Veröffentlicht: 18.07.2021
06. Juni - 07. Juni 2021
Eine häufig gemachte Wanderung ist, der Weg vom Ulriken über den Rundemånen zum Fløyen oder andersrum. Im Sommer ist es außerdem eine coole Gelegenheit, die Tour in der Nacht zu machen, um das Licht einmal so richtig auszukosten. Die Erfahrung mit dem Licht ist wirklich etwas, dass bei mir immer wieder ein "Wow"-Gefühl verursacht. Vidden wird die Anhöhe zwischen Ulriken und Rundemånen genannt, heißt aber auch einfach im Norwegischen "Hochebene". Die Wanderung von 18 Kilometern wollten wir ursprünglich mit vielen aus dem Wohnheim gemeinsam machen, aber weil einige auch den Vortag noch einmal gefeiert hatten, waren sie leider zu müde, um mitzukommen. Nachdem Pia und ich uns am Samstag doch mehr bewegt hatten als geplant, gingen wir den Sonntag sehr entspannt an. Natürlich wie immer mit einem Eierkuchenfrühstück. Es war auch das Letzte mit Pias Küchenmitbewohner, der uns seit Ostern regelmäßig Gesellschaft leistete. Vielleicht auch unter anderem, weil er immer ein paar Eierkuchen abstaubte. ;)
Den Rest des Tages lümmelten wir in unseren Zimmern rum, bis wir gegen halb zehn die Bybanen Richtung Stadtzentrum nahmen. Wir hatten uns für die Variante mit dem Ulriken als Ziel entschieden. So würden wir mit dem Sonnenuntergang auf dem Fløyen starten, mit dem Licht Richtung Osten wandern und den Sonnenaufgang am Ulriken begrüßen. Da wir etwas spät aufgebrochen waren, mussten wir uns auf dem Weg vom Stadtzentrum zum den Fløyen tierisch beeilen. Innerhalb von 40 Minuten waren wir oben und stellten dann fest, dass die Sonne mittlerweile so weit im Nordwesten unterging, dass man ihn vom Fløyenaussichtspunkt nicht mehr sehen konnte. Den farbigen Himmel über der Stadt konnten wir trotzdem genießen. Nachdem wir das verschwitzte T-Shirts gegen einen Pulli ausgetauscht und die Trinkflaschen aufgefüllt hatten, waren wir bereit zum Aufbruch. Vorher besuchten uns noch neugierige Enten, die auf etwas zum Essen hofften. Die Ente sollte nicht unsere letzte tierische Begegnung sein.
Zum Rundemånen kann man verschiedene Wege einschlagen. An der Wegkreuzung trafen wir eine kleine schwarz-weiße Katze, die wir erstmal freundlich begrüßten. Wir rissen uns dann schließlich von ihr los und gingen weiter, doch sie folgte uns. Wir dachten, sie würde nach einer Weile umdrehen, doch das tat sie nicht. Wir versuchten es mit Ignoranz und später auch mit Verscheuchung in Richtung Fløyen zurück. Doch nachdem wir an der letzten Wegkreuzung vorbei liefen und sie keinerlei Anstalten machte, umzukehren, entschieden wir den bereits gelaufenen Kilometer zurück zu gehen und die Katze dort abzusetzen, wo sie uns begegnet war. Zeit hatten wir ohnehin genug und ansonsten nur ein schlechtes Gewissen gehabt, denn einmal oben auf dem Rundemånen gab es wirklich keine Zivilisation mehr. Also sagten wir dem Fløyen wieder Hallo und sie verabschiedete sich tatsächlich ganz allein von uns und verschwand, wo sie herkam. Ich bin überzeugt, dass sie sich verlaufen hatte, denn vom Wanderweg wollte sie nicht runter, die Flora rundherum war ihr nicht geheuer gewesen. Ich hoffe, sie hat ihren Weg nach Hause gut und schnell gefunden.
Mittlerweile war es Mitternacht und wir machten uns nun zum zweiten Mal auf. Um sicher zu gehen, dass die Katze doch nicht wieder zum Vorschein kam, nahmen wir den Weg am kleinen See Skomakerdiket vorbei. Dieser Umweg hat sich sowas von gelohnt. Im Halbdunkel schwebte eine Nebeldunst über dem Wasser und wir verstanden im Nu, warum die Leute hier an Trolle und anderes glauben. Es war beeindruckend und gespenstisch zugleich. Nachdem wir den See umrundet hatten, kamen wir auf unseren ersten Weg zurück und hatten Panik die Katze dort vorzufinden. Ich hatte schon einige Halluzinationen gehabt und Steine am Wegesrand für sie gehalten. Glücklicherweise tauchte sie nicht auf und wir konnten beruhigt unseren Weg fortsetzen.
Wir kamen bald an der Brushytten an, die wir im Winter an unserem Skiwochenende kennenlernten. Sie liegt am Blåmansvatnet über dem genauso Nebel hing und am Fuße des Blåmanen. Von dort wollte ich unbedingt den Weg nehmen, den ich damals allein auf Skiern wählte und Pia den Aussichtspunkt auf den Ulriken und über Bergen zeigen. Bis dahin sah Pia irgendeinen großen Vogel im Baum sitzen, den ich aber nie ausmachen konnte. Zwischen den hohen Tannen war es doch dunkler, Licht brauchten wir aber trotzdem nicht. Dafür erschrak ich kurz, als eine Kröte vor meinen Füßen auf den Weg hopste. Allein kann man sich definitiv dort fürchten. Vom Aussichtspunkt sah unser Ziel so nah aus, als könnte man es mit ausgestreckten Arm berühren oder als könnte man einfach rüber springen. Weil dem nicht so war, ging es für uns ganz altmodisch zu Fuß weiter. Als wir am südlichen Ende vom Store Tindevatnet, der dort mit einer kleiner Mauer gestaut ist, ankamen, fing sich Pia an zu fragen, wie ich damals den Weg bewältigt habe. Den See hatte ich damals gar nicht gesehen und den offiziellen Weg auch nicht. So wanderten wir diesmal auf ihm entlang und bekamen durch die feuchten Gräser nasse Schuhe, die Füße blieben trocken. Neben dem Lille Tindevatnet verloren wir den Pfad etwas und stiefelten durch feuchte Wiesen, die von unseren Schuhen weit mehr Resistenz abforderten als die Gräser. Wir kamen ungefähr gegen 1 Uhr an der berühmten Antenne des Rundemånen an und genossen den noch immer bunten Himmel. Nun startete die eigentliche Route "Vidden".
Vom gerade "erklommenen" Rundemånen muss man nun ein ganzen Stückchen wieder nach unten laufen, um später wieder steil bergauf zu müssen. Nach dem wir unten waren, entschieden wir eine Pinkelpause an einem der Steinhaufen, die den Weg säumten, einzulegen. Da wir mutterseelenallein waren, ging Pia nur ein paar Schritte vom Steinhaufen, der auf einem kleinen Hügel stand, weiter. Ich verschlug mich auf die gegenüberliegende Seite des Weges in die Heide. Ich war gerade dabei mich hinzuhocken, als ich "Pia" rief. Ich richtete mich wieder auf und stolperte auf den Weg zurück, als Pia endlich mit noch nicht komplett hochgezogener Hose hinter dem Steinhaufen hervor kam. Verwirrt starrte sie mich an, ich hatte ja nichts weiter gerufen. Ich schaute den Weg entlang und Pia folgte meinem Blick. Uns kam tatsächlich ein Wanderer entgegen und es kann natürlich immer eine Person sein, die Deutsch versteht. Deswegen hatte ich es mir verkniffen "Pia, nicht pinkeln! Da kommt jemand!" zu rufen. Auch der Wanderer war sichtlich überrascht uns zu sehen und quatschte uns auf norwegisch an. Da wir aber immer noch etwas perplex waren, verstanden wir rein gar nichts und stellten erst einmal klar, dass wir kein Norwegisch sprachen. Nachdem wir kurze Worte austauschten, zog er weiter. Dann brachen wir in Lachen aus. Ich wusste auch gar nicht, wie mein Gehirn realisiert hatte, dass uns eine Person entgegen kam und der Gedanke an Pia mit offener Hose und verwirrtem Gesichtsausdruck, setzte mich für einige Minuten lachend aus dem Gefecht. Er hatte sich jedenfalls nicht anmerken lassen, Pia in gehockter Stellung auf dem Hügel gesehen zu haben. Wie hoch war denn die Wahrscheinlichkeit gewesen, den einzigen Menschen, den wir auf der Strecke treffen würden, im Moment des Pinkels zu erwischen!? Nachdem wir uns erholt hatten, gingen wir dann schließlich pinkeln.
Erleichtert ging es weiter. Nachdem man Øvre Jordalsvatnet vorbei läuft, geht es steil hoch, um dann später auf der Höhe bis zum Ulriken weiter zu gehen. Auf diesem steilen Stück begrüßte uns eine Schafsherde und ihre Lämmer. Ihre Glockengeläut hatte uns schon am Rundemånen in den Ohren geklungen. Oben angekommen, zogen wir uns windundurchlässige Hosen und Jacken an, denn es wehte doch ziemlich kalt aus Norden. Außerdem fingen unsere Körper höflich nachzufragen, was wir denn um 2 Uhr nachts bitteschön noch vorhatten. Um sie erstmal zum schweigen zu bringen, aßen wir im Laufen ein paar Kekse. Wenn wir nun Richtung Norden schauten, waren dort immer noch die Farben des Sonnenuntergangs zu sehen. Sie verschoben sich nur weiter nach Osten. Hell blieb es aber gleichmäßig und die größte "Dunkelheit" hatten wir bereits hinter uns.
So wanderten wir im kalten Wind eine ziemlich lange Zeit einfach entlang des Tursti, des Wanderwegs. Bisher hatten wir die Tour nur im Schnee gemacht, was nach unserem Geschmack etwas leichter war, denn so mussten wir nur die Füße deutlicher über die Steine heben. Ungefähr gegen 3 Uhr setzte dann Dämmerung ein, so genau kann ich das nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist, dass gegen halb vier der Körper sich zurückmeldete oder gut hörbar nach einem Bett rief. Die letzten drei Kilometer zogen sich ewig. Wir glaubten mitunter den Kilometerzahlen an den Wegweisern nicht und ich überprüfte ihre Entfernung mit der App. Leider sagten sie aber die Wahrheit. Die Beine und Füße waren müde und mein Tempo verlangsamte sich. Da halfen dann auch keine Kekse mehr. Je weiter es gegen halb fünf und somit Richtung Sonnenaufgang ging, übernahm Pia, die ihren Ehrgeiz wiedergefunden hatte, die Führung und zog das Tempo an. Ich war darüber ganz froh und lief befreiter hinter ihr her. In der Nähe des Ulriken sahen wir auf einem Hügel eine Gruppe Menschen, die ebenfalls den Sonnenaufgang angucken wollten. Ich glaube dort sahen wir auch zwei Frauen, die ganz Vidden auf ihrem Programm hatten.
Wir kamen erschöpft und müde, aber glücklich über unsere Leistung am Ulriken an, als die ersten Sonnenstrahlen dort auftrafen. Als Frühstück hatten wir uns die restlichen Eierkuchen vom Sonntagsfrühstück eingepackt. Pia schraubte ihren im Thermobecher mitgebrachten Kaffee auf und nahm ein paar Schlucke während ihr die Sonne mit morgendlichem Gruß ins Gesicht schien. Anschließend drehte sie sich zu mir und sagte mit verzogenem Gesicht: "Diesen Moment hatte ich mir besser vorgestellt." Ihr Kaffee war mittlerweile eiskalt und wärmte den erschöpften Körper rein gar nicht mehr. Ich grinste sie nur an. Leider war auch mein Tee kalt, da waren die Eierkuchen schon besser. Während des Frühstücks besuchte uns ein Mutterschaf mit ihren zwei süßen Lämmern. Weil unsere Körpertemperaturen weiter sanken und es immer noch nicht warm wurde, wir außerdem ins Bett wollten, standen wir kurz vor halb sechs schließlich auf. Auf der anderen Seite genossen wir zum letzten Mal den Ausblick über Bergen und machten uns zum Abstieg über die 1333 Treppenstufen auf.
Dort machte ich eine neue Erfahrung, denn das mir schon oft berichtete Beine-Zittern-vor-Erschöpfung setzte bei mir ein, wenn ich stehen blieb. Außerdem musste ich auch wieder pinkeln. Mit voller Blase, zittrigen Beinen und müdem Kopf war es daher für mich eine große Herausforderung heil unten anzukommen. Beide schafften wir aber auch das und steuerten die Bushaltestelle weiter unten in Bergen an. Pia war da schon kaum mehr ansprechbar. Gegen halb sieben landeten wir im Wohnheim und stiegen beide doch zuerst noch unter die Dusche und dann erst ins Bett.
Für mich war diese Tour, die anstrengendste von allen, denn die Wirkung des müden Körpers, der nicht gewöhnt war, um diese Uhrzeit sich anzustrengen, nahm einen sehr großen Anteil an der Erschöpfung ein. Trotzdem war es einfach unvorstellbar cool, nachts zu wandern und nie eine Taschenlampe zu brauchen. Der bunte Himmel war ein toller Wegbegleiter und die ersten Sonnenstrahlung eine süße Belohnung am Ende. Gleichzeitig gesellte sich auch ein wenig Wehmut in die Stimmung, denn es sollte unsere letzte Wanderung in und rund um Bergen sein. Es war im Winter die Erste und im Sommer nun die Letzte.
Hier mal wieder unsere Strecke (zum Schluss waren es doch 23km):