Alexander
Sehr guter Beitrag
Respekt Veröffentlicht: 04.07.2017
Menschen brauchen Kategorisierungen. Sie lieben Schemata, suchen nach Regelmäßigkeiten, Mustern, denken assoziativ. Das ist ganz normal, jeder macht das. Auch ich. Besonders bei fremden Volksgruppen bietet sich das besonders an. Franzosen sind tendentiell arrogant und essen gern Baguettes und Schnecken, Amerikaner haben selbstverständlich einen Intelligenzquotienten von unter 100, die Italiener tragen ihre Sonnenbrillen sogar in Messehallen mit Neonlicht und schaffen es am Flughafen nie, nie, nie, sich in einer Schlange anzustellen. Die Polen saufen viel, sind dabei aber erzkatholisch.. Und die Deutschen? Ja die Deutschen.. die erkennt man an den Jack-Wolfskin-Jacken und daran, dass sie sich sogar trauen, Socken zu Trekking-Sandalen zu kombinieren. Auch wenn wir es eigentlich alle besser wissen sollten, wem von uns ist dieses Denken in Stereotypen nicht auch bekannt? Und es ist ja auch irgendwie einfach, so verlockend. Unser Verstand mag nicht gern um die Ecke denken, viel mehr soll alles klar und eindeutig sein. Und mal ehrlich - an vielen Klischees ist doch auch was dran! Andererseits, wie oft musste man seine eigenen voreiligen Schlüsse schon korrigieren? Und lassen sich überhaupt so klare Trennlinien zwischen den einzelnen Nationen ziehen? Beeinflusst man sich nicht viel mehr gegenseitig und liegt darin nicht auch ein Gewinn?
Südtirol: Wie ich, ein Mix?
Südtirol symbolisiert - so empfinde ich es - einen Mix aus vielen verschiedenen Eigenschaften, eine Schnittstelle der Kulturen. Es ist weder ganz italienisch, noch wirklich deutsch oder österreichisch. Es lässt sich nicht in ein Schema quetschen. Auch wenn die Südtiroler gern herausschreien: "Wir sind keine Italiener!", so können sie die Einflüsse der "fremden Kultur" doch nicht leugnen. Am Essen merkt man das, viele italienische Gerichte sind hier Standard. An der Sprache merkt man es ebenso (siehe "Von Gitschen und Buaben"), und sogar das italienische Modebewusstsein scheint auf die Südtiroler abgefärbt zu haben: Wer manche wohlgekleidete Frauen durch Brixen flanieren sieht, fühlt sich an Mailänder Laufstege erinnert.
Diese Mischung ist für mich ungeheuer bereichernd, ein wahrer Gewinn. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass es die Suche nach der eigenen Identität erschwert, wenn man "weder Fisch noch Fleisch ist". Ich glaube die Südtiroler haben in gewisser Weise damit zu kämpfen, warum sonst sind sie so patriotisch und darauf bedacht, sich von den Italienern abzugrenzen (Ortsnamen immer auf italienisch und deutsch, Schulen getrennt nach Sprachen, Proporzsystem bei der Vergabe von öffentlichen Stellen)? Und ich muss sagen: Diese "Unsicherheit" kann ich sehr gut verstehen, denn mir geht es oft nicht anders: Als Tochter eines sizilianischen Einwanderers und einer Deutschen weiß ich gut, was es bedeutet, irgendwie gespalten zu sein. Sicherlich, ich bin in Köln geboren, deutsch ist meine Muttersprache. Auf italienisch kann ich mich verständigen, aber dennoch: Meinen Akzent hört jeder Italiener heraus, so sehr ich mich auch abmühe. Meine etwas verkopfte und ernste Art gilt dort ebenfalls direkt als "typisch deutsch". In meinem Geburtsland dagegen bin ich mit meinen dunklen Augen und schwarzen Haaren und meiner kleinen Körpergröße sofort die Prototypen-Italienerin. Dazu noch mein Name, den die wenigsten dort korrekt aussprechen können.
Was aber bedeutet dann eigentlich Identität? Ist es die Muttersprache, das, was einem problemlos von den Lippen geht? Ist es die Mentalität, sprich, bestimmte Denkweisen, Einstellungen oder Werte? Oder doch das äußere Erscheinungsbild? So und so viel Prozent Deutsch, Dann könnte man anhand einer Messskala sagen: so viel italienisch. Damit wären wir wieder bei unserem Schubladendenken, beim Kategorisieren, Kalkulieren. Aber vielleicht zählt das alles nicht, ist zu mathematisch, vielleicht ist es nur wichtig, als was man sich fühlt. Oder das, was man sein möchte. Ein kluger Mensch, den ich sehr liebe, hat mir einmal (zwar in einem ganz anderen Zusammenhang) gesagt: "Vielleicht hilft es dir, das Leben nicht als entweder/oder , sondern als sowohl/ als auch zu verstehen.
Das Beste aus Allem
Das würde heißen, dass es keiner Trennung mehr bedarf: Man könnte sein, was man möchte, sich überall das Beste heraussuchen, und das nicht nur auf die eigenen Wurzeln beschränkt: Heute versuche ich mir die deutsche Verlässlichkeit zu eigen zu machen, am nächsten Tag blicke ich den Dingen durch meine Sonnenbrille ganz gelassen- italienisch entgegen. Wenn etwas nicht nach Plan läuft, bin ich holländisch-pragmatisch, suche konstruktiv nach einer Lösung. Krisen könnte ich mit dem englischen Humor aufs Korn nehmen, getreu dem Motto: Don´t worry be happy. Oder "Et hätt noch immer joot jejange" - ganz kölsch- genügsam. Jedem Fremden würde ich mit großer Offen- und Herzlichkeit entgegentreten, so wie ich es bei den Griechen gesehen habe. Ich würde, genau wie die Franzosen, stundenlang bei einem erstklassigen Mahl sitzen, und dazu noch ein Glas Vino genießen. Und was ist mit den Südtirolern? Von ihnen kann man vor allem eins lernen: Dass das Schöne immer mit Verantwortung verknüpft ist, das man es pflegen und beschützen muss. Das Beste aus allem! Vielleicht eine Utopie, aber in jedem Fall besser als übersteigerter Patriotismus und Seperatismus.
Zu guter letzt möchte ich einen Satz von Kennedy aufgreifen, allerdings in leicht modifizierter Form: Ich bin eine Europäerin!