Veröffentlicht: 18.02.2020
Freitag, 14. Februar
10 am. Wir lassen den Tag mal wieder entspannt mit dem Hostel-Frühstück angehen und machen uns dann auf den Weg zum Carmel Market – der riesige Markt in Tel Aviv, auf dem es neben ganz viel Gemüse und Obst auch alles mögliche andere gibt. Auf dem Markt fällt uns mal wieder auf, dass bald Shabbat ist – wie auch letzte Woche Freitag in Jerusalem ist es extrem voll. Wir lassen uns Zeit, durch die Stände zu bummeln, und gehen dann durch Tel Avivs Zentrum wieder zurück Richtung Hostel.
Mir wird auf dem Rückweg wieder bewusst, welches Kontrastprogramm hier in der hippen Großstadt im Gegensatz zu Städten in der Westbank herrscht - wenn man sich nur hier aufhalten würde, würde man gar nicht mitbekommen, dass die Westbank überhaupt existiert. Ich habe das Gefühl, sie wird hier einfach weggeschwiegen. Wenn wir im Hostel etwa Leuten gegenüber erwähnen, dass wir in Ramallah waren (womit wir zugegebenermaßen sehr vorsichtig waren), hätte Schweigen wohl die gleiche Reaktion ausgelöst. Mal kurz von allem abzuschalten tut zwar gut. Aber auf Dauer die Augen vor allem zu verschließen, was hier passiert, fühlt sich wirklich falsch an.
Wir finden auf dem Rückweg ein äthiopisches Restaurant, in dem wir sehr lecker essen, und uns dann nochmal auf einen Kaffee in den Gemeinschaftsbereich im Hostel sitzen. Wir haben beschlossen später zu trampen (wir wollen noch weiter nach Haifa, ganz im Norden, wo Clara gestern schon hingefahren ist), da Busse wegen dem Shabbat nur eingeschränkt bis gar nicht fahren. Wir informieren uns bei Ortskundigen im Hostel also noch über den besten spot, dann geht’s los.
Nach knappen 2 km Fußmarsch mit unseren großen Rucksäcken sind wir froh, dort angekommen zu sein, von wo aus man trampen können soll. Kann man aber nicht, wie wir dann feststellen. Nachdem wir vergeblich unsere Hände herausstrecken und immer mal wieder unseren Standort ein wenig verändern, bleibt neben uns ein Passant stehen, der fragt, ob er uns helfen kann. Allerdings auf Hebräisch. Wir versuchen ihm zu erklären, dass wir trampen wollen, aber gefühlt reden wir eher einige Minuten aneinander vorbei, als ein Minibus neben uns anhält, auf dem „Airport Shuttle“ steht. Der Fahrer fährt zwar nicht nach Haifa, spricht aber gutes Englisch und bietet uns nach kurzem Wortwechsel an, uns zumindest ein Stück mitzunehmen, an einen Ort, der zum Trampen besser geeignet ist. Also gut. Schritt für Schritt.
Während wir eine dreiminütige Fahrt zu einem klügeren Platz erwartet hätten, sitzen wir nun eine halbe Stunde mit ihm in seinem Minibus, bis er uns nach etwa 20 km in die richtige Richtung an einer Bushaltestelle auf der Schnellstraße herauslässt. Hier fahren alle Autos Richtung Haifa, sagt er uns. Good luck.
Unserem Ziel schon einmal näher gekommen, halten wir jetzt auch hier unsere Daumen heraus. Und stellen fest, dass auch dieser Ort eher nicht optimal ist. Es fahren zwar alle in die richtige Richtung, allerdings mit einer solchen Geschwindigkeit, dass viele uns wohl erst viel zu spät sehen, als dass sie noch anhalten könnten. Außerdem ist es mittlerweile schon dunkel geworden, was auch nicht gerade förderlich ist. Wir sehen ein Auto am anderen Ende der Bushaltestelle, das dort schon länger steht, und beschließen nun, bei ihm einmal nachzufragen. An seiner Beifahrertür stehend haben wir ihm noch nicht einmal ‚Hallo‘ gesagt, als er schon den Kopf schüttelt und mit seinem Zeigefinger winkt. Er lässt trotzdem sein Fenster herunter und redet mit uns auf Hebräisch.
Wir geben ihm zu verstehen, dass wir nur englisch sprechen, woraufhin er uns fragt, ob wir kein ‚money‘ hätten. Wir schütteln mit dem Kopf und lösen damit eine unerwartete Reaktion hervor. Er greift in seine Hosentasche und streckt uns zwei Scheine entgegen. Wir sind erst einmal perplex, verstehen dann aber, dass er uns tatsächlich Geld geben will. Wir winken ab, aber er besteht darauf. Derart aggressiv, dass Lea sich irgendwann nicht mehr traut, das Geld nicht zu nehmen. „Taxi, taxi!“, sagt er uns immer wieder.
Wir sind etwas ratlos. Wir haben zwar jetzt 40 Schekel mehr, aber das ändert trotzdem nichts daran, dass hier wirklich kein Auto anhält. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter die Hand herauszuhalten, bis irgendwann tatsächlich ein Taxi neben uns hält. Nach kurzem Gespräch stellt sich allerdings heraus, dass er 360 Schekel bis nach Haifa haben will. Wir fragen uns so langsam wirklich, ob wir heute noch irgendwann von diesem Ort hier wegkommen.
Es gesellt sich irgendwann eine Frau mit Gepäck zu uns, die von hier aus auch auf irgendeine Art von Mitfahrgelegenheit wartet und sehr gutes Englisch spricht. Wir erklären ihr unsere Situation, woraufhin sie uns empfiehlt, ein paar Minuten weiter zur nächsten Tankstelle zu laufen, um von dort unser Glück weiterzuversuchen. Während wir mit ihr reden, hält ein nächstes Taxi, und auf einmal steht auch wieder der Mann neben uns, der uns eben schon 40 Schekel gegeben hat. Es wird nun auf Hebräisch diskutiert, wovon wir kein Wort verstehen, aber wir merken, dass es darum geht, dass wir dort mitfahren sollen. Wir fangen also an, dagegen zu protestieren, als unser großzügiger Spender ein Bündel Geldscheine aus seiner Hose holt und Lea schon fast gewaltsam noch einen 100er Schein in die Hand drückt. Wir sollen jetzt in dieses Taxi steigen, bekommen wir zu verstehen.
Die Situation ist wirklich skurril, und wir haben keine Ahnung, was hier gerade vor sich geht. Aber unser Rücken und unsere Arme tun schon weh, es ist nicht gerade warm, schon dunkel, und wir sind müde. Uns fehlen also Kraft und Wille, uns jetzt gerade um andere Alternativen zu kümmern, weshalb wir einfach einsteigen und uns nach Haifa kutschern lassen. Wir überlegen während der Fahrt, welchen Nutzen der Mann wohl davon gehabt hat, uns eine Taxifahrt nach Haifa zu spendieren. Und warum er überhaupt mitten auf der Schnellstraße an einer verlassenen Bushaltestelle steht und augenscheinlich auf irgendetwas wartet. In unserer Wahrnehmung wollte er uns dort einfach nur loswerden. Aber wie auch immer – wohlbehalten kommen wir in Haifa an, wo unser Taxifahrer dann nur 100 Schekel von uns haben möchte. Wir haben also im Endeffekt noch 40 Schekel Gewinn gemacht. Das passiert einem auch nicht alle Tage.
In Haifa angekommen nehmen wir Kontakt zu anderen Taxifahrern auf, die gut Englisch sprechen und uns mit W-Lan versorgen, sodass wir Clara kontaktieren können, die hier schon bei Firas untergekommen ist, einem befreundeten Couch Surfer. Kurz darauf sitzen wir also zusammen in Firas‘ wunderschöner, süßer Wohnung und sind einfach nur glücklich, hier angekommen zu sein. Später kommen noch ein paar Freunde von ihm vorbei und wir verbringen in entspannter Runde einen richtig schönen Abend. Daran hätte ich zwischendurch schon fast gar nicht mehr zu denken gewagt.