Veröffentlicht: 10.05.2017
Zehn wunderbare Tage bin ich noch durch das wilde Neuseeland gereist. Mit dem Bus und vor allem per Anhalter. Und da war wieder so eine unbezahlbare Erfahrung. Wir versuchten zu zweit eine 2,5 Stunden lange Strecke zu hitchhiken. Es war bereits später Nachmittag und es wird gegen halb 7 dunkel. Wir uns also mit unserem gemalten Schild an die Straße gestellt, nach etwa 15 Minuten hält der erste Wagen an, nimmt uns mit in die nächste Stadt, ca. 20 km entfernt. Das nächste Auto wieder nach etwa 15 Minuten, es wird langsam dunkel, Linda, eine ältere Neuseeländerin, die uns immerhin ca. 1 Stunde lang mitnehmen kann. Als wir ankommen ist es stockdunkel, es fehlt immernoch eine gute Stunde Weg. Es wird langsam Zeit besorgt zu sein, was ist wenn wir tatsächlich nicht ankommen? Wer gabelt schon bei Dunkelheit zwei fremde, vollbepackte Menschen auf? Aber Panik und schlechte Laune bringt einen da auch nicht weiter, also ruhig bleiben und Daumen raus. Eine Minute später kommt Linda zurück, sagt mir, “der Camper da hinten fährt nach Nelson, die Frau hat gesagt, sie können euch evtl. mitnehmen, sie will nur noch ihren Mann fragen, der ist nur kurz auf Toilette. Falls die euch nicht mitnehmen können, und ihr keine Unterkunft hier findet, dann ruft mich einfach an, ich wohne 20 Minuten von hier, hole euch ab und mache euch ein Bett bei mir zuhause zurecht.” … Da klappt mir die Kinnlade runter. Natürlich wurden wir von dem anderen Pärchen mitgenommen, und als wir so im Camper sitzen, schauen wir uns an, wie zwei kleine Kinder und können gar nicht fassen, wie wunderbar die Welt sein kann. Da hätte uns diese Frau einfach bei sich aufgenommen. Aus Nächstenliebe, einfach so. Es war einer dieser magischen Momente, in denen eine großzügige, selbstlose Geste zwei Menschen zutiefst glücklich gemacht hat und ihnen eine Lektion beigebracht hat. Denn so sollte die Welt sein. Ständig denken wir, möööp mir wird schließlich auch nix geschenkt, und wertgeschätzt wird man sowieso nicht, wieso sollte ich also irgendjemand einen Gefallen tun. Ja warum? Weil es die Welt ein Stück besser macht. Linda hat uns gezeigt, wie viel Dankbarkeit man mit einer selbstlosen Geste auslösen kann, und wir dachten, fuck, so muss es sein. So wollen wir sein, und so sollte jeder sein.
Was kann schon passieren, wenn wir mal großzügig was hergeben ohne eine Gegenleistung zu erwarten? Vielleicht werden wir mal ausgenutzt und erfahren Undankbarkeit. Aber viel öfter ist es doch so, dass wir die Welt so ein Stück besser machen und anderen eine tolle Erfahrung schenken. Anstatt ständig Buch darüber zu führen, wieviel man gibt und dafür wieder bekommt, sollten wir vielleicht einfach mal geben um des Gebens Willen. Einfach weil es the right thing to do ist.
Ich bin viel getrampt in Neuseeland und so oft ergab sich mehr als nur eine Autofahrt. Einmal bin ich mit dem Pärchen, dass mich im Bett liegend in ihrem Camper mitgenommen hat noch Abendessen gegangen, einmal ändert jemand seinen Plan und fährt weiter als eigentlich geplant und man trifft sich am nächsten Tag für eine Wanderung, mal versuchen wir zu dritt zu einem Wanderweg zu trampen, keiner nimmt uns mit, bis ein Mädel anhält, die ganz andere Pläne hat und wir uns einfach anschließen und den ganzen Tag zusammen verbringen, einmal änderte ich meinen Plan und anstatt einen Zwischenstopp am See einzulegen trampte ich 400 km weit bis Christchurch. Ständig Pläne und Erwartungen im Kopf zu haben, wie etwas abzulaufen oder zu sein hat, ist irgendwie unser Alltag. Doch wenn man mal so reist, und sieht, dass es immer eine Lösung gibt, dass die besten Sachen passieren, wenn man flexibel ist und sich nicht zu viele Sorgen macht wie das Endergebnis aussieht, dann spürt man wie die Angst vor dem Ungewissen schwindet. Und dieses Freiheitsgefühl wird zur Sucht.
Man merkt auch, wie wenig man braucht zum Glücklichsein. Am Ende sind es die simpelsten Momente, in denen ich am glücklichsten war. Da braucht es kein Luxusdinner, kein fancy Hotelzimmer, keine teure Action-Bootstour. Sondern ein Bier am See zum Sonnenuntergang, obwohl es viel zu kalt ist, einen Tag lang verkatert und übermüdet mit einer wunderbaren Freundin auf einer 6 stündigen Wanderung albern sein und pausenlos über nichts und wiedernichts lachen, ein Blick in den unendlichen Sternenhimmel und die Milchstraße sehen, der Moment, wenn man verdammte 1300 Höhenmeter erklommen hat und auf eine atemberaubende Landschaft blickt und dann auf dem Gipfel vespern und mal kurz in der Sonne einschlafen, die Jungs im Hostel beim Tischtennis abzocken, irgendwelche Restlebensmittel zusammenkratzen und was kochen, einfach nur da sein und die Landschaft anschauen und zu fühlen wie klein man in diesem Universum eigentlich ist, das ist wooow. Und das ist es was ich so sehr vermissen werde, wenn bald wieder der Alltag einkehrt: Das Staunen über die Natur und die Einfachheit, merken, dass man all den Konsumscheiß nicht braucht, seine Grenzen und Ängste überwinden, ins kalte Wasser springen und auf sein Herz hören.
Ich bin kein Weltverbesserer, ich ernähre mich nicht vegan, interessiere mich kaum für Politik, demonstriere nicht für Gerechtigkeit in der Welt und engagiere mich in keinen Hilfsprojekten. Was also tun? Und ich dachte mir so, wenn jeder ein bisschen mehr wäre wie Linda. Mit kleinen Dingen, Menschen glücklich und dankbar machen, wie viel besser wäre doch die Welt.