Veröffentlicht: 21.12.2018
21.12.:
heute morgen ist die vepse noch imtiefschlaf, als ich sie starten will.
Die batterie hört sich an,also ob sie keine kraft mehr hat, die vepse will nicht anspringen.Sehr ungewöhnlich...
ich verstehe das als warnruf: schon auf demweg hierher nach sao carlos habe ich mich nicht so ganz wohlgefühlt.Du hast gedacht, es liegt am fahrtwind, der sich zwischen deinemrücken und dem rucksack verfängt, als du wieder mehr gas gegebenhast. Die kraft kam bei mir erst mit verzögerung an... aber ruckeln geht anders., versucht sie mich noch zu beruhigen.
Gut, ich werde inden nächsten tagen die zündkerze auswechseln.
Beim drittenversuch aber schafft sie es heute morgen und selbst nach wenigenkilometern und einem tankstopp springt sie an, wie gewohnt.
Ohne es zu wissen,habe ich das hotel so gewählt, dass mich die vierspurige straßeohne komplikationen wieder auf die autobahn führt. Ich bineinigermaßen früh dran. Die hitze ist noch erträglich und derverkehr erstaunlich zurückhaltend.
Unterwegs befindetsich die vepse auf ihrem persönlichen „catwalk“! Lkw- undpkwfahrer reduzieren ihre geschwindigkeit, zücken ihre smarties, lassendie meist verdunkelte seitenscheibe runter, fotografieren und filmen.
Grinsende gesichter schauen zu mir rüber.
Ich grüße zurück mitdaumen-hoch-geste und kurzem hupen.
Bevor mich dieausläufer sao paulos erreichen nehme ich mir das navi zu hilfe.
Essind viele autobahnen, die in diese riesenstadt hineinführen.Vielleicht gibt es ja auch eine, die mir unweit von meinem ziel villamadalenda eine ausfahrt anbietet. Der plan geht auf.
Zwar beginntjetzt ein nicht enden wollendes geholpere, aber ich befinde mich weitweg von schnellstraßen. und das ist gut. Es sind eher bewohnte und mit vielenläden ausgestattete stadtteile. Es gibt viele ficus-bäume, die denstraßenrand säumen und mit ihren glänzenden blättern schatten geben. Ein eher ungewohnter anblick.
sao paulo liegtknapp 800 meter hoch und wartet mit steigungen auf, die mich in cuscoan den kreuzungen hätten verhungern lassen.
Einmal gibt mir dievepse beim anfahren an so einer steigung das zeichen, dass die zündkerze wirklich nichtmehr viel leistung bringt.
Sie schafft es aber, beschleunigt, mussaber gleich wieder runterbremsen, weil die straßen für pickupsgemacht sind, nicht aber für vepsen mit nur 12 zoll großen rädern.
Es klappt super.Ich kann das navi einigermaßen lesen und dann sehe ich einenrichtungsweiser, auf dem tatsächlich mein viertel villa madalenaausgeschildert ist.
Sie haben das ziel erreicht. Es befindet sichrechts.
Es ist 14:30 uhr! Ich habe mir das einfädeln in diestadt und die sucherei schlimmer vorgestellt. Die bäume aber gabenviel schatten, so dass ich das display meines smartphones gut lesenkonnte.
Das hostel ist keinhotel. Das gewohnte bild. Im empfangsbereich daddeln die youngsterauf ihren smarties, die glotze läuft, kaum blickkontakt. Die vepsehat einen guten und sicheren platz. Hier lässt sich gut werkeln.
Ich habe einprivativo gebucht. Es ist ebenerdig und hat einen zugang zum schöngestalteten innenhof. Die nächte werden wohl nicht ruhig, denn hierstehen kleine tische, die bestimmt in den abend- und nachtstundengerne bevölkert werden.
Für 21:00 uhr ist caipirinha for freeangekündigt! Im grunde eine gute idee, damit die hostelbewohner sichkennenlernen können.
In der küchetreffe ich nach meiner ankunft auf einen münchener und zwei holländerinnen. Ich sitzeerst abseits zum abdampfen, cola trinken und rauchen, höre dann aberetwas von germany und stelle mich einfach dazu. Das übliche woherund wohin und how wonderful und amazing.
Ich bin aber froh, dass ichmich hier auf englisch verständigen kann. Soweit ich das bishererkennen kann gibt es aber auch südamerikaner, die in sao pauloweihnachten verbringen wollen.
Einen kleinen hakengibt es. Das wifi reicht nicht aus. So wird es morgen dasskype-telefonat mitt der familie wohl nicht geben. Aber warten wir esab.
hier in der rezeption ist das wifi perfekt...
22.12.:
caipi for free!
damit beantwortet sich wohl die frage, wie der weitere abend und die weitere nacht verlaufen wird.
es finden sich in dem schön gestalteten innenhof die beiden holländerinnen ein, eine italienerin, ein argentinier und ein brasilianer . später kommt noch diago dazu - auch ein brasilianer.
mein zimmer mit geöffneten fensterläden und eingangstür
der caipi macht was er soll. wir werden gesprächig. es wird gewechselt zwischen spanisch, portugiesisch, englisch und niederländisch. italienisch kommt zu kurz.
die italienerin, bernadette, schreibt hier ihre masterarbeit und recherchiert mithilfe der NGOs über korruption in brasilien. ein spannendes thema auch deshalb, weil die politik bei ihren interviews nicht thematisiert werden darf. sie hat poilitikwissenschaften studiert, kommt aus sizilien und hat das vorurteil über die starke präsenz der mafia dort noch bestätigt. sie hat einen freund, der aus einer solchen familie kommt. jeder weiss es, weil der name bekannt ist. gesprochen wird darüber nicht. auch sie klammert das thema aus.
gegen 22 uhr werden wir sanft, aber energisch von der hostellady des platzes verwiesen, weil wir zu laut geworden sind.
so bleibt es nicht aus, dass wir noch in eine bar gehen, wo nur, so heisst die holländerin, viele bekannte trifft. das vor wenigen stunden entladene gewitter ist weiter gezogen. wir sind in einem straßenviertel, wo sich eine bar an die andere reiht. die meisten stehen draussen. es ist so wie in bella vista in santigago. die luft ist canabis geschwängert. ich lerne einen halbrussen kennen. er kommt aus estland und macht hier ferien. er verdient sein geld zuhause und in finnland mit der entsorgung von asbest. lange wolle er das nicht mehr machen. er plant eine eigene company und will andere auf die baustellen schicken. die gesundheitskontrollen seien engmaschig und sehr genau.
der beginn des zweiten teils des abends ist noch mit guten gesprächen gefüllt, doch später wird es eigentlich nur anstrengend. ich halte bis 3 uhr aus, nehme mir dann mithilfe einer app ein UBER taxi und lasse mich ins hostel bringen. die anderen sind erst heute morgen gegen 5 uhr nach hause gekommen.
trotzdem fühle ich mich heute morgen um halb neun ausgeschlafen. ich habe noch einige sachen auf dem zettel, die ich vor den feiertagen erledigen will.
ein frühstück gibt es hier nicht. so gehe ich zu dem kleinen restaurant, das argentinische empanadas, cappuccino und frisch gepresste säfte anbietet. ich bin schon um halb 10 da und muss mich noch bis 10:000 uhr gedulden. ich darf mich vor das restaurant setzen.
unverbrauchte morgenluft
es ist früher samstagvormittag. es herrscht eine friedliche atmosphäre. hunde, die eigentlich nicht den namen tragen dürften, werden gassi geführt, wäsche wird in die benachbarte wäscherei gebracht, ein vater mit seinen kleinen söhnen kommt vom brötchenholen. schon fast eine seltenheit, dass er sich mit seinen kids unterhält und nicht mit seinem smartie spielt.
die fassade wird zurückgebaut. nur ein drahtgitter, das beidseitig mit fliesen verkeidet war?
auf dem weg zu den empanadas komme ich an einer baustelle vorbei, wo gerade der rückbau eines hauses stattfindet und platz machen soll für einen imposanten wolkenkratzer. der rückbau ist mühsam. auch hier müssen die werkstoffe fein säuberlich voneinander getrennt werden. das geschieht per hand und körperkraft.ich gönne mir anderthalb stunden für das frühstück. dann aber wird die sonne stärker, und der verkehr nimmt zu.
die vepse bekommt ihre neue zündkerze, wilfried ein foto von der alten, und sie springt sofort an. ich bekomme einen anderen provider, weil claro hier schlecht vernetzt ist. das datenkabel, das erst ein paar tage alt ist, hat den geist aufgegeben und muss ersetzt werden. und das skype-telefonat mit der familie kann tatsächlich stattfinden. per zufall entdecke ich, dass es hier einen großen raum gibt,in dem die wifi-qualität nichts zu wünschen übrig lässt. eine siesta darf heute nicht fehlen.
...
jetzt herrscht hier ruhe. die beiden holländerinnen wollen heute nacht mit dem bus nach rio de janeiro. ich bin gespannt, wie der heilige abend hier gefeiert wird. ich habe keine erwartungen. mir schwebt vor, am nachmittag des 24. mit der metro zur kathedrale zu fahren.
23.12.:
ein regentag in sao paulo.
als ich vom frühstücken zurückkomme werde ich auf deutsch mit der frage begrüßt, ob ich thomas sei. in der rezeption sitzt ein allgäuer, den es dauerhaft nach brasilien verschlagen hat. und er macht mir die erfreuliche mitteilung, dass die vepse keine parkgebühren koste. ich bekäme 80 reais zurück.
das ist ein wort, das mir über den frühstücksschock hinweghilft. 12 euro musste ich für zwei obstsalate, 2 joghurts und einen cappuccino bezahlen. mein erster joghurt seit ich in südamerika bin. molkereiprodukte, so wie wir sie kennen, gibt es hier nicht. vielleicht in supermärkten für horende preise und dann auch nur die süssen mit früchten angereicherten und nach chemie schmeckenden joghurts.
aber erst möchte ich noch etwas weihnachtspost erledigen.
als das geschafft ist, gibt es das erste gewitter.
ich nutze die geschenkte zeit für eine siesta und dafür, mein smartie besser zu organisieren.
ich habe schon vor längerem alle meine wichtigen und überlebenswichtigen dokumente wie reisepass, kreditkarten, fahrzeugpapiere etc abfotografiert und mehrfach gesichert. sie lagen etwas ungeordnet auf meinem smartie. ich habe verzeichnisse angelegt und wollte dann aufräumen. aber wie es so mit dem aufräumen ist, auf einmal waren die daten weg. ärgerlich, weil es zeit kostet, sie an anderer stelle wieder einzusammeln und das procedere zu wiederholen, aber reparabel.
der regen hat aufgehört. ich mache mich über die metro-app schlau und bin nur nach 20 minuten bei der kathedrale. ein neugotisches und imposantes bauwerk, das erst in den 1950iger jahren gebaut wurde. der gläubige kirchenbesucher wird durch eine palmenallee zur freitreppe und zum hauptportal geführt.
der heilige mönchriese waltet seines amtes
so sollte es sein. aber es ist es ist ein tag vor Heilig abend. karitative organisationen stellen diesen tag unter das motto des gebens. es lautet natal para os pobres. weihnachten für die armen.
es spielt eine gruppe, deren bässe bis in die tiefen der metro zu hören sind. als ich vor der kathedrale ankomme, sehe ich noch nichts von der speisung der armen. stattdessen sind die domtreppen zugemüllt!!! plastikteller, weggeworfenes essen, einzelne personen, die sich auf den treppen niedergelassen haben. die portale sind verschlossen.
schade, denke ich. ich gehe weiter zur palmenallee. dort spielt mit dem rücken zur kathedrale eine 8 köpfige band. die gut 200 zuhörer muten auf den ersten blick etwas fremdartig an. es gibt drei abteilungen, jede für sich ist mit gelben, roten oder grünen t-shirts bekleidet, die den schriftzug des mottos tragen. ein rotweisses sperrband schützt die begünstigten vor eindringlingen, die auch von der speisung etwas abhaben wollen.
es ist eine gut gemeinte veranstaltung. erschreckend ist, dass vielleicht die portionen zu groß sind, die übervollen mülleimer die reste nicht mehr verkraften können und der rest auf dem boden verstreut liegt.
ich möchte trotzdem ein foto machen, das die palmenallee mit im blick hat und erwische dabei sogar einen etwa 2 m großen mönch, der mit liebe und großem herz die pobres begrüßt, ihnen sanft auf die schulter klopft, für jeden ein gutes wort hat und dann weiter wandelt.
ich fühle mich trotz der öffentlichkeit als voyeur. hier gehöre ich nicht hin. das foto war schon recht grenzwertig.
der regen setzt wieder ein. außer den benachteiligten dieser stadt sind sonst keine menschen unterwegs. die umliegenden häuser wirken trist, obwohl hier neben den wolkenkratzern auch der klassizistische stil vorherrscht. der große platz, der sich um den dom hinzieht, ist auch ziemlich vermüllt und strahlt keine sicherheit aus.
ich ergreife die flucht und möchte noch einen blick auf die prachtstraße sao paulos werfen. die avenida paulista. aber der regen hat die menschen vertrieben. die öffentlichen verkehrsmittel tragen an ihren seitenfenster weihnachtsbeleuchtung in form von engeln, schlitten und stilisierten weihnachtsbäumen.
ich entscheide mich für den rückzug und hoffe, dass es morgen trocken bleibt.
der wetterbericht prognostiziert einen mittelwert von 25 grad, die schleusen bleiben aber geöffnet.
24.12.:
mein zweites weihnachten fern der heimat.
für viele ist das von erwartungen überfrachtete fest vielleicht ein NO GO, für viele vielleicht eine pflichtveranstaltung und wieder für viele ein anlass, dass sich die familie zusammenfindet.
obwohl nora und tillmann schon groß sind, ist gerade weihnachten auch für sie - so meine einschätzung - eine schöne gelegenheit, sich erneut ihrer kindheit und ihres zuhauses bewusst zu werden. und es ist immer noch das zuhause, das sie voni hrer kindheit her kennen.
meine eltern sind mit uns zwar nur dreiimal umgezogen, aber an dem tisch zu frühstücken, an dem die beiden auch als dreijährige gefrühstückt haben, gibt ihnendoch ein anderes zuhause-gefühl.
ein jahr musste vergehen, um zu dieser erkenntnis zu gelangen... letztes jahr in pto maldonado habe ich mir darüber keine gedanken gemacht.
der auslöser ist vielleicht nora, die mir geschrieben hat, dass nix über weihnachten in ritterhude geht!
heute gönne ich mir einen 2 km - marsch zu einem neuen frühstückscafe. es ist das einzige, das schon um 09:00 uhr geöffnet hat. es ist montag, der sich wie samstag oder sonntag anfühlt. die einzigen, die heute morgen schon richtig viel zu tun haben sind die caterer, die nicht weit von meinem frühstücksplatz ihre lagerhallen für ihre caterer-ausstattung haben. die lieferwagen und mittelgroßen lkw stehen einer hinter dem anderen, um das ganze equipment zu verladen.
meine fantasie stellt sich vor, wie alle caterer sao paulos den auftrag bekommen haben, die prachtmeile mit erlesenen speisen zu verwöhnen...
mein frühstück besteht heute aus einem toastberg mit einem spiegelei. dazwischen befindet sich ein besserer schinken und eine schmackhaftere käsesorte. da gestern "schmalhans küchenmeister war", ist dieses große frühstück heute morgen ein muss.
ich habe zeit, schreibe emails und verschicke über whatsapp videobotschaften.
immer wieder gehen kunden des cafes an mir vorbei in den laden und kommen mit edlen kartons wieder heraus. da werden die weihnachtstorten abgeholt. es muss sich entweder um große familien handeln oder um feinschmecker oder nur um einen beauftragten nachbarn, der für die anderen die bestellungen gleich mitbringen muss.
es ist kein vorurteil. die brasilianer lieben es zum frühstück süß.
und wohl auch nicht nur zu dieser tageszeit. wenn ich mir aber so die auslagen unserer konditoreien anschaue, nehmen die deutschen nach den belgiern mit ihrer schokolade bestimmt den dritten platz ein.
obwohl auch vila madalena ein schachbrettmuster in seinem straßenbild hat und ich mich eigentlich ohne navi zurechtfinden sollte, gelingt es mir auch heute wieder, die orientierung zu verlieren. mein blick saugt sich an fassaden, vw-käfern, schaufenstern oder an der flora fest und schon werden aus angedachten 2 km zweieinhalb oder drei. ich will es ja erst ohne navi-hilfe probieren, aber dann fehlt mir die geduld.
dünnwandige hecken, die mauern schmücken
fassadenbegrünung
das auto steht schon länger hier. sie kämpfen sich durch das auto
es ist schon nach 12:00 uhr als ich wieder im hostel bin. eigentlich will ich gleich weiter zur metro und in die stadt, aber dann fallen mir noch freunde ein, denen ich noch eine nachricht schicken möchte.
gegen 15:00 uhr bin ich wieder bei der kathedrale.
abgesehen davon, dass die überreste der speisung der armen weggeräumt sind, hat sich in der publikumszusammensetzung nichts verändert. sie machen es sich auf den domtreppen gemütlich, hinterlassen ihre spuren und respektieren in keiner weise, dass es sich um ein gotteshaus hinter ihnen handelt. die palmenallee ist auch mit zwielichtigen gestalten bevölkert, so dass sich kein tourist dort hin wagt. es werden silvesterknaller abgeschossen, deren schall sich in der kathedrale verfängt.
ich erwische mich bei dem gedanken, wie es hier wohl in einem jahr aussehen wird? alles aufgeräumt und porentief rein? wird der neue präsident seine militärpolizei dort hinschicken und das andere extrem durchsetzen? die armen dieser stadt an den stadtrand befördern?
mir fallen die städte santiago, lima und quito ein. dort fühlte ich mich sicher. es gab dort eine stärkere polizeipräsenz, die im hintergrund wirkte und diskret für ordnung sorgte.
ich entdecke in einem schaukasten, dass heute abend um 23:00 uhr ein chorkonzert gegeben wird. der erste gedanke: da gehe ich hin. auch wenn es schon spät ist, werde ich meinen schweinehund besiegen! aber als ich dann im dom sitze und meine gedanken schweifen lasse, kommt ein deutliches: da gehst du nicht hin! wenn es heute nachmittag schon so zwielichtig dort ist, wie wird es dann eine stunde vor mitternacht und wie wird es erst nach dem konzert dort sein?
nora, der ich von meinem vorhaben erzählt habe, schreibt sofort zürück, dass das keine gute idee sei. da geht keiner um diese uhrzeit hin...
abwechslungsreiche fassaden
etwas genervt von der "gelebten anarchie" fahre ich zur prachtstraße avenida paulista. das wetter ist noch trocken. ich gehe zufuß zum ibirapuera park. es sind laut navi 2 km. das passt gut. ich möchte mich "auslaufen". ich genieße es, mich wieder für längere zeit draussen bewegen zu können. endlich bewölkt! endlich für mich aushaltbare temperaturen.
die stadt ist nicht voll und die wolkenkratzer mit ihren abwechslungsreichen fassaden lassen mich immer wieder stehen bleiben.
hinter den kulissen gibt es auch straßenzüge, die wieder südamerikanisch anmuten. eigenwillige baustile und improvisation.
leider wartet die av. paulista nicht den erlesenen catererspeisen auf, so wie es mir meine fantasie vorgespielt hat. sie ist auch nicht gesperrt. alles ist wie an einem normalen werktag. vielleicht etwas weniger verkehr... und doch merke ich, dass es mit der zeit weniger menschen werden. familien und pärchen werden eher selten, es sind einzelgänger, die diesen tag für sich begehen werden. vielleicht auf der suche nach gesellschaft?
ich komme an einem großen, mit stachedrahtrollen bewehrten militärgelände vorbei. in regelmäßigen abständen werden die bestimmt 4 meter hohen mauern durch wachtürme in gleicher höhe unterbrochen. diese haben einen schlitz von vielleicht 50 cm. erst beim zweiten wachturm erkenne ich ein soldatengesicht, das den ganzen tag nichts anderes machen darf, als durch dieses enge sichtfeld auf die straße zu schauen. es gibt kameras, die diese aufgabe übernehmen könnten. warum werden menschen so verschlissen?
schließlich erreiche ich den großen park und freue mich auf viel, viel sauerstoff. aber schon von ferne sehe ich, dass der park geschlossen wird. schade. später entdecke ich ein schild, das ankündigt, dass es bis zum 06. januar beleuchtete wasserspiele geben wird.
vielleicht gibt es ja noch einen warmen abend...
vielleicht ist das der grund? der himmel ist wieder dunkler geworden. es tröpfelt still vor sich hin, und ich beschließe den weg zur metro zu nehmen, der mich wieder zur paulista führt.
ich komme an einem kleinen imbiss vorbei. stühle stehen draussen, und ich verspüre lust auf ein bier. es ist mittlerweile 18 uhr. es sitzt ein gast draussen, ein pärchen drinnen und ich geselle mich als vierter gast dazu.
eigentlich ist feierabend. ich darf noch mein bier bestellen, aber dann fängt der kellner an, energisch die klappstühle zusammenzuklappen, unruhe zu verbreiten und einen schwarzen schmuckverkäufer zu vertreiben. auf den ersten blick wirkt das aggressiv und unschön. aber dann erkenne ich, dass die beiden sich schon länger kennen und er einen stuhl für seine auslage benutzen darf. nun aber wird er streng und mit lauter stimme aufgefordert, seine sachen zu packen und zu gehen. am schluss bin ich mir doch nicht so sicher, ob dem schmuckverkäufer dieser ton gefällt. auch wenn es vielleicht spass sein soll, seine würde kann auch darunter leiden.
die ganze szenerie wirkt schon eigenartig. auch deswegen, weil wir uns nicht in einer unbedeutenden nebenstraße befinden, sondern da, wo sao paulo sein geld verdient...
meine metrostation bridgadeiro ist nur noch ein katzensprung von mir entfernt. ich trinke mein bier aus, nach dem mir auch schon mein klapptisch unter den armen weggezogen wurde, bekomme sofort meine bahn und bin eine halbe stunde später wieder im hostel. jetzt hat es sich wieder eingeregnet.
der hunger meldet sich zu wort.
zum supermarkt will ich nicht mehr. mir fällt ein, dass ich noch spaghetti und parmesan habe und dass unter der spüle in der küche viel gemüse liegt. damit ist der menueplan entschieden.
18:30 uhr. von feierlicher stimmung keine spur. das leben geht weiter. auch hier im hostel hat sich nichts verändert. in der rezeption läuft das tv-gerät und die personen von heute morgen sind immer noch oder schon wieder mit zuschauen beschäftigt.
mir ist das alles recht. wäre jetzt hier ein weissgedeckter tisch mit kerzen und weihnachtsbaum - ich würde höflich den rückzug antreten.
25.12.:
obwohl ich heute sehr spät dran bin, wirkt vila madalena immer noch wie ausgestorben. ob ich da ein frühstücksrestaurant finden werde?
google maps warnt mich vor: an den weihnachtsfeiertagen können wir für die angegebenen öffnungszeiten nicht garantieren.
und in der tat. die gastronomie schläft noch tief und fest. ich gebe aber nicht auf. einer der gastronomen müsste doch so geschäftstüchtig sein, dass er als einziger die umher irrenden kunden "abräumen" will. mein magen knurrt und fordert energisch seinen obstsalat. dann entdecke ich nach gefühlten zig kilometern ein restaurant, das auch selbstbedienungsregale mit ausgesuchten feinköstlichen lebensmitteln anbietet und ein frühstücksbuffet, das um das reichhaltige angebot einer angeschlossenen bäckerei noch ergänzt werden kann.
der kunde kann nur die drehschranke passieren, wenn er eine plastikkarte entgegengenommen hat. mit dieser "bezahlt" er beim verlassen seine diversen gänge zum buffet, zur bäckerei, zu den feinkostregalen, den orangensaft und den cappuccino. er geht ein gewisses risiko ein, denn er weiss nicht, was ihn nachher an der kasse erwartet. preise sind nirgendwo auf den ersten blick erkennbar.
alles hat hier schon eine gehobene quaität, alles ist weihnachtlich und geschmackvoll geschmückt, keine nervige weihnachtsmusik, kein TV, sondern genussvolles stimmengemurmel - wenn überhaupt.
alle gattungen sind hier vertreten: das etwas verschlafene pärchen, der single, eine familie mit kindern und einem großvater, der großen respekt genießt. er wird um rat gefragt, alle hängen schweigend an seinen lippen, als er seine meinung kund tut.
ich verweile hier bestimmt wieder anderthalb stunden. beobachtend, lesend, schreibend und genießend. meine lebensgeister sind zurückgekehrt und blicken schon auf den morgigen tag. etwas mit sorge, denn das wetter ist noch nicht so ganz stabil. aber bei weitem nicht zu vergleichen, was das amazonasgebiet in dieser hinsicht zu bieten hat. es wird eine übersichtlichere stadt sein mit vielleicht weniger temperamentvollen brasilianern, die der böllerei nicht ein so großes gewicht beimessen.
ich will heute noch einmal in die stadt. mich faszinieren die wolkenkratzer genauso wie das harmonische nebeneinander zweistöckiger, teilweise stuckverzierter häuser. die avenida brasil wird als straße beschrieben, die mit vielen klassizistischen bauten daher kommt. an deren ende soll es einen park geben. beides hört sich reizvoll an. einziger haken ist, dass ich unterwegs von der metro auf den bus umsteigen muss.
als motiv immer wieder gerne genommen. das haus im haus.
nach einer nachfrühstückssiesta, gegen 15:00 uhr mache ich mich auf den weg. es ist trocken geblieben, der himmel ist bewölkt, die temperaturen sind angenehm. aber sobald die sonne eine freie stelle am himmel findet, wird es unangenehm.
der wechsel von der metro auf den bus klappt nach dem zweiten anlauf. ich bin kein geübter busfahrer und finde nach mehrmaligem fragen die haltestelle. ich kann nur vermuten, dass dort mein bus hält. er hält. aber nicht freiwillig. nur auf handzeichen. wenn keiner an der haltestelle steht und auch niemand aussteigen will, fährt er mit unverminderter geschwindigkeit weiter. das glück ist auf meiner seite: ein insider, der die regeln kennt, gibt dem busfahrer ein zeichen. dieser hält erst an einer roten ampel. ich erkenne meine chance und freue mich, dass der busfahrer auch für mich noch die tür öffnet.
auch hier die gegensätze. wie ein zigmeter hoher tsunamie nähern sich die hochhäuser und werden eines tages die charmanten zweistockhäuser weg gewalzt haben
der fahrgast bleibt sich bei der weiteren fahrt selbst überlassen. haltestellen werden nicht angezeigt, durchsagen gibt es auch keine. so bleibt es nicht aus, dass ich schließlich bei der endstation lande. ziel verfehlt. dieses erlebnis verbuche ich als stadtrundfahrt.
auf den zweiten blick sehe ich eine metrostation. eine halbe stunde später bin ich wieder bei meinem ausgangspunkt an der av paulista. der zweite anlauf - dieses mal zufuß - will auch nicht klappen. der hunger meldet sich, aber alle restaurants sind geschlossen. das erinnert mich an chile. an den tag der volkszählung, als auch alle restaurants und gemüsestände geschlossen waren.
eine metrostation vor vila madalena - die einzige, die oberirdisch halten lässt - zeigt an ihren glaswänden junge leute unterschiedlichen geschlechts und herkunft, deren köpfe mit einer vielzahl von buchstaben geschmückt sind.
steht dieses bild für chancengleicheit im bildungsbetrieb? dieses bild hat mich schon bei meinem ersten sao paulo besuch zum nachdenken angeregt.
schließlich entscheide ich mich für den rückzug nach madalena und finde dort nach einem weiteren anlauf mein frühstücksrestaurant, das ich vor wenigen tagen aufgesucht hatte. ich bestelle mir ein bier und einen salat - genannt caesar - und freue mich auf die dann wiederkehrenden kräfte. doch diesen salat schmücken wenig salatblätter, dafür umsomehr vom frühstücksbuffet übrig gebliebene weissbrotkrumen und reibekäse der künstlichen sorte. mir ist das erst einmal egal. doch mit zunehmendem sättigungsgrad stellt sich auch der ärger ein. ich bestelle noch spaghetti mit tomatensoße und warne schon den kellner vor. der salat sei sehr schlecht gewesen.
unterdessen kommen zwei brüder mit ihren familien ins restaurant. ein etwa fünfjähriges zwillingspärchen in pink gehalten und mit blinkenden goldriemchen geschmückten flipflops, eine etwa gleichaltrige cousine und die großeltern.
mit der gepflegten ruhe ist es vorbei. ich amüsiere mich über die kids, die mit wasser, eis und bonbons versorgt werden, ich beobachte die mutter - vermutlich die der zwillinge - die nicht mehr soviel kraft hat wie ihr ehemann, der die kinder eher noch anheizt und ich beobachte den großvater und seine topfitte ehefrau, die die kinder zu zügeln weiss. nach nur wenigen minuten herrscht das chos auf den tischen, aber alle gäste nehmen das schauspiel mit gelassenheit.
später beim bezahlen lasse ich meiner unzufriedenheit über den salat höflich und diskret freien lauf. ich verpacke meine kritik aber auch in lob über das qualitativ sehr hochwertige frühstücksbuffet, das ich vor wenigen tagen hier bekommen hätte.
der salat sollte regulär10 euro kosten. ich protestiere im rahmen meiner möglichkeiten und erreiche zumindest einen abzug von 50%.