Vater&Tochter. Eine Fahrt in die Erinnerung
Vater&Tochter. Eine Fahrt in die Erinnerung
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Wir haben es geschafft! Wege in die Erinnungen...

Veröffentlicht: 31.07.2018

Heute: 7 Uhr Frühtsück. Halb acht Abfahrt in den Ort der Erinnerung (Woschega). Eine Fahrt sprichwörtlich über Stock und Stein, mitten hinein ins Nirgendwo und vorbei an endlosen Feldern&Wäldern hat uns zu dem eigentlichen Ziel unserer Reise gebracht. Über eine rumpelige Piste mit Löchern so groß wie Wassereimer erreichten wir den kleinen Ort Woschega. Zuerst fuhren wir zu der Stelle, außerhalb von Woschega, an der die Soldaten beigesetzt wurden, die in dem Hospital in Woschega nach dem zweiten Weltkrieg verstorben sind. Zu den Verstorbenen gehörte auch mein Vater, Wilhelm Lampe. Er verstarb am 12. Mai 1945.

Die Grabstelle liegt tief verborgen im Dickicht, unscheinbar und von Außen kaum erkennbar hinter dichten Bäumen und Gestrüpp. Dahinter befindet sich eine Rasenfläche- frei gehalten vom Unkraut vermutlich von den Einheimischen, mit einem Kreuz zum Gedenken der Soldaten. Dieses Kreuz wurde zum Gedenken an fünf ungarische Soldaten errichtet, die auch in dem Lazarett gestorben sind. Es nimmt gleichsam auch den Platz des Gedenkens an die Soldaten aus Italien, Österreich und Deutschland ein. Es gibt keine Grabhügel- und Kreuze. Anhand der Lageskizze, die ich 2012 einsehen konnte, war es mir möglich, in etwa die Grabstelle meines Vaters wiederfinden. Wir haben an diese Stelle einen Strauß frischer Blumen niedergelegt.

Kurzer Eindruck von Anna: Eine Siedlung, in der wirklich die Zeit stehen geblieben ist. Schon das Auto in dem wir gekommen sind, verrät, dass wir nicht aus diesem Ort stammen und alle Augenpaare auf der Straße verfolgen uns. Anatoli, welcher uns gefahren hat und mein Vater, wussten nicht wirklich wohin, haben aber instinktiv die Straße zur Grabstätte und diese gefunden. Als Mama vor sechs Jahren geschrieben hat, man fährt Mitten ins Nirgendwo, hatte sie recht und in diesem Moment konnte ich verstehen was gemeint war. Es war wie eine Fahrt ins Nichts und doch ist dies der Ort, wo auch ein Teil meiner Wurzeln begraben liegt. Die emotionale Schwere hat uns allen sehr auf die Brust gedrückt... 

Wir haben  dort einige Minuten im stillen Gedenken gestanden und haben uns von diesem Ort des Erinnerns verabschiedet. Auf dem Weg zur Schule 1, Woschega, haben wir das Gebäude der Schule 2, in der damals das Hospital untergebracht war, aufgesucht. Mit Erschrecken haben wir festgestellt, dass dieses Gebäude zu einer Ruine verfällt und es erinnert nichts mehr an die Zeit, in der dort russische verwundete Soldaten und Kranke, sowie verwundete deutsche Kriegsgefangene medizinisch versorgt wurden. Aus meiner Sicht, war es ein großer humanitärer Akt, dass russisches medizinisches Personal- Schwestern, sowie Ärztinnen, deutschen Soldaten diese Hilfe angedeihen liessen. Genauso bemerkenswert ist es aus meiner Sicht, dass mein Vater und viele andere im Hospital gestorbene Soldaten, auf diesem Friedhof in christlicher und menschlicher Art und Weise beigesetzt wurden. Es existieren Skizzen, die die genaue Lage dieser Gräber wiedergeben. Dieser humanitäre Akt hat mich bewogen, etwas zurück zu geben an die dort jetzt lebenden Menschen, insbesondere an die Kinder und Jugendlichen an der Schule Woschega. Meine Idee dabei ist, zu versuchen, die Erinnerung an diese schreckliche Zeit- die ja beide Völker betroffen hat, wach zu halten. Weil nur durch die Erinnerung an die Vergangenheit auch eine Zukunft existieren kann. Durch den zweiten Besuch an der Grabstelle meines Vaters, ist mir heute nochmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich zu erinnern (geschrieben von Helmut).

Schule 1, Woschega: Empfang durch die Schulamtsleiterin, sowie der designierten Schulleitung. Kaffee, Tee und Kuchen und Gespräche über das Schicksal der Schule 2, sowie Übergabe der Spende an die Leitung der Schule. Anwesend dabei, eine Journalistin für die Kreiszeitung in Woschega.

Nächster Halt: Jawenga. Warum Jawenga? Dies ist ein Ort, der von den ehemaligen Kommunisten zum Verbannungsort erklärt wurde. Missliebige Bürger, Schriftsteller, Wissenschaftler und nicht-linientreue Parteigenossen wurden nach dorthin verbannt. Dort im Wald wurde überwiegend Holz für Holzwerke und Papierfabriken geschlagen. Die Fahrt dorthin gestaltete sich sehr abenteuerlich, denn nach Überquerung eines Bahnübergangs der Bahnlinie Richtung Achangelsk fuhren wir auf einer Schotterpiste. Wir fuhren dem Auto der Journalistin im Schlepptau hinterher. Höchstgweschwinigkeit 50 kmh, aufwirbelnde Staubwolken, die die Sicht auf die Straße, welche letzlich nur in Rohform existierte, versperrte. Der Weg führte uns an kleinen Siedlungen vorbei. Die Häuser waren alle aus Holz gebaut. Es erschien uns, als wären es Bilder aus einer längst vergangenen Zeit.

Der Empfang in Jawenga war sehr herzlich. Die Schulleiterin und ihre Kolleginnen haben sich sehr viel Mühe gegeben uns ein Bild über ihre Schule (64 Schüler) zu geben. Die Leiterin, gleichzeitig Lehrerin für Geschichte, berichtete über die Geschichte der Schule und über die Geschichte Menschen des Dorfes. Sie erzählte über das Schicksal der dort in der Verbannung lebenden Menschen. Sie berichtete sehr ausführlich über die Arbeit der ehemaligen Schulleiterin, ihrer Vorgängerin. Gemeinsam mit einer Schülerin dieser Schule hat sie an einem Projekt teilgenommen. Es ging über das Leben der Verbannten aus Polen, Ukraine, Deutsch-Russen und andere ethnische Gruppen. In einem Wettberwerb der Gesellschaft "Memorial" haben beide dafür einen Preis gewonnen. An dieser Schule ist es sehr wichtig, die Geschichte aufzuarbeiten und die SchülerInnen dazu zu bringen sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, damit sie sich auch im späteren Leben an diese-ihre Vergangenheit erinnern können. Dafür ist in dieser Schule ein Raum eingerichtet worden, welcher ein kleines Museum darstellt. Viele Dinge aus der Vergangenheit die im Leben der Bewohner des Dorfes eine Bedeutung hatten, werden in diesem Raum ausgestellt. Die SchülerInnen lernen in verschiedenen Arbeitsgruppen, die Bedeutung dieser Gegenstände und welche Tätigkeiten damit ausführt wurden. In diesem Raum werden die Geschichten einzelner Persönlichkeiten dieses Dorfes dargestellt. Es handelt sich hier im Großen und Ganzen um verdiente Mitglieder der sowjetischen Armee, sowie auch Kulturschaffende wie Juri Puljar (ein bekannter russischer Schriftsteller zu der Zeit). Die Schilderung und Darstellung war sehr eindrucksvoll. Besonders zu erwähnen ist das Engagement zusammen mit der ehemaligen Leiterin der Schule, der jetzigen Leiterin, sowie LehrerInnen, dem Bürgermeister und Frauen der Gemeinde, ein Denkmal zu errichten, welches an die Repressionen der Sowjetunion gegen die Verbannten (hauptsächlich aus Polen), erinnern soll.

Die Übergabe der Spende, in Form eines Beamer, war ein sehr emotionaler Moment. Dies wird der Schule sehr helfen bei ihren unterschiedlichen Aktionen.

Abschließend haben wir gemeinsam mit der Leiterin und den Leherinnen das Denkmal besucht und Blumen niedergelegt.

Vor dem Besuch des Mahnmals hat Anna ein Interview mit der Leiterin der Schule geführt. Warum ist es wichtig, besonders für eine Schule und für Kinder, sich zu erinnern. Beziehungsweise, der heranwachsenden Generation die Erinnerung nahe zu bringen? Ein interessantes Gespräch zwischen allen acht Anwesenden ist entstanden und Anna konnte einige Erkenntnisse, aber auch tiefgehende Erfahrungen sammeln. Besonders beeindruckt hat sie die Lebensfreude und Stärke dieser Frauen. Ein Dorf in völliger Armut, wirkliche Armut und gleichzeitug soviel Energie und Hoffnung. Das war ein starker Kontrast zu allem was wir bisher auf dieser Reise erleben durften! Mit großen emotionalen Empfindungen haben wir diesen besonderen Ort verlassen. Noch immer stecken wir ein bisschen zwischen den Welten. Die Schotterpiste hat uns wieder und hinter der Staubwolke des vorausfahrenden Wagens zurück nach Woschega geführt. Nach einer kurzen Rast ging es dann wieder zurück nach Vologda. Und plötzlich scheint uns alles so relativ. Probleme die wir in unserer Welt so groß reden, scheinen alle so nichtig.

Fazit: Wir waren der Meinung, dass eine Schule in dieser Ecke der Welt es verdient hat, in den Fokus gerückt zu werden. In den Fokus unserer Welt. Wir müssen verstehen lernen, dass es Menschen gibt, die mit ihrer Kraft und ihrem Engagement dort solche Leistungen erbringen können, wie zum Beispiel der Preis der Gesellschaft "Memorial" und die Arbeit der Frauen in diesem Dorfe!

Wir danken euch allen, dass wir eure individuellen Spenden dorthin geben konnten, wo sie auch tatsächlich gewertschätzt und gebraucht werden. Danke an euch, die mit dieser Spende dies alles ermöglicht haben. Euer Helmut



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