ab 31.03.: Valparaiso

31.03.:

Auf dem Weg nach Valparaiso. Der Rucksack bleibt im Hostel in Santiago

Bevor der panama-kanal eröffnet wurde - das war anfang des 20. jahrhunderts - seine enstehung ist toll beschrieben in stefan zweigs "Sternstunden der Menschheit" war valaparaiso eine hafenstadt mit regem handel und wandel.
mit seinem durchbruch hat sich die schiffsroute geändert und damit auch die bedeutung valparaisos in den hintergrund verdrängt.
heute ist davon nichts mehr zu erleben, aber immer noch zu sehen.
vor drei jahren als ich da war, standen da noch hamburg süd container - jetzt ist alles weg, aber die chilenische regierung investiert in tourimus und will die hafenanlagen verändern.
einen großen und auch schon einigermaßen gut frequentierten busparkplatz gibt es schon.

Vielleicht ist auch deswegen valparaiso mit seinen rund 250.000 einwohnern eine so beeindruckende stadt geblieben. bekannt durch die bunten häuser, die sich am hang stapeln, weit entfernt von tsunamis, die zuletzt im norden valparaisos wüteten.
aktuell hat das umland durch die verherrenden waldbrände von sich reden gemacht.
ich wohne in einem lichtdurchfluteten hostel, das mich sehr an das hostel erinnert, in dem nora gewohnt und gemalt hat und das ich vor drei jahren deswegen besucht habe.
jetzt ist es im sommer ausgebucht, weil kathi und roberto eine vereinbarung mit der universität getroffen haben, die da die studenten unterbringt. besser kann es doch für kathi und roberto gar nicht gehen. roberto hat mir das hostel seiner mutter empfohlen.

Ich sitze in einem cafe in valparaiso und der sundowner in form eines escudos (hiesiges bier)  steht schon vor mir.
ich schreibe gerade an meinem blog, als sich durch eine unvorsichtige bewegung mein glas über die tastatur ergießt.
welch ein dilemma!!!!
das notebook brauche ich genauso dringend wie smartphone und vespa!
ich versuche sofortige schadensbegrenzung und verbrauche alle servietten, die vor mir in einer box zur verfügung stehen, aber ein letztes aufflackern des monitors - ein letztes "e" vom internetexplorer - und dunkelheit tritt ein.

Gedanklich habe ich das notebook schon abgeschrieben. als ich wieder im hostel bin, erzähle ich dennoch gleich meinen beiden spanischen senoras über mein missgeschick. ich frage sie, ob sie vielleicht roberto fragen könnten, ob er mir einen computerladen empfehlen kann.
er kann!
am nächsten morgen um punkt 10 stehe ich noch vor verschlossenen türen. später dann will mich die verkäuferin auf eine woche wartezeit vertrösten, aber ich machte es dringend. ich sei journalist aus alemana und es handele sich hier um eine besondere situation.
sie holt den techniker. der nimmt sich das notebook vor und bedeutet mir, gegen 13:00 uhr wieder zu kommen. drei stunden spannung!

als ich wieder in den laden komme, empfängt mich ein stolzes grinsen und daumenhoch geste - groooooße erleichterung bei mir - der wermuthstropfen kommt dann gleich nach - der akku sei geschrottet. den hätte er nicht, vier wochen lieferzeit, santiago 50:50.

egal ich habe das notebook wieder. ich kenne das steckdosen-gefrage von meiner reise mit nora durch argentinien und später auch durch brasilien und brauche nun wieder ein verlängerungskabel.
mir ist klar, dass mein journalisten-getue aus alemana und meine überschwängliche freude die preisschraube kräftig anzieht...

Bevor ich über eine viel befahrene straße zum strand gehe, komme ich an den markthallen vorbei, wo der teufel los ist. die früchte stapeln sich nicht nur in den hallen, sondern auch auf den bürgersteigen davor. für den fußgänger fast kein durchkommen. die überall gegenwärtigen und von den chilenen geliebten hunde fressen sich durch die abfälle, große und kleine katzen laben sich an den fischabfällen und dazwischen gibt es die fahrenden händler, die auf der straße ihre waren ausbreiten.
der kommenden jahreszeit entsprechend warme socken und schals.
Die sonne neigt sich schon gen horizont, und ich gehe schnellen schrittes richtung strand.

insgeheim freue ich mich entweder auf ein bier oder einen kaffee in dem alten bahnwagon, in dem nora auf einem völlig verstimmten klavier für "alte männer" musik gemacht hat.

noch vor drei jahren war ich dort und konnte dort einen instant coffee bekommen.
der damalige pächter oder inhaber war ein banker aus frankfurt, der etwas anderes machen wollte. Der wagon steht noch, aber beim näherkommen stelle ich fest, dass er seinem schicksal überlassen ist.

ich mache ein foto und setze mich auf das mäuerchen am strand, beobachte die angler und von ferne die seerobben, die sich auf einem alten brückenkopf aalen und laute geräusche von sich geben. pelikane sind keine zu sehen. ich mache ein selfie, werfe einen letzten blick auf die bucht und freue mich auf eine veranstaltung im theater.

Auf meinem weg vom computerladen zurück zu meinem hostel wurde ich am vormittag auf ein plakat aufmerksam, das auf eine veranstaltung am abend hinweist:
45 jahre lateinamerikanische musik! die vorverkaufskasse ist geöffnet, ich kaufe die billgste und sitze später im obersten rang mit blick auf die bühne weit unten...

Als ich vom strand zurückkomme, sehe ich eine riesige schlange, und ich denke mehr oder weniger schadenfroh, gut, dass ich die eintrittskarte schon am vormittag gekauft habe. später stellt sich heraus, dass die anderen auch so clever waren. der eintritt zieht sich deshalb so lange hin, weil es nur einen kontrolleur gibt...
bald bin ich ganz oben ... treppen, keine fahrstühle oder andere dinge, die es den rollstuhl- und rollatorfahrern einfacher machen, in die kulturellen genüsse dieses theaters zu kommen - denke ich so beim erklimmen der steilen steintreppe.
Oben angekommen befinde ich mich nicht in plüsch und neobarock, sondern sehe holzbänke im halbrund aufgestellt, größenteils schon mit valparoisern besetzt, deren geduld es bis zum anfang der veranstaltung wohl nicht mehr aushalten wird.
von theateratmosphäre kann keine rede sein. eher fußballstadion. haschischwolken sammeln sich in der kuppel, klatschen, grölen, stimmen, denen es gelingt ein lied anzustimmen, dessen refrain dann laut mit gesungen wird.
Je mehr leute raufkommen, je aufgeregter ist die stimmung. es werden chilenische fahnen geschwungen, teilweise sind allende-portraits zu erkennen, die übrigens am eingang zu kaufen sind. 45 jahre lateinamerikanische musik. ich rechne zurück und bin in den siebziger jahren angekommen, als allende schon geputscht war.
endlich betritt die gruppe die bühne. hier oben tobt bär, doch dann tritt koinzentrierte stille ein, als lieder von victor jara gespielt werden.
Er wurde von pinochets soldaten gleich wenige tage nach dem putsch mit 44 schüssen niedergeschossen. Meine nachbarin, eine ältere frau, die die diktatur miterlebt und die vielleicht einen sohn deswegen verloren hat, weint still in sich hinein.
den musikern gelingt es, mit videospots die betroffenheit und wut ihres publikums zu reanimieren, das alle altersgruppen repräsentiert.
nicht nur traurige, sondern auch kämpferische lieder werden gespielt. mit der unvermeidlichen zugabe sind es am schluss drei stunden, die sie sie ununterbrochen auf der bühne waren.

am vormittag zieht es mich noch in das pablo neruda haus.
die steigung nach oben ist richtig anspruchsvoll. hinzu kommen die hohen bürgersteige, die fast einen zweistufenabstand haben, der verkehr und die vielen schönen wandgemälde, die es erlauben, einfach stehen zu bleiben und sich zu erholen.

er hat sich dort ein haus gebaut, das drei ebenen und einen tollen blick auf die bucht hat. wie das wohl gewesen ist, als es den tsunami gab? zwar ist er hier oben außer gefahr, aber ich stelle mir das schlimm vor, wie die menschen wie ameisen vor den haushohen wellen rettung am hang suchen.

die vespatour am nächsten tag von valparaiso nach santiago verläuft sehr relaxt. ich nehme wieder die autobahn, kaum verkehr, ab und zu anerkennendes hupen von familienautos und auch das einfädeln in santiago und das finden meines hostels klappt reibungslos.