Veröffentlicht: 10.11.2016
Nach unserem wundervollen Aufenthalt in Huaraz fuhren wir mit dem Nachtbus nach Lima. Die Hauptstadt wurde uns von unseren Reiseführern als chaotisch, laut und gefährlich angekündigt, weswegen mir etwas mulmig war, als wir frühmorgens gegen 5 das Ortsschild passierten. Wie groß diese Stadt mit ihren ca. 10 Millionen Einwohnern tatsächlich ist, wurde uns klar, nachdem wir über 2 Stunden durch die Stadt fuhren, um an dem zentral gelegenen Busbahnhof anzukommen. Was wir bis dorthin sahen, war, wie versprochen, nicht sehr einladend: Unverputzte Häuser mit Wellblechdächern, chaotischer Verkehr und alles schien dreckig zu sein. Aber wir wurden schnell eines besseren belehrt, denn unser Viertel Barranco war nach der ersten Erkundung eine echte Überraschung. Wenig Verkehr, relativ ruhig, schöne gepflegte Häuser und Parks und hier und dort auch noch wundervolle alte Villen und Gebäude im Kolonialstil. Darüber hinaus waren hier die fürchterlich nervigen Auto–auf-und-zuschließ-Alarmanlagen verboten, die uns schon seit Quito mit ihren ohrenbetäubenden minutenlangen Kakophonien belästigten und nachts vom Schlafen abhielten. Am Abend unseres ersten Tages sollten wir auch gleich Ives, den Papa von Jean-Yves, den ich in meiner Zeit in der Schulsozialarbeit kennen und schätzen gelernt habe, kennenlernen. Auf dem Weg in seinen Hood Miraflores geschah dann auch schon beinahe ein Unglück! Nachdem wir falsch abgebogen waren und entlang der Stadtautobahn am Meer nicht in die gewünschte Richtung weiterkamen, überlegten wir ob es wohl zu schaffen sei, über die 6-spurige Straße zu kommen ohne den beschwerlichen Berg zurückzulaufen. Nachdem wir aber minutenlang am Straßenrand gewartet und gefühlt tausende Autos an uns vorbeigerast waren, beschloss ich mich umzudrehen und Tina mitzuteilen, dass wir lieber zurücklaufen und den sicheren Weg nehmen. Just in diesem Moment schrie Tina: „ Jetzt geht es!" Und sie rannte. Ich folgte im blinden Urvertrauen mit einem Blitzstart, der aber leider schon nach 10cm durch einen im Weg liegenden Stein jäh gebremst wurde und mich der Nase voraus mitten auf die Straße katapultierte. Dank meines hervorragenden Schutzengels und meiner sensationellen Reaktion (ja, ich bin nicht immer langsam) konnte ich mich doch noch auf die andere Straßenseite retten und hatte als Konsequenzen dieser dummen Aktion nur ein paar Schürfwunden, einen Kratzer in meiner neuen Dampfe (die beim Aufprall meine Hand rettete) und ein Donnerwetter von Tina zu ertragen.
Schließlich in Miraflores angekommen, tauchten wir in eine völlig neue Welt ein, die mich glauben ließ, direkt nach Miami gebeamt worden zu sein. Schön angelegte Parks an der Steilküste von Lima, mit protzigen Hochhäusern und teuren Einkaufszentren wollten so gar nicht zur übrigen Stadt passen, die mir bis dato doch eher ärmlich vorkam. Und dort am romantischen Leuchtturm trafen wir schließlich auch Ives, den wir als einen außergewöhnlich kommunikativen, sympathischen und lustigen Menschen sofort in unser Herz schlossen. Er zeigte uns bei einem Spaziergang durch Miraflores seine Heimat und fröhnte gleichzeitig seiner ausgeprägten Leidenschaft für Fotografie und Architektur, bei der wir natürlich auch immer wieder vor dem Sonnenuntergang und diversen Gebäuden Modell stehen mussten.
Am zweiten Tag schauten wir uns das historische Zentrum Limas an, das mit seinen zahlreichen Kirchen, dem Präsidentenpalast, alten kolonialen Gebäuden und schönen Parks wirklich zu beeindrucken weiß. Nach einem Besuch im Museum der Peruanischen Zentralbank mit Kunst der verschiedenen Kulturen in Peru und einer historischen Geldsammlung, trafen wir uns wieder mit Ives in Miraflores. Ives ist Mitglied in einer Art exklusiven Sportclub in Miraflores, der zwei riesige Clubhäuser betreibt und zu dem eigentlich nur Mitglieder Zutritt haben. Am Abend zuvor lud er uns schon zum Essen in den Club in der Stadt ein, wo wir noch parallel einen Blick auf ein internationales Tennisturnier erhaschen konnten. An diesem Mittag kamen wir aber in den Genuss des Strandclubs direkt am Meer. Während Ives ein Match Squash mit seinen hiesigen Kumpels spielte, ließen wir es uns am Pool mit ausgezeichneter Ceviche und anderen Köstlichkeiten so richtig gut gehen. Zum Abschluss des Tages machten wir schließlich noch einen Ausflug zu den Springbrunnen im Parque de la Reserva, die den Springbrunnen in Barcelona noch um einiges toppen. Unzählige verschiedene Springbrunnen werden hier bunt beleuchtet und als Höhepunkt gibt es an der größten Fontäne eine fantastische Lasershow mit typisch peruanischen Motiven, die von Panflötenmelodien begleitet wird.
Am letzten Tag unseres Aufenthalts in Lima besuchten wir das Museo de Arte, dass für seine herausragende moderne Kunstausstellungen bekannt ist. Leider hatten wir ein wenig Pech, denn die Sonderausstellung fand ich Kulturbanause dann doch etwas zu gewagt, denn die Ausstellungsstücke könnten auch durchaus von mir selbst kommen – und wer schon mal ein Bild von mir gesehen hat, weiss, dass das kein Mensch sehen will;- ). Der Besuch hat sich dennoch gelohnt, denn im Museum wird das fantastische Bild "Das Begräbnis des Inca Atahualpa" von Luis Montero ausgestellt, das uns sehr beeindruckt hat. Durch Zufall war neben dem Museum auch noch ein südamerikanischer Jugendwettbewerb für traditionelle Tänze, bei dem wir sehr schöne Tänze mit traditioneller Kleidung sahen. Am Abend trafen wir uns nochmal mit Ives und seiner Freundin Patrizia zur Geburtstagsfiesta vom Stadtteil Barranco, genossen die Athmosphäre des tollen Viertels und hatten in einem abgefahrenen Club ein großartiges (im wahrsten Sinne des Wortes) Verabschiedungsbier mit unserem liebgewonnenen Freund.Kurz vor der Weiterreise nach Nazca konnten wir noch Tinas Koffer um ein paar Kleidungsstücke erleichtern, die wegen des ausgeprägten Shoppingsinns Tinas nicht mehr in ihren Rucksack passten. Wir hoffen, die Kinder vom Kinderheim, das schon lange von der Gemeinde meines Bruders Daniel unterstützt wird, haben ein wenig Freude daran. Leider konnten wir das Heim nicht selbst besuchen, da wir etwas in Zeitnot waren und uns alle Einheimischen von dem gefährlichen Viertel abgeraten haben.
Schon auf der Fahrt nach Nazca war die Landschaft durch Wüste geprägt. Uns war im Vorfeld überhaupt nicht klar, dass Peru in weiten Teilen aus Wüstenlandschaft besteht. Aber hier im Umland von Nazca fühlt man sich wirklich wie in Ägypten. Schroffe Berge und Sand so weit das Auge reicht. Nazca selber ist auf den ersten Blick nicht besonders schön. Die typischen unfertigen Backsteinhäuser, Wellblechdächer und kaum Farbe. Pflanzen wachsen auch nur bedingt, dort wo bewässert wird und insgesamt wirkt alles durch die lebensfeindlichen Bedingungen etwas trostlos. Umso herzlicher wurden wir aber in unserem familienbetriebenen Hostal empfangen, das uns mit einem schönen ruhigen Zimmer, tollem Frühstück und unglaublich netten Menschen begeistert hat. Oma, Eltern und Kinder waren jederzeit bereit uns zu helfen und uns zu verwöhnen – es war so richtig zum wohlfühlen. Allgemein waren die Menschen in Nazca sehr freundlich und wir waren froh, mal ein paar Gänge runterschalten zu können.
Am zweiten Tag buchten wir einen Ausflug zum Sandborden, was sich Tina schon lange gewünscht hat. Mittags um 2 wurden wir von einem Sandbuggy am Hostal abgeholt und fuhren erstmal gemächlich auf der Straße Richtung Wüste. Dort angekommen durften wir erstmal uralte Aquädukte aus der Nazcazeit anschauen, die spiralförmig in die Erde gebaut wurden, um dort das Wasser eines unterirdischen Flusses anzuzapfen. Das erstaunliche ist, dass immer noch über die Hälfte der über 60 Aquädukte in Betrieb sind und von den Bauern genutzt werden und das nach mehreren Tausend Jahren. Nun ging es, nachdem unser Fahrer etwas Luft aus den Reifen abgelassen hatte, in rasendem Tempo (gefühlte 100 Kamelstärken) durch die Wüste. Jetzt erschloss sich uns auch, warum Nazca mehrere der besten Wüstenbuggyfahrer der Welt hervorbrachte und die Fahrer dies auch gern zeigen. Nach den ersten Minuten, mit Spitzengeschwindigkeit von knapp hundert kmh über Berge, schroffes Gelände und enge Kurven wagte ich dann meinen Klammergriff am Gestänge etwas zu lösen und neben mir nach Tina zu schauen – ich erblickte große strahlende Augen und ein Grinsen bis hinter die Ohren. "Das ist der schönste Tag meines Lebens!“, rief sie mir entgegen während der Bugy über die nächste Kuppe sprang und gefühlt senkrecht den nächsten Abhang hinunterstürzte. Jeder Achterbahnliebhaber sollte das auf jeden Fall mal gemacht haben - ist wie Silverstarfahren, nur dass der Spaß 4 Stunden lang anhält. Beim nächsten Stopp durften wir alte Nazca Pyramiden bestaunen, die für religiöse Rituale und Opferzeremonien erbaut wurden. Und wieder ging es in rasendem Tempo weiter zum Mumienfriedhof. Friedhof ist eigentlich das falsche Wort. So weit das Auge reicht liegen Knochen und Schädel im Wüstensand, die von Grabräubern hier liegengelassen wurden. Bemerkenswert ist, dass durch das trockene Klima an vielen der Schädel noch Haare und Haut kleben – perfekte Gruselstimmung für das am Abend stattfindende Halloweenfest. Nach einer kurzen Fahrt musste unser Fahrer wieder etwas Luft aus den Reifen lassen und dann gings ab in die weichen Sanddünen. Wir fuhren mehrere Kilometer riesenhafte Sanddünen hinauf und in spektakulären Manöver wieder runter und hielten schließlich mitten im Sandgebirge an, wo wir uns endlich am Sandborden versuchen durften. Im Grunde genommen funktioniert Sandborden gleich wie Snowborden, nur dass die Bretter etwas kleiner sind und man sich mit den normalen Schuhen auf das Bord schnallt. Nach zwei Versuchen im Stehen den Berg hinunterzukommen, was wirklich schwierig war, weil sich bei den schäbigen Bords sofort die Bindung gelöst hat, stieg ich wie Tina auch auf eine liegende bzw. sitzende Haltung um, was super viel Spaß gemacht hat, auch wenn das zurücklaufen auf die Düne unglaublich anstrengend war. Als krönender Abschluss fuhren wir bei einem wunderschönen Sonnenuntergang wieder in atemberaubender Geschwindigkeit nach Hause, wo wir von hunderten halloweenverrückten Kindern mit übersüßen Kostümchen begrüßt wurden.
Den folgenden Tag verbrachten wir überwiegend mit Chillen und am Abend besuchten wir zur Vorbereitung auf den nächsten Tag das Maria Reiche Planetarium, das uns eine gute, wenn auch etwas altmodische Einführung (mit mechanischem Sternenbeamer) in die berühmten Nazca Linien und die beeindruckende Arbeit der Frau Dr. Maria Reiche gab, die über 40 Jahre in ärmlichsten Verhältnissen die Geheimnisse der Nascalinien zu erforschen versuchte.
Am Morgen wurden wir in peruanischer Pünktlichkeit zum kleinen Flughafen von Nazca gefahren und durften dort eine Stunde später in einer kleinen Propellermaschine für eine halbe Stunde über die Nazcalinien fliegen. Hier wurde uns erst so richtig bewusst, was es für eine unglaubliche Leistung von diesen Menschen war, ohne moderne Hilfsmittel diese gigantisch großen und perfekt symetrischen Bilder und geometrischen Figuren in die Erde und an Berge zu ritzen bzw. zu graben. Darüber hinaus bot der Flug eine großartige Sicht über die wunderschöne Wüstenlandschaft, was diesen Flug zu einem grandiosen Abschluss unseres Nazcabesuchs machte, auch wenn die Oma neben mir und ihr Enkel neben Tina in motorübertönenden Geräuschen ihre Kotzbeutelchen füllten. Die Armen hätten sich den nicht ganz günstigen Flug wohl lieber gespart.