Veröffentlicht: 07.11.2024
An unserem dritten Tag in Hangzhou trifft die heftigste Welle des Taifun-Ausläufers ein, weshalb ich für den ganzen Tag Museumsaufenthalte eingeplant habe. Ich nehme es mal vorweg, die Museen besitzen Gärten und die Ausstellungen sind in verschiedenen Pavillons und Gebäuden verstreut, so dass wir eine gehörige Portion der Wassermassen abbekommen. Wir sind am Nordufer des Westsees und unser erstes Ziel ist das Siegelmuseum, welches am Gu Berg auf einer Insel liegt. Nun darf das Taxi nur bis zum Beginn der Insel fahren und uns steht ein 300 Meter langer Spaziergang am Ufer des Westsees bevor, der uns von Pfütze zu Pfütze springen lässt. Der Westsee wird von Regenschwaden traktiert, denn neben Dauerregen begleiten uns noch kurze Windböen auf unserem Weg. Das Museum liegt in einem Garten am Hang auf verschiedene Pavillons verteilt. Wichtige Siegelmacher, Gelehrte und epigraphische Forscher werden vorgestellt, der Gründer dieses Anwesens und auch ein paar künstlerische Siegelstempel werden gezeigt. Mir gefallen besonders die Stempel mit den Schildkröten-Griffen. Die Siegel selbst stempeln entweder die Zeichen oder invers, so dass die Farbe die Zeichen umhüllt. Es wird wohl immer ein Sinnspruch und/oder ein Name gestempelt. Es gibt bestimmte Siegelzeichen, wie ich aus einer Erklärung beiläufig erahne. In einem kleinen Raum wird ein poetischer Film gezeigt. Zum Schluss werden noch einige Steintrommel aus der Zeit der Tang-Dynastie gezeigt, auf denen 700 Siegelzeichen eingraviert sind. Insgesamt gibt es leider keine Erläuterungen zum Sinn von Siegeln, weshalb mir die Bedeutung und die Historie von Siegeln nicht deutlich wird. Vielmehr wird der künstlerische Aspekt hervorgehoben, so dass bei mir der Eindruck entsteht, dass es sich eher um eine Kunst statt um ein Handwerk handelt. Eine kleine Pagode oben auf dem Hügel, kleine Pfade und Teiche lässt ein schönes Gelände vermuten, ist es aber eben nicht bei diesem Regen. Nun laufen wir 400 Meter weiter zum Zhejiang Regional Museum, welches leider auch in verschiedenen Gebäuden aufgeteilt ist. Das Museum widmet sich vor allem der malerischen Kunst, was bei mir als Kunstbanause weniger auf Interesse stößt. Allerdings ist die Ausstellung über die Lackkunst hochinteressant und zeichnet die verschiedenen Objektstile und Lacktechniken zu den jeweiligen Dynastie-Epochen nach. Dieser Ausstellungsbereich ist eine absolute Empfehlung und beeindruckt mich vor allem bei den filigranen Darstellungen. Meine favorisierte Lackkunst ist dabei die Darstellung von Gelehrten- und Literatenszenen, die ich schon im Asian Civilisations Museum in Singapore bewundern durfte. Während der Qing-Dynastie (1644 - 1911) führten nämlich die Motive der Lackkunst von Landschaften und menschlichen Figuren nicht nur traditionelle, von Legenden, Folklore oder historischen Erzählungen inspirierte Motive fort, sondern sie griffen auch die Welt der Literaten und der Literatur auf. Kaiser Qianlong las viel und war literarisch sehr gebildet. Dies führte zu einem Trend zu literarischen Themen. Die Wege im Museum sind bis zur Leifeng-Pagoden-Ausstellung, welche ich schon in einem vorigen Blogpost erwähnt habe, überdacht. Doch nun erfolgt der Übergang in ein Nebengelände mit drei großen altertümlichen Gebäuden. Es ist die alte Bibliothek von Hangzhou, die sofort mein Interesse weckt. Bibliothek bedeutet dabei die Sammlung von sämtlichen Schriften in einer Enzyklopädie. Diese Art der Geschichts- und Wissensbewahrung hat eine große Tradition in China und lässt uns heute die Historie des Landes bis zurück ins Altertum verfolgen. Diese Einrichtung in Hangzhou wurde vom oben schon erwähnten Kaiser Qianlong 1773 initiiert und enthielt die berühmte Siku Quanshu (四库全书), „Vollständige Schriften der Vier Schatzkammern“. Kopien dieses Werkes lagerten zur Einsicht genau hier in diesem Gebäude in dieser Bibliothek. Um sich eine Vorstellung dieses Werkes zu machen: Es ist die größte Büchersammlung in der kaiserlichen chinesischen Geschichte und umfasst 36.381 Bände, 79.337 Manuskriptrollen, was insgesamt 2,3 Millionen Seiten bedeutet. Die Ausstellung erzählt auch von den kleinen Helden, wie Chen Xunji (1901 - 1991), der die Bibliothek von 1932 bis 1941 leitete und im Krieg während der japanischen Invasion die Bücher 1937 zum Schutz in den Westen des Landes transportierte. Unser Weg aus dem Museum wird nun auch mühsam werden, denn während der Regenwanderung zurück zur Xiling Brücke zum Festland wird unsere Kleidung ordentlich durchnässt.