwesen hinauf und zogen zur Jagd. Shane hatte dabei 2 Gewehre. Eins drückte er mir in die Hände und das andere Luke. Luke hat mit Sicherheit keine Lizenz für eine Waffe, da er durch seinen alkoholisierten Ausflug keine zuverlässige Person ist, wie es in der juristischen Sprache heißt. Und ich hatte dieses Gewehr weder vorher mal in der Hand gehabt noch habe ich eine Zulassung für Neuseeland. Als ich das den beiden mitteilte, nicht schießen zu wollen, schauten sie mich leicht verdutzt an. Ich fühlte mich etwas spießig und so zogen wir mit unseren Kniften um die Schulter und meinem Gefühl einer Wildererbande anzugehören los. An dieser Stelle auch nochmal einen kurzen Exkurs zu Shane, von dessen kleiner Schattenseite ich schon im letzten Text berichtet hatte. So waren nicht nur seine Söhne auf Abwege geraten, sondern auch er wandelte eine Zeit seines Lebens auf diesen. Bei Arbeiten erzählte er mir, dass er auch über eine längere Zeit Methylamphetamine, also Crystal Meth, konsumierte und abhängig war. Erst durch die Hilfe von Chantal konnte er sich davon lösen. Crystal Meth ist wie in bestimmten Gebieten in Deutschland auch in Neuseeland eine gängige Droge, die Menschen gesundheitlich als auch sozial und ökonomisch ruiniert. Zuletzt hatte er dann noch große Mengen Marihuana auf seinem Grundstück angebaut, verkauft und wurde von der Polizei erwischt. Er hatte wohl Glück im Unglück und sie fanden nicht all seine Vorräte, wodurch er nicht ins Gefängnis musste und nur zu Sozialstunden verurteilt wurde. Er sagte zwar, dass es schon so lange her sei, dass er seine Lizenz für seine Waffen wieder habe, aber die Sozialstunden leistet er momentan noch ab… Ich hatte keine Gründe ihn zu verurteilen. Er zeigte sich mir gegenüber sehr respektvoll, loyal, zuvorkommend und offen, wodurch ich ihn mein Vertrauen schenkte. Auf jeden Fall führte er unsere Jagdgesellschaft an und hielt immer wieder an, um durch sein Nachsichtgerät nach Hirschen Ausschau zu halten. Er führte uns auf Wege, die mit Sicherheit auf keiner Karte zu finden sind durch Wald und Nacht. Vorbei an Wegrändern, an denen sich unglaublich viele Glühwürmchen befanden und mit meist einer Stirnlampe im Rotlichtmodus, welches Licht uns Hindernisse auf den Wegen in groben Konturen erkennen ließ. Immer wieder machte er uns auf Possums in den Bäumen direkt neben uns aufmerksam, welche er durch das Nachtsichtgerät erkannte und wir uns dann auch anschauen durften. Dann näherten wir uns einer großen Lichtung. Shane instruierte uns die Lichter aus zu machen und noch leiser versuchen zu laufen. Und tatsächlich erblickten wir ein Rudel Hirsche. Sie saßen und standen im Gras. Durch das Zielfernrohr auf dem einem Gewehr, welches ebenfalls einen Nachtsichtmodus hatte, konnte man sie deutlich in ihren Umrissen erkennen und zudem den Abstand bestimmen. Sie waren 250m von uns entfernt. Zu weit um zu schießen. Wir beobachteten sie länger und entschlossen relativ unentschlossen, uns ihnen mehr zu nähern. Die Unentschlossenheit entsprang aus der späten Uhrzeit und dem ganzen Weg zurück. Auf halben Weg meinte dann aber Shane, dass es besser sei, einen anderen Tag früher wieder zu kommen. Auch weil wir, falls wir ein Tier erlegt hätten, es den ganzen Weg hätten zurücktragen müssen. Und das hätten mal locker 150kg sein können. Ich war innerlich mal wieder total zerrissen. Einerseits juckte es in mir dieses Abenteuer zu Ende zu führen und andererseits war ich auch sehr froh, diese wunderschönen Tiere nicht in ihrer Nachtruhe zu stören oder gar eines das Leben zu nehmen. So machten wir uns auf den Weg zurück. Und fast am Auto angelangt, sahen wir dann wieder ein Rudel durch den Wald laufen, welche aber auch zu weit entfernt waren. Ich habe vorher noch nie einen ausgewachsenen Hirsch bei uns in freier Wildlaufbahn im Wald gesehen und diesen Abend durfte ich dann gleich mehrere sehen.

Aber so endete dann die Zeit auch wieder bei Shane und Chantal und ich trampte weiter in die Region von Rotorua, wo ich mich nun befinde und einen äußerst energischen Milchkuhbauern bei seinen alltäglichen Arbeiten unterstütze und die vulkanische Gegend mit ihren Hotwaterpools und heißen Quellen erkunde. Spannend auf dem Weg dorthin waren mal wieder die Mitfahrgelegenheiten. So fuhr ich mit einem Polizeiofficer, der gerade mit seiner jüngsten Tochter zum shoppen fuhr. Oder einem älteren Ehepaar mit interessanten Gesprächen über Ökonomie und einer älteren Dame, welche ihr ganzes Leben gereist ist und immer noch keinen festen Wohnsitz hat. Aber jetzt geht’s erstmal ins Bett, da morgen früh halb 6 die Kühe gemolken werden möchten=).