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vulkanisches Neuseeland bei Rotorua

Veröffentlicht: 31.01.2023

Die letzten Kilometer zu Trev und Jacqui sammelte mich dann mal wieder ein Maori ein. Rein finanziell scheinen die meisten nicht gut aufgestellt zu sein, doch ihre Herzenswärme, Authentizität und Freundlichkeit ist ihnen kulturell bedingt scheinbar nie abhandengekommen. Er fuhr mich direkt vor die Haustür des auf einen kleinen Hügel gelegenen Hauses, in dem ich dann schon Trev am Tisch sitzen sah. Der erste Kontakt war etwas merkwürdig und distanziert. Er wirkte reserviert und etwas mürrisch. Nach circa 5Mintuen taute er auf und es entwickelte sich ein schönes Gespräch zwischen uns. Dann führte er mich in seinen Stall mit unterschiedlichsten Drahteseln, von denen ich mir einen aussuchen durfte. Ich entschied mich für ein solides Hardtail Mountainbike. Kurze Zeit später fand ich mich im Sattel wieder und wir gaben unseren Drahteseln die Sporen. Zunächst scheuchte er mich seinen Hausberg hinauf, von dem man eine prima Aussicht hatte. Dann ging es einen für mich doch anspruchsvollen Singletrail auf der anderen Seite des Rainbowmountain wieder hinunter. Dort zeigte er mir blubbernde Schlammlöcher, welcher weit über 100Grad heiß sind, einen Bach, welcher warmes Wasser führt und einen versteckten Pool mit kleinem Wasserfall, dessen Temperatur circa 38Grad warm war. Auf dem Rückweg fing es dann wie aus Gießkannen zu schütten an. Zunächst für mich ein unangenehmes Gefühl, doch Trev, der weiterhin mit hohem Tempo meine Oberschenkel zum Glühen brachte, sprudelte nur so vor Freude. Seine Laune sprang über und so radelten wir komplett durchnässt, schmutzig und voller Euphorie der warmen Dusche entgegen.

In dieser Region ist Geologie etwas Besonderes. Sie gehört zu den vulkanisch aktivsten Zentren der Erde, wo sich die Entstehung Neuseelands durch das Aufeinandertreffen von pazifischer und australischer Platte am deutlichsten bemerkbar macht. So sind die ganzen heißen Quellen, dampfenden Schlammtümpel und Geysire kein anderes Zeichen, als dass dieses Gebiet auf einen riesigen Vulkan gegründet ist. Auffällig und unverkennbar ist zudem der gewöhnungsbedürftige Geruch nach faulen Eiern, welcher sich wie eine Kuppel um diese Region hüllt.

Aber Rotorua ist nicht nur durch heiße Quellen, Geysire und den Gestank bekannt, sondern auch durch die vielen Fahrradtrails. So ist es ein Eldorado für Mountainbiker und es finden regelmäßig Wettkämpfe von den Weltbesten Fahrradfahrern statt. In meiner Freizeit unternahm ich hin und wieder kleine Ausflüge mit dem Rad, suchte mir aber eher anspruchslose Strecken aus, wie beispielsweise durch den Redwood von Rotorua oder einem populären, gemütlichen und landschaftlich sehr attraktiven Trail namens Forest Loop mit schönen Aussichten, durch unterschiedliche Wälder und vorbei an 3 Seen.

Ein weiterer Ausflug in der Zeit war eine Wanderung auf dem Tarawera Trail zu einem Strand am Tarawerasee, wo es heiße Quellen gab und auf dem Weg dort hin einen warmen Pool. Mal wieder weniger Glück mit dem Wetter, bin ich auf dem Trail in einen Regenschauer geraten. Leider hatte ich keine wetterfeste Begleitung dabei und die Temperaturen waren circa bei 15Grad, was mich dann doch etwas auskühlen ließ. Um so größer war die Freude, als ich an dem Pool vorbeikam und mich bei einer sehr angenehmen Badewannentemperatur wieder aufheizen konnte. Am Beach angekommen, wollte ich mich dort ebenfalls direkt am Rande des Sees im Wasser, wo es mächtig dampfte und wohl heiße Quellen befanden, gemütlich machen. Doch diese waren so unberechenbar und je nach leichten Strömungen so heiß, dass es wohl gar nicht so ungefährlich war sich zu verbrühen. Kurze Zeit später holte mich dann Trev mit seinem Jetski ab und wir fitschelten mit guten 90km/h über den See zurück zu einem Parkplatz. Was für ein Geschoss. Zur Krönung des Tages ließ er mich dann auch nochmal mit dieser Höllenmaschine über den See düsen. Und ich hatte wirklich Respekt und habe bei den kleinsten Wellen immer wieder Tempo vom Gaspedal genommen. Doch Trev, welcher hinter mir saß, gab mir immer wieder den Hinweis, dass Tempo mein Freund sei und hat mich angehalten Gas zu geben… nette Erfahrung, doch ich glaube ich bin dann doch eher ein Freund des gemütlichen Kajakfahrens.

An einem anderen Tag sind wir mit diesem PS-Monster nochmal an einen anderen See gefahren. Mit im Gepäck ein langes Seil und einen Reifen. So ging dann noch ein Kindheitstraum in Erfüllung und er zog mich auf den Reifen liegend über den See… war ganz nett, aber hätte mir da wohl eher Freunde gewünscht mit dem ich den Spaß teilen kann, als Trev und Jacqui.

So war Trev mit seinen 60 Jahren ein ganz schönes Energiebündel, der mir versuchte einiges zu bieten und zeigen. Dafür war ich sehr dankbar. Doch er hatte auch sein anderes Gesicht. Und zwar arbeitstechnisch war er sehr fordernd und ich arbeitete im Schnitt 2-3h mehr am Tag, die er anfangs von mir verlangte. Aber ich fühlte mich auch irgendwie etwas schuldig und machte das, was er von mir verlangte. Zudem war die Erfahrung des Melkens auch ganz spannend.

Er hatte 300 Milchkühe und 150 Kälber auf einer Fläche von 170ha, welche in 40 Koppeln unterteilt war. Während die Kälber Großteils zum Schlachten verkauft wurden, wurden circa 20 auf einer Weide gehalten um im Alter von 2 Jahren ebenfalls zur Milchkuh zu werden. Die Kühe wechselnden jeden Tag die Koppel und wurden 2mal am Tag zum Melken zu der Melkstation gebeten. Das erste Melken begann morgens um 5:30Uhr und das zweite Melken nachmittags um 15Uhr. Trev hatte noch 2 Mitarbeiter, Jury und Crispen, beide von den Philippinen. Einer der beiden war zusätzlich noch dafür verantwortlich die Tiere von der Weide zur Melkstation zu führen. So begann deren Schicht am Morgen noch früher. Jeder der Mitarbeiter hatte ein kleines Motorrad, mit welchen die ganzen Strecken zu den Weiden und der Melkstation zurückgelegt werden konnte. Und so düste ich dann auch jeden Morgen vor Sonnenaufgang zur Melkstation und half beim Melken. In meiner naiven Vorstellung habe ich mir das Melken viel romantischer vorgestellt und hatte Bilder von Heidi, dem Alm-Öhi und zufriedenen und glücklichen Kühen im Kopf. Pusteblume! Die Realität holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück und erschütterte einmal mehr mein Weltbild. Die Kühe wurden auf einen kleinen Vorplatz gedrängt, wo sie nun extrem eingepfercht Kuh an Kuh darauf warteten, dass sich die Gatter zu den Melkplätzen öffneten. Von hinten wurden die Kühe durch einen automatischen Zaun immer weiter nach vorne Richtung Melkanlage gedrängt. Da Kühe irgendwie Inkontinenzprobleme haben, pullerten und kackerten sie sich dort schon auf die Köpfe, an die Beine und vor allem selbst an ihre Schweife, was dann beim Melkprozess auch für den Melkenden unangenehm spürbar wurde. Der Melkplatz war im Prinzip ein langer Gang, in dem in der Mitte die Melkvorrichtungen hingen, die Mitarbeiter sich bewegten und jeweils recht und links die Kühe dann mit ihren Hinterteilen zum Gang ausgerichtet standen. Gehorsam waren die Kühe wohl nur, da sie während des Melkens gefüttert wurden. Und so bewegte man sich als Melker in dem etwas tiefer gelegten Graben und stöpselte im Akkord links und recht die Melkmaschinen an die Zitzen der Euter und sprühte nach Beendigung des Melkens eine Jodflüssigkeit zur Vorbeugung von Entzündungen auf die Zitzen. Im Graben war man dann der Inkontinenz der Kühe komplett ausgeliefert und es plätscherte flüssig und transparent und breiig und braun aus allen Richtungen. Es ist schwer zu beschreiben wie man sich fühlt, wenn man sich in Augenhöhe zum oberen Rand des Euters befindet, leicht unter Zeitdruck und der Gefahr ausgesetzt, dass eine Etage weiter oben sich der Schweif leicht anhebt, sich ein Schließmuskel öffnet und eine Exkrementendusche auf einen niederprasseln könnte, während man die vier Zitzenbecher mit den 4 Zitzen zu konnektieren versucht. Trev meinte, dass es nicht all so oft vorkommt und ich wurde zum Glück von einer Komplettdusche verschont. So zolle ich größten Respekt an die Menschen, die Tag ein und aus sich in diesem Anti-Schützengraben der Exkremente bewegen müssen, aber mindestens genauso viel Mitleid empfand ich für die Kühe, welche dann mit teilweise sehr groben Methoden wieder aus den Melkpositionen vertrieben wurden, um die nächste Charge an ihre Plätze zu lassen.

Eine spannende Beobachtung aus psychologischer Sicht war, dass manche Kühe, die an ihrem Melkplatz ankamen, ohne Fremdeinwirkung begannen Milch zu lassen. Hat das was mit Konditionierung zu tun? Weiterhin war es offensichtlich, dass sobald eine Kuh anfing zu pullern, auch andere begonnen. Lag das an dem Plätschergeräusch, welches bei anderen Kühen auch den Pullerreflex auslöste?

Weitere Fakten: Eine Kuh gibt im Schnitt 25l Milch pro Tag. Eine unglaubliche Menge, wenn man sich das in Flaschen vorstellt und wieviel Milch man im Schnitt selbst am Tag verbraucht (Käse, Quark, Joghurt, Butter). Insgesamt produziert Trev, oder seine Kühe, im Schnitt 8000l Milch pro Tag, welches von einem Großunternehmen abgeholt und dann wieder weiterverkauft wird. Meistens, so wie die meisten in diesem Land produzierten Produkte, ins Ausland. Erschüttert hat mich dann noch der Einsatz von Glyphosat oder Pestiziden allgemein. Auf den gesamten Feldern sind unterschiedliche Grassorten gesät und es gibt somit keine natürliche „schöne Wiese“. Auf jeder Wiese bildet sich dann unterschiedliches Unkraut, welche mit einem spezifischen Pestizid getötet wird. Die Kühe dürfen dann in dieser Zeit weiterhin auf der Weide bleiben. Circa alle 15 Jahre wird dann eine Wiese, wenn das Unkraut nicht mehr durch spezifische Pestizide in Schach gehalten werden kann, durch ein Allrounder-Pestizid komplett vernichtet, ein neuer Samen gesät und dann für die Kühe für 2 Wochen unzugänglich gemacht. Absolut verrückt, wie der Mensch sich alles Untertan macht und versucht alles zu kontrollieren. Ich glaube jetzt noch darauf einzugehen, welche Auswirkungen das alles hat oder noch haben könnte, würde wohl zu weit führen und vielleicht auch weniger zu einem Reisebericht passen. Aber irgendwie erschütternd, diese Prozesse mal so hautnah miterlebt zu haben. Ein Filmtipp an dieser Stelle, den ich von meinem Bruder habe: „Kiss the ground“. (https://kissthegroundmovie.com/)

Und irgendwie wird ja Neuseeland in unseren Medien immer als mega grün und so nachhaltig verkauft. Kann ich leider nicht bestätigen. Nicht nur, dass hier jeder gefühlt n dicken Pickup oder einen SUV fährt, auch dass wirklich überall wo ich bisher war, auch in den privaten Gärten, Pestizide eingesetzt werden. Es ist der Standard hier. Und wie Trev gesagt hat, wird in der Herstellung von Kiwis oder anderen Früchten nochmal einiges mehr an Pestizide verwendet und dann aber als Premiumprodukt weltweit verkauft. Eine Erklärung, warum das Land als grün gelabelt wird ist, weil es im Verhältnis zur Einwohnerzahl einfach gering besiedelt ist und viele Wald- und Grünflächen hat. So gibt es hier 5 Millionen Einwohner auf einer Fläche, die dreiviertelst so groß ist wie die Fläche von Deutschland. Spannend wäre natürlich da der Vergleich des ökologischen Fußabdrucks des einzelnen Einwohners des jeweiligen Staates… schrieb ein Mensch, der mit dem Flugzeug ans andere Ende der Welt flog und pseudomoralisch die Keule schwing.

So neigte sich die Zeit bei Trev dem Ende entgegen und ich machte mich auf dem Weg in den hohen Norden nach Kerikeri, wo ich einer Einladung von den Direktoren des buddhistischen Zentrums in Auckland folgte. Die bewunderten dort meine dilettantischen Gartenarbeiten und baten mir eine Unterkunft und ein paar Kröten für die pflege ihres doch sehr verwucherten Gartens an.

Aufregend empfand ich die Fahrt dorthin, wo ich wieder mit unterschiedlichsten Leuten und deren Geschichten konfrontiert wurde. So nahm mich bis nach Rotorua Joy, die Frau von Crispen, mit, welche mir nochmal deren Auswanderungsgeschichte und den Kontakt zu Trev erzählte. Eine nette, fürsorgliche und liebevoll verrückte Frau mit maorischen Wurzeln fuhr mich dann aus Rotorua an eine gute Trampstelle. Dort wurde ich von einem passionierten Fliegenfischer mitgenommen, dessen Augen nicht mehr aufhörten zu leuchten, als er mir seine Geschichte erzählte, wie er zum Fliegenfischen kam und heute hin und wieder anderen Menschen in seine Erfahrungswelt Einblicke gewährt. Und bis nach Auckland nahm mich Chris mit, der mein Alter ist, 5 Fahrzeuge in seiner Garage hat, die letzten Jahre von gesundheitlichen und familiären Schicksalen heimgesucht wurde und trotzdem ein wahnsinnig freundliches, gönnerhaftes und offenes Gemüt behielt. In Auckland angekommen, entschied ich mich dann aufgrund des starken Regens mit dem Bus weiterzufahren. Dieser hatte glücklicherweise 10min Verspätung, wodurch ich ihn in letzter Sekunde noch schaffte. Und dort setzte ich mich, wie der Zufall so wollte, neben eine Deutsche, die vor 10 Jahren ausgewandert war, um sich hier ein neues Leben aufzubauen.

Und weil der Sommer hier wohl mittlerweile als einer der regnerischsten der letzten Jahrzehnte beschrieben wird, sitze ich nun in meinem kleinen gemütlichen Appartement und warte auf besseres Wetter, um hier mal nen Kajakausflug zu machen, welches mir Stephen und Kathy bereitgestellt haben.

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