Veröffentlicht: 10.07.2019
Nach der tollen Tour in Ha Giang machten wir uns auf Richtung Nordwesten, nach Sa Pa. Mit dem Sleeperbus (einer genialen Erfindung: jeder hat eine eigene Pritsche im Bus, ich hab super geschlafen!) fuhren wir die Nacht durch und nach der Ankunft, um 4 Uhr morgens, durften wir sogar im Bus liegen bleiben, um auszuschlafen. Um sieben Uhr früh wurden wir dann von unserem Tourguide Mama Mú, die zur Ethnie der H’mong gehört, abgeholt.
Ein siebenstündiger Fußmarsch erwartete uns nun, um in Mama Mús kleines Bergdorf zu gelangen, in dem noch alles so ist, wie vor hundert Jahren: Reisfelder werden per Hand und mit der Hilfe von Wasserbüffeln bestellt, Nahrung wird oft im Wald gesammelt und die traditionelle Kleidung, die die Menschen tagtäglich tragen, wird aus Hanf selbst hergestellt, bestickt und mit Indigo, der ebenso wie der Hanf vor der Haustür wächst, gefärbt.
Da ich nach so langer Zeit des Reisens schon satt bin von wunderschöner Landschaft, war ich absolut hingerissen von der Kultur der H’mong. Wahrscheinlich brauchten wir deshalb sieben Stunden zu unserem Homestay: endlich hatte ich Gelegenheit Fragen zu stellen, endlich konnte ich wieder kommunizieren, da Mama Mú englisch spricht, im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute. Ich fragte also bei jeder Gelegenheit, alles was mir in den Sinn kam! „Wie werden die Fasern gezogen, um den Hanf zu trocknen und zu spinnen?“, „spinnen die?“ „wie wird gewebt?“, „erkläre mir das färben mit Indigo!“, „was esst ihr so?“, „wie heißt diese Pflanze und wofür wird sie verwendet?“, „ist das Marmor?!“, „ihr verwendet wirklich Marmor, um das Fundamt für ein Haus zu bauen?“, „du hast echt schon mit 18 geheiratet? Wie habt ihr euch kennengelernt?“... Mama Mú musste sich den Mund fusselig reden, um alle meine Fragen zu beantworten.
Der Pfad führte uns am Kamm eines Berges entlang, im Tal glitzerte der Fluss in der Sonne und an den Hängen leuchteten saftig grüne Reisterrassen. Für mich war die tolle Wanderung, wegen derer die Touristen immer mehr werden aber nur das i-Tüpfelchen, denn oft hatte ich vor lauter Leute-Beobachten gar keine Zeit, die herrliche Landschaft wahrzunehmen.
Wir waren bereits seit mehr als zwei Monaten in Asien und hinsichtlich Handarbeit war ich enttäuscht. Überall gibt es nur massenproduzierten Plastikschund zu kaufen, Hauptsache bunt und laut, dementsprechend begeistert war ich von der traditionellen Herstellung der Kleidung der H‘mong. Ich sagte natürlich sofort und überglücklich ja, als Mama Mú fragte, ob ich das traditionelle Batiken zur Verzierung der Jacken oder Decken ausprobieren möchte! Nach einem ungewöhnlichen und sehr feinem Abendessen bestehend aus Farn, Kürbisblättern, Hühnchen und Reis und erholsamen Schlaf in der friedlichen Stille des winzigen Bergdorfes wurden wir am Morgen vom Krähen der Hähne geweckt. Voller Vorfreude starteten wir bald zu Mutter und Schwester Mama Mús, die die Kunst des Batikens beherrschen. Mit speziellen Pinseln, Bienenwachs, einem Brett und darauf befestigten Stück Baumwollstoff durfte ich, am Boden vorm offenen Feuer sitzend, loslegen, um im Stile der H‘mong den Stoff zu verzieren. Es dauerte den ganzen Vormittag, bevor wir die fertig bemalten Stoffe in Indigo tauchten, um sie zu färben. Wir hatten nun einen entspannten Nachmittag vor uns, den wir überwiegend schlafend inmitten der Stille der Reisfelder verbrachten.
Am nächsten Tag regnete es leider, weswegen wir einen weiteren entspannten Tag in der friedlichen Stille auf dem Balkon genossen. Meine einzige Aufgabe: den gefärbten Stoff auskochen, um das Wachs zu entfernen, damit das Muster weiß sichtbar wird. Ich war begeistert von meinem Werk, auch wenn es noch viel Übung bedarf, um etwas richtig schönes zu zaubern...
Da es am nächsten Tag weiter regnete, nahmen wir die Einladung, an einer Hochzeit im Dorf teilzunehmen, sehr gerne an! Ich wurde mit der traditionellen Kleidung der H‘mong eingekleidet und schon ging es los: um 10 Uhr morgens zum Saufgelage! Wir erfuhren dass die Zeremonie nach alter Tradition bereits am Vortag stattfand. Es wird sich im Kreis der engsten Familie getroffen, um der Familie der Braut das Brautgeld zu entlöhnen. Ist die Frau bezahlt, gilt das Paar als verheiratet! Am nächsten morgen treffen sich Freunde und Familie der Braut, um zusammen zu essen und Schnaps zu trinken, selbiges passiert am darauffolgenden Tag mit Freunden der Familie des Bräutigams. Bei uns Touris wurde beim nachschenken mit Reisschnaps, hier „Happy Water“ genannt, nicht gespart!
Die meist zahnlosen, alten Frauen mit den schönen Jacken, Ketten und Tüchern um den Kopf meinten es zu gut mit uns und nach kurzer Zeit waren wir schon angesäuselt. Da hilft nur eins: vom Tisch aufstehen und weiter gehen, denn wer mit am Tisch sitzt, muss trinken! Gut, dass diese Feiern schon nach etwa zwei Stunden enden, sonst wärs vielleicht bös‘ ausgegangen - man wird ja auch ständig eingeladen, sich zu den Leuten zu setzen... wir hatten einen weiteren Nachmittag zum rumliegen und gesellten uns ein wenig zum Englischkurs, den eine junge Amerikanerin den Dorfkindern anbot.
Am nächsten Tag, es hatte aufgehört zu regnen, beschlossen wir dann endlich, weiterzuziehen. Ein fünfstündiges Trekking durch die saftigen Reisterrassen und mystischen Bambuswälder trennte uns von der Zivilisation, in der wir uns dann schockiert wiederfanden: am Fluss und in Sa Pa City reiht sich ein chinesischer Hotelkomplex an den nächsten, Tourguides aus Hanoi führen riesige Gruppen von Tagestouristen über asphaltierte Straßen durch die Reisterrassen, im Tal ist alles auf Massentourismus ausgelegt.
Wir waren froh, durch Zufall die „authentische Variante“ gefunden zu haben und da wir wissen, wie dringend die Bewohner der Dörfer auf das Einkommen aus dem Tourismus angewiesen sind, empfehlen wir seitdem jedem und jeder, wie toll wir unseren Aufenthalt fanden und wie sehr wir wieder zurück wollen!