Veröffentlicht: 19.11.2018
Der letzte Tag in Thailand. Der letzte Tag in Pai und der letzte Tag zusammen mit meiner lieben Merle nach zwei gemeinsamen Monaten.
Ein bewegender und vor allem prägender Tag.
Er begann damit, dass wir uns mit dem gedreadlockten Österreicher Mano und mit Ayal, einem liebenswerter Israeli, mit denen wir in der vergangenen Woche viel unternommen hatten, zum Frühstück trafen.
Wir verabschiedeten uns voneinander, denn beide Jungs machten sich anschließend auf den Weg ihrer weiteren Asienreise.
Das ist der Moment, den ich am Reisen am allerwenigsten mag. Du lernst Menschen kennen, schließt sie in dein Herz und würdest sie am liebsten für immer in deinem Leben halten. Doch dann kommt immer wieder der Moment, wo man sich auf Wiedersehen sagen muss und nicht weiß, ob man sich je im Leben noch einmal wieder über den Weg läuft.
Mit mulmigem Abschiedsgefühl und ohne jeglichen Plan für den Tag schlenderten Merle und ich nach dem Abschied durch Pais Straßen.
Dass die drei flippigen, mit Tattoos, Ketten und Dreads absolut lässig aussehenden Mädels, die auf ihrem Roller plötzlich neben uns hielten und uns fragten, ob wir ihnen zu einem Ort, an dem es wie an jedem Sonntag kostenloses, veganes Essen und einen Haufen lieber Menschen zu treffen gibt, dass diese Mädchen uns den Tag damit zu einem letzten, so unvergesslichen Erlebnis zaubern würden, hätten wir wirklich nicht erwartet.
Ich glaube, es war der schönste und harmonischste Ort, an dem ich auf meiner gesamten Reise angekommen war. Ein wunderschöner, wild bewachsener Garten, inmitten von Pai und dennoch so geheimnisvoll und abgelegen. In der Mitte des Ortes stand eine große, runde Lehmhütte mit Reetdach, die von allen Seiten offen und keine wirklichen Wände besaß. Wie ein riesiges Grillhäuschen irgendwie. Die Kinder, Hälfte mit Dreads, hüpften barfuß und kreischend durch den Garten, manche Leute jonglierten, andere saßen in kleinen Runden auf der Wiese und unter dem Strohdach und unterhielten sich. Alle Menschen sahen so interessant, so alternativ und hübsch aus, dass ich mich gar nicht satt sehen konnte.
Mit herzlichen Worten, Blicken und Umarmungen wurden wir von den Leuten begrüßt, als wir in die Hütte hinein kamen. Alles war so friedlich und mich überkam ein Glücksgefühl, das den ganzen restlichen Tag anhielt. Wenn ich so drüber nachdenke, trage ich es eigentlich immernoch in mir.
Wir fühlten uns beide auf Anhieb so willkommen, aber auch in irgendeiner Art und Weise so angekommen, dass es fast schon unheimlich war.
Beim gemeinsamen Essen saßen alle dann gemeinsam auf dem Boden, aßen im Schneidersitz und plauderten. Für jeden war Platz, für jeden war genug da.
Neben mir saß ein zwischen 60 und 70 Jahre alter Hippi aus Schottland, mit dem ich mich eine Weile unterhielt. Nach unserem Gespräch, welches mich wirklich sehr bewegte und für die weitere Reise mit großer Zuversicht stärkte, verschwand er.
Nach dem Essen bildeten wir mit allen Menschen einen riesigen Sitzkreis. In wessen Augen auch immer ich schaute, ich bekam ein herzliches Lächeln zurück. Wahrscheinlich, weil ich auch die ganze Zeit lächeln musste. Was anderes konnte man an diesem Ort irgendwie kaum hinbekommen.
Eine der mittätigen Veranstalterinnen ergriff das Wort, hieß uns willkommen und gab einen Stock mit dem Thema: "eigene Herausforderungen und Challenges im Leben" in die Runde.
Jeder der 50 Menschen, jung und alt, von überall aus der Welt her, erzählte. Manche ganz lang, manche sehr kurz. Es herrschte absolute Ruhe, es wurde aufmerksam zugehört, es wurde viel gelacht und manche Tränen vergossen. Es war unglaublich, wie sehr sich manche Menschen öffneten, wie nah man sich war und was für weise, unterschiedliche, aber auch ähnliche Ängste und Sorgen wir in uns tragen.
Ich konnte es einfach nicht glauben. Nach der schon so bewegenden Begegnung mit dem Schotten war tatsächlich das heutige Thema Sorgen und Ängste?! Ich bekam tatsächlich heute die Chance, an genau dem letzten Tag, bevor ich das erste Mal alleine reisen gehen werde und am dem Tag, wo mich so viel Sorge, Abschiedsschmerz und Ungewissheit begleitete, das Geschenk, mit einer solch herzlichen, inspirierenden und so aufmerksamen Gruppe reisender, aber auch in Pai lebender Menschen, über meine Sorgen und Ängste zu sprechen!?
Es war so spannend und ergreifend, was die Menschen von sich erzählten!
Am Ende der Gesprächsrunde ergriff wieder die Frau das Wort und sprach davon, wie dankbar sie Jesus für das heutige Zusammentreffen ist. Erst da verstand ich, dass es ein christlicher Ort war, an dem jedoch jeder Mensch, ganz egal, welcher Religion oder Herkunft er angehört, willkommen ist und an diesem Ort einfach nur die Gemeinschaft und das Miteinander zählte.
Nach der Gesprächsrunde war ich von allem so ergriffen, dass die Tränen nur so aus mir heraus schossen.
Ich wollte nicht gehen. Pai und dazu noch dieser Ort waren einfach zu perfekt, sodass ich mir so sehr wünschte, länger zu bleiben. Doch mein Visum war um und die Fahrt nach Laos gebucht.
Merle und ich nahmen uns lange in den Arm und gingen in den Garten. Dort begrüßte mich, wieder, ohne dass ich irgendetwas sagen musste, ein junger Typ mit den Worten: "Keine Sorge Lucie. Alles wird gut. Du wirst dich beim allein Reisen noch einmal ganz anders kennenlernen und niemals wirklich allein sein." Diese Worte kamen für mich ebenfalls wie ein Geschenk von Himmel gerieselt.
Später setzten wir uns zu den Musikern, die sich mittlerweile zusammen gefunden und mit einer wahnsinnig tollen Jam Session begonnen hatten. Manche Menschen lauschten nur, manche klopften, rasselten, sangen oder summten mit.
Energiegeladen und vollkommen happy spazierten Merle und ich später zum Fluss, aßen Kuchen und genossen den restlichen Tag in Zweisamkeit.
Am Abend spazierten wir, wie jeden anderen Tag auch, über den Nachtmarkt, wo wir ein letztes Mal das leckere Streetfood Pais aßen und erneut den älteren Schotten trafen.
Dieser begleitete uns eine lange Zeit und erzählte uns spannende, aber auch manche verwirrende Weisheiten aus seinen Glaubens- und Lebenstheorien. Sie zu erleutern würde nun den Rahmen sprengen. Jedoch konnten Merle und ich uns beide etwas daraus ziehen und waren ihm für manche Denkanstöße sehr dankbar.
Dann verschwand er wieder mit den Worten, dass wir uns eh in der Zukunft noch einmal wieder begegnen werden. Er sagte es mit einer Betonung, wie sie selbstsicherer und zweifelsloser nicht hätten sein können.
Am Abend sind wir also zur Paradise Bar spaziert, wo wir uns bei netter Atmosphäre, langer Feuershow und anschließender Life Musik bis in die Nacht über den Tag, wie er perfekter nicht hätte werden können, und über die vergangenen zwei Monate austauschten.
Am nächsten Morgen ging es um 7 Uhr für mich los und der Moment war gekommen, Merle auf Wiedersehen zu sagen.
Ich setzte mich in den Van, der direkt los fuhr, vergoss ein paar Tränchen und lenkte mich mit schöner Musik von Xavier Rudd ab.
Merle machte sich am nächsten Tag auf den Weg Richtung Vietnam.
Für mich ging es nun in Richtung Laotische Grenze.