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"Goodnight And Thankyou"

Veröffentlicht: 21.04.2022

Buenos Aires war die letzte Station meiner Bummeltour, nun folgte, auf Umwegen zwar, die Heimreise. Rückblickend waren die letzten Beiträge bereits mit gefühlsduseligen Ausführungen über das Abschiednehmen gefüllt. Anders als der Volkspoet Roger Whittaker es formulierte, war Abschied in meinem Fall ein stumpfes Schwert. Nicht zum ersten Mal trennte ich mich von Menschen, die ich unterwegs traf. Kontakte wurden ausgetauscht und Einladungen ausgesprochen, Mal halbherzig, mal hoffnungsvoll. Gerne nutzte ich die Floskel "time to move on", "Zeit weiterzuziehen", ohne dass es mir allzu schwer fiel.

In Buenos Aires verhielt es sich etwas anders. Durch meinen langen Aufenthalt hier, waren die Beziehungen zu den Menschen und der Stadt intensiver. Außerdem blieb mir viel Zeit für Gedanken, so dass ich im Kopf Listen anlegte. Was war noch zu erledigen? Wo wollte ich noch einmal einkehren? An wen musste ich noch eine Nachricht absetzten? Erinnerungsstücke? Was muss ich noch aus Buenos Aires berichten?

Beim Durchblättern der letzten Einträge stellte ich fest, dass einige Anekdoten aus redaktionellen Gründen ausgelassen wurden. Ähnlich wie bei den Bonusbildern passte nicht jede Beobachtung oder jeder Gedanke in den Kontext der Erzählung. Trotzdem wäre es schade, diese Skizzen zu unterschlagen und unter Umständen dem Vergessen preiszugeben.

Daher folgen an dieser Stelle drei recht willkürliche Beiträge aus meiner Zeit in Buenos Aires.


Blaise Bourgeois

Während meiner ersten Tage in Buenos Aires lernte ich Blaise kennen. Der Amerikaner aus dem Bundesstaat New York war mir anfangs nicht sonderlich sympathisch. Seiner lauten Art, der quäkigen Stimme und der übermäßigen Begeisterung für Fußball und Poker konnte ich wenig abgewinnen. Dies änderte sich schließlich beim Hostelbier. Selten hatte ich mich so trefflich mit einem Amerikaner über amerikanische Politik und den alltäglichen Wahnsinn ausgetauscht. Der Fußball-Journalist für ein deutsches Online-Portal hatte Humor und verfügte über einen endlosen Anekdotenschatz.

Sonntagmittag saßen wir wieder gemeinsam im Hostel, unterhielten die anderen Gäste, beschlossen irgendwann, zum Bier überzugehen und endeten schließlich am frühen Nachmittag in einer Fußballkneipe. Dort lief irgendwas mit Manchester und Liverpool, während auf der Trainerbank bekannte Gesichter aus Dortmund und München saßen. Egal, das Bier schäumte.

Blaise Bourgoise kann man auf Instagram folgen.


Recoleta

Zwei meiner vier Herbergen befanden sich im Nobelstadtteil Recoleta. Strategisch gelegen zwischen Ausgeviertel und Stadtzentrum war das Quartier vor allem für seinen elitären Friedhof bekannt. Der Cementario war eine Hauptsehenswürdigkeit der Stadt und letzte Ruhestätte von Eva Peron. Aufgrund des relativ hohen Eintrittsgeldes für einen Gottesacker, 15 Euro, strich ich den Friedhof von meiner Ausflugsliste.

Doch Recoletas Mondänität war auch außerhalb der Friedhofsmauern spürbar. Patisserien, vornehme Cafés und Restaurants mit weißen Tischdecken prägten das Straßenbild. Protagonisten in dieser Kulisse waren vornehme Damen, gekleidet in dunklen Herbstfarben, die Silbermähnen fantasievoll frisiert, ausgestattet mit übergroßen Sonnenbrillen, hin und wieder begleitet von Herren, deren Hemden in die hellen Hosen gesteckt waren, so dass der Bauch sich ausladend präsentierte. Ergänzt wurde dieses Schauspiel eines endlosen Sonntagskaffees durch Hunde in allen Größen und Formen, zumeist als Accessoire oder in der Funktion des Begleithundes. Besonders absurd wurde es wochentags, wenn professionelle Dogwalker die vierbeinigen Lieblinge ausführten. Umringt von nicht selten bis zu zehn Tieren streiften diese angeleinten Rudelführer durch die engen Straßen Recoletas.

Tatsächlich fand diese Subkultur der vornehmen Hundehaltung sogar Eingang in meinen Reiseführer.


Evita und der Peronismus

Vor meinem Besuch in Argentinien war ich der einfachen Überzeugung, das System Peron wäre die etwas harmlosere Variante der spanischen Franco-Diktatur. Vor Ort nun musste ich feststellen, dass sich der politische Peronismus seit seiner Nähe zum spanischen Faschismus hin zu einer besonderen Form des Linkspopulismus entwickelt hatte. Damit einher gingen durchaus positive gesellschaftliche Errungenschaften im Bereich der Arbeiter- und Frauenrechte, aber auch als Opposition während der Militärdiktatur. Und nicht zuletzt war Argentinien 2010 das erste Land in Lateinamerika, das Schwulen und Lesben das Grundrecht auf Eheschließung gewährte.

Demgegenüber stand ein geradezu ans Absurde grenzender Personenkult um Eva Duarte (1919-52), die mit gerade einmal 33 Jahren an Gebärmutterhalskrebs verstarb. Besonders schmalzig las sich ein Zitat der Frau aus einfachen Verhältnissen auf dem 100 Pesos-Schein: "Als Frau spüre ich in meiner Seele die Zärtlichkeit des Volkes, aus dem ich komme und dem ich etwas zu verdanken habe."

Politische Wiedergänger wie das Ehepaar Nestor (1950-2010) und Christina Kirchner (*1953) inszenierten sich erfolgreich nach dem Vorbild der Perons. Dabei nutzten sie ihren Einfluss zusehends für eine Politik mit totalitären Zügen, begleitet von wirtschaftlicher Inkompetenz und Korruption... bei gleichzeitigem gesellschaftlichem Fortschritt. Complicado!

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