Salam ya Amman
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Zwischen Marsch & Service-Fahrten

Veröffentlicht: 04.02.2020

Montag, 3. Februar

8:30 am. Heute wollten wir eigentlich früher aus den Federn, um uns noch in Ruhe St. George’s Monastery in den Bergen bei Jericho anzuschauen, bevor wir unsere Reise fortführen. Wir dachten, dass Waleed uns vielleicht mit seinem Auto ein Stückchen näher dorthin bringen kann, damit wir den Vormittag so gut wie möglich nutzen können, aber bis wir ausgehfertig sind, ist es schon fast 10, und Waleed mal wieder nicht in Sicht. Über seine Tochter, die im gleichen Haus wohnt, nehmen wir Kontakt mit ihm auf, woraufhin er uns mit seinem Auto abholt und uns zunächst einmal in sein Office ins Stadtzentrum bringt.

Wir überlegen nun, wie wir am Besten zum Wanderweg Richtung Monastery kommen. Trampen wäre auch noch eine Alternative. Aber davon rät Waleed uns ab. Das Problem sei, dass der direkte Weg dorthin gesperrt sei. Und der Weg außen herum von der anderen Seite, weit. Nach einigem hin und her bietet er uns dann an, uns für 10 Schekel pro Kopf außen herum zu fahren. 40 Minuten würde das in etwa dauern. Dann könnten wir von dort zurück nach Jericho laufen und hätten einiges an Zeit gespart. Also gut. So wird’s gemacht.

Nach nicht einmal 5 Minuten Fahrt sind wir dann schon da. Lea und ich sind etwas verwirrt. Wir befinden uns kaum außerhalb von Jericho, in einem Feldweg Richtung Bergkette. Wir verstehen auch nicht so ganz, wo jetzt hier die gesperrte Straße sein soll, und wo genau es zur Monastery geht. Waleed erklärt uns noch kurz und umständlich, wo sich das Gelände von Herod’s Palace befindet, eine andere Sehenswürdigkeit, die wir auf dem Weg zur Monastery noch mitnehmen können, dann fährt er wieder zurück in die Stadt.

Wir sind immer noch verwirrt, aber machen uns einfach mal auf den Weg. Die Ruinen von Herod’s Palace sind die Überreste einer riesigen Palastanlage von Herodes dem Großen, die im letzten Jh. v. Chr. erbaut wurde. Was damals gigantisch gewesen sein muss (riesige Türme, Badehaus, verschiedene Pools, große Höfe und Lagerräume), ist heute nur noch mit viel Phantasie zu erkennen. Wir laufen einmal über das ganze Gelände und sind dann unsicher, wo es hier weitergehen soll zur Monastery. Waleeds Wegbeschreibung war im Nachhinein nicht wirklich hilfreich. Außerdem sind wir uns sicher, dass er uns nicht dorthin gebracht hat, wo er es uns versprochen hat - laut Google Maps befinden wir uns noch fast 2 Stunden Fußmarsch von der Monanstery entfernt. Wir beschließen also, bei den Menschen nachzufragen, die wir hier auf dem Gelände gesehen haben.

Kurz darauf sitzen wir also mit vier älteren Männern unter einer Zeltplane und trinken die letzten winzigen Becher Kaffee, die sie uns angeboten haben. Es sind Beduinen aus Jericho, die hier im benachbarten Dorf leben, und für die Erhaltung von Herod’s Palace arbeiten. Auch wenn wir uns nicht ganz vorstellen können, was es an den alten Ruinen noch zu arbeiten gibt. Da es jetzt im Februar schon notwendig ist, in den Pausen unter der schattigen Plane Schutz vor der Sonne zu suchen, will ich gar nicht erst wissen, wie deren Arbeit im Sommer aussehen muss. Sie sind jedoch sehr freundlich und sagen uns, dass man nicht viel länger als eine Stunde zu St. George’s Monastery braucht. Wir bekommen außerdem eine diesmal brauchbare Wegbeschreibung und marschieren dann los.

Am Pfad oben am Berg angekommen, der sich nun die Bergkette an der Schlucht entlang zum Kloster schlängelt, machen wir aber erst einmal ein Päuschen – wir haben heute noch gar nicht gefrühstückt. Unsere Vesperbox gibt jedoch noch ein paar Reste vom gestrigen Abendessen, ein paar Scheiben Brot und Kekse her, sodass wir kurz darauf mit befriedigten Mägen unsere kleine Wanderung beginnen können.

Die Beduinen haben uns vorgewarnt, dass der enge Pfad am Schluchtabgrund teilweise gefährlich ist, aber es ist vielmehr ein wundervoller kleiner Weg durch den idyllischen Canyon, in dem man in eine ganz andere friedliche, sorgenfreie Welt abtaucht. Die einzigen Geräusche, die man hier hört, sind Vogelgezwitscher und das Wasserrauschen von dem kleinen Fluss unten in der Schlucht. Keine Menschenseele weit und breit, nur ein paar Kreuze zwischendurch, die schon erkennen lassen, dass man hier auf dem Weg zu einem Kloster ist.

Die grüne Bewachsung an beiden Seiten der Schlucht verdichtet sich irgendwann, als wir hinter einem urwald-artigen Gewächs die Monastery aus der Ferne erkennen können, die in die Felsen hineingebaut ist. Als wir näher kommen, sehen wir außerdem, dass dort ein paar Menschen auf der anderen Seite der Schlucht unterwegs sind, wo es offensichtlich einen Parkplatz ganz in der Nähe der Monastery gibt. Schon auf dem Gelände des Klosters kommt uns außerdem ein Beduine auf einem Esel entgegengeritten, der uns einen Taxi-Ritt auf seinem Esel anbietet und außerdem sagt, dass das Kloster schon geschlossen hat.

Es ist ein bisschen wie ein Déjà-vu von gestern. Wir hatten gelesen, dass es um 1 Uhr schließt, aber wir haben es eigentlich genau um 10 Minuten noch pünktlich geschafft. Wir können den Innenhof des Klosters zwar betreten, aber stehen dann tatsächlich vor verschlossenen Türen. Wie wir gelesen haben, hätte uns innen spektakuläre Wandbemalungen in der Hauptkapelle und uralter Mosaikboden erwartet. Naja. Man kann ja nicht alles haben. Der Weg hierhin war wunderschön, und auch für den äußeren Anblick der Klosteranlage, die wirklich sehr besonders ist, hat es sich definitiv gelohnt. Wir machen also kurze Rast, trinken einen Schluck Wasser, und kehren dann wieder um.

Wir beschließen, den Rückweg auf der anderen Seite der Schlucht zu gehen, wo wir zunächst einer ganzen Gruppe Beduinen begegnen, die oben auf dem großen Parkplatz Esel-Shuttle, Souvenirs und Säfte anbieten. Dann schlagen wir den Weg auf die Hauptstraße ein, was der Weg sein muss, von dem uns Waleed erzählt hat, dass er gesperrt sei. Gesperrt ist hier allerdings nichts. Wir laufen mitten auf der Straße. Um uns herum, hügelige helle Sandlandschaft, die zusammen mit dem strahlend blauen Himmel derartig blendet, dass es ohne Sonnenbrille nicht gut auszuhalten wäre. Generell wirkt die Landschaft hier eher, als würden wir uns gerade auf einem anderen Planeten fortbewegen.

Wir hören irgendwann ein Motor-Geräusch hinter uns - ein alter Traktor taucht hinter einem Hügel auf, der hinunter Richtung Jericho fährt. Vielleicht kann er uns ja einen Lift geben, meint Lea. Wir stellen uns also mit erwartungsvollem Blick an den Straßenrand, woraufhin der alte Mann auf seinem Gefährt tatsächlich anhält. Für 30 Schekel bringe er uns nach Jericho, sagt er zum lauten Knattern seines Motors. Wir winken ab. Bevor wir bezahlen müssen, laufen wir den Rest des Weges lieber zu Fuß. „Okay, for free!“ Er winkt uns zu seinem Traktor. Das war schnelle Überzeugungsarbeit. Auf den Sitzen neben ihm ist nicht viel Platz, weshalb wir in die Schaufel hinten am Traktor steigen, in der er Obst und verschiedene andere Dinge transportiert, und losholpern.

Nach etwa 10 Minuten Fahrt sind unsere Knochen gut durchgeschüttelt und wir in dem kleinen Dorf bei Jericho angekommen, wo unser Chauffeur die Schaufel herunterlässt, seine Hand zum Abschied hebt, und in einem Feldweg von dannen fährt. Wir gehen also zu Fuß weiter vor zur Hauptstraße, in der Hoffnung, dass uns vielleicht noch jemand weiter mit zur Stadt nehmen kann. Und das passiert schneller, als gedacht. Hinter uns taucht ein riesiger Betonmischer auf, den wir wieder erwartungsvoll anschauen, woraufhin auch er stehen bleibt und sich zu sich ins Fahrerhäuschen winkt. Hoch oben thronen wir also nun auf dem Schotterweg, was unserem neuen Fahrer allerdings sichtlich unangenehm ist. Es ist bestimmt mehr als unüblich, hier Frauen in diesem Fahrzeug mitzunehmen.

Als wir beim Kreisel an der Hauptstraße ankommen, bittet er uns dann, auszusteigen. Wie als Entschuldigung gibt er uns noch eine Wasserflasche mit, bevor er dann ohne uns weiter Richtung Stadt fährt. Aber das ist kein Problem. Von hier aus sind es nicht einmal 15 Minuten bis zu Waleeds Büro in der Innenstadt, wo wir heute früh noch unsere großen Gepäckstücke in seinem Auto gelassen haben.

Auf dem Weg zum Hostel sammelt Waleed uns mit seinem Auto auf. Als nächstes wollen wir nach Hebron fahren, weshalb er uns vor zur großen Sammelhaltestelle für Busse und Service-Taxis bringt, wo er bei den Fahrern nach den Preisen fragt. Die günstigen Busse fahren heute nicht mehr (wenn man den Taxi-Fahrern glauben kann), und die Service-Taxis verlangen mehr Geld, als wir ausgeben wollen. Nach einiger nicht endenden Diskussion beschließen wir schließlich, zu trampen. Das ist hier für uns wirklich nicht schwierig, wie wir schon gemerkt haben. Außerdem sind wir von dem ewigen hin- und herverhandeln über Preise genervt, wissend, dass wir am Ende doch viel zu viel zahlen würden.

Waleed ist nicht unbedingt begeistert von dieser Idee, bringt uns allerdings in die Nähe eines Kreisels, von wo aus trampen ganz gut möglich sein soll, wie er sagt. Wir müssen auch dort zunächst noch ein paar Service-Taxifahrer abwimmeln und warten dann allerdings keine 5 Minuten, bis ein kleines Auto anhält. Der Fahrer heißt Derwisch, pendelt jeden Tag zwischen seinem Wohnsitz in Jerusalem und seiner Arbeit in Jericho, und kann uns nun ein Stück mitnehmen. 

Wir reden mit ihm ein bisschen über die politische Situation hier und merken mal wieder, wie sehr der Konflikt Land und Leute frustriert. Und wie wenig verständlich es ist, dass jetzt aus den USA, vom anderen Ende der Welt, entschieden wird, wem hier welches Land gehören soll. Er zeigt uns außerdem ein paar jüdische Siedlungen auf den Bergkuppen, an denen wir vorbeifahren. 15 große Siedlungen und mehr als 100 insgesamt gibt es hier überall in der West Bank. Und sie breiten sich rasant aus, wie Derwisch sagt. Die riesige Siedlung, die sich vor uns nun über die gesamte Bergkette zieht, sei vor einigen Jahren noch ein kleines Dorf gewesen. Diese schnelle Ausbreitung liegt nicht zuletzt daran, dass der israelische Staat das Wohnen in den Siedlungen stark subventioniert, und sich so immer mehr Menschen aus allen Teilen der Welt hier niederlassen.

Derwisch lässt uns an der Hauptstraße in einem Vorort von Jerusalem raus, und fährt dann weiter in die andere Richtung. Wir haben jetzt die Hälfte unseres Weges nach Hebron geschafft und halten unsere Hände am Straßenrand heraus. Es dauert wieder nicht lange, bis ein Auto anhält. Es ist eine Art Taxi (so genau haben wir das nicht verstanden; nur, dass wir sagen sollen, dass wir nur Freunde von ihm sind, wenn die Polizei uns anhält), aber wir können den Preis auf 10 Schekel pro Person herunterhandeln, was für den Streckenteil, der noch vor uns liegt, absolut angemessen ist. Unser Fahrer Mohammed ist super nett und spricht nur ein paar Wörter Englisch, weshalb wir uns mit ihm auf einem Englisch-Arabisch-Mix unterhalten. Er macht zwischendurch noch einen kurzen Stopp an einem Mini-Markt, wo er Cola und Kuchen für uns besorgt. So einen Taxi-Service hatten wir noch nie.

Wir fahren nun weiter, Bergkuppe über Bergkuppe, enge und kurvige Straßen entlang. Man muss hier vorsichtig fahren, sagt Mohammed, die Wege seien nicht ungefährlich. Die riesigen Schlaglöcher mitten auf der Straße machen das nicht unbedingt besser. Die Wege zu palästinensischen Gebieten werden eben nicht erneuert, sagt er mit einem Achselzucken.

Es ist schon dunkel, als wir dann Hebron erreichen, und wir nicht sicher, wo genau die Hostels sind, die wir uns vorher schon herausgesucht haben. Aber auch hier kann Mohammed uns weiterhelfen. Ein paar Telefonate später stehen wir schließlich vor dem Lamar Guesthouse. Und Mohammed sagt jetzt, dass er nichts für die Fahrt haben möchte. Aber das können wir nicht akzeptieren. Er hat immerhin die letzten zwei Stunden damit verbracht, uns sicher an unseren Zielort zu bringen. Wir drücken ihm also die anfangs vereinbarte Summe in die Hand und steigen dann die Treppen hoch zum Hostel.

Wir merken jetzt, dass wir uns nicht mehr im milden Klima Jerichos befinden. Der Wind hier bläst kalt um unsere Ohren, und wir sind froh, als die Rezeptionistin uns in unser gemütliches Zimmer führt. Drei Betten stehen darin, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir das Zimmer in den nächsten zwei Nächten für uns alleine haben.

Wir sind heute zu platt, um das Hostel noch einmal zu verlassen und setzen uns nur noch ein wenig zum Abspannen in den Gemeinschaftsraum, wo wir uns von Dan, einem holländischen Volunteer hier im Hostel, schon einmal ein paar Tipps geben lassen, was wir uns hier in Hebron alles anschauen sollten. Eins steht fest: Die entspannte Atmosphäre von Jericho, in der man so gut wie nichts von der Besetzung mitbekommen hat, ist hier jetzt vorbei. Was genau uns in Hebron wirklich erwartet, werden wir allerdings erst morgen herausfinden.

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