Salam ya Amman
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Elf Mabruk!

Veröffentlicht: 05.10.2019

04. Oktober

8:00 am. Heute ist ausschlafen angesagt. Es ist Freitag, was man hier in Jordanien wirklich wortwörtlich nehmen kann: es ist im Islam der heilige Tag, also in etwa so, wie der Sonntag bei uns. Heute Vormittag steht für uns nur der Umzug vom Hotel in unsere Übergangs-AirBnB-Wohnung für die nächsten 11 Tage an. Nach Frühstück und Packen verabschieden wir uns von Jihad, dem netten Rezeptionisten, der nie schläft, und warten auf unserem Lieblingsplatz vor dem Jordan Tower Hotel auf Adib. Er hat wieder einmal angeboten, für uns Shuttle-Service zu spielen, und uns mit Sack und Pack zu unserer Wohnung zu bringen.

Unterwegs machen wir Halt bei einem Blumenladen. Heute Nachmittag wartet ein ganz besonderes Ereignis auf uns: Bara’a wird sich offiziell und traditionell verloben, und hat Rebecca, Sophia und mich ganz spontan zu ihrer Verlobungsfeier eingeladen. Es ist nun gut, dass Adib bei uns ist, der der Verkäuferin im Blumenladen ganz genau sagen kann, was wir vorhaben, woraufhin sie uns ein wunderschönes weiß-pinkes Blumengesteck bindet. Wir nehmen nun noch in der Nähe unserer Übergangswohnung einen Mittags-Snack zu uns und gehen dann mit Adib noch spontan eine Shisha kaufen – unsere Dachterrasse muss schließlich gebührend eingeweiht werden. Wie immer ist es nützlich, einen Arabisch-Muttersprachler dabeizuhaben, sodass wir kurz darauf mit einer Shisha samt allem Zubehör und nur 12,5 Dinar leichter, dafür aber umso zufriedener, das Geschäft verlassen.

Wir können nun unsere frisch geputzt AirBnB-Wohnung beziehen, und sind wirklich überglücklich: endlich in unseren ersten „eigenen“ vier Wänden, samt großer Fensterfront in Küche & Wohnzimmer mit wunderschöner Sicht auf Old Amman, sowie riesiger Dachterrasse. Ein Traum. Rebecca und ich machen uns nun frisch, dann ordern wir mit Sophia, die in der Zwischenzeit auch zu uns gestoßen ist, ein uber und machen uns mit unserem Blumengesteck auf dem Weg zu Bara’a.

Im uber, ein wenig Situationskomik. Ich sitze auf dem Beifahrersitz, vergraben unter der weiß-pinken Blumenpracht und erzähle dem Fahrer freudestrahlend, dass wir jetzt zu einer Verlobungsfeier fahren. Keine Reaktion. Ich höre Sophia hinter mir schon kichern. Ich sage dem Fahrer, dass das für ihn jetzt zwar wie eine willkürliche Information erscheinen mag, aber ich es ihm trotzdem erzähle, weil wir so aufgeregt sind. Jetzt muss auch er ein wenig lachen. Ob er schon einmal auf einer Verlobungsparty war, frage ich ihn. Er schüttelt mit dem Kopf. Ich bin überrascht. „So we are making this experience before you make it! And we are only here since 4 weeks!” Sophia bekommt sich vor Lachen nicht mehr ein. Ich verspreche dem Fahrer dann, dass wir ihm alles von der Party erzählen, falls wir noch einmal bei ihm im Auto sitzen sollten, als wir kurz darauf den Standort erreichen, den Bara’a uns geschickt hat. Wir haben zwar keine Hausnummer, aber unser Fahrer stoppt wohlbedacht vor einem Haus, vor dem einige junge Männer in feinen Anzügen stehen. Als wir aus dem Taxi aussteigen, kommt einer davon auf uns zu. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, aber sein Gesicht kommt mir bekannt vor. „You look like Bara’a’s brother“, sage ich ihm. Er schickt uns kommentarlos in den Hauseingang und sagt uns, dass wir die rechte Tür nehmen sollen. Wir klingeln, und die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt.

Neugierige Augenpaare sehen uns an. Als sich die Tür ein wenig mehr öffnet, kann ich im Hintergrund schon Bara’a sehen. Ich erkenne sie nur, weil ich weiß, dass es heute ihre Verlobungsparty ist. Sie trägt ein pompöses glitzerndes Kleid, das aussieht wie ein rotes Hochzeitskleid, und ein extrem aufwändiges Make-Up. Zum ersten Mal sehe ich ihre langen, wunderschönen dunklen Haare. Bara’a freut sich sehr uns zu sehen und wir übergeben ihr die Blumen mit „Elf Mabruk“, was so viel heißt wie „Tausend Glückwünsche“. Der Raum, in dem wir uns befinden, ist nicht größer als 15 Quadratmeter. An der Fensterseite stehen zwei Stuhlreihen, die schon komplett von Frauen besetzt sind, weshalb wir auf die danebenstehende Couch gebeten werden. Aus einer riesigen Musikanlage neben uns schallt arabische Musik, die so laut ist, dass ich meinen Mund in Rebeccas Haaren vergraben muss, wenn ich mit ihr rede. Wir bekommen zunächst arabischen Kaffee angeboten, dann steht Bara’a auf und tanzt. Wir bleiben so lange zurückhaltend auf unseren Plätzen sitzen, bis sie kommt und uns auch zum Tanzen auffordert. Alle Frauen um uns herum lächeln uns freundlich an, während wir jeweils einzeln mit Bara’a in der Mitte tanzen. Als wir wieder auf den Plätzen sitzen, wird Knafe herumgereicht, eine arabische Süßigkeit, die wir brav aufessen, bis dann der nächste Programmpunkt folgt.

Zwei Frauen bringen Bara’a einen Umhang und ein Kopftuch, womit sie sich verhüllt, und nun nur noch ihr hübsches Gesicht zu sehen ist. Es folgt jetzt der offizielle Teil der Verlobung, wovon Bara’a uns schon erzählt hat: Befragung und Verlobungsvertrag mit dem Sheikh, eine Art geistiger Führer im Islam. Er wird Bara’a nun fragen, ob sie Ahmad wirklich heiraten möchte, woraufhin sie einen Vertrag unterschreiben muss. Bevor der Sheikh zur Tür reinkommt, merken wir, dass Bara’a nicht die einzige ist, die sich verhüllt hat: da traditionelle muslimische Frauen ihr Haar niemandem außer ihrem Mann und ihren engsten Verwandten zeigen dürfen, haben sich alle, die bisher noch offene Haare trugen (bis auf Ahmad's Mutter und Schwestern), nun ein Kopftuch angezogen. Bara’a verschwindet mit dem Sheikh in einen Nebenraum und kommt kurz darauf unter einem traditionellen Ruf der Frauen wieder heraus. Sie ist nun offiziell und gemäß Islam verlobt.

Es wird nun wieder getanzt. Auf der Tanzfläche sehen wir eine Frau, die ihr Haar bis jetzt offen trägt, und in deren Hand sich ein Tablett mit zwei Ringen befindet. Bara’a’s zukünftige Schwiegermutter, wie wir richtig vermuten. Nach einiger Zeit, dann der Höhepunkt für heute. Bara’a verschwindet wieder ins Nebenzimmer, und Ahmad betritt den Raum.

Eine kurze Erklärung zu dem, was in der Zwischenzeit im anderen Raum bei den Männern passiert ist, so wie Bara’a es uns vorher hat wissen lassen: Alle Männer, samt Ahmad, haben zusammen in einem Raum gesessen, und über die Verlobung gesprochen. Bara’as Brüder müssen schließlich der Verlobung zustimmen, woraufhin alle Männer zusammen Kaffee trinken. Der Kaffee sei etwas sehr Wichtiges in der Zeremonie, wie Bara’a uns gesagt hat.

Ahmad wird nun von allen Frauen lautstark begrüßt, dann der große Moment, den wir im Nebenzimmer sitzend nicht mitbekommen: Er darf Bara’a nun zum ersten Mal ohne Kopftuch sehen. Kurz darauf kommen die beiden dann zusammen in den Raum, in dem wir sitzen. Sie halten sich an den Händen und die Frauen lassen wieder ihr lautstarkes Rufen hören. Man merkt den beiden an, dass sie immer noch ziemlich nervös sind. Ein wenig komisch fühlt es sich schon an, dass wir drei, abgesehen von Bara’a, die einzigen Frauen sind, deren Haare Ahmad zu sehen bekommt.

Bara’a tanzt nun wieder in der Mitte, und an Ahmad’s strahlenden Augen kann man nun sehen, wie glücklich er ist. Als das Lied beendet ist, stecken sich beide die Ringe an die Finger, die sie in der Woche davor zusammen ausgesucht haben. Es folgt wieder ein Tanz, dann nicken sich beide zu und Ahmad verlässt den Raum. Es waren nicht mehr als fünf Minuten, in denen Ahmad seine Bara’a sehen konnte.

Nun folgt der Teil der Verlobung, der mir am besten gefällt: die Frauen schalten die schallernde Musik aus, woraufhin Bara’as Mutter den Raum kurz verlässt, und mit einer großen Trommel zurückkehrt. Sie trommelt nun einen angenehmen Rhythmus, zu dem alle Frauen mit wunderschönen Stimmen singen. Bara’a tanzt dazu wieder in der Mitte. Ihre Großmutter steht auf, umarmt sie sehr, sehr lange und tanzt eine Weile mit ihr. Wirklich unheimlich rührend. Auch Bara’as Mutter hat nicht zum ersten Mal an diesem Tag Tränen in den Augen.

Nach diesem letzten Programmpunkt werden ein paar Bilder gemacht, auch von uns mit Bara’a, dann geht alles ganz schnell: die ersten Frauen verabschieden sich, bis wir fast die einzigen sind, die außer Bara’as enger Familie noch da sind. Wir wissen, dass es nun auch für uns Zeit ist, zu gehen. Wir verabschieden uns von Bara’a, ihren Tanten und Cousinen, die sich den ganzen Nachmittag rührend um uns gekümmert haben. Wir fühlen uns wirklich wirklich unheimlich geehrt, dass wir an diesem so wichtigen und besonderen Tag in Bara’as Leben teilhaben durften.

Zurück in unserer Wohnung bauen wir dann unsere neue Shisha auf, füllen den Tabak ein, den der Verkäufer im Shisha-Laden selbst und nach eigener Mischung hergestellt hat, und genießen dann unsere erste Hubbly Bubbly (so nennt man das hier) in der Sitzecke auf unserer Dachterrasse. Erwartungsgemäß ist der Blick hier bei Nacht auf das lichterfunkelnde Amman, samt Feuerwerk, dass es hier freitags oft gibt, einfach atemberaubend. Heute war ein unheimlich perfekter Tag.


Die Vokabeln:

Fisch- سمكة

Gespür- حس

ohne- بدون

Sicherheitsgurt- حزام امان

teuer- غالي

Antworten (1)

zudiko
Den sehr anschaulich geschriebenen Bericht habe ich aufmerksam (vor dem Frühstück) gelesen. I enjoyed reading the touching report. Great job.